Unter dem Moor -  Tanja Weber

Unter dem Moor (eBook)

Roman | Ein überwältigender Generationenroman über drei Frauen am Stettiner Haff

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
350 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3133-1 (ISBN)
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Drei Frauen, drei Leben, eine stirbt, eine rächt sich und eine kann sich retten 1936 wird die 14-jährige Gine zum Landjahr ans Stettiner Haff geschickt, wo endlose Weite Hoffnung verspricht und salzige Böden die Geheimnisse der Menschen hüten. Als sich dort ein Mann an Gine vergeht, schwört das Mädchen Rache und ahnt nicht, wie sehr es damit den Lauf der Zeit beeinflussen wird. Jahrzehnte später zieht sich die überarbeitete Berliner Ärztin Nina in die endlosen Weiten Mecklenburg-Vorpommerns zurück und macht einen erschreckenden Fund. Im geteilten Deutschland träumt die zwanzigjährige Sigrun vom Ausbruch aus den eng gesteckten Grenzen des DDR-Systems. Ihre Geschichte sickert mit dem Wasser des Haffs in den torfigen Boden, bis sie von Nina aufgespürt wird.

Tanja Weber, Jahrgang 1966, war im ersten Beruf Theaterdramaturgin, u. a. in Wuppertal, Bochum, Berlin und Hildesheim. Im zweiten Beruf, nach der Geburt zweier Kinder, arbeitete sie als Drehbuchautorin fürs Fernsehen, u. a. für »Verliebt in Berlin« und »Türkisch für Anfänger«. 2011 hat Tanja Weber den ersten Platz im Literaturwettbewerb ihrer Heimatgemeinde Gauting gewonnen. Ihr erster Kriminalroman »Sommersaat« war für den Glauser-Preis nominiert.

Tanja Weber, Jahrgang 1966, war im ersten Beruf Theaterdramaturgin, u. a. in Wuppertal, Bochum, Berlin und Hildesheim. Im zweiten Beruf, nach der Geburt zweier Kinder, arbeitete sie als Drehbuchautorin fürs Fernsehen, u. a. für »Verliebt in Berlin« und »Türkisch für Anfänger«. 2011 hat Tanja Weber den ersten Platz im Literaturwettbewerb ihrer Heimatgemeinde Gauting gewonnen. Ihr erster Kriminalroman »Sommersaat« war für den Glauser-Preis nominiert.

Einige Wochen zuvor


»Ein Sabbatical.«

Das Geräusch des Stiftes, der in regelmäßigen Abständen auf die Tischplatte knallte, schmerzte in Ninas Ohren. Tocktocktock. Iovannas geballter Unmut lag in diesem Geräusch. Tocktocktocktock.

Iovanna selbst blickte zum Fenster hinaus, in die Berliner Sommerhitze. Es war Juni, aber die Stadt bereits verdorrt. An den Bäumen hingen Zettel, von Kinderhand gekritzelt: Bitte gieß mich, ich bin dein Freund. Das Gras darunter gelb, von der Sonne und dem Urin der Stadthunde. Der Asphalt glühte und schwitzte. Wenn Nina am Morgen mit dem Fahrrad über die Invalidenstraße zur Arbeit in die Charité fuhr, sich ein morgendliches Rennen mit Lastenrädern und Fixies und Gravel Bikes lieferte, dann spürte sie, wie die Straße zu brennen begann. Auf dem Nachhauseweg war die Hitze unerträglich.

Noch drei lange Monate Sommer. Noch drei Monate jeden Tag zur Arbeit fahren. Fast jeden Tag. Und auf den Sommer folgte der Herbst, ein nasser, dunkler und garstiger Berliner Herbst, der einen auf den Winter einstimmte. Und wieder von vorn.

Seit vier Jahren fuhr Nina auf dieser Strecke am Morgen in die Charité, oft auch nachts, oder im Morgengrauen nach den langen Schichten. Zehn Minuten nur, von ihrer Wohnung in der Ruppiner Straße bog sie auf die Rennstrecke in die Bernauer ein, vorbei an Mauerresten, Nordbahnhof und Naturkundemuseum, und schon war sie da. Du hast es gut, sagte Jan, ich muss jeden Tag nach Babelsberg, was jammerst du? Ich verstehe dich nicht.

Iovanna verstand sie auch nicht, Nina glaubte, dass niemand verstand, was sie fühlte, wie es ihr ging, außer vielleicht Doktor Ullrich, der sich Zeit nahm, ihr zuhörte und seine Stirn in Falten legte.

»Ich brauche einfach eine Auszeit«, hörte sie sich sagen.

Iovanna schaute sie an, ihre Mundwinkel zuckten, und sie brauchte es nicht auszusprechen, ja, sie hütete sich, es auszusprechen, sie nahm sich zusammen, Nina sah ihr an, dass Iovanna ihr lieber ein schlechtes Gewissen gemacht hätte: Für wen hältst du dich, wir sind alle durch, jeder hier braucht eine Auszeit, und was soll das überhaupt sein?

Glücklicherweise war die Zeit der Sprüche vorbei, die Nina noch gut aus ihrer Schulzeit kannte. Nur die Harten kommen in den Garten oder früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Worte aus einer anderen Zeit, wenn es nach Nina ginge, könnten diese Zeiten ein für alle Mal vergessen und begraben werden.

Aber auch wenn sich in ihrer Bubble kaum noch jemand traute, so etwas auszusprechen – sie hörte es bei Iovanna durch, aber auch bei ihren Kollegen, den Äußerungen von Patienten oder Angehörigen, dass die Gedanken immer noch da waren.

Ende zwanzig und schon ausgebrannt? Du hast doch gerade erst angefangen?! Wie willst du das durchhalten, ein Leben lang Ärztin sein, wenn du jetzt schon nicht mehr kannst?

Sätze, die Nina begleiteten, jede Minute ihres Tages und ihrer Nächte.

Iovanna hütete ihre Zunge, sie wusste, dass Nina sich beschweren konnte, also legte sie mit großer Beherrschung den Stift auf den Schreibtisch, akkurat an der Kante ihres Blocks ausgerichtet, vermied es, Ninas Blick zu begegnen, und starrte stattdessen auf ihren Bildschirm.

»Ich schlage vor, du nimmst erst einmal Urlaub und baust Überstunden ab. Danach sehen wir weiter.«

Nina sagte nichts. Sie hätte ihren Urlaub lieber behalten, aber sie wusste, dass sie hier und jetzt nicht mehr erreichen würde. Sie stand auf.

»Okay«, sagte sie und spürte, wie hinter ihren Augen Tränen aufstiegen, Tränen der Wut und Enttäuschung. Sie war zu müde, um zu kämpfen. »Dann bin ich ab morgen im Urlaub.«

Überrascht wandte Iovanna sich ihr zu, klappte den Mund auf, aber bevor sie etwas entgegnen konnte, hatte Nina das Büro bereits verlassen.

Sie stand draußen, auf einem der zahllosen Gänge des großen Klinikgebäudes.

Schon so lange trug sie es mit sich herum, das Erschöpftsein, die bleierne Schwere, das Entsetzen, wenn sie die Augen aufschlug und erkannte: Da liegt der Tag vor dir und wartet auf dich. Packt dich mit seinen Krallen und zerrt dich in seine Bahn, treibt dich weiter und weiter und entscheidet willkürlich, wann er mit dir fertig ist.

Aber weil sie Ärztin war und nicht eine ihrer Patientinnen, hielt sie sich auch nicht an den Rat, den sie selbst weitergab: Passen Sie auf sich auf, holen Sie sich Hilfe, schalten Sie ein paar Gänge runter.

Nina schleppte sich durch die Tage, funktionierte, hörte zu und tippte Diagnosen, drückte an Körpern herum und betrachtete Ultraschallbilder, sprach mit Angehörigen und entließ Patienten, manche geheilt, viele würden wiederkommen. Sie nahm sich zusammen, sprach höchstens mit Jan oder ihrer Freundin Berit darüber, wie sie sich fühlte, oder wenn es ganz schlimm war, mit Doktor Ullrich. Den Konsiliarbericht, der sie für eine Therapie empfahl, und den gelben Post-it-Zettel mit der Nummer für den Psychosozialen Dienst darauf legte sie in ihre Nachttischschublade.

Eine Exit-Strategie. Ein Notausgang, durch den sie nie gehen würde. Irgendwann zerriss sie das Papier und warf die Schnipsel in den Papiermüll. Versteckte sie unter Eierkartons und Werbeflyern, weil sie nicht wollte, dass Jan sie sah.

Dabei hatte Jan Verständnis. Er war der richtige Mann, ruhig, besonnen, zugewandt. Wertschätzend. Und dennoch. Nina hatte aufgehört, mit ihm darüber zu reden, sie hatte sich irgendwann selber nicht mehr zuhören können, ihre Erschöpfung, ihr Missmut, ihre Negativität, ihr Nichtkönnen – was vielleicht auch ein Nichtwollen war – sie merkte, dass Jan innerlich Abstand von ihr nahm, sobald sie davon zu reden anfing. Schließlich nahm sie selbst Abstand von sich. Weil sie nicht zulassen wollte, dass sie so war. Ausgebrannt, müde, mutlos. Nicht mehr froh.

»Wo ist denn mein kleines fröhliches Mädchen hin?«, hatte ihre Mutter beim letzten Besuch gefragt, nicht ahnend, welche Wunde sie mit dem Satz aufriss. Denn tatsächlich war Nina ein fröhliches Kind gewesen. Das Sonntagskind. Das Nesthäkchen, dem niemand böse sein konnte. Sie war es ihre gesamte Kindheit und Jugend über gewesen und auch noch als Studentin, so hatte Jan sie kennengelernt: unbeschwert. Voller Elan, Witz und hochfliegender Pläne. Einer dieser Pläne war das Medizinstudium gewesen. Das sie im Vergleich mit ihren Kommilitonen weitgehend mühelos hinter sich gebracht hatte. Physikum, Famulatur, praktisches Jahr, die Staatsexamina. Es fiel ihr zu, sie war dafür gemacht.

So war sie Jan begegnet. Sie waren ein perfect match – hatte Tinder behauptet. Nina kam direkt von einer langen Schicht im Urban-Krankenhaus, wo sie ihr praktisches Jahr ableistete, in die Bar zu ihrem ersten Treffen. Längst hatte sie aufgegeben, sich für ihre Dates besondere Mühe zu geben. Wenn man im Bett landen wollte, dann geschah es ohnehin, ganz gleich, wie viel Aufwand sie für ihr Aussehen betrieb oder nicht. Ohnehin glaubte sie nicht mehr daran, auf diese Art den Mann fürs Leben zu treffen. Für sie waren die Tinder-Dates eine willkommene Zerstreuung nach einem anstrengenden Tag in der Klinik.

Aber mit Jan war es von der ersten Sekunde an anders. Es war ernst, gerade weil alles zwischen ihnen leicht war.

Seit fünf Jahren waren sie zusammen, seit drei Jahren lebten sie in einer gemeinsamen Wohnung. Beste Lage, den Vertrag hatten sie Anfang März unterzeichnet, am 1. April wollten sie einziehen. Corona grätschte rein, Lockdown, sie schleppten ihre Kisten und Möbel selbst in den zweiten Stock, atemlos unter ihren Masken.

Vielleicht, dachte Nina heute, war es ein schlechtes Omen gewesen. Diese lange Zeit der Pandemie lag wie eine Filzdecke über ihrer Beziehung, die ab dem Moment des Einzugs alles Flirrende, jede Leichtigkeit verloren hatte – all das, was ihre Liebe bis dahin ausmachte.

Bevor sie den Mietvertrag unterzeichnet hatten, war es perfekt gewesen. Ihr Leben eine gerade Bahn, Erfolg vorprogrammiert. Sie angehende Medizinerin, Assistenzarztstelle an der Charité, er Jurist bei einem Medienkonzern. Leidlich-Verdienerin sie, aber mit Karrierechancen nach ganz oben. Außerdem: leidenschaftliche Überzeugungstäterin! Gutverdiener er, mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, wenn sie sich entscheiden würden, eine Familie zu gründen. Jan wollte Nina den Rücken freihalten. Wie oft hatte er das gesagt: Ich halte dir den Rücken frei. Mach Karriere, werd Chefärztin, egal was, mach, wo dein Herz dich hinführt. Du wirst gebraucht. Ich bin ein Paragrafenmann, ersetzbar. In der Pandemie hieß es dann: Ich kann Homeoffice machen, wie praktisch, später einmal kann ich lange Elternzeit nehmen, nicht nur zwei Monate als Alibi. Nina freute sich darüber, dass Jan so einer war, ein Backup-Mann, einer, der sie nicht an die Wand drängte. Das liebte sie an ihm.

Auf Jan war Verlass, seit sie ihn kannte. Alles an ihm war ihr weich erschienen – seine kringeligen dunklen Locken, die sich wie Seide zwischen ihren Händen anfühlten. Sein weicher, kleiner Bauch, der Röllchen über dem Hosenbund bildete. Er hatte rundliche Hände und Füße wie ein erwachsenes...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Burn-out • DDR-Flucht • Generationenroman • Knochen • Leiche • Mecklenburg-Vorpommern • Mord • Natur • Nazideutschland • Ostsee • Rache • Stettiner Haff • Überarbeitung
ISBN-10 3-8437-3133-0 / 3843731330
ISBN-13 978-3-8437-3133-1 / 9783843731331
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