Gute Ratschläge -  Jane Gardam

Gute Ratschläge (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
320 Seiten
Hanser Berlin (Verlag)
978-3-446-28039-7 (ISBN)
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Eliza, 51, schreibt Briefe an Joan, die Nachbarin, die offenbar ihren Mann und ihre Kinder verlassen hat, und die sie eigentlich kaum kennt. Briefe mit besten Ratschlägen - voller ungeschminkter Wahrheiten, schlafwandlerisch sicher gesetzter Seitenhiebe und Exzentrik. Antwort bekommt Eliza nie, was ihre Schreibwut eher anstachelt. Als ihr Mann Henry plötzlich auszieht, geraten die Briefe zu immer wilderen, fiebrigen Bekenntnissen einer zutiefst einsamen, in ihrem Leben gefangenen Frau, der nicht unbedingt zu trauen ist. Mit 'Gute Ratschläge' beweist Gardam einmal mehr ihre erzählerische Meisterschaft und den scharfen Blick für die grausame Scheinheiligkeit der postviktorianischen Gesellschaft, in deren diskretem Schweigen manches unschöne Geheimnis schlummert.

Jane Gardam wurde 1928 in North Yorkshire geboren und lebt heute in East Kent. Für ihr schriftstellerisches Werk wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Neben der Bestseller­Triologie um Old Filth erschienen zuletzt Robinsons Tochter (2020) und Mädchen auf den Felsen (2022).

25. Dezember

Liebe Joan,

es ist Weihnachten, nachmittags, und ich sitze ganz hinten im Wohnzimmer und schreibe und und schaue auf den schneebedeckten Garten. Die Straße ist sehr ruhig, da die meisten mit ihren Familien irgendwo hingefahren sind oder beim Spaziergang durch den Park ihr Weihnachtsessen verdauen. Den Heiligabend habe ich bei den Sterbenden verbracht. An Heiligabend geben sie sich immer besonders große Mühe — die Nonnen, meine ich. Es geht recht fröhlich zu. Freitag war die Weihnachtsfeier des Frauenzirkels, und ich hatte dein Kleid an. Leider konnte Henry nicht mit mir hingehen, weil er parallel seine eigene Bürofeier hatte. Charles war ebenfalls auf einer derartigen Veranstaltung, also ging ich allein als »Hilfskraft« und bediente am Buffet. Ich bekam sehr viele Komplimente wegen des Kleides, und einigen — aber nicht allen — erzählte ich, woher ich es habe. Denjenigen, denen ich unterstelle, dass sie sich immer noch sehr über deine Aktion echauffieren, habe ich lieber nichts erzählt.

Nach dem Aufräumen bin ich allein und ziemlich spät nach Hause gekommen, denn das Auto sprang nicht an und ich musste zu Fuß gehen. Hatte ich dir schon von meinem neuen Auto erzählt? Henry hat es mir auf Charles’ Rat hin gekauft. Charles versteht nicht allzu viel von Technik, nicht wahr? Oder sagen wir, er versteht etwas von Technik, wendet sein Wissen aber nicht auf technische Dinge an. Er ist auch kein sehr gesprächiger Mann, nicht wahr? Nicht dass ich gesprächige Männer gewohnt wäre. Henry ist über die Jahre immer schweigsamer geworden, und da dies ein sehr bedeutsamer Brief werden wird, Joan, will ich ebenso unverblümt sein wie damals in meinem verhängnisvollen Brief aus dem Frühjahr.

Ich glaube, es ist an der Zeit, dir mitzuteilen, dass Henry eigentlich nicht für die Ehe taugt. Das ist aber nicht der Grund, warum wir keine Kinder haben. Es war eine Vernunftentscheidung, die wir vor Jahren gefällt haben. Die ganze Apparatur ist noch da, ganz normal, zumindest soweit ich das beurteilen kann. Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen, und die einzig andere, die ich kenne, die mir, nun ja, förmlich ins Gesicht sprang, ist die an Michelangelos David in Florenz, die natürlich aus Marmor und beängstigenderweise überlebensgroß ist. Aber das, womit ich jetzt konfrontiert bin, hat mit diesen ganzen Sachen nichts zu tun. Henry interessiert sich einfach nicht für Frauen. Ihm fehlt jede Neugierde. Einmal habe ich zu ihm gesagt: »Frauen stehen unter der Herrschaft des Mondes«, und sein Gesicht straffte sich vor Grausen. Er sagte: »Ich fürchte, Eliza, du willst den Mond haben«, und ich erwiderte: »Was die Liebe betrifft, stimmt das wohl«, und er schüttelte sehr energisch seine Times zurecht.

Ziemlich bald nach unseren Flitterwochen hörte er auf, mich als etwas Berührenswertes zu sehen, Joan, obwohl sich damals die Leute auf der Straße nach mir umgedreht haben. Wenn mir Männer hin und wieder Blumen schickten — na ja, meist nur aus Höflichkeit, nach einer Einladung zum Dinner —, öffnete er dem Boten die Tür und sagte: »Eliza — Blumen. Hast du die Hundeleine gesehen?«

Als die ersten Monate vorbei waren, lagen wir zusammen im Bett wie zwei Steinfiguren, Ritter und Dame auf einem Kirchengrab, Hand in Hand vielleicht, doch die Beine gekreuzt, die Nasen gen Himmel. In jeder Ehe wird es ja mit Sicherheit den Moment geben, in dem man sich den anderen als gesonderte Person denkt, nicht wahr? Eine Frau sollte für ihren Mann immer sie selbst und immer etwas Besonderes sein, und sei es nur als die Frau, die er mal geliebt und auserkoren hatte, um die er gebuhlt und die ihn betört hatte, die er zumindest als angemessen erachtet hatte. Nicht aber Henry. Ich erinnere mich an uns beide in unserem ersten Haus in St John’s Wood in den frühen Sechzigerjahren. Das Haus wurde kaum von uns bewohnt, da wir so viel im Ausland waren, doch ich erinnere mich, dass wir damals sehr glücklich waren wegen des herrlichen Gefühls von Sicherheit und Verheißung. Es funktionierte. Es war nicht nur eine Studentenromanze gewesen, die im üblichen Chaos endete. Es war eine gute Zeit. Doch schon da war ich nichts Besonderes mehr.

Letztes Jahr haben wir uns neue Betten gekauft. Weißt du noch? Ich bin ganz sicher, dass du dich daran erinnerst, denn genau in dem Moment fing ich an, mich für dich zu interessieren. Ich sah, wie du während der Lieferung dastandst und zusahst. Dann bist du schnell in dein Auto gesprungen.

Es ist ein feierlicher Augenblick, Joan, wenn das erste Ehebett davongetragen wird. Leb wohl, du Schlachtfeld, leb wohl, ihr Hügel und Täler. »Leb wohl, du Feld und grüner Hain, wo Nymphen sich ergötzt’.« Eine Nymphe war Henry nun nicht gerade. Ich denke immer noch — nein, dachte —, ich könnte eine sein.

Henry stellte die neuen Betten getrennt voneinander auf, eins an jeder Zimmerwand, und sagte: »Sieht das so nicht viel besser aus? Passen perfekt, wie maßgefertigt.« Und so war es. Die Betten passten perfekt. Aber es drängte sich mir der Eindruck auf, Joan, dass mit dieser Aussage irgendetwas Wichtiges unterschlagen wurde.

Ich sprach Henry darauf an. Ungefähr zur gleichen Zeit, als ich dir den albernen Brief schrieb und gestand, mich in Charles verliebt zu haben, den du hoffentlich nie bekommen hast. Obwohl es im Grund egal ist, weil ich mir vorstellen kann, was du gedacht hast, als/falls du ihn gelesen hast: »Das wollen wir doch mal sehen.«

Du hast recht. Ich kann mir jetzt vorstellen, was du in den letzten Jahren mit Charles durchgemacht haben musst.

Nach der Sache mit den Betten begann Henry in ganz London und den Vororten, sogar in North Londen, auf Tausende von Gebetsveranstaltungen zu gehen. Mir war aufgefallen, dass er aufgehört hatte, Eier zu essen. Es war ein privater Scherz zwischen uns beiden. Als Schuljunge waren sie seine Leib- und Magenspeise. Seine Mutter sagte immer: »Du Glückliche, du wirst nie zu kochen brauchen, du kannst ihm immer ein Ei vorsetzen.« Eine irgendwie widerliche Bemerkung, fand ich, aber sie war ja auch eine irgendwie widerliche Frau. Nun, möge Gott mir vergeben, denn sie ist tot. Jedenfalls hörte er auf, Eier zu essen.

Dann wurde mir bewusst, dass er offenbar gar nicht mehr aß. Er stocherte in seinem Essen herum. Aber er trank. Und wie er trank. Und er trank immer weiter. Eine Zeitlang. Dann gab er erst den Mitternachts-Whisky auf, und dann den Wein. Einige Wochen lang saß er, wenn ich zu Bett gegangen war, unten und hörte trinkend und nicht mehr trinkend seine Tonbänder. Es gab ein bestimmtes Requiem — ich kann mich nicht entsinnen, welches, jedenfalls nicht das von Lloyd Webber. Es brandete durchs Haus, unheilvolle und ewig währende Trauer. Aus Nummer 34 drangen die schiefen Akkorde von Simons und Sarahs kakophonischen Gegenstücken. Die Noten verschmolzen. Es schrillte und wummerte, und die Bewohner der Rathbone Road horchten. Hin und wieder kam Charles rüber und saß mit Henry in seinem Arbeitszimmer, und auch sie hörten die Requiems.

Dann, irgendwann, es muss ungefähr September gewesen sein, gab Henry das Trinken auf. Ganz und gar. Henry hatte schon lange ein eher zerstreutes Interesse an Sex. Es war immer hin und wieder mal passiert. Eine halbherzige Sache, aufs Geratewohl. Man spürte, wie die Klänge des Requiems sein Dasein durchdrangen. Schlaff wie eine Fahne an einem windstillen Tag ließ er sich hängen, und irgendwann war es ganz vorbei mit dem Sex. Ich hatte keine Lust, es anzusprechen. Nur einmal fragte ich an einem leuchtend blauen Morgen beim Aufstehen: »Weißt du noch, die Gascogne?«, aber alles, was ihm mit grauem Gesicht dazu einfiel, war: »Eliza, wir sind alte Leute.«

Den Patienten im Hospiz fiel auf, dass ich bedrückt aussah. Barry, mein Lieblingspatient, meinte: »Sie sehen aus, als müsste Sie mal einer in den Arm nehmen. Legen Sie sich doch zu mir«, und hob die Bettdecke an. Er lachte, weil ich rot wurde. Er kitzelte es aus mir heraus — was los war. Na ja, nicht direkt. Ich erzählte ihm nicht alles. Er sagte nur: »Ist der Ofen aus bei der grauen Eminenz? Oder«, fragte er, »gefällt er Ihnen nicht mehr?«

Ach, Joan, das gab mir zu denken. Es gab mir zu weinen. Barry reichte mir ein Taschentuch aus einer Box, und noch eins und noch eins. Ich sagte: »Ich weiß nicht, was mit mir los ist«, und er erwiderte: »Ich schon, altes Haus. Sie...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2024
Übersetzer Monika Baark
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel QUEEN OF THE TAMBOURINE
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte bitterböse • Briefroman • Einbildung • England • Exzentrik • Fehlgeburt • Feminismus • Foucaultsches Pendel • Fremde • Geheimnis • grotesk • Halluzination • Humor • Katze • Nachbarn • Plot Twist • Ratschlag • United Kingdom • Wechseljahre • witzig • Yorkshire
ISBN-10 3-446-28039-1 / 3446280391
ISBN-13 978-3-446-28039-7 / 9783446280397
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