Der Sommer zu Hause (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Berlin Verlag
978-3-8270-8086-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Sommer zu Hause -  Ann Patchett
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Im Frühling 2020 kehren Laras drei Töchter beim ersten Lockdown in ihr Elternhaus zurück, eine Obstfarm im nördlichen Michigan. Bei der Kirschernte bitten sie ihre Mutter, ihnen die Geschichte von Peter Duke zu erzählen, dem weltberühmten Schauspieler, mit dem sie vor Jahren in einer Theatergruppe namens Tom Lake gemeinsam auftrat - und mit dem sie eine stürmische Liebesgeschichte erlebte. Durch Laras Erinnerungen an ihre Jugend sehen die drei Töchter sich herausgefordert, nicht nur die Beziehung zu ihrer Mutter, sondern auch ihr jeweils ihr eigenes Leben kritisch zu überprüfen und liebgewonnene Ansichten und Gewissheiten neu zu denken. Vom Reese Witherspoon Bookclub empfohlen. »Der Sommer zu Hause« ist eine Meditation über Jugendliebe, Eheliebe und das Leben der Eltern bevor sie Eltern wurden. Hoffnungsfroh und melancholisch zugleich stellt der Roman die Frage nach dem Glücklichsein in einer vor die Hunde gehenden Welt. Wie in all ihren Romanen kombiniert Ann Patchett erzählerische Brillanz mit nadelspitzen Einsichten in Familiendynamiken. Das Ergebnis ist eine üppige, leuchtende Geschichte, mit einer Intelligenz und und emotionalen Subtilität geschrieben, die wieder einmal beweisen, warum Patchett eines der verehrtesten und berühmtesten literarischen Talente unserer Zeit ist.

Ann Patchett, 1963 in Los Angeles geboren, lebt als Schriftstellerin und Kritikerin in Nashville, Tennessee. Ihr Roman »Bel Canto«, übersetzt in dreißig Sprachen, wurde mit dem PEN/Faulkner Award und dem Orange Prize ausgezeichnet und war auch in Deutschland ein großer Erfolg. »Familienangelegenheiten« stieg in den USA auf Platz 8 der New-York-Times-Bestsellerliste ein.

Ann Patchett, 1963 in Los Angeles geboren, lebt als Schriftstellerin und Kritikerin in Nashville, Tennessee. Ihr Roman »Bel Canto«, übersetzt in dreißig Sprachen, wurde mit dem PEN/Faulkner Award und dem Orange Prize ausgezeichnet und war auch in Deutschland ein großer Erfolg. »Familienangelegenheiten« stieg in den USA auf Platz 8 der New-York-Times-Bestsellerliste ein.

Dass Veronica und ich Schlüssel erhielten, um an einem eisigen Samstagmorgen im April die Schule aufzuschließen, für das Vorsprechen für Unsere kleine Stadt, war ein Beleg für unsere langweilige Zuverlässigkeit. Der Regisseur des Stücks, Mr Martin, war mit meiner Großmutter befreundet und Versicherungsagent bei der State Farm Insurance. So wurde ich eingeschleust, über meine Großmutter, und Veronica war dabei, weil wir beide so ziemlich alles gemeinsam machten. In New Hampshire konnten die Leute von Unsere kleine Stadt nicht genug bekommen. Das Stück hatte für uns in etwa den Stellenwert, den die Verfassung oder das »Star Spangled Banner« für andere Amerikaner hatten. Es sprach für uns, gab uns das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, gesehen zu werden. Mr Martin rechnete mit einer hohen Beteiligung an dem Vorsprechen, was erklärte, warum er für diesen Tag die Turnhalle benötigte. Die Laientheaterproduktion hatte mit unserer High School nichts zu tun, aber da Mr Martin auch der Versicherungsagent des Schulleiters und höchstwahrscheinlich mit ihm befreundet war, wurde ihm die Bitte gewährt. So etwas war in unserer kleinen Stadt nicht ungewöhnlich.

Wir hatten unsere Thermobecher mit Kaffee und dicke Taschenbuchwälzer dabei, Veronica Feuerkind und ich Doktor Schiwago. Gegen die Schule an sich hatte ich nichts, aber ich hasste die Turnhalle und alles, wofür sie stand: Mannschaftssportarten, Cheerleading, brutale Kickball-Partien, im Kreis laufen, wenn es draußen zu kalt war, steife Tanzveranstaltungen, Abschlussfeiern. An jenem Samstagmorgen aber war die Halle menschenleer und seltsam schön. Durch die schmalen Fenster gleich unterhalb der Dachlinie strömte das Sonnenlicht herein. Ich glaube nicht, dass mir je zuvor aufgefallen war, dass es in der Turnhalle Fenster gab. Die Fußböden, die Wände und die Tribüne bestanden alle aus dem gleichen hellen Holz. Die Bühne befand sich an einem Ende hinter dem Basketballkorb, mit schweren roten Vorhängen, die nun aufgezogen waren und ein mattschwarzes Nichts offenbarten. Dort sollte sich alles abspielen. Vor der Bühne sollten wir einen Banketttisch und fünf Klappstühle aufstellen (»dicht, aber nicht zu dicht«, hatte uns Mr Martin instruiert) und dann, achtundzwanzig Meter davon entfernt, unter dem Basketballkorb gegenüber, einen weiteren Banketttisch gleich vor die Türen zum Empfangsbereich. An diesem Tisch sollten wir uns um die Anmeldungen kümmern. Wir bugsierten die beiden Klapptische aus dem Abstellraum. Wir holten Klappstühle heraus. Wir sollten den Morgen über erklären, wie das Formblatt auszufüllen war: Name, Künstlername, falls abweichend, Größe, Haarfarbe, Alter (in Sieben-Jahres-Kategorien – bitte eine auswählen), Telefonnummer. Die Bewerber waren gebeten worden, ein Porträtfoto und einen Lebenslauf mitzubringen, mit allen Rollen, die sie schon gespielt hatten. Wir hatten einen Becher mit Stiften. Für Leute, die keinen Lebenslauf dabeihatten, war Platz für entsprechende Angaben vorhanden, und Veronica war darauf vorbereitet, von Kandidaten ohne Foto ein Polaroid zu machen und mit einer Büroklammer an das Formblatt zu heften. Mr Martin wies uns darauf hin, Bewerber mit weniger Erfahrung nicht in Verlegenheit zu bringen, weil unter ihnen, wie er wörtlich sagte, »mitunter die Diamanten verborgen sind«.

Aber Veronica und ich waren keine Theatermädchen. Theatermädchen hatte man für diese Aufgabe nicht angefragt, für den Fall, dass sie sich für eine Rolle bewerben wollten. Wir waren normale Mädchen, die gar nicht gewusst hätten, wie man Erwachsene aufgrund ihrer fehlenden Bühnenerfahrung hätte verunsichern sollen. Nachdem der Papierkram erledigt war, sollten wir die Blätter aushändigen, von denen sie ablesen sollten, die »Seiten«, wie Mr Martin uns erklärte, zusammen mit einer Nummer auf einem Zettel, und dann würden wir sie zurück in den Empfangsbereich schicken, um dort zu warten.

Als sich die Türen um acht Uhr öffneten, strömten so viele Leute herein, dass Veronica und ich an unseren Tisch zurückeilen mussten, um vor der Menschenmenge dort anzukommen. Wir hatten umgehend alle Hände voll zu tun.

»Ja«, versicherte ich einer Frau und dann noch einer, »falls Sie für Mrs Gibbs lesen, werden Sie auch für Mrs Webb in Betracht gezogen.« Was ich nicht sagte, obwohl es rasch augenfällig wurde, war, dass man auch für Emilys Mutter infrage kam, wenn man als Emily vorsprach. Bei High-School-Aufführungen war es nicht unüblich, dass Fünfzehnjährige die Eltern von Siebzehnjährigen spielten, beim Laientheater jedoch gingen die Uhren anders. Die Bewerber an jenem Morgen gehörten allen Altersklassen an, es kamen nicht bloß ältere Männer, die es auf die Rolle des Spielleiters abgesehen hatten, sondern Leute im Collegealter, die Emily und George spielen wollten. (Die Emilys waren zu stark geschminkt und gekleidet wie die Amish-Mädchen, die auf dem Bauernmarkt Zimtschnecken verkauften. Die Georges beobachteten verstohlen die anderen Georges.) Sogar Kinder kamen an unseren Tisch und verkündeten, dass sie für Wally oder Rebecca lesen wollten. Vermutlich steckten ihre Eltern dahinter, die es auf Kinderbetreuung abgesehen hatten, denn welcher Zehnjährige verkündet schon von sich aus beim Frühstück, dass er Wally Webb spielen möchte?

»Wenn die alle wiederkommen und eine Eintrittskarte kaufen, wird das ein echter Renner«, sagte Veronica. »Die ganze Produktion kann an den Broadway weiterwandern, und wir werden reich.«

»Inwiefern werden wir deswegen reich?«, fragte ich.

Sie extrapoliere nur, sagte Veronica.

Mr Martin hatte an alles gedacht, außer an Klemmbretter, was sich als wirkliches Manko entpuppte. Leute nutzten unseren Tisch als Schreibunterlage, wodurch ein Engpass entstand und der Verkehrsfluss ins Stocken geriet. Ich versuchte zu entscheiden, was deprimierender war, Menschen zu sehen, die ich kannte, oder eher die Unbekannten. Cheryl, die im Major Market an der Kasse saß und im Alter meiner Mutter gewesen sein dürfte, hielt einen Lebenslauf mitsamt Foto in den Händen, an denen sie Fäustlinge trug. Falls Cheryl immer schon hatte Schauspielerin werden wollen, erschien es mir ausgeschlossen, jemals wieder in den Supermarkt zu gehen. Dann waren da die vielen Fremden, Männer und Frauen in dicken Mänteln mit Schals, die sich neugierig in der Turnhalle umsahen, weil sie offensichtlich zum ersten Mal hier waren. Mir vorzustellen, dass diese Leute an diesem eisigen Morgen wer weiß wie lange hergefahren waren, weil sie die weite Anreise für Proben und Aufführungen bis in den Sommer hinein auf sich nehmen wollten, fand ich ebenso traurig.

»›Die ganze Welt ist Bühne‹«, sagte Veronica, weil Veronica meine Gedanken lesen konnte, »›und alle Frau’n und Männer wollen bloß Spieler sein.‹«

Ich nahm einen Lebenslauf mit Foto vom Vater meiner Freundin Marcia entgegen, die ihren Namen als Mar-ssi-a aussprach. Ich hatte am Abendbrottisch dieses Mannes gesessen, auf dem Rücksitz seines Kombis, wenn er mit seiner Familie Eis essen fuhr, hatte im zweiten Bett im rosaroten Zimmer seiner Tochter geschlafen. Ich tat so, als würde ich ihn nicht kennen, das schien mir die freundlichste Lösung zu sein.

»Laura«, sagte er mit strahlendem Lächeln. »Guten Morgen! Was für ein Andrang.«

Ich nickte zustimmend, gab ihm dann seine Nummer und die Seiten und wies ihn an, draußen im Empfangsbereich zu warten.

»Wo ist denn die Toilette?«, fragte er.

Es war zu peinlich. Selbst die Männer wollten wissen, wo die Toilette war. Sie wollten ihre Haare in Ordnung bringen, die von Strickmützen platt gedrückt waren. Wollten ihre Rolle laut vor dem Spiegel lesen, um zu prüfen, wie sie dabei aussahen. Ich verriet ihm, dass die bei den Sprachlaboren weniger überlaufen sei.

»Ihr Mädchen habt ja offenbar gut zu tun«, sagte meine Großmutter. Sie tauchte unangekündigt auf, als Marcias Vater sich gerade entfernte.

»Möchten Sie eine Rolle?«, fragte Veronica. »Ich kenne Leute. Ich kann einen Star aus Ihnen machen.« Veronica liebte meine Großmutter. Sie wurde von allen geliebt.

»Nein, ich möchte nur zusehen.« Meine Großmutter warf einen Blick auf den Tisch vor der Bühne, zum Zeichen, dass sie dort neben Mr Martin und den Theaterleuten Platz nehmen würde. Meine Großmutter, die Inhaberin von Stitch-It war, der Änderungsschneiderei in der Innenstadt, hatte sich bereit...

Erscheint lt. Verlag 3.5.2024
Übersetzer Ulrike Thiesmeyer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerikanische Literatur • Bonnie Garmus • Buch Liebesroman • das einfache leben • Das Holländerhaus • Dreiecksbeziehung • Eine Frage der Chemie • Familiengeheimnis • Familiengeschichte • Freundschaft • Kirschblüte • Liebe • New York Times Bestseller • Preisgekrönte Autorin • Reese Witherspoon book club deutsch • Ruhm • Schauspieler • Sommer-Roman • Sunday Times Bestseller • Theater • USA • Verrat
ISBN-10 3-8270-8086-X / 382708086X
ISBN-13 978-3-8270-8086-8 / 9783827080868
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