Die Reise der Nonnengänse (eBook)

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2024 | 1. Auflage
336 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3435-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Reise der Nonnengänse -  Regine Kölpin
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Wenn sich der Himmel über der Insel Langeoog mit mächtigem Flügelrauschen füllt, dann kehren die Nonnengänse heim in ihr Winterquartier. Nichts gibt der 60-jährigen Amelie so viel Trost und Kraft durch die Natur des Wattenmeers zu wandern und das Kommen und Gehen der Zugvögel zu beobachten. Vor allem jetzt, wo sie weiß, dass ihr Ende naht. Doch eine Sache würde Amelie gerne noch ins Reine bringen, wenn sie nur wüsste, wie ...

Als Bente auf der Insel eintrifft, ahnt Amelie sofort, was in der 20 Jahre jüngeren Frau vorgeht, denn sie kennt die widerstreitenden Gefühle, die Bente umtreiben, nur zu gut. An langen Nachmittagen in der Natur Langeoogs, wo die beiden Frauen Amelies geliebte Nonnengänse beobachten, entsteht eine tiefe Freundschaft, die schließlich beiden den Weg weisen und ihr Leben für immer verändern wird.

Das Buch erschien vormals unter dem Titel 'Der Zug der Nonnengänse' und unter dem Pseudonym Franka Michels.



Regine Kölpin ist 1964 in Oberhausen geboren und wuchs die ersten Jahre ihrer Kindheit auf einem alten Rittergut 'Hof Hirschberg' bei Großalmerode auf. Seit ihrem 5. Lebensjahr lebt sie an der Nordseeküste in Friesland. Die mehrfache Spiegel-Bestsellerautorin schreibt Romane und Geschichten unterschiedlicher Genres. Ihre Arbeiten sind mehrfach ausgezeichnet worden. Sie ist auch als Herausgeberin tätig und an verschiedenen Musik- und Bühnenproduktionen beteiligt. Außerdem hat sie über 200 Kurztexte publiziert. Regine Kölpin ist mit dem Musiker Frank Kölpin verheiratet. Sie haben fünf erwachsene Kinder, mehrere Enkel und leben in einem kleinen Dorf in Küstennähe. In ihrer Freizeit verreisen sie gern mit ihrem Wohnmobil, um sich für neue Projekte inspirieren zu lassen.

Kapitel 1


Der Herbst war plötzlich über die Insel gekommen und hatte die Wärme des Spätsommers vertrieben. Mit ihm färbte sich das Grün der Bäume über Nacht zu Gelb, der Sanddorn lockte mit seiner Farbenpracht, gepflückt zu werden, während die Beeren der Hagebutte an Fülle verloren, obwohl sie sich bis spät ins Jahr behaupten würden.

In den letzten Tagen hatte zudem der Nebel wie ein zerrupfter Schleier über den Dünen gehangen und sich nur ungern von der Sonne vertreiben lassen.

An diesem Samstagvormittag aber wehte über Langeoog ein kräftiger Wind aus Nordwest, der dem Dunst keine Chance ließ, die Wolken über den Himmel trieb und sie miteinander fangen spielen ließ. Er stritt sich auch mit dem Meer und zwang es, hohe Wellen zu schlagen und sie mit Wucht an den Strand zu werfen. Sie durften den Spülsaum nicht mehr nur sacht küssen, sondern mussten ihre Gischtzähne in den Sand schlagen und etwas davon mit zurück ins Meer nehmen.

Die Brandung dröhnte sogar bis zu Amelies Haus, das sich am Rand des Dorfes befand. Die Sechzigjährige liebte dieses Geräusch, das sie unweigerlich mit Freiheit und Glück in Verbindung brachte. Egal, ob es dieses wütende Aufbrausen war, oder ob das Wasser nur leise rauschte. Das Meer war für sie das Sinnbild des Lebens, ein Kommen und Gehen, ein Sich-Gebärden und Ruhen.

In der letzten Zeit verglich sich Amelie immer häufiger mit der Gischt, die der Wind nach eigenem Gutdünken über den Strand rollen ließ und dort platzierte, wo es ihm beliebte. Auch sie hatte leider keinen Einfluss darauf, wie es am Ende mit ihr ausgehen würde.

»Du bist eine Närrin. Reiß dich zusammen. Selbstmitleid hilft dir nun gar nicht weiter«, schimpfte Amelie mit sich selbst, während sie den kleinen Holztisch in der Küche deckte und heißes Wasser in die Kanne goss, die sie anschließend aufs Stövchen stellte.

Sie wartete auf Jan-Hauke, der täglich zum Frühstück kam, das sie recht früh am Morgen einnahmen. Meist tauchte er gegen elf ein weiteres Mal zum Tee auf und gegen neunzehn Uhr schaute er regelmäßig noch einmal bei ihr nach dem Rechten. Leider brauchte Amelie inzwischen Hilfe und sie war dankbar, dass Jan-Hauke sie unterstützte, wenn ihm auch selbst nicht mehr alles leicht von der Hand ging.

Es klopfte, und kurz darauf steckte ihr Freund seinen Kopf durch die Tür des kleinen Inselhäuschens. Dabei nahm er wie immer die Prinz-Heinrich-Mütze vom Kopf und kratzte sich hinterm Ohr. Er war im letzten Monat siebzig geworden und lebte von Kindesbeinen an auf Langeoog. Jan-Hauke hatte sich schon immer nur von der Insel wegbewegt, wenn er zum Fischen hinausgefahren war. Und auch seit er das nicht mehr tat, scheute er das Festland und weigerte sich standhaft, Langeoog zu verlassen.

»Hier bleib ich, bis ich mit den Füßen voraus aus dem Haus getragen werde«, sagte er stets und ließ beim Lachen seinen goldenen Eckzahn aufblitzen.

Jan-Hauke war nun mal Insulaner durch und durch, seine Familie mit Langeoog seit Generationen verbunden und er hier so fest verwurzelt wie der Strandhafer mit seinem starken Wurzelwerk in den Dünen.

Amelie liebte Jan-Hauke. Nicht so, wie man einen Mann liebte, den man immerzu, Tag und Nacht, an seiner Seite haben wollte, aber doch mit einer Selbstverständlichkeit, so wie man den Morgen liebte und den Mittag und den Abend, weil sie zum Leben dazugehörten.

Jan-Hauke hatte immer Zeit. Und das nicht erst, seitdem er vor fünf Jahren seinen Kutter verkauft hatte und nunmehr die Pension Dünennest mit zwei Gästezimmern führte. Eile war für ihn ein Fremdwort, sie kam in seinem Leben nicht vor, denn er war der Ansicht, dass man dadurch ein Stück Lebensqualität verlor. Deshalb agierte der alte Fischer stets mit Bedacht und großer Ruhe, wenngleich nichts, was er tat, phlegmatisch wirkte. Er glich eher einem ruhig schwingenden Pendel, das mit seiner Vorhersehbarkeit beruhigte.

»Brauchst du was, Amelie?«, fragte er jetzt. Seine warme Stimme ließ die Vokale klingen, die er angenehm rund aussprach. »Ich will nach dem Tee ins Dorf zum Einkaufen, weil ich gestern Abend einen Gast bekommen habe. Den muss ich ja gut bewirten, das gehört sich so.«

Amelie lächelte ihn an. Jan-Hauke war ein Schatz. »Joghurt wäre gut. Den ohne Geschmack und die kleinen Packungen. Ich gehe gleich auch raus, weil ich an den Strand möchte. Der Wind bläst so schön. Na, und zum Friedhof will ich noch. Wie immer.«

Jan-Hauke kratzte sich wieder am Kopf. »Übernimm dich nicht, mien Deern. Joghurt bringe ich dir mit, dann brauchst du nicht auch noch in den Laden.«

Er ließ sich auf einen der Stühle fallen, wartete, bis Amelie auch saß, und gab dann ein Kluntje in jede der winzigen Teetassen, bevor er die Kanne vom Stövchen nahm und ihnen einschenkte.

»Was ist denn das für ein Gast?«, fragte Amelie. Sie griff nach dem Sahnekännchen. »Erzähl mal!«

Jan-Hauke grinste, kannte er Amelies Neugierde doch zu gut. »Eine Frau«, antwortete er jedoch wortkarg wie immer.

»Was für eine Frau? Nun lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, du Sturkopp!« Amelie klopfte mit dem Löffel auf den Tisch.

»Jo, sie ist ein bisschen eigenartig.«

»Jan-Hauke!« Amelie stöhnte.

Ihr Freund nahm erst einmal einen Schluck Tee. »Na, eben komisch. Die hat Kummer, das sieht man auf den ersten Blick. Da muss sie wohl auf Langeoog mal zu sich kommen. Heute Morgen ist sie nicht zum Frühstück erschienen, und gehört hab ich auch nix.« Er schüttelte den Kopf.

Na bitte, das klang doch interessant. »Wie lange bleibt sie denn?« Amelie liebte die Gästegeschichten von Jan-Hauke. Sie selbst kam nur noch selten mit anderen Menschen zusammen. Es strengte sie einfach zu sehr an, und sie fürchtete das Mitleid der anderen, weil jeder wusste, wie krank sie war. Von daher war es eine willkommene Abwechslung, wenn Jan-Hauke sie mit Geschichten versorgte, auch wenn sie wusste, dass immer ein wenig Seemannsgarn darin verwoben war. Doch heute wirkte er ungewöhnlich ernst.

Er zuckte mit den Schultern. »Sie hat gefragt, ob sie auf unbestimmte Zeit bleiben darf. Ich habe zugestimmt, obwohl ich in diesem Jahr eigentlich keine Gäste mehr aufnehmen wollte. Nicht einmal, wo Montag die ersten Herbstferien beginnen und heute schon der Bär steppt.« Er zuckte mit den Schultern. »Wird mir doch alles ein büschen viel.«

Jan-Hauke wollte kürzertreten. Er sagte, dass es daran lag, dass er älter wurde, aber Amelie wusste es besser. Er wollte für sie da sein. Weil es nicht mehr lange möglich war.

»Und doch hast du eine Ausnahme gemacht.« Amelie nahm den Faden wieder auf.

»Jo, bin ja kein Unmensch, nicht wahr?« Jan-Hauke rieb sich das Kinn. »Da stand diese dünne, blonde Frau doch gestern Abend einfach so vor der Tür, den großen Reiserucksack auf dem Rücken und leichenblass«, erzählte er weiter, während er sich Tee nachgoss und Sahne in die Tasse tröpfeln ließ. »Ich konnte nicht anders.«

Amelie nickte verständnisvoll. »Wie alt ist sie denn? Ungefähr?«

Jan-Hauke schürzte die Lippen. »Weiß nicht, denke so um die vierzig?«

»Hm«, überlegte Amelie laut, »die Frau wird mit dem letzten Schiff gekommen sein.« Sie wiegte nachdenklich den Kopf. »Vielleicht läuft sie vor etwas davon, wenn die Anreise so spontan war. Das kennen wir ja.«

»So, kennen wir das?« Jan-Hauke zwinkerte ihr zu. Er lief nie vor etwas weg und hatte das wohl in seinem ganzen Leben noch nicht getan. Vielleicht wurde man so, wenn man tagein, tagaus die Nordsee bezwingen musste. »Dass du immer gleich alle Leute analysieren musst. Jedenfalls wohnt sie jetzt im Dünennest.« Er trank den Tee in einem Schluck aus und erhob sich. »Ich geh dann mal. Den Joghurt bringe ich mit, wenn ich heute Abend nach dir schaue.«

»Mach das, die Tür ist offen, falls ich noch unterwegs sein sollte.« Da Amelie nie abschloss, konnte Jan-Hauke auch in ihrer Abwesenheit jederzeit in ihr Häuschen kommen. Sie fand das praktisch. Und hätte sich einmal jemand anders hierher verirren sollen: Es gab nichts Irdisches, was ihr noch wichtig war.

»Hab doch noch eine Frage!«, rief sie dem alten Fischer nach, doch der war schon durch die Haustür verschwunden. Amelie...

Erscheint lt. Verlag 3.1.2024
Sprache deutsch
Original-Titel Der Zug der Nonnengänse
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Dora Heldt • Ferien • Frauenfreundschaft • Hera Lind • Insel • Langeoog • Meer
ISBN-10 3-8412-3435-6 / 3841234356
ISBN-13 978-3-8412-3435-3 / 9783841234353
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