Artemisia Gentileschi und Der Zorn der Frauen (eBook)

Romanbiografie | Über die bedeutendste Malerin des Barock, die »Beyoncé der Kunstgeschichte«
eBook Download: EPUB
2024 | 1., Originalausgabe
393 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77982-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Artemisia Gentileschi und Der Zorn der Frauen - Gabriela Jaskulla
Systemvoraussetzungen
14,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Sie war ein Star - und sie war berüchtigt. Artemisia Gentileschi, geboren 1593 in Rom, fiel schon in jungen Jahren als talentierte Malerin auf. Der erste Schicksalsschlag traf sie, als sie, mit siebzehn von ihrem Lehrer vergewaltigt, nach einem aufsehenerregenden Prozess zwangsverheiratet wurde und Rom verlassen musste. Doch sie überstand noch viele weitere: Vulkanausbrüche, Pleiten und die Pest. Sie etablierte sich als Malerin und wurde als erste Frau überhaupt an der Akademie in Florenz aufgenommen - im Triumph kehrte sie nach Rom zurück. Sie erhielt Aufträge vom Papst und vom Hochadel und unterhielt bis zu ihrem Tod eine eigene Werkstatt. Ihre Bilder waren keine braven Stillleben, keine artigen Porträts - sie zeugen von Kraft und von Rache, von Stolz und von Rebellion. Selbstbewusst forderte sie für ihre Kunst denselben Platz und denselben Preis wie ihr Zeitgenosse Velázquez.

Gabriela Jaskulla folgt in dieser Romanbiografie dem Weg der einzigartigen Künstlerin Artemisia Gentileschi von Rom über Florenz und Venedig bis nach London und Neapel und zeichnet das Leben einer mutigen und kraftvollen Frau, für die Aufgeben niemals in Frage kam.



<p>Gabriela Jaskulla wurde 1962 in Franken geboren, wuchs in Hessen auf, lebte in Spanien, liebt Hamburg, kleinere Inseln und lebt heute bei Berlin. Sie ist Kunsthistorikerin und Journalistin, arbeitete 17 Jahre für den Rundfunk und lehrt Kulturjournalismus und Kreatives Schreiben an der Hochschule in Hannover.</p>

Prolog


Das Kleid riss. Es war ein Geräusch, das zwei Schritte machte: einen kleinen, vorsichtigen und dann einen großen, entschlossen. Ritsch, ratsch! Hell, dunkel! Artemisia hielt einen Augenblick inne, erschrocken über die vermeintliche Missetat. Aber es war ja nicht sie – es war der Mann gewesen, der das Kleid zerfetzt hatte und jetzt wieder, schon wieder, über ihr war. Nein! Artemisia befreite sich, das dritte, das vierte Mal, jedes Mal wurde es schwerer, Widerstand zu leisten, es war, als würde das Gewicht des Mannes auf ihr lasten, auch wenn sie ihn gerade wieder abgeschüttelt hatte, wieder losstürzte, zur Seite auswich, davonjagte, die Treppe hinauf. Aber er hinterher. Kein Auskommen! Nein, nein!

Dabei hatte alles als Spiel angefangen. Sie hatten sich geneckt, weil ihnen das Zeichnen der Zentralperspektive zu langweilig erschien. Das hätte sie stutzig machen sollen, war es doch sein Beruf: Perspektive. Große Räume zeichnen. Das war sein Metier, dafür war Agostino Tassi berühmt, dafür hatte ihn der Vater angeheuert: Tassi sollte seiner Tochter, der 17-jährigen Artemisia Gentileschi, Perspektive beibringen. Das Werkzeug lag noch unten auf dem Tisch in Orazios Atelier, in dem Artemisia dem Vater zur Hand ging. Aber dort war nur noch Chaos, Durcheinander, die teuren Papiere vom Tisch gewischt, die Werkzeuge verstreut. Da hatte das begonnen.

Komm, küss mich, Artemisia!

Sie hatte ihn ausgelacht. So ein alter Mann, mit gezwirbeltem Bart und Bäuchlein. Der sich parfümierte, Postiche trug, ein Haarteil, um sein schütteres Haar zu kaschieren. Ihr angeblicher Lehrer. Ein angeblich großer Künstler, der hinter seinem Rücken Lo smargiasso genannt wurde. Der stadtbekannte Angeber. Sie rief es laut aus, sie verhöhnte ihn:

Smargiasso! Übernimm dich nicht!

Sie hatte gesehen, wie er in ihr Dekolleté gestarrt hatte, mit einem Blick, als wollte er ihre Brüste heraussaugen. Sie hatte seine Hände gesehen, manikürte Hände, die zeigten, dass er, der Künstler, wohlhabend genug war, eine Reihe von Assistenten zu beschäftigen, Meisterhände also, unruhige Hände, die immerfort ihre Hände korrigierten, selbst dann, wenn keine Korrektur nötig war.

Komm, küss mich!

Das allzu vertrauliche Du. Er machte Faxen dazu. Es sollte aussehen wie eine Spielerei. Aber sein Gesicht war angespannt, die Haut gerötet. Das Hemd stand offen.

Artemisia sagte: Das kann man nicht malen, dass einer was sagt – und man sieht, er meint das Gegenteil! Du sagst: Küss mich, und meinst: Ich will dich bezwingen.

Genau!, rief der Mann – und damit begann es. Er griff nach ihr, sie wehrte die Hand ab, unwillkürlich sprang sie auf, so heftig, dass der Hocker umstürzte, und er folgte ihr.

Nicht so schnell!

Wer hatte das gerufen? Warum hielt sie inne? Wie sehr sie zum Gehorchen neigte.

Warte!

Nein!

Auf und davon! Wie hinderlich die langen Röcke waren. Drei Röcke übereinander. Weißes Linnen, dann ein farbiger Rock aus Leinen und noch ein Überrock aus Wolle. Das Oberteil ebenfalls aus Leinen, nachlässig in die Röcke gestopft, denn sie trug eine Schürze, die das Ganze in der Taille zusammenhielt. Am Schürzenband hielt er sie fest. Wie gut, dass sie es nur lose gegürtet hatte!

Sie entkam. Aber nur bis zur Treppe. Erneut hinderten sie die langen Röcke, drohten sich um ihre Beine zu wickeln. Gegriffen, gerafft, hinauf! Die Treppe schien heller als sonst, als fiele von oben ein Licht darauf. Es mussten ihre Augen sein, sie strengte sich so sehr an, zu sehen, jetzt keinen Fehler machen, hinauf, nur hinauf, in ihr Zimmer, das ein Schloss hatte und einen Schlüssel. Zwölf Stufen, das wusste sie, die hatte sie so oft gezählt und gezeichnet, schattiert und schraffiert, zwölf Stufen nur.

Er hinter ihr und vor ihr plötzlich Tuzia, die Freundin, die Frau, die ihrem Vater zur Hand ging, Tuzia, Gott sei Dank! Hoch aufgereckt, aufmerksam, abwartend.

Artemisia rief ihren Namen, sah sie lächeln, sah, dass sie die Situation begriff. Aber was war das? Tuzia trat zur Seite, ließ Artemisia passieren. Ebenso den Mann.

Tuzia, hilf mir!

Gelächter, aus zwei Kehlen.

Wieder diese Stimme, die sie nicht einordnen konnte. Der lange Gang, die von dort abgehenden Zimmer. Das zweite, das ihre. Sie hatte schon die Klinke in der Hand, da hatte er sie eingeholt.

Warte!

Warum um alles in der Welt tat sie es? Warum hielt sie einen Augenblick inne? So sehr erzogen zur Willfährigkeit? So sehr gewöhnt, auf die männliche Stimme zu hören? Artemisia schrie auf vor Wut. Und vor Schmerz. Der Mann packte sie an den Haaren, hinten im Nacken. Und zerrte sie in das Zimmer. In ihr Zimmer. Das einmal eine Zuflucht gewesen war. Jetzt aber eine Falle. Artemisia kämpfte. Sie versuchte, an dem Mann vorbeizukommen. Aber er war zu schwer. Er war zu groß. Auch sein Mund war groß. Riesig. Ein Maul, das nach ihr schnappte. Die fauligen Zähne. Der rot leuchtende, wie brennende Schlund. Das sah man nie auf den Bildern des Vaters, wenn er seine Heiligen malte und seine Herrschenden. Das Bett! Das war ihr Heiligstes. Tuzia hielt es auf ihre Bitte hin penibel reinlich. Man fand das übertrieben, aber gerade heute war frisches Leinen aufgezogen worden. Das Bett war hoch, vier Pfosten reichten bis fast zur Decke. Dagegen prallte sie nun, nicht schlimm, gar nicht schlimm. Sie versuchte, nach dem Mann zu treten, aber die Röcke hinderten sie. Sie lag. Sie rang nach Luft. Die Hände des Mannes auf ihr. Der schwere Schädel. Die schmutzigen Stiefel. Warum waren die Stiefel schmutzig? Sie waren doch nur im Haus gewesen. Sie drehte sich und wand sich, aber er immer ihr nach. Das Bettzeug zur Seite, das Bettzeug über ihr. Er schob es beiseite. Immerhin erstickte er sie nicht.

Artemisia, du machst mich verrückt. Nein, das stimmte nicht, er selbst war es, er selbst machte sich verrückt, er selbst war gewalttätig, er selbst hatte sich dem Bösen überlassen.

Sie hatte jetzt den Kopf schmerzlich überdehnt, in dem Bedürfnis, ihm auszuweichen, seinen Händen, seinen Lippen. Sie sah, über Kopf, die kleine Öffnung des Fensters. Das Licht fiel auf sein Gesicht. Sie im Schatten. Sie entkam ihm nicht, er war schon wieder über ihr. Vor dem Fenster Vögel. Ein Taubenpaar in der Via della Croce? Mitten in Rom, mitten in der Stadt? Das passte nicht, dachte sie noch. Dann dieser Riss, erst einfach, dann doppelt. Und ihr Schrei.

Stopp!

Cut!

Aufhören!

Alle fuhren zusammen. Die Kamerafrau, die außerhalb des Zimmer-Settings auf einem Stuhl saß und gerade den Monitor kontrolliert hatte. Die Assistenten. Das Scriptgirl. Und natürlich Lena, die Regisseurin. Sie war es, die geschrien hatte. Cut. Aber erst, nachdem Joy, die Hauptdarstellerin, geschrien hatte: Stopp! Ein unerhörter Vorgang. Niemand unterbrach, wenn eine Szene gedreht wurde, vor allem keine mit so viel Action. Das war eine Choreografie, da musste jeder Schritt, jeder Handgriff der Crew sitzen.

Okay. Vorbei. Pause, sagte Lena. – Wir machen in einer Stunde weiter.

Jemand brachte Espresso und eine Karaffe mit Wasser. Sie saßen in Lenas Trailer. Die Regisseurin und ihr Assistent, dazu Tim, der Drehbuchautor, Joy, die Darstellerin der Artemisia. Und die Professorin, wie sie sie alle nannten, die Expertin, die Fachberaterin für den großen Spielfilm über Artemisia Gentileschi, über die bedeutendste Malerin des Barock, die Meisterin biblischer Szenen, die ein Vergewaltigungsopfer war.

Was war los? – Die Stimme Lenas streng, aber nicht unfreundlich. – Ich hoffe, du hast einen triftigen Grund, meine Liebe …?

Das geht so nicht. – Joys Stimme ein wenig zitternd, aber entschlossen.

Was geht so nicht? ...

Erscheint lt. Verlag 17.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Accademia dell'Arte del Disegno • aktuelles Buch • Barock • Biografie • Booktok • Bücher Neuererscheinung • Caravaggio • Chiaroscuro • Feminismus • Feministisch • Filmdreh • Florenz • Frauen-Roman-Biografie • Freiheitskampf • Gerechtigkeit • Geschäftsfrau • Gleichberechtigung • insel taschenbuch 5049 • IT 5049 • IT5049 • Italien • Jan Vermeer van Delft • Judith und Holofernes • kämpferisch • Kunst • Künstlerin • Lebensgeschichte • Malerei • Malerin • Missbrauch • Neapel • Neuererscheinung • neues Buch • Ölfarbe • Peter Paul Rubens • Rache • Rebellion • rebellisch • Rembrandt • Rom • Starke Frau • Susanna im Bade • Venedig • weibliche Protagonistin • weibliches Genie • Wunderkind
ISBN-10 3-458-77982-5 / 3458779825
ISBN-13 978-3-458-77982-7 / 9783458779827
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99