Mein letztes Jahr der Unschuld (eBook)

Roman | Ein brillanter Roman über die Nuancen von Konsens und Moral
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
304 Seiten
Eisele eBooks (Verlag)
978-3-96161-193-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein letztes Jahr der Unschuld -  Daisy Alpert Florin
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In ihrem letzten Jahr am College scheint sich alles, was Isabel Rosen für sicher gehalten hat, aufzulösen: Ihre Freundschaften driften auseinander, und anders als die meisten anderen weiß Isabel noch immer nicht, was sie nach dem Studienabschluss tun will. Mit ihrem Kommilitonen Zev verbindet sie eigentlich nur Freundschaft, doch irgendwie landen die beiden im Bett. Und dann fällt auch noch Isabels Lieblingsdozentin aus, auf deren Kurs im Kreativen Schreiben sie sich den ganzen Sommer gefreut hat. Doch R.H. Connelly, der den Kurs stattdessen übernimmt, fasziniert sie. Er erkennt ihr Talent, fördert sie, glaubt an sie - und gibt Isabel die Orientierung, nach der sie schon lange gesucht hat. Die beiden beginnen eine Affäre, die sie natürlich geheim halten müssen ...

DAISY ALPERT FLORIN studierte an der Columbia University und der Bank Street Graduate School of Education. Ihre Texte erscheinen in verschiedenen Literaturmagazinen. Geboren in New York, lebt sie heute mit ihrer Familie in Connecticut. Mein letztes Jahr der Unschuld ist ihr erster Roman, der von Presse und Publikum begeistert aufgenommen wurde.

DAISY ALPERT FLORIN studierte an der Columbia University und der Bank Street Graduate School of Education. Ihre Texte erscheinen in verschiedenen Literaturmagazinen. Geboren in New York, lebt sie heute mit ihrer Familie in Connecticut. Mein letztes Jahr der Unschuld ist ihr erster Roman, der von Presse und Publikum begeistert aufgenommen wurde.

1


Ich kann nicht mehr genau sagen, wie ich am Abend vor den Weihnachtsferien in Zev Nemans Schlafzimmer gelandet war. Es war bitterkalt Dezember in New Hampshire –, und auf dem Rückweg von der Bibliothek hatten wir uns gestritten, diesmal darüber, ob der Windchill-Effekt ein wissenschaftlich fundiertes Wetterphänomen ist, wie Zev glaubte, oder ein Dreh, den irgendwelche Wetteragenten ausgeheckt hatten, um uns von der drohenden globalen Erderwärmung abzulenken.

»Wetteragenten?«, sagte Zev. Er hatte einen leicht israelischen Akzent. »Isabel! So was gibt es doch gar nicht.«

»So ist es aber«, sagte ich und stieg über einen schmutzigen Schneehaufen.

Zev blieb unter einer Straßenlaterne vor seinem Wohnheim stehen und verschränkte die Arme; sein schmales Gesicht war von Schatten zerfurcht. »Ich hab dich nie für eine Verschwörungstheoretikerin gehalten. Eine militante Linke vielleicht, aber Verschwörungstheoretikerin?« Er schüttelte den Kopf.

»Ist aber doch eine Überlegung wert, oder?« Ich versuchte, seinen Blick zu deuten, aber Zev war wie immer undurchschaubar. Der Wind zerrte an meinem Mantel und fuhr mir durch die Jeans bis auf die Haut.

»Egal, jedenfalls ist es verdammt kalt.« Er deutete mit dem Kopf auf die Tür. »Kommst du mit rein?«

Ich zuckte die Achseln und folgte ihm in das niedrige Gebäude.

So also war ich wohl in Zev Nemans Zimmer gelandet: Er hatte mich eingeladen, und ich hatte nicht Nein gesagt.

Sein Einzelzimmer mit Blick auf den Fluss war ordentlich und aufgeräumt. Das Bett war gemacht, auf dem Boden lagen keine Klamotten herum; es roch sogar sauber. Nicht wie die Zimmer anderer Jungs, die ich in meinen fast vier Jahren am Wilder College gesehen hatte. Die Sauberkeit führte ich auf Zevs zweijährigen Dienst in der israelischen Armee zurück, in denen er das jüdische Vaterland verteidigt hatte mein Vaterland, wie er mir gern ins Gedächtnis rief. Er zog den Parka aus und ließ sich aufs Bett fallen. Auf dem einzigen Stuhl stapelten sich Bücher, deshalb sah ich mir sein Bücherregal an: Fachliteratur zum Thema Ökonomie, Bücher auf Hebräisch, ein paar Paperback-Thriller, so dick wie Türstopper. Diesen Teil wollte ich überspringen, den, in dem man sich fragt, wann das, wofür man ins Zimmer eines Jungen gekommen ist, passieren wird, wann man mit dem Small Talk aufhören kann, der einem bloß auf hunderterlei Arten vor Augen führt, dass dieser Junge, überhaupt irgendein Junge, einen nie verstehen wird. Wenn man die Sprache hinter sich lässt und gleich zum Hautkontakt übergeht.

Ich zog eine zerfledderte Ausgabe von Gedankenlos: Das Lied vom Henker aus dem Regal. Daneben stand das gerahmte Foto eines Mädchens am Strand mit schwarzem Bikini und verspiegelter Sonnenbrille.

»Wer ist das?«

Zev warf einen Basketball in seinen Händen hin und her. »Meine Freundin, Yael«, sagte er, als hätten wir gerade über sie gesprochen, obwohl er sie bisher noch nie erwähnt hatte, nicht mal, dass er überhaupt eine Freundin hatte.

Ich nahm das Bild in die Hand. Yael war hübsch. Sehr hübsch sogar. Lange Beine, olivfarbene Haut, sonnengebräunt, von der Sonne ausgebleichtes bernsteinfarbenes Haar. Ich fragte mich, ob ich vielleicht auch so ausgesehen hätte, wenn meine Vorfahren nach links statt nach rechts abgebogen wären, als sie aus Russland auswanderten. Ich war überrascht, dass Zev eine Freundin hatte, und noch überraschter, dass sie so hübsch war. Ich sah zum Bett hinüber, auf dem er ausgestreckt lag, und begriff, dass Yael ihn in einem ganz neuen Licht erscheinen ließ.

»Wieso hast du mir nie von ihr erzählt?«

»Warum hätte ich das tun sollen? Bist du eifersüchtig?«

»Nein«, sagte ich und stellte das Bild zurück ins Regal. Was ich fühlte, war keine Eifersucht, eher Neugier. Wie wurde man zu einem Mädchen, das sich im Badeanzug ablichten lässt? Oder wie konnte man eine Freundin haben, so eine Freundin, ohne sie je zu erwähnen? Hätte ich einen Freund gehabt, da war ich mir sicher, hätte ich ununterbrochen von ihn gesprochen.

Zev warf den Basketball zwischen seinen Händen hin und her, immer schneller, ohne ihn zu verfehlen. »Wieso hätte ich dir von ihr erzählen sollen?«, fragte er. »Außerdem ist sie dort, und ich bin hier, also.« Er zielte mit dem Ball auf einen Korb an der Rückwand seiner Schranktür. »Treffer!«

Ich sah aus dem Fenster auf den Fluss, der im Mondschein schimmerte. So was hielt man am College für selbstverständlich: ein Zimmer mit Blick auf den Fluss. Ich konnte Zev nicht erklären, warum ich es seltsam fand, dass er Yael nie erwähnt hatte, ohne dass es sich so anhörte, als würde es mir etwas ausmachen: So war es nicht. Oder vielleicht doch. Egal, ich dachte, dass man doch genau deswegen eine Freundin hatte, um das hier nicht mehr tun zu müssen.

Das hier. Ich war mir Zevs Anwesenheit sehr bewusst: des Geräuschs seines Atems, der quietschenden Matratze, wenn er sein Gewicht verlagerte. Ich schob das Amulett an meiner Halskette hin und her und horchte auf eine Veränderung seines Atmens oder ein Zeichen, dass er mich berühren würde. Nach ein oder zwei Minuten hörte ich, wie er aufstand und auf mich zukam, langsame Schritte auf dem Linoleumboden. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, drehte mich um, und da war er: mit leicht geöffnetem Mund, als hätte er eine verstopfte Nase. Als er sich unbeholfen vorbeugte und mich küsste, stockte mir der Atem. Ich stieß gegen das Bücherregal und hörte, wie Yaels Foto zu Boden fiel.

Ich weiß nicht mehr, was meiner Ansicht nach passieren würde, oder ob ich überhaupt wollte, dass etwas passierte. Ich war hauptsächlich erleichtert, weil mir jetzt klar war, welche Richtung der Abend nehmen würde. Vielleicht wäre ich genauso erleichtert gewesen, wenn Zev mich gebeten hätte zu gehen, weil er Kopfschmerzen hatte oder für eine Prüfung pauken musste, ja sogar, wenn er gesagt hätte, ich solle mich verdammt noch mal verpissen. Als ich ihn küsste und spürte, wie seine Zunge die Tiefen meines Mundes erforschte, was durchaus nicht unangenehm war, dachte ich zum ersten Mal daran, wie es wäre, mit Zev Neman zu vögeln, und ob ich das wollte. Ich stellte mir vor, wie ich auf zukünftigen Dinnerpartys von uns erzählen würde. »Wir haben uns gleich im ersten Semester kennengelernt, sind uns aber erst im letzten Studienjahr wirklich näher gekommen«, würde ich nachdenklich, mit einem Glas Merlot in der Hand, sagen, während Zev unterm Tisch mein Knie streichelte. Ich dachte an Yael, die mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag, und fragte mich, wie sie in diese Erzählung hineinpasste. Yael, die lästige Freundin, der Zev das Herz brechen musste, um zu mir zu finden. Zev schob seine Hand unter meine Bluse. Seine Zunge machte weiter, die Dinnerpartys verblassten allmählich. Wenn ich in der Geschichte, die ich eines Tages erzählen würde, ein Wörtchen mitzureden hätte und mit einundzwanzig war ich mir da ganz und gar nicht sicher –, wusste ich weder, ob ich einen solchen Anfang gewollt hätte, noch, ob mir das Ende recht gewesen wäre.

Als Zev meine Brust ein bisschen zu fest zusammenpresste, dachte ich kurz, dass ich keine Ahnung hatte, was ich hier zu suchen hatte. Ich war eher aus Neugier und Langeweile als aus Verlangen mit in Zevs Zimmer gekommen, weil die Bibliothek, wo wir uns zufällig über den Weg gelaufen waren, früh geschlossen hatte und ich noch keine Lust hatte, nach Hause zu gehen, und weil es draußen trotz meiner klaren Haltung in Sachen Windchill-Effekt verdammt kalt war. Kurz gesagt, ich war in diese Begegnung hineingestolpert wie in ein dunkles Zimmer: mit ausgestreckter Hand, mich vorwärts tastend, unfähig zu sehen, was an den Wänden war oder wie ich da wieder rauskam.

Es war seltsam, aber Zev kannte ich länger als fast alle anderen in Wilder, länger noch als Debra und Kelsey. Wir waren uns am ersten Freitag des ersten Semesters bei einem Schabbat-Essen im Hillel House begegnet, einem kleinen beigefarbenen Gebäude am Rande des Campus, wo sich Wilders spärliche Anzahl von Juden versammelten. Wie viele Elite-Colleges konnte Wilder auf eine lange Geschichte von institutionellem Antisemitismus zurückblicken, aber auch einen neueren Skandal, bei dem Studenten einer Verbindung eine Gruppe barfüßiger Bewerber in gestreiften Pyjamas gezwungen hatten, schwere Steine über den Rasen zu schleppen. Die Holocaust-Symbolik war unübersehbar, und der Vorfall erregte landesweit Aufmerksamkeit. Doch inzwischen hatten sich die Wogen geglättet, und vor ein paar Jahren hatte eine Gruppe ehemaliger jüdischer Studenten das Geld für die Einrichtung eines Hillel House aufgebracht. Jetzt konnten jüdische Eltern ihre Kinder endlich unbesorgt aufs Wilder College schicken. Mein Vater hatte derlei Bedenken nicht. Ich hatte mein ganzes Leben unter Juden verbracht, und er wollte ausdrücklich, dass ich nach Wilder gehe, um Abstand von ihnen zu gewinnen.

Ich war mit Sally Steinberg von den Bethesda Steinbergs zu dem Abendessen gegangen. Ich hatte sie Anfang der Woche in einem Step-Aerobic-Kurs kennengelernt. Sally war das verwöhnte Einzelkind älterer Eltern, die sich auf der Brandeis University kennengelernt hatten, wohin sie sie unbedingt auch hatten schicken wollen, doch Sally hatte auf Wilder bestanden. Ihre Eltern hatten wie immer nachgegeben und ihr als Bedingung das Versprechen abgenommen, an den wöchentlichen Schabbat-Essen teilzunehmen.

Als wir ankamen, war Zev bereits da und saß an dem langen Esstisch. Der...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2024
Übersetzer Pociao, Roberto de Hollanda
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bill Clinton • buch professor studentin • Campus Roman • clinton lewinsky • college romanzen bücher • Coming of age Roman • consent • Hillary Clinton • ivy league roman • kreatives schreiben studium • lewinsky affäre • metoo • #metoo Buch • Monica Lewinsky • Neuengland • Neunzigerjahre • New England • professor studentin affäre • Sexueller Übergriff • uni roman • USA 90er
ISBN-10 3-96161-193-9 / 3961611939
ISBN-13 978-3-96161-193-5 / 9783961611935
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