Allein unter Dünnen (eBook)
304 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46841-8 (ISBN)
Heide Fuhljahn, geboren 1974 in Kiel, ist freie Journalistin und Buchautorin und lebt in Hamburg. Nach einer Banklehre studierte sie Skandinavistik, Strafrecht und Kriminologie bis zur Magisterreife. Es folgten ein PR-Volontariat und ein journalistisches Volontariat. Sie schreibt seit über 15 Jahren für die Brigitte und ist Autorin des Bestsellers »Kalt erwischt«.
Heide Fuhljahn, geboren 1974 in Kiel, ist freie Journalistin und Buchautorin und lebt in Hamburg. Nach einer Banklehre studierte sie Skandinavistik, Strafrecht und Kriminologie bis zur Magisterreife. Es folgten ein PR-Volontariat und ein journalistisches Volontariat. Sie schreibt seit über 15 Jahren für die Brigitte und ist Autorin des Bestsellers »Kalt erwischt«.
Einleitung
Früher war alles leichter. Ich zum Beispiel!
Heute bin ich dick. Nicht kurvig, nicht moppelig – dick. Und nicht stolz darauf. Meine Freundinnen würden nie etwas Unfreundliches über mein Gewicht sagen. Doch für mich ist es ein Problem. Denn ich bin – und es tut weh, das zu schreiben – sogar fettleibig. Adipositas ist eine Krankheit, und deshalb sorge ich mich um meine Gesundheit! Aber auch um mein Selbstbild, denn ich schäme mich, weil ich überall auffalle: im Job, beim Sport, auf Geburtstagspartys – in meinem Umfeld ist wirklich jede schlank. Als feministischer Mensch und freie Autorin der Zeitschrift Brigitte weiß ich, dass bei Übergewicht nicht Selbsthass, sondern Akzeptanz angebracht ist. Also gehe ich ins Freibad und starre Menschen in XXXL nicht strafend an, wenn sie Eis essen. Viele andere tun das. Denn unsere Gesellschaft diskriminiert besonders fettleibige Frauen. Und selbst diejenigen, deren Gewicht gesund und normal ist, gelten oft als zu dick.
Es sind vor allem Modedesignerinnen, Werbeagenturen, Fernsehsender, Redaktionen und Verlage, die über die öffentliche Präsenz von Frauen und die Verfügbarkeit von Kleidung entscheiden. Diese sogenannten Gatekeeper legen fest, wer als schlank und attraktiv genug gilt. Doch der Widerstand gegen ihre strengen Normen wächst, erfolgreich. Weltweite Bewegungen wie Fat Acceptance, Body Positivity und Body Neutrality setzen sich für vielfältige Körperbilder und neue Sehgewohnheiten ein. Seit es soziale Medien gibt (Facebook startete 2004, Youtube 2005, Instagram 2010 und Tiktok 2016), steigt ihr Erfolg stetig an, da sie über diese Kanäle leicht und schnell wie nie Milliarden Menschen rund um den Globus erreichen.
Die Digitalisierung bietet eine bisher einmalige Chance für fast alle, Einfluss auf die öffentliche visuelle Wahrnehmung zu nehmen. Eine enorme Chance für mehr Toleranz – auch für mich. Denn ich bin nicht nur traurig und beschämt über meinen Körper. Ich bin auch wütend, weil er seit meinem zwölften Lebensjahr verurteilt wird, erst von anderen und schließlich auch von mir selbst. Mein Vater, meine Mitschülerinnen, die Gesellschaft und die Medien beschimpften mich lautstark: Du bist zu dick! Also fühlte ich mich zu dick, egal, ob ich 55, 65 oder 85 Kilo wog (bei 1,74 Meter).
Doch wenn ich mir heute Fotos von früher ansehe, könnte ich weinen, weil sie offenbaren, dass ich eine gute Figur hatte! Jedes Kleid und jede Jeans, die mir damals gefielen, hätte ich unbeschwert tragen können. Statt Kohlsuppe zu kochen, mir einen Pulli um die Hüften zu schlingen, mich im Bauch-Beine-Po-Kurs zu quälen und Push-up-BHs zu kaufen! Zwei Jahrzehnte litt ich unter Minderwertigkeitsgefühlen, zweifelte an mir, hielt Diät – für nichts. Jetzt bin ich krankhaft übergewichtig. Und kann die Hoffnung nicht loslassen, dass ich es eines Tages schaffen werde, wieder schlank zu sein. Doch wenn ich frustriert auf mein jahrelanges Scheitern beim Abnehmen zurückblicke, frage ich mich: Was ist, wenn es mir nie gelingen wird? Werde ich immer hässlich und schuldig bleiben?
Mein Verstand rebelliert dagegen, mich unattraktiv zu finden. Denn er sagt mir, dass Schönheitsideale kulturell geprägt sind; so gelten zum Beispiel im westafrikanischen Mauretanien runde Frauen als bildhübsch und begehrenswert. Doch ich lebe in Europa, in einer Gesellschaft, die zwar deutlich offener ist als vor fünfzehn Jahren, aber weiterhin junge, weiße1, blonde und zunehmend operierte Püppchenfrauen in Size Zero feiert – wie die Influencerinnen Caro Daur oder Ann-Kathrin Götze. Zudem hat sich der Wettbewerb um den After-Baby-Body verschärft.
Ist der Säugling auf der Welt, zeigt sich das am Körper der Mutter: der Bauch dicker und weicher, die Brüste größer und hängender, der Körper insgesamt unförmiger. Das wird als Makel wahrgenommen. Frauen, denen die Geburt nach wenigen Wochen nicht mehr anzusehen ist, die zügig wieder schmal und durchtrainiert sind, bekommen dafür öffentlich Applaus. Aber Curvy Models wie Ashley Graham, Paloma Elsesser oder Angelina Kirsch sowie Aktivistinnen, Bloggerinnen und Plus-Size-Designerinnen wehren sich. Auch Sängerinnen wie Lizzo, Billie Eilish und Zoe Wees verweigern sich den geltenden Gesetzen. Sie fordern Pluralität und definieren Weiblichkeit neu. Durch ihre enorme Reichweite bei Social Media kann die analoge Welt sie nicht ignorieren.
Was für tolle Bewegungen! Da will ich unbedingt mitmachen! Denn ich bin jetzt 50 Jahre alt und ich möchte mich endlich okay finden! Ich bin es gründlich leid, dass andere scharf über mich urteilen und dass ich scharf über mich urteile! Ich wünsche mir, dass das weibliche Geschlecht sich nicht mehr an den Maßstäben des male gaze, des männlichen Blicks, messen lassen muss! Der besagt, dass die äußerliche Attraktivität darüber entscheidet, wie wertvoll, erfolgreich, begehrt oder neudeutsch fuckable Mädchen und Frauen sind. Für sie gilt: Survival of the prettiest!
Der männliche, heteronormative, weiße Blick auf die Welt ist noch lange nicht überwunden. Das offenbart sich besonders bei den Ansprüchen an äußere Schönheit. Natürlich hadern auch manche Männer mit ihrem Aussehen. Und natürlich verfügen auch attraktive Männer über Privilegien. Aber sie halten keine Industrie am Laufen, die Bauchweg-Hosen und teure Shape Wear produziert! Herren tragen vielleicht Uhren und Manschettenknöpfe, aber selten Ohrringe, Broschen und Perlenketten. Sie kaufen kein Make-up, keine Wimperntusche oder Lippenstifte in der Farbe der Saison. Sie gehen nicht zur Mani- oder zur Pediküre (obwohl es bei vielen wünschenswert wäre); sie schminken nicht gegen Schlupflider an und klagen nicht über Winkfleisch. Schmerzen, die mit Stöckelschuhen einhergehen, kennen sie genauso wenig wie den Verzicht der Jahresanfangs- und der Bikini-Diät im Frühsommer!
Die Diskriminierung der Frauen ist offensichtlich – und sie macht mich wütend! Doch wie viel ist damit gewonnen? Ich weiß, dass die Körperideale brutal und realitätsfern sind. Ich weiß, dass sie bei Frauen strenger sind als bei Männern. Ich weiß, dass Gesundheit wichtiger ist als Schönheit. Ich weiß, dass ich mich akzeptieren sollte, wie ich bin. Trotzdem fühle ich mich in meiner Haut nicht wohl. Es reicht eben nicht, kluge Essays oder romantisierende Ratgeber zu lesen. Es reicht nicht, feministisch zu denken. Es reicht nicht, der Schwarzen, großen, dicken, queeren, supercoolen US-amerikanischen Yogalehrerin Jessamyn Stanley auf Instagram zu folgen. Es reicht nicht, die Modejournalistin und Aktivistin Melodie Michelberger niedlich zu finden. Es reicht nicht, an die üppigen Nana-Frauenfiguren der französisch-schweizerischen Künstlerin Niki de Saint Phalle zu erinnern. Es reicht nicht, #femalepower zu liken. Es reicht nicht, sich über Photoshop® und operierte Schlauchbootlippen aufzuregen. Es reicht nicht, eine Diät zu machen. Es reicht genauso wenig, Diäten zu verdammen! Es reicht nicht, gut gemeinte Tipps zu mehr Selbstliebe zu befolgen. Eine Veränderung wirklich zu wollen, reicht nicht – obwohl etliche Life Coaches und Gurus genau das behaupten. Zu wissen, was gesund und was ungesund ist, reicht auch nicht. Wer Chips und Cheeseburger isst, derjenigen ist meistens bekannt, dass das schädlich ist. Das gilt genauso für Süßigkeiten, Drogen, Alkohol, Zigarren und Zigaretten; für stundenlanges Videospielen oder Durch-Tiktok-Scrollen, vor dem Fernseher versacken oder Disney+/Netflix/Prime-Binge-Watching. Genügend Menschen wollen damit aufhören oder den Konsum reduzieren und strengen sich an. Aber oft ist das Bedürfnis stärker als das Wissen. Nicht von ungefähr rauchen und trinken auch Krankenpflegerinnen! Wie kann ich diese Diskrepanz überwinden? Wie schaffe ich es, mich nicht mehr unästhetisch zu finden? Was braucht es, damit ich mich gesund ernähre (auch wenn ich dadurch nicht automatisch abnehme)? Was muss sich, was kann ich ändern, um mich okay zu finden, wenn es nicht an Wissen und Willen fehlt?
Um Antworten zu finden, würde ich jetzt normalerweise für ein Fachbuch zum Thema recherchieren. Meine Welt ist eine verkopfte – das wird mir, der Journalistin, die ich von Kindesbeinen an in Büchern lebe, nach Banklehre, Studium und zwei Volontariaten heute erst bewusst. Beim Ju-Jutsu-Training, wenn ich versuche, eine neue Technik zu lernen, höre ich oft: »Du denkst zu viel! Jetzt mach erst mal!« Spät begriff ich, dass nicht nur Gespräche und Gedrucktes mich vorwärtsbringen, sondern praktische Erfahrungen. Schwimmen lernt frau nur im Wasser. Schwedisch, in dem frau es spricht. Nähen, indem frau näht. Beziehungen in Beziehungen. Die intellektuelle Herangehensweise reicht nicht, es braucht gleichermaßen die Praxis. Um mich körperlich anders zu fühlen, muss ich meinen Körper anders erleben! Wenn ich also aus Frust Schwarzwälder Kirschtorte esse, bringt mich nicht der hundertste zu Recht warnende Artikel über die Gefahr von Industriezucker weiter, sondern die Frage, wie ich mein Bedürfnis nach Trost stattdessen stillen könnte.
In diesem Buch bestehen die Kapitel deswegen nicht nur aus Reflexionen, sondern aus Selbstversuchen, Reisen und Begegnungen. Dabei lote ich innere und äußere Grenzen aus, an die auch die Leserinnen immer wieder stoßen. Mein Übergewicht schränkt mich täglich ein: beim Treppensteigen, auf dem Fahrrad, beim Blick in den Kleiderschrank. Das schmerzt jeden einzelnen Tag; seit Jahren schwanke ich zwischen Verzweiflung und...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Abnehmen • Adipositas • BMI • Body Positivity • body shaming • Bodyshaming • Diäten • dickenhass • Dicksein • Die Fettlöserin • Diskriminierung • Diversität • Fatshaming • Feminismus • Fettleibigkeit • Idealgewicht • Inklusion • jana krämer • Körper • Körpergefühl • Körperscham • Misogynie • Nicole Jäger • Othering • persönliche Transformation • Positives Körpergefühl • Ratgeber Body Positivity • Schönheitsideale • Schönheitsnorm • Selbstachtung • Selbstliebe • Selbstwertgefühl • Selbstzweifel • Stigmatisierung • Übergewicht • Übergewichtige Frauen • unbewusste Vorurteile • ungeküsst • Vorurteile |
ISBN-10 | 3-426-46841-7 / 3426468417 |
ISBN-13 | 978-3-426-46841-8 / 9783426468418 |
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