Die Sterne von St. Pauli -  Kerstin Sgonina

Die Sterne von St. Pauli (eBook)

Eine junge Frau, die Beatles und die Große Freiheit
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
384 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3511-4 (ISBN)
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Freiheit, wie sie nur die Musik verheißt.

Hamburg, 1961: Abby will Fotografin werden und ihr Leben leben, so intensiv und frei wie möglich. Dann sieht sie im Kaiserkeller eine unbekannte Band aus Liverpool, die sie einfach fotografieren muss - die Beatles. Ihre Bilder könnten ihr die Tür zum heiß ersehnten Fotografiestudium öffnen, vor allem aber verliebt sie sich in den Bassisten Stuart Sutcliffe. Doch kurz darauf muss die Band nach England zurück.

Ostberlin: Sofia lebt für die Musik, die sie nicht hören darf, und träumt von einem Leben in Freiheit. Als plötzlich der Mauerbau beginnt, weiß sie, dass sie sich entscheiden muss: Entweder schwört sie allem ab, was sie liebt - oder sie wagt die Flucht ins Ungewisse ... 

Zwei intensive, wilde Frauenleben im Deutschland der 1960er Jahre.



Obwohl sie mittlerweile mit Familie und Hund in Brandenburg lebt, ist Hamburg Kerstin Sgoninas Heimat des Herzens. Besonders interessiert die Autorin mehrerer Romane die jüngere Geschichte der Hansestadt - und als frühere passionierte Clubgängerin, Türsteherin und Sankt Paulianerin besonders die der Nachbarschaft zur Reeperbahn, die so viel mehr ist als nur eine sündige Meile. Im Aufbau Taschenbuch liegt ihr Roman »Jane Austen und die Kunst der Worte« vor, den sie unter dem Pseudonym Catherine Bell schrieb.

Frühjahr 1961


Sankt Pauli, Hamburg

Irgendwie gut, dass sie kaum ein Wort Englisch sprach. Mehr als thank you oder yes kam Abby nicht über die Lippen; die Beatles wiederum verstanden kein Wort Deutsch, also verständigten sie sich mittels Zeichensprache und fremdartig klingenden Lauten, und niemand nahm Anstoß daran, dass Abby wie ein Waldschrat vor sich hinmurmelte, um sich zu beruhigen:

»Du schaffst das, Abby. Sollen die denken, was sie wollen. Soll Professor Wallner sagen, was er will. Genau wie dieser Mist-Verkäufer. Ob ich weiß, dass das ein Film für eine Spiegelreflexkamera ist? Und wie ich sie aufkriege, um ihn einzulegen? Nee, keine Ahnung, ich bin blond und außerdem eine Frau, woher soll ich so was wissen?«

Als sie aufsah, blickte sie in erstaunte Gesichter. Die Liverpooler in ihren Lederjacken und Bluejeans, mit vom Winde verwehten Haartollen und lässigen Mienen, wussten scheinbar nicht so recht, was sie von ihr halten sollten.

Tief hing der neblig-graue Himmel über dem verlassenen Jahrmarkt. Die Stahlskelette der Karussells erinnerten an in der Bewegung erstarrte Dinosaurier, Nieselregen glänzte auf dem Metall, der eisige Wind ließ die Scharniere ächzen und trieb hier und da Abfall vor sich her. Bestes hanseatisches Aprilwetter: Man glaubte, die Regenwolken in den Kniekehlen zu spüren.

Weil ihnen kalt und wahrscheinlich langweilig war, begannen zwei der Jungs herumzukaspern, drohten einander durchs Haar zu wuscheln oder ein Bein zu stellen. Bei ihrem Anblick kam sich Abby plötzlich sehr erwachsen vor, trotz ihrer gerade mal einundzwanzig Jahre. Wie alt mochten die Beatles sein? Der eine wirkte, als wäre er gerade erst aus der Volksschule entlassen worden, die anderen nicht viel älter.

Dabei hatten sie auf der Bühne des Kaiserkellers wie eine einzige Verheißung gewirkt, die Dielen hatten gebebt, als würde eine Büffelherde darüberrennen, das Publikum hatte schier den Verstand verloren.

Das wollte Abby auf Film bannen. Die Naturgewalt, die von diesen spillerigen Kerlen ausging.

»Kein Grund, nervös zu werden«, murmelte Abby weiter vor sich hin, denn bei dem Gedanken, warum sie überhaupt heute mit den Beatles hier war, wurde ihr vor Aufregung wieder schummrig. Klar gab es hierfür zum einen eher triviale Gründe – den einen, umwerfend aussehenden Schotten zum Beispiel, von dem sie nur schwer ihren Blick lösen konnte. Aber zum anderen hatte sie eben auch den Auftrag, ein Foto zu schießen, das mindestens eine Wucht war. Und diese Wucht musste Professor Wallner einfach beeindrucken. Es war schlichtweg zu deprimierend, von einem Fotografiedozenten die eigene Mappe mit den Worten in die Hand gedrückt zu bekommen: »Genialität, nichts darunter, haben Sie mich verstanden, Fräulein Brandt? Momentan sind Sie davon so weit entfernt wie ich vom Rand des Universums.«

»Niemand kennt die Beatles«, waldschratete sie weiter, »wenn das Foto nix wird, wird’s nix, wird keiner je erfahren.«

Stu, der Schotte, verzog das Gesicht und grinste. Auf eine vorsichtige, unsichere Weise und so, als wäre sie die beeindruckendste Frau, die er je gesehen hatte. Was unmöglich stimmen konnte. Abby hatte Probleme. Besser gesagt: PROBLEME. Doch Stu grinste weiter. Er hatte nicht dieselbe Lässigkeit der anderen, dieses jungspundhafte Was-ich-anfasse-wird‑zu-Gold. Stattdessen sah er aus, als würde er sich ähnlich wie sie durch die Welt bewegen: ein bisschen nervös, alles beobachtend, aber trotzdem mit diesem Bestreben, das beste Leben von allen zu leben …

»There«, sagte sie nicht gemurmelt, sondern laut, und zeigte auf die Stelle, an der sie John, bitte sehr, gern stehen hätte. John aber grinste nur, schnippte seine halb gerauchte Zigarette in eine Pfütze und zündete sich die nächste an.

Trommelwirbel, ein drittes englisches Wort, das sie kannte: »No.«

»No?«, fragte John und grinste noch breiter. Er imitierte ihren deutschen Akzent, mit dem das Wort eher wie »noooh« klang.

»No. There.« Mit ziemlicher Sicherheit hieß »Stell dich bitte dorthin« auf Englisch anders. Doch als mit Pete nun auch das letzte Bandmitglied aus Abbys Auto krabbelte, schien es glücklicherweise trotzdem zu reichen, immer und immer wieder »there« zu murmeln, jeden an den Oberarmen zu fassen und sanft dorthin zu dirigieren, wo Abby ihn haben wollte.

»You«, sagte sie jetzt zu dem Jüngsten, dem verschüchtert wirkenden Struwwelkopf namens George. »There.« Sie zeigte auf den freien Platz neben Paul und John, die wie Zwillinge wirkten – auch wenn sie einander gar nicht ähnlich sahen. Doch die Vertrautheit zwischen ihnen war deutlich zu spüren. Als hätten sie schon als Säuglinge in der Wiege nebeneinander gelegen. Auch das sah Abby durch den Sucher ihrer Kamera und betrachtete dann die anderen: George, der an ein ausgesetztes Kätzchen erinnerte, Pete, der ihr nicht sonderlich sympathisch war – und eben Stu. Groß, dunkelhaarig, mit Wangenknochen, die sogar im neblig-weichen Schietwetterlicht aussahen wie gemeißelt.

»Jetzt reiß dich zusammen, Abby. Du bist zum Fotografieren hier, nicht zum Anschmachten.«

Vor der Achterbahn hielt Abby den Jungs ihren Handbelichtungsmesser unter die Nase, stellte die Blende ein und sah wieder auf den Lichtschachtsucher runter, war aber nicht zufrieden. Sie wartete auf etwas, das sie nicht benennen konnte. Für das es keine Worte gab, nur ein Gefühl, was die Sache nicht gerade einfacher machte. Aber es musste dieses Bild geben am Ende dieses Tages. Dieses eine Foto der Beatles, das alles zeigte und trotzdem Fragen aufwarf. Das Foto, das Wallner beeindruckte.

Sie musste nur herausfinden, wie es aussah, während sie gleichzeitig das Stativ ihrer Kamera festhielt und sich bemühte, mit ihren Ballerinas aus Stoff nicht in eine der hundertzehn Pfützen zu treten, und dabei auch noch so zu wirken wie eine, die wusste, was sie tat.

Aber wusste sie das nicht, ganz egal, was Professor Wallner behauptete? Beziehungsweise spürte sie es, eine Art Glitzern, wenn sie den Lichtschachtdeckel hochklappte, die Schärfe einstellte, das Blendenrädchen drehte?

Stu lächelte. Abby lächelte durch ihre Kamera zurück.

Von Abbys Zeigefinger dirigiert, rotteten sich die Beatles jetzt vor einem Kettenkarussell zusammen, doch auch das gefiel Abby nicht.

»Kein einziges Foto bisher«, murmelte sie. »Verdammt, kein einziges Foto.« Und laut: »Stellt euch mal dahin, ja?«

Die fünf sahen sich verständnislos an.

»There!« Sie zeigte auf einen heruntergekommenen Lastwagen, der neben der Achterbahn parkte.

John zuckte mit den Schultern und trottete zum Lastwagen. Mit hängenden Armen und der größten Lustlosigkeit, von der sie jemals Zeuge geworden war, stand er davor, dann gähnte er demonstrativ und rülpste.

»Ja, Blödmann«, sagte sie leise. »Ich versteh dich schon. Aber du mich nicht, oder? Ich höre auf keinen mehr. Ich hör auch nicht auf dich, und wenn du vor Langeweile stirbst, klar?«

Moment! Die Instrumente, Teile davon jedenfalls, lagen doch in ihren VW Käfer gequetscht. Sie klappte das Stativ wieder zusammen, hängte sich die Kamera um den Hals, krallte sich George, der ohne Proteste mitkam, und ging mit ihm zum Auto. Wenig später hingen um Pauls und Johns Hälse Gitarren, vor Pete stand eine kleine Trommel, und er ließ die Schlagzeugstöcke mit arroganter Miene zwischen zwei Fingern kreisen. Jetzt gab es noch eine Gitarre, die George nahm, und einen Bass, den Abby Stu entgegenhielt.

»Deiner, nicht?«

Er lächelte sanft und nickte, gerade so, als habe er auf wundersame Weise plötzlich ihre Sprache gelernt, griff nach dem Bass und postierte sich neben den anderen vor dem Laster.

Es gab diesen Moment, den sie über alles liebte: wenn das, was sie fotografieren wollte, bereit war und sie Ruhe spürte, es war fast zärtlich, eine Ruhe und Zuneigung zur ...

Erscheint lt. Verlag 18.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Astrid Kirchherr • Beatles • DDR • Fotografin • Hamburg • Historischer Liebesroman • Ostberlin • Starke Frau • Stuart Sutcliffe
ISBN-10 3-8412-3511-5 / 3841235115
ISBN-13 978-3-8412-3511-4 / 9783841235114
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