Dürer im Zeitalter der Wunder (eBook)

Kunst und Gesellschaft an der Schwelle zur globalen Welt.
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
640 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12295-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dürer im Zeitalter der Wunder -  Ulinka Rublack
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Eine meisterhafte Betrachtung Albrecht Dürers und der deutschen Renaissancekunst Die preisgekrönte Kulturhistorikerin Ulinka Rublack erzählt vom entscheidenden Wendepunkt in der Karriere Albrecht Dürers. Und bietet einen faszinierendern Einblick in die Welt von Kunst und Handwerk in einer Epoche, die uns bis heute prägt. 1511 fasst Albrecht Dürer einen radikalen Entschluss: Nachdem er sich mit dem Frankfurter Kaufmann Jacob Heller wegen eines Auftrages zerstritten hat, hört er auf, Altarbilder zu malen, und wendet sich anderen Werken zu. Dieser Konflikt ist dabei wie eine Linse, durch die man die neue Beziehung zwischen Kunst, Sammeln und Handel in Europa bis zum Dreißigjährigen Krieg beobachten kann. Denn mit dem beginnenden 16. Jahrhundert wurde Kunst Teil eines wachsenden Sektors von Luxusgütern und vollzog eine umfassende Kommerzialisierung. Kaufleute und ihre Mentalität waren entscheidend für ihre Verbreitung und Entstehung. »Dürer im Zeitalter der Wunder« entführt uns in die Gedanken- und Gefühlswelten Albrecht Dürers und den Kaufleuten seiner Zeit. Anhand von originalen Schriftstücken, Briefverläufen und Bildern zeichnet Ulinka Rublack eindrucksvoll die Geschichte Dürers, seines Werks und des aufkommenden europäischen Kunst- und Handwerksmarkt nach. Ein völlig neuer Blick auf einen prägenden Künstler und seine Epoche.

Ulinka Rublack, geboren 1967 in Tübingen, lehrt seit 1996 Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit in Cambridge. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Genderstudien, Materialitätsgeschichte und Fragen der kulturellen Identität. 2019 wurde sie mit dem Preis des Historischen Kollegs ausgezeichnet.

Ulinka Rublack, geboren 1967 in Tübingen, lehrt seit 1996 Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit in Cambridge. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Genderstudien, Materialitätsgeschichte und Fragen der kulturellen Identität. 2019 wurde sie mit dem Preis des Historischen Kollegs ausgezeichnet.

Einleitung


Im August 1471 bereitete sich die Stadt Nürnberg auf den Einzug von Kaiser Friedrich III. (1415–1493) vor, der mit einem Gefolge von 800 Pferden eintraf. Auf einem Schimmel sitzend, der sommerlichen Hitze zum Trotz in eine schwarze Reiterrobe mit Mantel, Mütze und großer Haube gekleidet, wurde Friedrich III. von Männern aus den städtischen Patrizierfamilien, dem Klerus und von Schuljungen begrüßt, die fleißig Banner mit seinem Wappen schwenkten. In den Reihen derer, die die Ankunft des Habsburger Kaisers in der deutschen Stadt verfolgten, befand sich auch ein Bierbrauer. In seinen Aufzeichnungen wird erwähnt, dass es der schönste und trockenste Sommer war, wie man ihn seit einem Jahrhundert nicht mehr erlebt hatte. Die Sonne war früh über der Nürnberger Burg aufgegangen und tauchte die Kirchtürme und Dächer in helles Morgenlicht. Nürnberg, eines der wichtigsten politischen, religiösen und wirtschaftlichen Zentren des Heiligen Römischen Reiches, zählte rund 40 000 Einwohner. Stolz präsentierten die Ratsherren Friedrich III. ein Juwel, das einst Kaiser Karl dem Großen gehörte, sowie ein vergoldetes Straußenei, das randvoll mit wertvollen Münzen gefüllt war.

Bei seinem Rundgang durch die Stadt tat der Kaiser etwas, das uns ziemlich überraschen dürfte; ebenso erging es unserem Bierbrauer, der diese Begebenheit natürlich eifrig notierte. In seinen feinen Gewändern streifte Friedrich III. durch diejenigen Viertel, in denen das einfache Volk lebte. Er sprach mit drei verschiedenen Schmieden in ihren Gießereien. Einer von ihnen stellte Messer her, ein anderer war für die schnelle Fertigung großer Mengen von Gewehren bekannt, während der dritte eine kupferne Badewanne zur Schau stellte. Er belohnte jeden von ihnen für ihre geschickten Erfindungen und bewunderte zudem eine neue Holzbrücke sowie eine Brauerei.

An zwei Abenden besuchte Friedrich III. die Tanzveranstaltungen der ansässigen Elite und wurde dabei von seiner Schwester begleitet, die mit sechs Wagenladungen schöner Mädchen anreiste. Er vermachte jeder der Jungfrauen einen goldenen Ring und seiner Schwester ein mit Zobelpelz gefüttertes goldenes Kleid, das mit einer Schnalle im Wert von 200 Gulden zusammengehalten wurde. Friedrich III. blieb 13 Tage lang in Nürnberg. Am letzten Tag reiste der Kaiser genau um ein Uhr nachts ab. Für den Bierbrauer erweckte es geradezu den Anschein, als befolge er die Anweisungen seiner Astrologen.[1]

Albrecht Dürer, der drei Monate vor dem Besuch Friedrichs III. geboren wurde, lag in jenem Sommer gewickelt in seiner Wiege. Sein Vater war einer der hochgeschätzten Nürnberger Goldschmiedemeister, den der Stadtrat mit der raschen Fertigstellung der kaiserlichen Trinkgefäße beauftragt hatte.[2] Dürer sollte in die Fußstapfen seines Vaters treten und als angesehener Goldschmied Ringe, Reliquienschreine, Kelche und Krüge anfertigen, Kokosnüsse und Straußeneier verzieren sowie Schäfte für Waffen und Spangen für Kleider herstellen, die ihm die Gunst der Kaiser einbringen würden. Obwohl der junge Dürer sein Handwerk von seinem Vater erlernte, fand er mit zunehmendem Alter Gefallen an der Fülle an Farben, der er auf den Gemälden in den Nürnberger Kirchen begegnete, und am Zeichnen nach lebendem Vorbild. Im Alter von 13 Jahren setzte er sich hin und nahm eine Silberfeder zur Hand, um sich selbst zu porträtieren. Das war eine andere Art von Kunst als die der Goldschmiedearbeit. Er fragte seinen Vater, ob er bei einem Maler in die Lehre gehen könne. Dürer erinnerte sich an ihn als einen Mann weniger Worte, der über seine Bitte sichtlich verärgert war. Als ungarischer Einwanderer war dieser erst mit 40 Jahren in seiner eigenen Nürnberger Werkstatt Meister geworden und hatte nun schon die fünfzig überschritten. In diesem Moment schien es gerade so, als wären all die Lehrjahre vergebens gewesen, wusste er doch nun, dass er seine Werkstatt nicht an diesen, so talentierten Sohn übergeben würde können. Doch er lenkte schließlich ein. Und innerhalb von ein paar Jahren tat sich Albrecht Dürer als Zeichner, Holzschneider, Aquarellist, Kupferstecher und Maler hervor, fest entschlossen, der größte deutsche Künstler aller Zeiten zu werden.

Eine Möglichkeit, die Geschichte Dürers zu erzählen, ist die einer linearen Erfolgsgeschichte. Sein aufsehenerregendes Selbstbildnis in Öl, das er 1500 im Alter von 29 Jahren malte und das heute in der Alten Pinakothek in München hängt, kann als Pendant zur Mona Lisa im Louvre betrachtet werden.

Abb. 1.1 Albrecht Dürer, Selbstporträt in Pelzmantel, 1500, Öl auf Leinwand, 67 × 49 cm. Alte Pinakothek, München.

Albrecht Dürers Selbstporträt mit seinem Monogramm AD und einer Inschrift in Goldbuchstaben, deren Farbe auch in den goldenen Strähnen seines Haares anklingt. Gemalt im Jahr 1500, einem Jahrhundert voller Hoffnung auf ein künftiges »goldenes Zeitalter« der Gelehrsamkeit. Erdfarben und Schwarz wurden mit einem Hang zur Melancholie assoziiert, was zur Identifikation mit der Menschlichkeit, der Weisheit und dem Leiden Christi passte, und zugleich den nüchternen Kleidungsstil der Nürnberger Ratsherren sowie Dürers Interesse an der Arbeit mit nur vier Pigmenten in Anlehnung an die alten Meister widerspiegelte. Dürer bewahrte dieses Bildnis in seinem Haus auf.

Mit diesem schuf er eine Selbstdarstellung nach dem Ebenbild Jesu Christi und bewies, dass Deutschland sich durch Gelehrsamkeit, aufrichtige christliche Frömmigkeit und Beredsamkeit auf der Höhe der Zivilisation einzufinden wusste – in einer Zeit, in der junge deutsche Patrizier, die in Italien studierten, als barbarische Schweine beleidigt wurden.

Dürers Kreativität, Produktion und Ehrgeiz waren enorm. Er schuf unzählige innovative Werke für verschiedene Medien, die die ersten ihrer Art waren. Im Jahre 1498 veröffentlichte Dürer die Apokalypse – bildgewordenes Schreckgespenst der Verheerungen von Pest, Hungersnot und Krieg am jüngsten Tag. Es war das erste Buch mit großformatigen Holzschnitten, das nicht als Auftragsarbeit erstellt wurde. Angespornt von den Möglichkeiten, die das neue Druckzeitalter bereithielt, schuf Dürer so auch kostengünstige Holzschnitte mit neuartigen Themen, die er in naturalistischen Details ausführte. Einer seiner berühmtesten Drucke erweckt den Anschein, als hätte er das indische Nashorn, das 1515 in Lissabon von einem Boot stieg, tatsächlich gesehen, obwohl dies nicht der Fall gewesen ist.

Abb. 1.2 Albrecht Dürer, Rhinocerus, Holzschnitt, 1515; 23,5 cm × 29,8 cm; National Gallery of Art, Washington, DC.

Seine Freude und Aufregung über die Kreatur sind unmittelbar greifbar. Was für ein seltsames Tier! Es war solch ein Wunder, dass er es einfach darstellen musste. Es hatte Angst vor Elefanten, wie Dürer erfuhr, und wirkte, obwohl es mit seinen massiven, äußerlichen Platten so schwergewichtig erschien, sehr lebhaft und aufmerksam. Dürers Holzschnitt machte es zum bekanntesten Nashorn aller Zeiten: Die Presse lief heiß und der Abzug ging druckfrisch weg, um in ganz Europa bis nach Indien kopiert zu werden.[3]

Als herausragender Porträtist und großer Geschichtenerzähler prägte Dürer die europäische Renaissance in Nord und Süd, Ost und West. Für ein erlesenes Publikum schuf der Künstler Stiche von solcher Feinheit und solchem Einfallsreichtum, die seither niemand zu übertreffen vermochte. Bildwitz und visuelle Tricks zeugen von der Geduld, der Perfektion und der Liebe zum Detail, die ihm sein Vater als Goldschmied beigebracht hatte. Sie verlangten ihm wochenlange, mühevolle Stichelarbeit auf einer Kupferplatte ab. Zwischen 1512 und 1519 beauftragte dann der habsburgische Kaiser Maximilian I. Dürer damit, vermittels der neuen Drucktechnik seine mächtige Dynastie zu glorifizieren. Als Dürers Selbstvertrauen wuchs, arbeitete er an theoretischen Büchern über die Kunst der Perspektive und der naturgetreuen Nachahmung der Natur – mit einer großen Vision: Er wollte Lehrmaterialien zur Verfügung stellen, die es den Künstlern ermöglichen sollten, ihre Arbeit und ihren Lebensunterhalt zu verbessern. Nur wenige seiner Zeitgenossen versuchten sich an einem ähnlichen Vorhaben.

Als Dürer 1520 im Alter von fast 50 Jahren Antwerpen besuchte, wurde er von der Kunstszene als eine Berühmtheit empfangen. In seinem Tagebuch schildert er dieses Erlebnis und bringt seine Begeisterung zum Ausdruck. Die Malergilde hatte ihn und seine Frau Agnes zu einem zu seinen Ehren ausgerichteten festlichen Abendessen in ihrem Saal eingeladen. Als das Paar eintrat und Dürer am Kopf einer glanzvoll gedeckten Tafel angelangte, die mit Silberbesteck und anderem kostbaren Tischgeschirr und herrlichen Speisen gedeckt war, erhoben sich alle. Dürer liebte nicht nur gutes Essen, sondern...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2024
Übersetzer Nastasja Dresler
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 16. Jahrhundert • Altar • Altargestaltung • Ausnahmekünstler • Barock • Buch • Bücher • Dreißigjähriger Krieg • Druckkunst • Dürer und der Wal • Hans Fugger • Jakob Heller • Kabinett der Kuriositäten • Kaufmann • Kaufmänner • Kepler und die Hexe • Kulturmarkt • Kuntsmarkt • Kupferstich • Luxusgüter • Neuerscheinung • Neuerscheinungen 2024 • Neuerscheinung Sachbuch • Nürnberg • Philip Hoare • Philipp Hainhofer • Reformation • Renaissance • Sachbuch • Tizian • Was ist Kunst • Willibald Pirckheimer • Wunderkammer
ISBN-10 3-608-12295-8 / 3608122958
ISBN-13 978-3-608-12295-4 / 9783608122954
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