Alles gut (eBook)

Roman. 'Ein messerscharf beobachteter und geistreicher Roman im Gewand einer berührenden Liebesgeschichte - oder eben andersherum' Nick Hornby
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2024 | 1. Auflage
429 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7517-5958-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Alles gut -  Cecilia Rabess
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Jess bekommt einen begehrten Job bei Goldman Sachs in New York. Zu blöd, dass ihr dort ausgerechnet Josh über den Weg läuft, der ihr mit seinen reaktionären Ansichten schon in der Uni auf die Nerven gegangen ist. Doch er entwickelt sich bald zu ihrem engsten Verbündeten im Büro - und den kann sie als einzige Frau und einzige Schwarze dort gut gebrauchen.

Aus den Kontrahenten werden Freunde - die dennoch beherzt weiterstreiten. Bis sich in die täglichen Grabenkämpfe der alles unnötig komplizierende Faktor namens Liebe einschleicht.

Es ist die alte Geschichte von Gegensätzen, die sich anziehen - und zugleich ein Plädoyer für Toleranz, Neugierde und dafür, miteinander im Gespräch zu bleiben.



<p><strong>Cecilia Rabess</strong> hat als Data Scientist bei Google gearbeitet und war Associate bei Goldman Sachs. Ihre Artikel sind u. a. in <i><b>McSWEENEYS</b></i>, <i><b>FIVETHIRTYEIGHT</b></i>, <i><b>FAST COMPANY</b></i> und <i><b>FLOWING DATA</b></i> erschienen. »<strong>EVERYTHING'S FINE</strong>« ist ihr erster Roman.</p>

1


Es ist Jess’ erster Tag bei der Arbeit, der erste Tag vom Rest ihres Lebens. Rein in den Aufzug und hoch in den neunzehnten Stock, wo sich die Türen mit einem gedämpften Wusch öffnen.

Das ganze Gebäude riecht nach Geld.

Sie bekommt ein kleines Schild, auf dem in Großbuchstaben steht: JESSICA JONES, INVESTMENTBANKING-ANALYSTIN. Dann folgt die Vorstellungsrunde mit den anderen Analysten aus ihrem Team: Brad, John, Rich und Tom – oder vielleicht heißen sie auch Rich, Tom, Brad und John. Und dann ist da noch Josh, den Jess vom College kennt.

»Hi«, sagt sie, »du bist’s!«

Er schaut von seinem Schreibtisch auf – er hat es sich schon vor seiner Workstation bequem gemacht, sieht ungeheuer beschäftigt und wichtig aus –, doch sein Gesicht bleibt ausdruckslos.

Sie hatten im letzten Jahr ein Seminar zusammen, und Jess erinnert sich nur zu gut an ihn, weil er ein Riesenarsch ist.

»Jess?«, sagt sie. »Von der Uni?«

Er blinzelt.

»Wir waren zusammen in einem Seminar.« Sie gibt nicht auf. »Über den Supreme Court.«

Er sieht sie nur wortlos an. Hat sie etwa irgendwas im Gesicht?

»Bei Smithson? Im Wintersem–«

»Ich erinnere mich«, sagt er, dreht sich prompt mit seinem Drehstuhl um und kehrt ihr den Rücken zu.

Super, denkt Jess. Echt nett, dich wiederzusehen.

Sie will gehen.

»Weißt du«, sagt er, ohne sich umzudrehen, »ich wusste, dass du diesem Team zugeteilt wirst.«

Jess bleibt abrupt stehen. »Ach ja?«

Er – beziehungsweise sein Hinterkopf – nickt. »Ich hab letzten Sommer hier gearbeitet. Und weil ich außerhalb der normalen Prüfungszeit meinen Abschluss gemacht hab, bin ich schon seit Januar hier.« Er verstummt kurz. »Sie haben mich nach dir gefragt.«

»Und was hast du gesagt?«

»Nichts.«

»Wieso hast du ihnen nicht erzählt, wie toll ich bin?«

»Weil«, sagt er und wendet sich ihr schließlich doch noch zu, »ich nicht davon überzeugt bin, dass du so toll bist.«

Jess hatte Josh im ersten Studienjahr kennengelernt. Im November. Am Abend des Wahltages 2008. Den ganzen Tag lang herrschte pulsierendes Leben auf dem Campus. Geschichte wurde geschrieben. Gegen dreiundzwanzig Uhr, als die Wahlbüros geschlossen wurden, trat Jess überwältigt und im Freudentaumel auf den Collegehof hinaus, auf dem eine Art improvisiertes Konzert stattfand. Studierende strömten jubelnd in die Nacht hinaus, fielen einander in die Arme. Es wurde gehupt. Jemand rief »Wuhuuuuu«, und irgendwo spielte eine Posaune eine vor Pathos triefende Melodie.

Jess fühlte sich, als hätte sie jemand aus einer Kanone geschossen; blinzelnd stand sie im Mondlicht, bis ein Reporterteam der Unizeitung sie ansprach, das Kommentare von Studierenden am Vorabend dieses historischen Moments sammeln wollte. Hätte sie einen Moment Zeit, um ihre Gefühle zu beschreiben, und dürften sie ein Foto von ihr machen? Jess erwiderte, das sei kein Problem, obwohl eine knisternde Atmosphäre herrschte und sie völlig fertig war.

Der Stift des Reporters verharrte über seinem Block. »Wenn du bereit bist, leg einfach los.«

Was sollte sie sagen? Es war unbeschreiblich.

»Ich bin nur … ich bin einfach nur … so scheiße glücklich! Kann das alles überhaupt wahr sein? Ich werd bestimmt ungefähr dreißig Kurze trinken – nein, fünfzig! –, weil, das ist patriotischer!«

Der Unireporter sah von seinem Miniblock auf. »Willst du noch was hinzufügen?«

»Nee, warte! Schreib das nicht auf!«

»Was willst du denn dann sagen?«

Jess überlegte, versuchte sich zu sammeln. Stellte sich vor, ihr Dad würde ihre Worte lesen. Ihr Dad, mit dem sie nur Stunden zuvor geredet hatte und dessen Reaktion zu den vorläufigen Ergebnisse – Ohio und Florida sollten an Obama gehen – darin bestanden hatte, sich noch eine Cola einzuschütten und zu sagen: »Tja, Jessie, ich glaub, ich werd nicht mehr.«

Sie fing noch einmal von vorne an. »Ich spüre heute das Gewicht der Geschichte auf meinen Schultern. Zum ersten Mal zu wählen und für den ersten Schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten stimmen zu können ist ein unglaubliches Privileg. Ein Privileg, das die Sklaven, von denen ich abstamme, nicht hatten. Auf dem Fundament ihrer Stärke und Opferbereitschaft stehend habe ich mich noch nie demütiger und hoffnungsvoller gefühlt.«

»Super«, sagte der Reporter. »Und jetzt geh da rüber, damit wir ein Foto von dir machen können.«

Jess trat einen Schritt nach rechts und schaute zu, wie der Reporter einen weiteren Studenten ansprach. Einen Studienanfänger mit hellbraunen Haaren, der Chinos und ein Hemd trug.

»Schau hierher«, sagte die Fotografin zu Jess. »Ich zähl bis drei.«

Der Reporter fragte den Typen im Businesslook: »Und, was empfindest du angesichts dieser Wahl?«

Jess schaute lächelnd in die Kamera.

Der Chinos-Typ wandte sich dem Reporter zu und sagte: »Alle scheinen zu vergessen, dass wir uns mitten in einer Finanzkrise befinden. Der Aktienmarkt ist im freien Fall. Benzin kostet über einen Dollar pro Liter. Deshalb bin ich nicht davon überzeugt, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, um die Wirtschaft einem steuer- und ausgabenfreudigen Liberalen anzuvertrauen« – er zuckte die Achseln –, »aber ich schätze, ich kann schon nachvollziehen, dass er eine gewisse Anziehungskraft besitzt.«

Entgeistert drehte Jess den Kopf und warf ihm in genau dem Moment einen bösen Blick zu, als die Fotografin auf den Auslöser drückte.

Am nächsten Tag prangte ihr Bild auf der Titelseite der Unizeitung, darüber die Schlagzeile: REAKTIONEN VON STUDIERENDEN ZU OBAMAS HISTORISCHEM SIEG.

Es war ein gutes Foto – der Winkel, das Mondlicht, ihr vor andächtigem Staunen strahlendes Gesicht –, was Jess, zusätzlich zur Bedeutsamkeit des Moments, das Gefühl vermittelte, dies könne sie eines Tages ihren Kindern und Enkelkindern zeigen.

Es gab nur ein Problem.

Sie hatten zehn Studierende interviewt, und der Beitrag bestand aus einer Gegenüberstellung von jeweils zwei Fotos mit einem Zitat, unter dem die Namen und der Jahrgang abgedruckt waren. Aber es waren nur zwei Gesichter über der Falz zu sehen. Eins gehörte Jess, das andere dem Typen mit dem Hemd und dem unsäglichen Spruch. Jess’ Freundinnen waren sich einig, dass er unglaublichen Schwachsinn von sich gegeben hatte. Miky von der gegenüberliegenden Flurseite sagte: »Wer hat dem denn in die Cornflakes gepinkelt?« Jess’ Mitbewohnerin Lydia beäugte sein Foto und verkündete: »Sieht strunzlangweilig aus, der Typ.«

Trotzdem heftete Lydia die Zeitung an die Außenseite ihrer Tür und malte einen Rahmen aus Herzen und Sternen um Jess’ Gesicht. Doch die Zeitung ließ sich nicht so falten, dass nur ihr Bild sichtbar war, denn dadurch wurde der Text abgeknickt, und ihr Lächeln wirkte verzerrt. Es war unmöglich, Jess ohne Josh zu sehen. Schließlich nahm Miky einen Edding und malte ihm Teufelsohren und einen seltsamen Schnurrbart ins Gesicht, was es etwas besser machte.

Irgendwann hielt die Reißzwecke nicht mehr, und die Zeitung flatterte zu Boden. Da hatte das Sommersemester schon begonnen, und auf dem Flur herrschte ständig ein moderates, aber hartnäckiges Chaos: zerbeulte Pizzakartons, verknotete Verlängerungskabel und – mysteriöserweise – eine Männerunterhose. Und als das Reinigungspersonal vor den Semesterferien das gesamte Wohnheim putzte, wanderte alles, einschließlich des geschichtsträchtigen Erinnerungsstücks, in den Müll.

Aber bis dahin sah Jess jeden Tag, wenn sie in ihr Zimmer zurückkehrte, die Zeitung wie einen inspirierenden, aufbauenden Talisman an der Tür hängen, und immer dachte sie: Wir stehen, hoffnungsvoll und entschlossen, an der Schwelle zu einer strahlenden neuen Welt, klopfen an die Tür des Fortschritts und sehen der Zukunft voller Zuversicht entgegen.

Und wenn ihr Blick dann nach rechts auf das Foto von JOSH HILLYER, JAHRGANG ’12, und seinen schrecklichen Kommentar fiel, dachte sie: Arschloch!

Die Schreibtische von Brad, John, Rich, Tom und Josh stehen in einem engen Halbkreis rings um einen schmutzigen Teppich in der Mitte des Raumes. Zusammengepfercht wie die Sardinen sitzen sie in einem Großraumbüro, das vor Pitchbooks, Sporttaschen und Kaffeetassen überquillt und in dem für Jess kein Platz mehr ist.

»Wir haben Sie da drüben hingesetzt«, sagt Charles, der ranghöchste Associate im Team, was Jess daran erkennt, dass seine Krawatte am lockersten gebunden ist und er alle mit Nachnamen anredet. Blaine, der Managing Director des Teams, steht zwar noch über ihm, macht sich jedoch nicht die Mühe, sie zu begrüßen.

Charles führt sie zu einer weiteren Reihe von Schreibtischen an der Wand. Nach der ganztägigen Einführung ist es jetzt schon nach fünf, aber im Büro ist immer noch die Hölle los. Trotzdem ist der Platz, auf den Charles deutet, leer, ebenso wie die daneben. Auf den Schreibtischen steht jede Menge technisches Equipment, Telefone, Headsets und Bloomberg Terminals.

Trader, vermutet Jess.

Trader sind die Ersten, die kommen, und die Ersten, die gehen. Nach Börsenschluss ist ihre Arbeit getan. Jess verspürt einen Anflug von Aufregung. Trader sind...

Erscheint lt. Verlag 28.3.2024
Übersetzer Simone Jakob
Sprache deutsch
Original-Titel Everything's fine
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beziehung • Debatte • Demokraten • Diskussion • Gleichberechtigung • Goldman Sachs • Liebe • Liebesgeschichte • literarische Unterhaltung • Maga • Make America Great Again • Meinungsfreiheit • New York • Politik • Privilegien • Republikaner • Respekt • Schlagfertig • Schwarz • Streit • Trump • Vorurteile • Wahlen • Wall Street • weiß • Wortwitz
ISBN-10 3-7517-5958-1 / 3751759581
ISBN-13 978-3-7517-5958-8 / 9783751759588
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