Chain-Gang All-Stars (eBook)

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2024 | 1. Auflage
480 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-01707-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Chain-Gang All-Stars -  Nana Kwame Adjei-Brenyah
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Dies ist die ungeheuerliche Geschichte der beiden Häftlinge Loretta Thurwar und Hurricane Staxxx, die als moderne Gladiatorinnen jeden Tag aufs Neue in einen Kampf auf Leben und Tod getrieben werden. Amerika in naher Zukunft. Loretta Thurwar und Hurricane Staxxx sind die Stars der 'Chain-Gang All-Stars'. Sie sind zu lebenslanger Haft verurteilt, aus der es nur einen Ausweg gibt: Als moderne Gladiatorinnen kämpfen sie mit einer Sense und mit einem Hammer bewaffnet auf Leben und Tod gegen andere Straftäter - und das ganze Land fiebert am Bildschirm mit. Wer den Gegner tötet, steigt in der Rangordnung auf und nähert sich von Staffel zu Staffel dem ultimativen Ziel: der Freiheit. Nichts scheint Loretta und Hurricane aufhalten zu können. Doch dann entschließt sich die Regie, die Regeln zu ändern, um dem tobenden Publikum etwas nie Dagewesenes zu bieten. Auf der Shortlist für den National Book Award 2023

Nana Kwame Adjei-Brenyah ist New-York-Times-Bestsellerautor von Friday Black, einer Kurzgeschichtensammlung, die auf deutsch 2020 bei Penguin Random House erschien. Seine Arbeiten wurden u.a.in The New York Times Book Review, Esquire, The Paris Review veröffentlicht. Er gewann die Auszeichnung '5 Under 35' der National Book Foundation, ist Gewinner des PEN/Jean Stein Book Award und des Saroyan-Preises und erhielt viele weitere Auszeichnungen. Adjei-Brenyah war Finalist für den John Leonard Award des National Book Critics Circle für das beste erste Buch. Aufgewachsen in Spring Valley, New York, lebt er heute in der Bronx.

Nana Kwame Adjei-Brenyah ist New-York-Times-Bestsellerautor von Friday Black, einer Kurzgeschichtensammlung, die auf deutsch 2020 bei Penguin Random House erschien. Seine Arbeiten wurden u.a.in The New York Times Book Review, Esquire, The Paris Review veröffentlicht. Er gewann die Auszeichnung "5 Under 35" der National Book Foundation, ist Gewinner des PEN/Jean Stein Book Award und des Saroyan-Preises und erhielt viele weitere Auszeichnungen. Adjei-Brenyah war Finalist für den John Leonard Award des National Book Critics Circle für das beste erste Buch. Aufgewachsen in Spring Valley, New York, lebt er heute in der Bronx.

Cover
Verlagslogo
Titelseite
Widmung
WMotto
Inhalt
Die Befreiung der Melancholia Bishop
Teil I
Teil II
Teil III
Danksagung
Fußnoten
Biographien
Impressum

Die Befreiung der Melancholia Bishop


Sie spürte ihre Augen, die Augen all dieser Henker.

»Willkommen, junge Lady«, sagte Micky Wright, der erste Ansager von Chain-Gang All-Stars, das Kronjuwel im Unterhaltungsprogramm des Strafvollzugs. »Willst du uns nicht sagen, wie du heißt?« Seine hohen Stiefel standen im Gras des Schlachtfelds, das lang gestreckt und grün dalag, gestreift von kokainweißen Markierungsstreifen wie ein auseinanderlaufendes Footballfeld. Es war das Superbowl-Wochenende, eine Tatsache, die Wright zwischen den Spielen des Abends vertraglich festgelegt jedes Mal erwähnen musste.

»Sie wissen, wie ich heiße.«

Sie bemerkte ihre eigene Festigkeit und empfand eine dunkle Liebe zu sich selbst. Seltsam. Sie hatte sich so lange für bemitleidenswert gehalten. Aber der Menge schien ihre Kühnheit zu gefallen. Sie jubelte, auch wenn ihre Unterstützung von brutaler Ironie gesäumt war. Sie blickten herunter auf diese schwarze Frau, gekleidet im grauen Overall der Inhaftierten. Sie war groß und kräftig, und sie blickten herab auf sie und die straffen Flechten aus schwarzem Haar auf ihrem Kopf. Sie blickten genüsslich herab. Sie würde sterben. Daran glaubten sie, wie sie an die Sonne und den Mond und die Luft glaubten, die sie atmeten.

»Kampflustig«, sagte Wright und grinste. »So sollten wir dich vielleicht nennen – Little Miss Kampflustig.«

»Ich heiße Loretta Thurwar«, sagte sie. Sie sah die Leute um sie herum an. Es waren so viele, so viele Wellen von Menschen, die niemals Gegenstand einer so grausamen Aufmerksamkeit sein würden. Die nie wissen würden, wie man sich dabei fühlte – winzig und mächtig zugleich. Wie das Vibrieren von Tausenden so laut, so beständig sein konnte, dass es aus den Ohren verschwand, aber weiterdröhnte, als spürte man es im Körper. Thurwar umklammerte die Waffe, die man ihr gegeben hatte: einen dünnen, spiraligen Korkenzieher mit Kirschholzgriff. Leicht und einfach und schwach.

»Dann also nicht Little Miss Kampflustig?« Wright ging in einem weiten Kreis um sie herum.

»Nein.«

»Das ist wahrscheinlich besser so, Loretta.« Er ging auf seine Box zu. »Ich kann es sowieso nicht leiden, gute Namen zu verschwenden.« Er lachte, und die Menge war sein Echo. »Na, Loretta Thurwar« – er schleuderte ihr seine spielerische Herablassung förmlich entgegen, zerhackte ihren Vornamen in drei harte Silben und verfiel bei ihrem Nachnamen in einen kindlichen Singsang –, »willkommen auf dem Schlachtfeld, Baby.«

Ein elektrisches Husten erfüllte die Luft, und Thurwar wurde so wild hinabgezogen, dass sie einen Moment lang fürchtete, ihre Schulter sei ausgekugelt worden. Sie kniete da und wusste nicht, was sie tun sollte; also fing sie an zu lachen. Ein leises Glucksen zunächst, das zu einem tiefen Gelächter wurde. Das Gefühl der Blockade, das von den magnetischen Implantaten in ihren Armen kam, war wie eine sanfte Massage unter der Haut. Sie konnte mühelos mit den Fingern wackeln, aber ihre Handgelenke klebten an der Plattform. So lächerlich, das alles. Sie lachte, bis sie atemlos war, und dann lachte sie noch ein bisschen.

Die Glocken fingen an zu läuten.

Wright kreischte in die Höhe: »Bitte erheben Sie sich für Ihre Majestät!« Den Rest des Weges zu seiner Ansagerbox legte er rennend zurück.

Die Menge stand auf. Sie hielten sich still und aufrecht. Für sie.

Sie betrat das Fake-Football-Feld. Eine Aluminiumlegierung auf ihren Armen. Zöpfe, die bis in den Nacken reichten. Nackte Schultern, tätowiert mit dem WholeMarket™-Logo. Eine Reihe von Stäben ragte aus ihrem Brustpanzer und umgab ihren muskulösen Bauch wie ein eleganter Käfig. Eine maßgefertigte Kreation. Thurwar hatte zugeschaut, ja, gejubelt, als sie zum ersten Mal gesehen hatte, dass die Metallteile, die sie zunächst für eine bloße Schutzvorrichtung gehalten hatte, mehr waren als das. Sie hatte zugeschaut, dicht an dicht vor dem Videostream mit den anderen in ihrem Zellentrakt, als die Frau zwei der Stangen aus ihrem Panzer zog und sie in Slingshot Bobs Augen bohrte.

Und jetzt sah Thurwar sie aus der Nähe. Dies war Melancholia Bishops letzter Kampf. Bishop hatte es geschafft. Sie hatte getan, was noch keine Frau vor ihr getan hatte, und drei Jahre auf dem Circuit überlebt. Drei Jahre hatte sie ihren Hammer, Hass Omaha, niederfahren lassen und ihre Keule, Vega, geschwungen. Drei Jahre Seelen besiegt.

»Die King Countys eigene Königin der Verdammten ertränkt hat!«

Sie hatte nichts in den Händen außer ihrem Helm. Melodys Helm. Im Kreuzritterstil, aus Blech, mit einem goldenen Kreuz in der Mitte.

»Die Vernichterin, die Böse Bitch, die Sängerin des Todes selbst!«

Die siebte Glocke läutete, die Leute schrien. Seit Jahren war dies ihr heiliges Ritual. Die sieben Glocken der Melancholia Bishop. Sie hatten gesehen, wie sie Abschaum von der Erde fegte. Sie hatten gesehen, wie sie Männer und Frauen tötete, die sie angeblich einmal geliebt hatten. Jetzt stand sie da und schaute ein letztes Mal zu ihnen hinaus. Bald würde sie frei sein.

Melancholia.

Melancholia.

Melancholia.

Rhythmisch sang die Menge. Ihre braunen Augen wanderten über die Tribünen. Dann hob sie den Helm über den Kopf. Sobald sie ihn aufsetzte, war sie zu Hause.

Melancholia.

Melancholia.

Melancholia.

»Zum allerletzten Mal«, jubelte Wright, »helfen Sie mir, die gewinnendste Frau zu begrüßen, die jemals einen Fuß auf das Schlachtfeld gesetzt hat. Die Meisterin der Mordballade. Das Heilige Herz. Die Kreuzritterin. Die Härteste, die der Planet je gesehen hat. Eure allereigenste Melody ›Melancholia Bishop‹ Price!«

Eure allereigenste, dachte Thurwar, fassungslos angesichts der Wucht der Liebe, die aus dem Publikum explodierte. Sie liebten sie so sehr, und dennoch, trotz allem, gehörte diese Frau niemandem unter ihnen. Sie hatte eine Aura, die daran keinen Zweifel ließ. Sie genügte, um Thurwars Blick zu Boden zu zwingen. Als wäre die Frau vor ihr tatsächlich von königlichem Adel.

Thurwar sah zu, gebeugt auf ihrem Hügel, eine unfassbare Macht vor sich. Den Hammer und die Keule. Auf der einen Seite des Feldes eine Ritterin in ihrer Rüstung. Auf der anderen Seite Thurwar in ihrem Overall, der Korkenzieher glitschig in ihrer feuchten Hand.

Bishop!

Bishop!

»Irgendwelche letzten Worte für uns, Melancholia?«, fragte Wright.

»Was gibt es noch zu sagen?« Ihre Worte hallten metallisch, aber vertraut in dem Helm, als sie die Massen ansprach. »Ich bin noch da, wo ich angefangen habe.«

Die Menge johlte wie wild.

»Als ich herkam, hatte ich zwei M auf dem Rücken. Zwei Morde. Wenn ich gehe, habe ich immer noch nur zwei. Aber ich musste so viel mehr Leute töten, um hierherzukommen.«

»Das ist sehr wahr. Du hast so viele zerhackt«, rief Wright. »Aber gibt es welche unter ihnen, die herausragen? So viele Highlights. Und du hast mehr als nur deinen gerechten Anteil an Zweifeln überwunden. Wenn du hier von diesem Gipfel aus zurückschaust – was macht dich am stolzesten?«

»Stolz?« Ein Gesicht aus Metall hob sich zum Himmel. Ihre Schultern zuckten, und sie lachte. Die Menge lachte verlegen mit. Kicherte, weil sie ihre Königin war. Als das Gelächter ausgelassener wurde, verstummte Melancholia. Einen Moment lang schien die Menge nicht zu wissen, was sie jetzt tun sollte.

»Einschluss!«, schrie Wright. Wieder ertönte ein machtvolles Signal, und diesmal schloss es Melancholia Bishop an die Plattform unter ihr. Die HMC1, in die sie gesprochen hatte, flog hoch und hinter sie. Die Menge schrie leise auf. Sie zwangszublockieren, zum Schweigen zu bringen, am Tag ihrer Freilassung. Unfassbar. Eine plötzliche Zwangsblockade verhängte man über die Verachtenswerten, die Uneingeweihten, die Widerspenstigen, die Ängstlichen. Und so richteten sie die Nasen in die Höhe und senkten sie ebenso schnell wieder, um die Geschichte zu verfolgen, die sich da entfaltete: die Befreiung der Melancholia Bishop.

»Zum Deathmatch!«, schrie Wright.

Der laute, hohle Klang des Aufschlusses hallte durch die Arena. Die Frauen wurden aufeinander losgelassen.

Thurwar stand auf und rannte, rannte geradewegs auf die unzerstörbare Frau vor ihr zu. Als sie so nah war, dass es darauf ankam, sprang sie in die Höhe, ballte die Faust um den Korkenzieher und holte aus. Kreischend stieß sie hinab. Ins Genick, ins Genick. Ihr Körper sagte, ins Genick.

Melancholia packte sie beim Handgelenk und verwandelte ihre Wucht in nichts, und dann schlug sie ihr in den Bauch.

Melancholia.

Die Leute schrien im Takt der Bassdrums. Immer wieder hatten sie gesehen, wie sie »schnappte und schmetterte«, hatten gesehen, wie sie Hass Omaha oder Vega fallen ließ, ihre Gegnerin mit einer Hand auffing und ihr mit der Waffe, die sie noch in der anderen Hand hielt, den tödlichen Schlag versetzte. Aber jetzt hielt sie dieses Nichts beim Handgelenk und schlug mit der bloßen Faust zu. Ein Schlag, den jeder überleben konnte. Sie spielte mit ihrer Beute. Die Massen lachten und johlten und schrien. Eine Entertainerin bis zum Schluss.

»Dein Schlag soll durchgehen, nicht landen«, sagte Melancholia. Das konnten die Leute nicht hören. In ihrem Helm, ohne umherschwirrende HMCs – die konnten beim Kampf ablenken oder beeinflussen –, waren die beiden Frauen allein mit ihren Worten.

Melancholia schlug Thurwar noch einmal und warf sie ins Gras.

Thurwar wusste, sie war verschont worden. Sie wusste...

Erscheint lt. Verlag 5.3.2024
Übersetzer Rainer Schmidt
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Afroamerikanische Literatur • Dystopie • Gefangenschaft • Gefängnis • Gesellschaftskritik • Gewalt • gladiatorinnen • Lesbische Liebe • LGBTQ • Medien • Nana Kwame Adjei-Brenyah • Polizeigewalt • Privatgefängnis • Rassismus • Reality TV • Science Fiction • Shortlist National Book Award • Streaming
ISBN-10 3-455-01707-X / 345501707X
ISBN-13 978-3-455-01707-6 / 9783455017076
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