Nostalgia Siciliana (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
384 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3484-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nostalgia Siciliana -  Patrizia Di Stefano
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Ein Familienroman zwischen Sizilien und Berlin und eine bittersüße Liebeserklärung an den italienischen Süden.

Tita, eine Berliner Grafikerin, erhält einen Anruf aus Sizilien, der sie zurück in die Vergangenheit führt: Ihr Vater Gianni verließ einst den Südosten der Insel, um als einer der ersten Gastarbeiter in Berlin sein Glück zu finden. Er verliebte sich, gründete eine Familie und wurde erfolgreich, indem er die Tiefkühlpizza in Deutschland etablierte. Sein früher Tod trübte Titas Kindheit und ließ Sizilien in ihrer Erinnerung verblassen. Nun, 26 Jahre später, ist auch Titas Onkel verstorben und hinterlässt ihr ein emotionales Erbe - das Landgut Magní, das Erinnerungen an sonnendurchglühte Kindheitssommer weckt ... 

Patrizia Di Stefano erzählt in diesem heiteren und melancholischen Roman vom Leben in der Fremde, von Heimweh und der Schönheit Siziliens.



Patrizia Di Stefano, 1966 in Berlin geboren, hat als Grafikerin ihre Liebe zu Büchern zum Beruf gemacht. Ihre Buchcover sind mehrfach preisgekrönt. Die Sehnsucht nach Sizilien - der Heimat ihres Vaters - hat sie nie ganz losgelassen. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren drei Söhnen und drei Windhunden in Berlin Schlachtensee. »Nostalgia Siciliana« ist ihr erster Roman.

Tita


Februar 1978, Berlin

Dass sich ein Zug von vielen Hundert Menschen in solcher Stille vorwärtsbewegen konnte, beschäftigte Tita. Wie ein schwarzer Tausendfüßer kroch die Ansammlung von Trauernden die lange Strecke quer über den Friedhof auf das Grab zu.

Tita versuchte sich auf Nebensächlichkeiten zu konzentrieren, um den eigentlichen Anlass nicht begreifen zu müssen. Der Boden war hart gefroren. Wie, fragte sie sich, konnte man ein mindestens anderthalb mal zweieinhalb Meter großes und zwei Meter tiefes Loch ausheben, wenn die Erde hart gefroren war? Seit Wochen hielt die Kälte in Berlin schon an. Im November und selbst noch zu Weihnachten war es ungewöhnlich mild gewesen. Dann hatte es geschneit, und schließlich, mit Papàs Tod, war das Thermometer auf einmal gnadenlos gefallen und hatte sie und den Rest der Welt mitsamt des grauen Stadtschnees in einer Art Schockfrost verharren lassen.

Papàs Brüder Giorgio, Salvatore und Peppino sowie seine Freunde Sauro, Franco und Nicola, den alle Selvaggio nannten, trugen den Sarg in gemessenen, leicht schwankenden Schritten. Tita gruselte der Anblick. Wegen Selvaggios geringer Körpergröße schaukelte der Sarg trotz des angemessenen Tempos immer wieder so stark, dass zu befürchten stand, dass er umkippte und Papà auf den gefrorenen Boden stürzen würde. Können sich Tote noch blaue Flecken holen?

Tita konzentrierte sich auf ihre schwarzen Lackschuhe, die bereits letztes Jahr zu ihrer Erstkommunion zu klein gewesen waren. Neben ihr hatte Mamma den siebenjährigen Daniele an der Hand. Auf der anderen Seite lief Nonna Salvatrice, gestützt von Salvatores Frau Lina und Giorgios Frau Artua. Die kleine, kompakte Frau trug eine gefasste Miene, wurde aber zwischenzeitlich immer wieder zitternd wie von einer unsichtbaren Böe ergriffen.

Etwas weiter hinten trug die fast geschlossen erschienene italienische Gastarbeiterfraktion Berlins einen etwa zwei Meter hohen Stiefel aus Blumen in den Nationalfarben Italiens. Man hatte weiße und rote Nelken zu Blöcken gesteckt. Mangels grüner Blüten waren weitere weiße Nelken grün eingefärbt worden. Kellner und Köche, Unternehmer und Schauspieler, Anwälte und Arbeitslose, sizilianische Bauern und Berliner Bauunternehmer – alle waren zu Ehren des »Pizzakönigs« gekommen.

»Berlins Pizzakönig ist tot«, hatte die BZ geschrieben. Mit einem Foto von Papà, wie er fröhlich eine Teigscheibe in die Luft wirbelt. Und noch ein kleineres von Papà, wie er vor seiner Fabrik steht und stolz mit der Hand darauf zeigt. Tita konnte sich noch genau erinnern, wann das Foto aufgenommen wurde. Nicht, dass es oft vorkam, dass Papà in der Küche stand und Pizzaböden hochwirbelte. Überhaupt war fürs Kochen zu Hause Mamma zuständig. Aber die Berliner wollten die Geschichte vom kleinen fröhlichen Italiener lesen, der wie alle Italiener singen und kochen konnte und der in ihre Stadt gekommen war, um als Botschafter des guten Geschmacks den Deutschen die italienische Küche nahezubringen.

Anfangs hatte Papà sich noch geweigert. Nein, die italienische Küche bestand nicht nur aus Spaghetti, und in Italien war Pizza ein Arme-Leute-Essen. Das Il Gattopardo sollte ein Ristorante sein und keine einfache Pizzeria. Und doch war es am Ende die Pizza, die …

Tita wurde aus ihren Gedanken gerissen. Der Trauerzug war am Grab angekommen. Mamma, Daniele und sie stellten sich frierend in einer Reihe auf, direkt neben dem klaffenden Loch im Boden. Danach kamen Nonna Salvatrice, gestützt von Peppino, und die beiden anderen Brüder mit ihren Familien.

Die Schlange der Kondolierenden kam nur langsam voran. Jeder wollte ein letztes Mal Zwiesprache mit dem Toten halten. Eine kurze Besinnung. Manche rieben sich die Augen, andere murmelten etwas, was nur für sie selbst und den Verstorbenen bestimmt war.

Schließlich nahm jeder eine Handvoll Erde aus der kleinen Stele neben dem Grab und warf sie in die Senke. Manche hatten weiße Rosen dabei und warfen sie hinab.

Tita merkte, wie ihr Magen rebellierte, jedes Mal wenn das dumpfe Geräusch auf dem hohlen Sargdeckel erklang. Sie fragte sich, ob das Loch für die Erde von all den vielen Trauergästen ausreichen würde oder ob am Ende Papàs Grab von einem Hügel bedeckt sein würde. Höher als die aufgesteckten Kränze, höher als alle Grabsteine und vielleicht auch höher als die Kapelle am Ende des Friedhofs.

Nachdem die Trauernden Papà mit Erde bedeckt hatten, als ob sie sichergehen wollten, dass er von da unten bestimmt auch nicht wieder hochkäme, traten sie zur Familie. Jeder Einzelne.

»Mein Beileid!« Hand von Mamma. »Mein Beileid.« Hand von Tita. »Mein Beileid.« Hand von Daniele. »Mein Beileid!« Hand von Nonna Salvatrice. »Mein Beileid!« Hand von Peppino. »Mein Beileid.« Hand von Salvatore. »Mein Beileid!« Hand von Giorgio.

Eine quälend lange Prozedur. Zum Teil unterbrochen von längeren Umarmungen oder dem Aufschluchzen der Kondolierenden. Am Ende spürte Tita ihre Zehen nicht mehr. Die Lackschuhe waren von der Kälte ganz brüchig geworden.

Mamma legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie war in den letzten Tagen eigenartig durchsichtig geworden. Als hätte sie nach dem Tod von Papà nicht nur an Gewicht, sondern auch an Farbe verloren.

»Komm. Wir müssen zum Leichenschmaus.«

Tita verdrängte das Bild schnell wieder.

Leichenschmaus. Als scharte sich eine Handvoll Krähen um eine überfahrene Katze.

Im Il Gattopardo war bereits alles vorbereitet. Die Tische waren weiß eingedeckt. Zum Zeichen der Trauer hatte Mamma schwarze Banderolen um die weißen Stoffservietten legen lassen.

Die Menükarten waren auf Deutsch und Italienisch geschrieben. Es gab Caponata, dann Saltimbocca und Salat. Zum Dessert Cassata mit kandierten Früchten und Caffè.

Man war durchgefroren und hungrig und sehnte sich nach leichten Gesprächsthemen.

Einige Kellner waren auf der Beerdigung gewesen und zogen sich nun schnell um. Auch die anderen schwarz gekleideten Trauernden verwandelten sich nach und nach wieder in die Personen, die sie vorher gewesen waren. Zunächst erklang nur vereinzelt vorsichtiges Lachen hier und da, das mit der Zeit immer selbstbewusster wurde. Erleichterung über die ausgestandene Zeremonie vielleicht. Das normale Leben schien für alle außer sie selbst und Mamma und Daniele zurückgekehrt zu sein.

Tita hatte das Gefühl, als hätten sie etwas auf dem Friedhof vergessen. Sie stocherte in ihrem Salat. Radicchio. Papà hatte ihn zur Eröffnung des Restaurants extra aus Italien kommen lassen. Radicchio war damals in Deutschland noch unbekannt. Dann beschwerten sich die Gäste. Was der Rotkohl in ihrem Salat zu suchen hätte. Es war nicht leicht anfangs. »Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht«, hatte Mamma damals gesagt. »Sbagliando s’impara«, hatte Papà lachend geantwortet und den Radicchio zunächst von der Karte gestrichen.

Das Il Gattopardo war genauso alt wie sie selbst. Elf Jahre hatte sie wie eine Prinzessin in einem Zauberland gelebt. Die Wohnung über dem Restaurant, der Gastraum mit der Landkarte Siziliens, die beiden Marionetten Orlando und Rinaldo im Schaufenster, die Küche mit der kleinen Durchreiche und der Keller – das alles war ihr Reich, und alle Kellner, Köche und auch die Gäste waren ihre Untertanen. Sie konnte zu jeder Tages- und Nachtzeit in die Küche gehen und beispielsweise sagen: »Ich möchte jetzt eine Zabaglione mit fünf Eiswaffeln«, dann bekam sie eine Zabaglione mit fünf Eiswaffeln.

Manchmal setzte sie sich auch nur in die Küche, hörte dem seltsam fremd und schön klingenden Italienisch der Tellerwäscher zu und baute dabei kleine Häuser aus Zahnstochern. »La Principessa Pizza« nannten sie Tita in der Küche und lasen ihr jeden Wunsch von den Augen ab.

Der Keller hatte es ihr besonders angetan. Wenn man neben der Restaurantküche die schmale Stiege hinunterkletterte und den Lichtschalter drehte, gingen jeweils mit einem mehrfachen »Pling« die Neonlampen an der Decke an. Die Kellerräume mit den gemauerten Rundbögen schienen Tita wie die Kathedrale in ihrem Königreich. In großen Regalen lagerten hier gigantische Dosen mit Tomaten, Gläser mit schwarzen und grünen Oliven, die...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Familie • Familienroman • Gastarbeiter • Heimat • Herkunft • Pizza • Pizzeria • Ragusa • Sizilien • Süditalien • Tiefkühlpizza
ISBN-10 3-8412-3484-4 / 3841234844
ISBN-13 978-3-8412-3484-1 / 9783841234841
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