Die Zacken einer Krone -  Natalie Schröder,  Ronja Treibholz

Die Zacken einer Krone (eBook)

Wie ich als Straßenkind aus Kasachstan meinen Wert bei Gott fand
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
240 Seiten
SCM Hänssler im SCM-Verlag
978-3-7751-7631-6 (ISBN)
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Diese Geschichte beginnt auf der Straße in Kasachstan. In einem Dorf, das keiner braucht, wie die Leute sagen. Doch Gott hat noch etwas mit ihr vor, dem Mädchen, das in Mülltonnen nach Brot sucht und auf Mülldeponien Zahnpastatuben auslutscht. Christen holen sie in ein Kinderheim, wo sie bleibt, bis sie zu Adoptiveltern nach Deutschland kommen darf. Sie hört von Jesus - und will ihn fortan immer besser kennenlernen, ihm ihr ganzes Leben widmen. Natalies Biografie zeigt das Auf und Ab eines Lebens, das sich berufen lässt. Sie erzählt von einem Leben, das hoffnungslos startete und heute strahlt. Ein Buch für alle, die Hoffnungsgeschichten lieben, in denen Gott federführend ist.

Natalie Schröder (Jg. 1990) wohnt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in einem Dorf im Großraum Koblenz am schönen Rhein. Neben dem Mamasein investiert sie sich leidenschaftlich für Menschen am Rande der Gesellschaft und liebt es, ehrenamtlich Projekte ins Leben zu rufen. So ist sie beispielsweise die Mitgründerin vom 'Projekt Schattentöchter' für Frauen in der Prostitution. Das Herz der gelernten Floristin schlägt für Beziehungen, kreatives Gestalten und Gottes Überraschungen. In ihrer Freizeit verbringt sie gerne Zeit mit ihrer Familie und Freunden.

Natalie Schröder (Jg. 1990) wohnt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in einem Dorf im Großraum Koblenz am schönen Rhein. Neben dem Mamasein investiert sie sich leidenschaftlich für Menschen am Rande der Gesellschaft und liebt es, ehrenamtlich Projekte ins Leben zu rufen. So ist sie beispielsweise die Mitgründerin vom "Projekt Schattentöchter" für Frauen in der Prostitution. Das Herz der gelernten Floristin schlägt für Beziehungen, kreatives Gestalten und Gottes Überraschungen. In ihrer Freizeit verbringt sie gerne Zeit mit ihrer Familie und Freunden.

2


LEBEN in der Leere


Das quietschende Knirschen lässt mich schaudern. Mit zusammengebissenen Zähnen unterdrücke ich den Impuls, mir die Hände auf die Ohren zu pressen. Denn keiner im Kreis macht das und ich will nicht als Einzige zeigen, dass das Geräusch in den Ohren wie eine schneidende Klinge schmerzt.

Ich frage mich, wie Dmitri das Jaulen des Eimers erträgt, während er ihn über den Boden durch Kies und Glassplitter schiebt. Wahrscheinlich dank seines Stolzes. Die Kiefermuskeln des Elfjährigen treten unter der Anspannung deutlich hervor, doch ansonsten lässt sich der Älteste in unserer Gruppe nichts anmerken.

Dmitri schiebt das umgedrehte, zerbeulte Gefäß langsam in geraden Linien kreuz und quer innerhalb des Kreises, den wir gebildet haben. Ab und zu klopft er auf den Boden des Kübels und wiederholt »Kommt her« oder »Sprecht zu uns«. Ich weiß nicht, was mir mehr Gänsehaut verursacht: die Aufregung, was wohl passieren wird, oder der schreckliche Ton. Soll ich fliehen oder abwarten, bis die Geister kommen? Sofern sie überhaupt kommen …

Meine Neugierde gewinnt das innere Tauziehen und meine Ohren müssen den Schmerz aushalten, so wie es mein Körper bereits vielfach gewohnt ist.

Die Kälte des feuchten Kellers in dem verlassenen und heruntergekommenen Haus ist vergleichsweise gemütlich. Zumindest verglichen mit den Laufwegen in den Wintertagen barfuß durch den kniehohen Schnee. Valerija reibt sich dennoch die Arme, als friere sie. Wahrscheinlich hat sie einfach nur Angst. Ihr großer Bruder Dmitri hat sie bestimmt wieder einmal ungefragt mitgeschleift. Ist sie auch dabei gewesen, als er ihre Oma beobachtet hat, wie sie die Geister rief? Vielleicht kommt daher Valerijas Angst. Vielleicht zu Recht …

Ihr Bruder hält inne und schaut zu den sechs um ihn Herumstehenden auf. »Sie sind gleich da«, sagt er mit einer Stimme, die ernst und wichtig klingt.

»Woher weißt du das?«, fragt Vasili mit großen Augen, die Hände durch den Bund bis in die Hosenbeine gesteckt, wie immer, wenn er nervös ist. Die Hose hat weder Taschen – dafür einige handgroße Löcher – noch einen Gürtel, sodass die gewohnte Geste sowohl das unruhige Fingerzucken versteckt als auch verhindert, dass der Sechsjährige plötzlich ganz ohne Hose dasteht. Komisch sieht er so handlos trotzdem aus.

Dmitri schenkt ihm nur einen herablassenden Blick. Stattdessen fährt Radik Vasili an: »Na, weil er es halt weiß! Er kennt sich damit aus!« Seine Worte hallen laut von den kahlen Wänden wider.

»Pscht«, zischt Dmitri.

Radik, sein persönlicher Schatten, zieht den Kopf ein. Flüsternd fügt er hinzu: »Wenn sie hier wohnen, sind sie ja nicht weit weg.«

Alle schauen sich unbehaglich in dem schmutzigen Raum mit der niedrigen Decke um. Das mulmige Gefühl in mir wächst. Ja, bestimmt wohnen hier Geister, wahrscheinlich von Verstorbenen. Vielleicht Vorfahren von denen, die dieses Haus verlassen haben. Ob sie verärgert sind, dass ihre Kindeskinder den Ort verlassen haben? Oder verstehen sie, dass die Nachfahren ihre Häuser dem Zerfall überlassen haben, der das ganze Land durchzieht? Dass sie aufgebrochen sind, um nicht selbst dem Verfall zum Opfer zu fallen? Wahrscheinlich lachen die Geister darüber, denn wie soll man das abwenden können. Es ist doch überall Zerfall. Wohin also fliehen?

Valerija stößt einen spitzen Schrei aus und alle zucken alarmiert zusammen – alle, außer Anatoly. Der lacht laut auf. Kichernd tippt er erneut auf Valerijas Schulter und kneift ihr feixend in die Wange. Die Siebenjährige läuft vor Scham und Ärger rot an. Anatoly erntet einen grimmigen Blick von Dmitri und sein Kichern ebbt rasch ab. Bei Valerijas großem Bruder weiß man nie genau, ob er sich für seine ängstliche Schwester schämt oder sich um das einzige von drei Geschwistern, welches die ersten fünf Lebensjahre überlebt hat, sorgt.

Radik steht der Ärger über den eigenen Schreck ins breite Gesicht geschrieben. Wütend zischt er den etwa Gleichaltrigen an: »Wenn du das noch mal machst, breche ich dir den Finger, Anatoly!«

In diesem Moment hören wir ein dumpfes Geräusch über uns, das augenblicklich von unserem lauten Aufschreien übertönt wird. Aufgescheucht wie eine Schar Hühner springen wir aus dem Kreis und dann kreuz und quer durch den Raum. Panisch stoßen unsere Körper aneinander, während wir Richtung Kellertreppe hasten. Dmitri hat schon das obere Ende erreicht, bevor ich zur ersten Stufe gelange. Hinter mir schnappt Alexej unkontrolliert nach Luft.

Endlich kommen wir oben an und stürzen einer nach dem anderen aus dem Gebäude. Keiner wartet oder schaut sich um, sondern alle rennen die Straße entlang weiter. Was auch immer das Geräusch verursacht hat – wenn es ein Geist war, ist er bestimmt schnell.

Mit Alexej fliehe ich auf kurzen Beinen durch die Gassen in Richtung unseres Wohngebiets. Wir schreien ununterbrochen, als könne das jenes unbekannte Etwas von uns fernhalten. Nach vier weiteren Abbiegungen spüre ich einen stechenden Schmerz in der Lunge und höre auf zu schreien. Als das Piksen zwischen den Rippen nicht besser wird, werde ich langsamer und komme zum Stehen. Alexej bemerkt es erst nach einigen Schritten und dreht sich um.

»Meinst du, es ist weg?!« Seine Augen sind geweitet vor Angst und dennoch kann sie das aufgeregte Funkeln darin nicht vollständig vertreiben.

»Ich … ich weiß nicht«, keuche ich mit zitterndem Atem. »Vielleicht bleiben die im Haus.«

Alexej nickt eifrig, wie wenn es dadurch wahr würde. Jedenfalls will er es ebenso gerne glauben wie ich. Das Geschehene zurücklassen – nur mit dieser Strategie gelingt es einem Kind in Juschnij, nachts einzuschlafen.

»Ich geh mal«, verkündet der Sechsjährige, eine seiner zottigen Strähnen zwischen den Fingern zwirbelnd.

Mein Atem beruhigt sich etwas und ich nicke: »Ich auch.«

Eine Straße stapfen wir noch gemeinsam entlang, dann biege ich in mein Viertel ab.

Der Schein der Sonne wird bereits trüber und das warme Licht überzieht das schmuddelige Braun und Grau mit einer bronzenen Schicht. Es überdeckt nicht die Risse im Boden, den allgegenwärtigen Dreck und die Ausscheidungen am Straßenrand. Doch die sanfte Helligkeit beruhigt mich ein wenig. Die Aufregung steckt mir noch in den Gliedern und lässt meine Hände zittern. Fast so wie bei allen Erwachsenen, die ich kenne, wenn sie seit längerer Zeit keine Flasche mit scharf riechender Flüssigkeit gehalten haben. Alle Erwachsenen, außer die im Dom Molitvy.

Bei dem Gedanken an diesen für mich besonderen Ort möchte ich am liebsten direkt mit dem Bus zu Oma fahren. Stattdessen erreiche ich die Straße mit den vertrauten Gebäudereihen. Die Mehrfamilienhäuser stehen einheitlich wie uniformierte Soldaten Spalier. Sie sehen auch ebenso wenig stramm und ordentlich aus wie die sowjetische Armee zurzeit.

Unsere Wohnung befindet sich in einem Haus, das sich von den angrenzenden nur durch die Musterung der Flecken auf der Fassade und die Anzahl an ausgeblichenen Vorhängen hinter den trüben Fenstern unterscheidet. Als ich mich den zwei Treppenstufen nähere, bemerke ich, dass die Tür offen steht. Noch bevor ich den Eingang erreiche, betritt ein Mann aus dem Haus rückwärtsgehend die Stufen. Ich kenne den breiten Rücken nicht – mein Halbbruder kann es nicht sein – und auch den runden Kopf mit lichtem Haar habe ich noch nie gesehen. Dem großen Rücken folgen zwei lange Arme, die eine Matratze hochkant heraustragen. Die Matratze erkenne ich sofort. Auf dem längst gelblich verfärbten Weiß zeichnet sich an einem Ende deutlich die Stelle ab, wo die bloßen Füße den Dreck des Tages im Schlaf abstreifen. An der nach oben gedrehten Kante prangt jener verlaufene blaue Fleck, der beim Kauen auf einer gefundenen Kugelschreibermine entstanden ist. Es ist meine Matratze.

Erstarrt schaue ich zu, wie mein abgenutztes Schlaflager das Haus mit zwei Männern an den Enden verlässt und um die nächste Mauer verschwindet. Unschlüssig stehe ich vor der offenen Tür. Vielleicht kommt noch jemand heraus? Doch eigentlich will ich nur nicht hinein – in die immer leerer werdende Wohnung, die gerade meinen einzigen eigenen Platz hat ziehen lassen. Zögerlich steige ich die Stufen zur Eingangstür hinauf. Dann schleiche ich die Treppen zur ersten Etage hoch, wo die Wohnungstür noch angelehnt ist. Beim Aufdrücken der verschrammten Holzplatte schlägt mir der wohlbekannte Geruch von zu Hause entgegen: verbrauchte Luft, Tabakqualm, Schimmel und der ganz eigene Gestank, der aus der Abstellkammer dringt. Schnell husche ich hinein, lasse Bad, Küche und das Schlafzimmer meiner Mutter hinter mir und betrete das Wohnzimmer. Bis auf einen Stuhl, ein niedriges Tischchen, viele leere Flaschen, vollgestopfte Plastiktüten und Kisten herrscht dort gähnende Leere.

Letzte Woche war nach unserer Stehlampe auch der Lampenschirm an der Decke verschwunden und die Birne hängt nackt vom Kabel herab. Da ich sie so gut wie nie anschalten darf, ist es ja eigentlich egal. Weil wir keine Gäste einladen, brauchen wir kein Sofa. Weil wir nur selten zusammen essen – wenn wir mal etwas zu essen haben –, reicht der kleine Tisch in der Küche. Weil wir keine Bücher mehr haben, brauchen wir keine Regale. Und die Kleider, die wir besitzen, tragen wir am Körper. Was übrig bleibt, passt in Tüten und Kisten, also sind auch die Schränke und Kommoden fort. Das sind alles gute Gründe dafür, dass Stück für Stück alles verschwand und verschwindet. Gute Gründe im Vergleich zur Wahrheit.

Einen Moment lang schaue ich zur hinteren Ecke im Raum, wo die staubfreie, rechteckige Fläche meine...

Erscheint lt. Verlag 12.1.2024
Verlagsort Holzgerlingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Adoption • Armut • Biografie christlich • Deutschland • ermutigend • Frieden finden • Gottes Liebe • Gott sieht mich • Heilung • Hoffnung • Hoffnungsgeschichte • Kasachstan • Kinderheim • Lebensgeschichte • Lebenswandel • Russlanddeutsche • Soziales Engagement • Straßenkinder
ISBN-10 3-7751-7631-4 / 3775176314
ISBN-13 978-3-7751-7631-6 / 9783775176316
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