Zeilenflüstern (Sweet Lemon Agency, Band 1) (eBook)
464 Seiten
Loewe INTENSE (Verlag)
978-3-7320-2178-9 (ISBN)
Kyra Groh wurde 1990 in Seligenstadt am Main geboren. Nach einem kleinen Umweg über die Uni Gießen, verschlug es sie 2012 nach Frankfurt, wo sie noch immer mit ihrem Freund und ihrem kleinen Sohn lebt. Sie schreibt Geschichten direkt aus dem Leben - immer mit Humor, Tiefgang und einigen Seitenhieben zur aktuellen Popkultur. Denn neben dem Schreiben hängt ihr Herz vor allem an Musik, (Hör)Büchern, Serien und lustigen Hundevideos auf Instagram. Alles, was ich in dir sehe ist ihr erster Roman für New-Adult-Leserinnen.
Kyra Groh wurde 1990 in Seligenstadt am Main geboren, wohnt jedoch seit über zehn Jahren in ihrer Wahlheimat Frankfurt. Sie schreibt Geschichten direkt aus dem Leben – immer mit Humor, Tiefgang und authentischen Figuren. Wenn sie nicht gerade am nächsten Buch feilt, verbringt sie Zeit mit ihrer Familie, trinkt Cappuccino, treibt sich auf Konzerten rum oder hat Musik und Hörbücher auf den Ohren. Nach der Alles-Trilogie ist die Sweet Lemon Agency die zweite New-Adult-Reihe der SPIEGEL-Bestsellerautorin. Weitere Informationen zur Autorin auf Instagram und TikTok unter @kyraschreibt
2
Familien
kiste
NOEL
Ich ertappe mich mit einer Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger. Spüre, wie meine rechte Hand wie ferngesteuert zu meiner Hosentasche fährt und den Stoff abklopft. Nach Streichhölzern sucht. Ich habe nie Feuerzeuge. Ich mag sie nicht. Vor allem nicht die mit den kleinen Rädchen, an denen man sich ausnahmslos jedes Mal verbrennt. Dann eben Streichhölzer. Sie sind irgendwie klassischer. Und es ist leichter, sich einzureden, dass man kein Raucher ist, wenn man die Kippen aus der von einem Freund geklauten Packung mit einem kurzen Holzstift entzündet, den man aus einem Heftchen mit Tankstellenwerbung herausbrechen muss. Nur … die rote Schachtel, die auf der Balkonbalustrade vor mir liegt, habe ich bei niemandem mitgehen lassen. Sie wurde mir nicht beim Feiern hingehalten oder in der Pause zwischen zwei Theaterakten. Niemand hat mich gefragt, ob ich auch eine will, und ich musste niemandem vorlügen, dass ich eigentlich aufgehört habe. Niemandem – außer mir selbst, als ich sie gekauft habe.
In den letzten drei Monaten habe ich mindestens einmal die Woche mit dem Rauchen aufgehört – die einzige Konstante in meinem Leben. Wäre doch alles so leicht wie Vorsätze brechen …
Ich wende die Zigarette, bis sie zwischen Mittel- und Ringfinger klemmt und ich den Tabak sehen kann. Puste hinein. Verfolge die kleinen Partikel, die daraus hervorstieben, auf ihrem Segelflug gen Boden. Ich weiß, wie scheiße rauchen ist, und hasse so ziemlich alles daran. Nicht nur, dass es mein Risiko zu erblinden erhöht, wie mir die Verpackung unmissverständlich entgegenbrüllt. Hauptsächlich hasse ich, woran es mich erinnert.
An meinen ersten Tag an der Schauspielschule, an dem mich jemand auf eine Kippe und einen Kaffee eingeladen hat. Als ich erklärt habe, dass ich beides nicht mag, meinte er: »Das wird sich ändern, glaub mir.« Und das tat es. Es erinnert mich an Theresa, die mir nie gesagt hat, wie sehr sie das Rauchen hasst, und trotzdem erwartet hat, dass ich es ihr zuliebe einstelle. Es erinnert mich an meinen liebsten Acting Coach Erik, der mir in jeder Zigarettenpause versicherte, aus mir würde mal ein ganz Großer werden. Und an den Typen, mit dem Theresa mich betrogen hat, weil ich in meinen schlechten Phasen nur noch mich selbst sehe und nicht mehr sie. Der Kerl hat Kette geraucht. Ironisch irgendwie.
Statt nach dem Streichholzheftchen greife ich nach der eingedellten Schachtel auf der Balkonbrüstung und schiebe die Kippe zwischen die verbleibenden sieben Stück.
Die Erinnerungen sind schaler als Zigarettenatem nach einer durchfeierten Nacht. Ich kann das nicht mehr. Bin nicht mehr der Typ, der vor gut fünf Jahren dachte, er müsste bloß mit den anderen unter Rauchwolken über die Branche reden und schon würde alles irgendwie klappen. Ich bin einfach nur der Typ, der es nicht einmal hinkriegt, mit dem Rauchen aufzuhören.
Fuck …
Dreimal klopfe ich die Zigarettenschachtel auf der Balkoneinfassung auf, dann schiebe ich sie in meine hintere Hosentasche. Heute Abend, schwöre ich mir, werden all diese acht Kippen noch da sein.
Auf dem Weg hinein und die Treppe hinunter checke ich routinemäßig meine Mails, überfliege Absender und Betreffzeilen und suche nach etwas, von dem ich selbst nicht so genau weiß, was es ist. Statt meine Passion zu finden, habe ich in den letzten eineinhalb Jahren seit dem Abschluss meiner Schauspielausbildung nur gelernt, was ich nicht will. Und auch wenn das Ausschlussverfahren eine legitime Methode sein kann, um den eigenen Pfad zu finden – glücklich macht es nicht. Es ist nervig und hart und ätzend. Es kratzt an dem, von dem Schauspieler gleichzeitig zu viel und zu wenig haben: unserem Ego.
Meine Liste an Dingen, auf die ich keinen Bock habe, wächst mit jeder Casting-Ausschreibung. Ich mache weder Daily Soaps noch Kindertheater, Werbesports oder – Gott bewahre – Reality TV. Am besten gar kein TV. Ich will Menschen vor mir haben. Keine Kameras.
Über Nacht sind Dutzende Alerts von Casting-Plattformen reingekommen. Und obwohl ich meine Suchkriterien dort sorgfältig gefiltert habe, reiht sich in meinem Postfach ein No-Go an das andere. Puppenspieler für eine Inszenierung von Der Kleine Prinz, Komparsen (18-30) für Party-Szene im Frankfurter Tatort, Scripted Reality Format, Rolle: asiatische Haushaltshilfe (40-50). Ich verharre am Treppenabsatz und schnaube so heftig, dass meine Unterlippe vibriert. Man mag mir vorwerfen, zu hohe Ansprüche zu haben. Zu verbissen darauf zu sein, auf der Bühne zu stehen, zu einem festen Theaterensemble zu gehören. Aber wie soll man auch nicht verbissen werden, wenn die Alternative darin besteht, als mitteleuropäischer Mann von vierundzwanzig Jahren und eins vierundachtzig Körpergröße eine Rolle als asiatische Putzfrau angeboten zu bekommen?
Entnervt stecke ich das Smartphone weg und rolle die Ärmel meines Hemdes bis zu den Ellbogen hoch. Die Wendeltreppe in meinem Elternhaus, die die obere Etage mit dem Wohnbereich im Erdgeschoss verbindet, fußt direkt neben der Küchenzeile. Es riecht nach Kaffee, aufgebackenen Brötchen und dem beißenden Geruch von Fuck, ich musste mit Mitte zwanzig zurück zu meinen Eltern ziehen.
Mit einem Seufzen umrunde ich den Kühlschrank und trete vor den Vollautomaten, der den Duft von starken, dunkel gerösteten Bohnen verströmt. Meine Mutter sitzt an dem ovalen Esstisch in der Mitte, die rosa Lesebrille mit extravagant geformten Bügeln tief auf der Nase. Sie hat die Stirn krausgezogen, um über den Rand der halbmondförmigen Gläser auf ihr Handy spähen zu können. Quälend langsam fährt sie mit dem Zeigefinger über den Glasscreen, die Mundwinkel ausdruckslos nach unten gerichtet.
»Morgen«, sage ich träge.
»Ah, Noel … hab dich gar nicht bemerkt, ich war ganz …« Sie schwenkt erklärend das Handy in meine Richtung. »Guten Morgen.«
Wahllos nehme ich eine Tasse aus dem Oberschrank und stelle sie unter den Ausguss. Ihr Aufdruck fällt mir erst auf, als ich den Knopf für einen schwarzen Kaffee drücke. Ein dicker Zeichentrickhase mit Schnurrbart und Malerpinsel, der durch abertausende Spülgänge blass und konturlos geworden ist. Für den besten Papa von Jan steht daneben.
Bei den Zimmermanns gibt es nur einen Sohn, der seinem Vater ein solches Geschenk machen würde. Nur einen Sohn, für den er der beste Papa ist. Nur einen Sohn, der Malermeister der vierten Generation wird.
Der Kaffee beginnt, aus den Düsen zu schießen, und hüllt die Tasse für einen Moment in Dampf, was sich seltsam erleichternd anfühlt. Und mich davon abhält, die Zigarette doch in Erwägung zu ziehen.
»Na, was steht heute an?« Die Stimme meiner Mutter holt mich zurück in die Realität. Zurück in die offene Küche, die – wie jeder Raum meines Elternhauses – in einer komplizierten Wischtechnik in Lachsfarben gestrichen ist, wie sie vor zwanzig Jahren angesagt war. Ich nehme die Tasse und lehne mich mit überkreuzten Beinen an die Arbeitsplatte. Die Kante stößt genau gegen das Kippenpäckchen und ich spüre ihren Inhalt zerbröseln.
»Mal sehen.« Ich denke an die Casting-Alerts in meinem Posteingang, will mich dazu bringen, sie wenigstens in Erwägung zu ziehen. Aber ich kann es einfach nicht.
»Du …« Meine Mutter legt das Handy weg und schiebt die Brille von ihrer Nase. Sie stürzt herunter, ehe sie wie ein Bungee Jumper von einer glitzernden Kette abgefedert wird. Mama rückt ihren Stuhl ein wenig vom Tisch weg und faltet diplomatisch die Hände vor ihrem üppigen Oberkörper. Eine Geste, tausend Erinnerungen. Bei der großen Wir halten ein Schauspielstudium in Hamburg für keine gute Idee-Intervention vor viereinhalb Jahren saß sie genau so da. Immerhin fehlt heute mein Vater, der mit vor Zorn zitterndem Schnurrbart neben ihr auf und ab gegangen ist.
»Der Papa und ich haben uns was überlegt.«
Ich weiß, was der Papa und ich aus dem Mund meiner Mutter bedeutet. Es heißt: Mein Mann hat entschieden und ich muss seine Meinung teilen, weil wir seit dreißig Jahren verheiratet sind. Intuitiv wende ich den Blick ab. Starre die Tasse in meiner Hand an. Für den besten Papa von Jan.
»Aber nimm dir doch erst mal ein Brötchen und setz dich.« Symbolhaft klopft sie auf den Stuhl neben sich. Ich habe zuletzt in der sechsten Klasse gefrühstückt. Frühstück schnürt mir den Magen zu. Macht, dass ich mir tonnenschwer vorkomme. Selbst an guten Tagen. Meine Mutter scheint sich in diesem Moment daran zu erinnern, denn sie ergänzt: »Komm, ausnahmsweise, du siehst ja aus wie ein Skelett.«
Vielleicht wäre alles ein wenig leichter, wenn die Unterschiede zwischen mir und dem Rest meiner Familie nicht so absolut offensichtlich wären. Wenn ich – wie Jan – ein Ebenbild unseres Vaters wäre. Breites Gesicht, helles Haar und ein Körper, der es gewohnt ist, tagein, tagaus Malerequipment durch die Gegend zu schleppen. Der sich von Fleischkäsebrötchen aus der Heißen Theke ernährt und Kaffee mit Sahne trinkt. Stattdessen ähnele ich – wie man sich erzählt – dem Vater meiner Mutter. Groß, hager, mit Wangenknochen, die Casting-Direktoren beeindrucken und die Familie besorgt hochkalorische Gerichte kochen lassen.
»Ihr habt euch was überlegt«, wiederhole ich, um sie an das eigentliche Gesprächsthema zu erinnern.
»Ja, richtig.« Sie pocht mit der eckig zulaufenden Spitze ihrer Acrylnägel einen Rhythmus auf die Tischplatte, wirkt nervös....
Erscheint lt. Verlag | 13.3.2024 |
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Reihe/Serie | Sweet Lemon Agency | Sweet Lemon Agency |
Verlagsort | Bindlach |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Alles Kyra Groh • booktok bücher deutsch • Booktok Bücher New Adult • CODA Child of deaf adult • Grumpy Sunshine Bücher • Kulturpass 2023 • Kulturpass Bücher • Kulturpass für 18-jährige • Kyra Groh Bücher • Liebesgeschichte für junge Erwachsene • Liebesromane ab 16 Jahren • Loewe Intense • new adult liebesromane • new adult romane deutsch • New Adult Romane Farbschnitt • New Adult Romane mit Spice • she fell first but he fell harder • Slow Burn Romance • Sweet Lemon Agency Trilogie • tik tok made me buy it • Workplace Romance • Young Adult Liebesromane |
ISBN-10 | 3-7320-2178-5 / 3732021785 |
ISBN-13 | 978-3-7320-2178-9 / 9783732021789 |
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