Die Toten von der Königsmauer (eBook)
508 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7517-5983-0 (ISBN)
Berlin jagt den ersten Serienmörder der Stadtgeschichte
März 1856. An der Königsmauer, der berüchtigten Bordellgasse Berlins, wird die Leiche einer jungen Frau aus gutem Haus gefunden. Auf den ersten Blick ist klar: Sie wurde stranguliert. Dem Leichenbeschauer fallen jedoch seltsame Kerben am Schienbein auf, die er bereits bei drei anderen Opfern entdeckt hat. Sie alle waren Prostituierte, jeder ihrer Fälle blieb ungelöst. Serientäter sind als Phänomen nicht unbekannt, in Berlin aber ist noch keiner umgegangen. Haben sie es mit dem ersten Serienmörder der Stadt zu tun? Der junge Kriminalkommissar Wilhelm von der Heyden und sein Kollege Vorweg ermitteln unter Hochdruck. Sollte die Presse von den Fällen erfahren, wird Unruhe die Stadt erfassen ...
Vier junge Frauen und ein skrupelloser Täter - Wilhelm von der Heyden löst seinen zweiten Fall
Als Paperback unter dem Titel EIN FREMDER HIER ZU LANDE erschienen
<p><strong>Ralph Knobelsdorf</strong> wurde in Löbau/Sachsen geboren und studierte in Halle an der Saale Philosophie, Jura und Geschichte mit dem Schwerpunkt Deutschland im 19. Jahrhundert. Nach Tätigkeiten in Werbe- und Internetagenturen arbeitet er gegenwärtig in einem Unternehmen der IT-Branche. Mit seinen Kriminalromanen um Wilhelm von der Heyden führt er die Leser zurück zu den Anfängen der Kriminalistik. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Erfurt.</p>
Neugutzow, 15.03.1856
3
Er war tot.
Eben war er noch auf jenem Felsen mit der wunderbaren Aussicht auf das Tal, das so bewaldet war, dass der kleine Fluss unten zwischen den großen Steinen nicht zu sehen, nur zu hören war.
Jemand ist tot.
Er wusste, dass er noch im Halbschlaf war. Er wusste, dass er in seinem Bett lag. Vertraute Geräusche drangen von außen an sein Ohr. Ein Pferdefuhrwerk rasselte durch das Tor des Gutshofes, zwei Mägde lachten über einen Scherz, den offensichtlich der Fuhrmann gemacht hatte. Er konnte hören, dass sie ihm etwas hinterherriefen, auch wenn er die einzelnen Wörter nicht verstand. Noch immer war er mit einem Teil seines Geistes oben auf dem Felsen, den sie gestern zu viert besucht hatten, und er wollte diese Sekunden nicht loslassen, nicht jetzt.
Das Wetter war ausgesprochen schön gewesen und eine Wohltat nach der langen dunklen Zeit in den Berliner Straßen und den ersten grauen Tagen hier auf dem Gut, wo er Dienstagabend nach einer langen, aufreibenden Fahrt eingetroffen war. Er hatte Glück, dass er überhaupt auf einige Tage hatte herkommen können, denn in Berlin wartete ein ungelöster Fall auf ihn, der zunehmend brisant zu werden drohte. Eigentlich hatte er weiterarbeiten wollen, aber Herford, sein Chef bei der Berliner Kriminalpolizei, hatte zunächst gedrängt und ihm dann geradezu befohlen, ein paar Tage Urlaub zu machen, denn Wilhelm hatte tagelang durchgearbeitet. Herford wollte ihn erst nächste Woche wiedersehen – ausgeschlafen und voll einsatzbereit. Außerdem sollte er unauffällig einige Briefe an Männer übergeben, die sich bei der im Sommer anstehenden Wahl für die Position des Landrats bewerben wollten.
»Ein Aufwasch, sozusagen«, hatte Herford gepoltert, ihm die Briefe gegeben und ihn faktisch hinausgeworfen. Und obwohl es ihm schwerfiel, seinen Fall vorerst ruhen zu lassen, hatte er den gestrigen Tag genossen.
Gemeinsam mit Marie, Anna und Johann hatte er sich am Mittag auf den Weg gemacht, entlang der von Obstbäumen gesäumten Pfade, die die Felder voneinander trennten, auf denen im Sommer das Getreide üppig wachsen würde. Die jungen Frauen hatten ihre Sonnenschirme mitgenommen, das erste Mal in diesem Jahr, und Johann und er hatten bald ihre Jacken ausgezogen und sie über den Schultern getragen. Wann immer es der Weg erlaubte, hatte sich Marie bei ihm untergehakt, und gemeinsam waren sie schweigend dem Waldsaum entgegengeschritten. Der Fluss, der unten im Tal sprudelte, markierte die Grenze zum Nachbargut, aber der Felsen, der das Ziel ihrer kleinen Wanderung war, lag auf ihrer Seite und würde, da sich die Bäume erst zu belauben begannen, einen grandiosen Ausblick bieten, vielleicht bis zum Grund des Flusses, auf jeden Fall aber auf der linken Seite zwischen den Hügeln hindurch bis zum Kirchturm der Stadt mit ihrem Bahnhof. Sie würden die Züge fahren hören, die ihr bevorstehendes Eintreffen stets mit einem langen Pfiff ankündigten und die Station auf ihrem langen Weg in die östlichen Provinzen jetzt immer öfter anliefen. Sonst waren nur die Vögel und der Wind in den Bäumen zu hören, vielleicht war sogar eines der immer zahlreicher werdenden Rehe zu sehen.
Wilhelm hatte sich den Korb über den Unterarm gelegt und trug Getränke und belegte Brote nebst Obst aus dem Keller des Gutshauses. Der Korb war schwer, und er würde sich mit Johann abwechseln müssen, der sich einige Schritte hinter ihnen mit den Decken abmühte, die sie zum Picknick benötigten. Ständig rutschten sie ihm vom Arm, ständig musste er die Hand wechseln, und schließlich legte er sie sich über die Schulter, begleitet von Annas spöttischen Kommentaren. Sie zog erst seine Fähigkeiten beim Tragen dieser doch nun wirklich leichten Decken in Zweifel und fragte dann auch noch, ob es vielleicht erforderlich sei, dass eine junge Dame aus gutem Hause diese Tätigkeit übernahm. Johann ertrug die Frotzeleien wie immer stoisch und schenkte seiner Begleiterin ein Lächeln, sobald sich die Gelegenheit bot.
So ging es den ganzen Weg über. Auch als sie schließlich auf dem Felsen lagen, die Decken ausgebreitet, der Korb geöffnet und die Aussicht so schön wie erhofft, frotzelte Anna weiter. Mal hatte Johann ihr ein kleines Kissen, das er auch noch getragen hatte, nicht wie gewünscht drapiert, mal hatte er eine Flasche nicht richtig geöffnet – Anna fand immer etwas, womit sie Johann aufziehen konnte. Und der schwieg und lächelte nur.
Schließlich wurde es Wilhelm zu bunt, und er warf seiner kleinen Schwester einen scharfen Blick zu. Sie lächelte ihn strahlend an und verdrehte die Augen, als er ihr mit einem kurzen Nicken bedeutete, dass es nun an der Zeit sei, mit Johann spazieren zu gehen. Anna nahm noch einen Bissen von dem Braten, den die Köchin kurz vor dem Aufbruch in den Korb gelegt hatte, und stieß Johann an.
»Ich hoffe, ich kann mich wenigstens darauf verlassen, dass mein großstädtischer Galan bei unserem kleinen Spaziergang darauf achtet, dass ich nicht ins Wasser falle oder mir den Knöchel verstauche«, sagte sie und knuffte Johann in die Seite.
Dem gefiel das sichtlich, so schmerzhaft es vielleicht gewesen sein mochte. Jedenfalls sprang Johann sofort auf und bot Anna seinen Arm, den sie, nach kurzem Zögern, mit einem gönnerhaften Lächeln in Anspruch nahm.
»Wenn du dir den Knöchel verstauchst, was angesichts deiner so praktischen Schuhe im Bereich des Möglichen liegt«, sagte Marie unterdessen, »wird es Johann eine Freude sein, dich nach Hause zu tragen.«
Anna sah an sich hinunter und drehte nachdenklich ihre leichten Schuhe hin und her. »Diese Schuhe sind in Berlin derzeit der letzte Schrei. Die Vorlage stammt aus Paris, und ich finde, dass sie das Recht haben, etwas von unserer brandenburgischen Heimat zu sehen. Habe ich nicht recht, Johann?«
Johann nickte. Und lächelte.
»Nun«, sagte Anna, »dann begleitet mich der Herr wohl auf unserer Reise durch die Wildnis, damit unsere Turteltäubchen die Einsamkeit genießen können.« Sie schritt mit forschen Schritten und in der Überzeugung, die Schuhe würden ihre Aufgabe schon erfüllen, zu den Bäumen, die den Felsen umgaben. »Bei der Gelegenheit wird mir mein Begleiter seine Ansichten zu dem Buch darlegen, das ich ihm gestern gegeben habe. Es ist doch gelesen worden, nicht wahr?«
Anna hatte Johann das Buch erst nach dem Abendessen in die Hände gelegt, aber Wilhelm hatte keinen Zweifel daran, dass sein Freund die halbe Nacht damit verbracht hatte, sich auf das kommende Examen vorzubereiten.
Anna winkte Johann, ihr nun endlich zu folgen, nahm seinen Arm und ging mit ihm den steilen Weg hinunter zum Fluss, der kürzer war, Johann aber vor Herausforderungen stellen musste. Erst nach einer Weile verklang ihre Stimme zwischen den Bäumen, und Wilhelm war sich sicher, dass die beiden die Zeit weniger mit einem Gespräch als vielmehr mit einem Monolog seiner Schwester verbringen würden.
Marie hatte die ganze Zeit geschwiegen, doch jetzt wandte sie sich ihm zu, und sie verstanden es, die Zeit zu nutzen.
Obwohl Wilhelm versuchte, die Erinnerung festzuhalten, die mit seinem zu Ende gehenden Halbschlaf zu entschwinden drohte, entglitt sie ihm: zuerst die Farben, dann die Geräusche und dann auch der Geruch von Maries Haut und die Bewegungen ihrer geschickten Finger. Dabei sollten sich doch genau diese in sein Gedächtnis eingebrannt haben.
Er brummte unwillig.
Ein leichtes Gewicht hatte sich auf das Fußende seines Bettes gelegt und drückte die Matratze ein. Offensichtlich mit der Situation nicht vollkommen zufrieden, wurde hingeruckelt und hergeruckelt, die Bettdecke fortgezogen und kleinen Füßen energisch Platz verschafft.
Jetzt im Frühjahr waren die Nächte noch dunkel. So hell wie es war, musste die Sonne direkt auf sein Fenster scheinen und sich redlich Mühe geben, neben Licht auch Wärme in sein Zimmer zu senden. Dennoch wurde die Schulter, von der Decke entblößt, sofort unangenehm kühl. Und die kleinen Füße hatten noch immer nicht den Platz gefunden, den sie benötigten, und traten unsanft gegen seinen Hintern. Er brummte noch einmal.
Ihm war klar, wer das sein musste, denn Magnus hatte nicht angeschlagen, und außer seiner Schwester würde niemand so selbstverständlich sein Zimmer betreten und sich in seinem Bett breitmachen.
Moment. Wer ist tot?
Wilhelm öffnete ein Auge. Magnus lag entspannt auf dem Läufer vor seinem Bett und schaute ihn ruhig an. Natürlich ist es Anna, dort unten auf deinem Bett, schienen die braunen Augen zu sagen. Würde ich sonst so entspannt hier liegen? Ich kann im Übrigen noch sehr lange darauf warten, dass der junge Herr sich endlich bequemt, aufzustehen und mit mir eine Runde durch das Dorf zu laufen.
Wilhelm setzte sich auf und blickte seine Schwester an, die im Nachthemd an das Fußende des Bettes gelehnt saß, den größten Teil der Decke um sich gewickelt hatte und ihn grinsend ansah.
»Meine Güte.« Wilhelms Stimme klang belegt, und er räusperte sich vorsichtshalber. »Wer ist gestorben?«
»Auch dir einen guten Morgen, Bruderherz«, sagte Anna im Plauderton und wischte eine imaginäre Daune von ihrem Handrücken. »Wie ich sehe, warst du in deinen Träumen an einem ganz bestimmten Platz, nicht wahr? Einem Platz, an dem zwei nicht näher benannte Personen viel Zeit damit verbringen konnten, ihre Kleidung in Unordnung zu bringen. Zeit, die im Übrigen ich durch einen schrecklich langen Gewaltmarsch durch das Unterholz erst möglich gemacht habe …«
Wilhelm musste etwas tun, bevor sich seine Schwester in Mutmaßungen über den gestrigen Tag erging – nicht, dass sie...
Erscheint lt. Verlag | 26.4.2024 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für Wilhelm von der Heyden | Ein Fall für Wilhelm von der Heyden |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • Berlin • Hinckeldey • historisch • Kriminalgeschichte • Kriminalpolizei • Kriminalroman • Kriminaltechnik • Krimis • Leipzig • Preußen • Rechtsmedizin • Serienmord • spannend • Stieber • Tote im Koffer • von der Heyden |
ISBN-10 | 3-7517-5983-2 / 3751759832 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5983-0 / 9783751759830 |
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