Der ehrliche Finder (eBook)

Roman

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
128 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491870-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der ehrliche Finder -  Lize Spit
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Vom Glück, einen echten Freund zu haben, von Kindheit, Hoffnung und Verzweiflung - eine Geschichte aus dem Herz unserer Gegenwart. Seit er vor einem Jahr in Bovenmeer angekommen ist, sitzt Tristan in der Schule neben Jimmy, der klüger und einsamer ist als alle anderen und es sich zur Aufgabe macht, Tristan Ibrahimi durch das Schuljahr zu begleiten. Denn der hat nicht nur einen Krieg erlebt und eine Flucht durch ganz Europa, sondern auch das, wonach Jimmy sich am meisten sehnt: eine intakte, große Familie, die Halt und Geborgenheit bietet. Gemeinsam bauen sie sich ihre eigene Welt voller gegenseitiger Bewunderung und bedingungsloser Hingabe, geheimer Orte und einer Sprache, die beide verstehen. Bis jemand eine Entscheidung trifft, die nicht nur ihre Welt zum Einstürzen zu bringen droht, und ein Plan geschmiedet wird, der Jimmy und Tristan alles abverlangt. »?Der ehrliche Finder? ist ein literarisches Juwel, das die beste Werbung für die Kraft von Literatur ist.« Het Nieuwsblad »Lize Spit ist eine Meisterin im Aufbau von Spannung.« Trouw

Lize Spit wurde 1988 geboren, wuchs in einem kleinen Dorf in Flandern auf und lebt heute in Brüssel. Sie schreibt Romane, Drehbücher und Kurzgeschichten. Ihr erster Roman »Und es schmilzt« stand nach Erscheinen ein Jahr lang auf Platz 1 der belgischen Bestsellerliste, gewann zahlreiche Literaturpreise und wurde in 15 Sprachen übersetzt. Auch ihr zweiter Roman, »Ich bin nicht da«, war ein großer Erfolg. Mit ihrem dritten Roman, »Der ehrliche Finder«, hat sie ein ganzes Land aufgewühlt.

Lize Spit wurde 1988 geboren, wuchs in einem kleinen Dorf in Flandern auf und lebt heute in Brüssel. Sie schreibt Romane, Drehbücher und Kurzgeschichten. Ihr erster Roman »Und es schmilzt« stand nach Erscheinen ein Jahr lang auf Platz 1 der belgischen Bestsellerliste, gewann zahlreiche Literaturpreise und wurde in 15 Sprachen übersetzt. Auch ihr zweiter Roman, »Ich bin nicht da«, war ein großer Erfolg. Mit ihrem dritten Roman, »Der ehrliche Finder«, hat sie ein ganzes Land aufgewühlt. Helga van Beuningen ist die Übersetzerin von Margriet de Moor, A. F. Th. van der Heijden, Marcel Möring, Cees Nooteboom u.a. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Martinus-Nijhoff-Preis, dem Helmut-M.-Braem-Preis und dem Else-Otten-Preis. 2021 wurde ihr der Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW verliehen.

[...] frei von Klischees und menschlich mitfühlend erzählt von Lize Spit.

Eine kitschfreie Geschichte über die Sehnsucht nach Freundschaft und Zuverlässigkeit

Wie unerträglich weit aber verzweifelte Freundschaft und Verzweiflung gehen kann, das kann niemand so gut erzählen [...].

[...] eine kraftvolle Geschichte über Flucht, Entwurzelung, Geborgenheit und das grenzenlose, aber fragile Glück der Zugehörigkeit.

Das ideale Buch, um in das Werk von Lize Spit und in die niederländisch-flämische Literatur einzusteigen

Weil sie ganz aus der kindlichen Perspektive erzählt, gelingt es Lize Spit, diesen eigentlich sehr ernsten Ereignishintergrund [...] in etwas Heiteres, Leichtes zu verwandeln.

[...] ein großartiges Stück Literatur [...].

[...] Lize Spit erzählt so spannend [...].

Sie beschreibt dicht und atmosphärisch [...].

[...] eine kleine, feine Trouvaille.

[...] zeigt in aller Kürze, worin die Kunst von Lize Spit besteht.

Ein schmales Juwel über Flucht und Freundschaft, Trauma, und die Sehnsucht, dazuzugehören.

[...] erzählt konzentriert eine anrührende und auch sehr dramatische Geschichte [...].

Lize Spit findet den richtigen Ton.

ein bewegender Roman über Einsamkeit, Freundschaft und auch über deren Grenzen […] Lize Spit ist eine großartige Erzählerin und hat einen ebenso großartigen Roman geschrieben.

II


Jimmy stellte sein Mountainbike in der Einfahrt ab, beim Brunnen, neben einer Reihe vor sich hin rostender Fahrräder, Buggys und dem Gokart mit den platten Reifen. Geschenke der Nachbarn, überbracht, als sich die Nachricht, die Ibrahimis hätten in ihrer Heimat alles zurücklassen müssen, im Dorf verbreitet hatte. Der Recyclinghof der Gemeinde musste vor eineinhalb Jahren am Rückgang des abgelieferten Sperrmülls gemerkt haben, dass die Leute ihre zum Ausmustern bestimmten Sachen – Matratzen, Elektrogeräte, Bettwäsche, Spielzeug, Bücher, Instrumente, Trampoline, Babysachen, Werkzeug – lieber den Ibrahimis schenkten. Die Nachbarn nebenan, die gesehen hatten, wie sich in dem Vorgarten neben dem ihrigen ein Übermaß an Gaben aufgetürmt hatte, waren zu Hilfe geeilt, um alles in die richtigen Bahnen zu lenken. Sie hatten eine Liste mit den Dingen ausgehängt, die benötigt wurden, und als so gut wie jeder Posten abgehakt war, hatten sie im Namen der Kosovaren ein Schild im Garten aufgestellt:

Wir haben alles, was wir brauchen, aber trotzdem vielen Dank an alle!

gefolgt von einer eigens angelegten Kontonummer, denn Geld hatte man mit acht Kindern nie genug. Auf dieses Schild hatte niemand etwas Unfreundliches geschrieben.

Trotzdem wurden noch jede Woche Möbel, Säcke mit Bettwäsche und Kartons voller Spielzeug von Leuten deponiert, die von nah und fern gekommen waren und in dem Wunsch, eine gute Tat zu vollbringen, nicht willens waren, ihre Opfergaben wieder mit zurückzunehmen.

Jimmy ging schnurstracks zur Hintertür, vorbei an den Nebengebäuden. Die gehörten alle Kurt, der Miete vom Sozialamt erhielt, solange er das Wohnhaus auf diesem Grundstück der Familie zur Verfügung stellte. Die dahinterliegenden Schuppen benutzte er für sich selbst als Lagerräume und für seinen Gebrauchtwagenhandel. Onkel Kurt (Tristan nannte alle Nachbarn, die ihm halfen, Onkel oder Tante) war schäbig gekleidet und hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Wile E. Coyote auf Flippo 204, fünf Punkte. Aus der Art und Weise, wie Jimmy von Kurt behandelt wurde, leitete er mit ziemlich großer Sicherheit ab, dass sein Vater Kurt noch Geld schuldete. Manchmal, wenn Jimmy auf das Grundstück kam und Kurt am Rande mit Kunden irgendetwas auskungeln sah, machte er sich rasch aus dem Staub aus Angst, Kurt würde auch ihn verhökern, um seinen Verlust zu reduzieren.

Jimmy öffnete das Tor von Klein-Kosovo, wie die Scheune im Dorf genannt wurde.

»Triiis-tan?«

Klein-Kosovo maß von vorn nach hinten etwas mehr als hundert große Schritte, von links nach rechts waren es dreißig. Der Raum hatte einst als Kuhstall gedient, was man noch an den gemauerten Futtertrögen erkennen konnte. Jetzt waren diese dreitausend Quadratmeter mit Sachen vollgestopft, mit denen Kurt ebenfalls handelte: Hochzeitskleider und Anzüge, Djembés und Didgeridoos, Utensilien für Großküchen, demontierte Toilettenschüsseln, Partien abgeschriebenen Bürobedarfs, Stapel Judomatten, alte Registrierkassen, Bowlingbälle und Kegel, ein Billardtisch mit zerrissenem Tuch, kleine Karussellwagen, Jahrmarktspistolen, kartonweise intakte Kreidestifte, ausgestopfte Tiere, Mopeds, eine Meeresboje, Skiausrüstungen, Bahnhofsuhren, eine Schwimmbeckenleiter, Spielautomaten, eine Bierzapfanlage und Kartons voller Kneipenausstattungsgegenstände, ein Sarg, abgeschriebenes chirurgisches Operationsmaterial, meterhohe Stapel Altpapier. Wer diese Scheune betrat, brauchte sich kein Spiel mehr auszudenken. Hier waren er und Tristan Könige gewesen, Bestattungsunternehmer, Jahrmarktsschausteller, Piloten, Barmänner, Journalisten, fünffache Olympiasieger, hier hatten sie Leiche gespielt, waren auf dem Rücken eines Wildschweins geritten, hatten mit Spielzeugpistolen auf Mücken geschossen und lebensrettende Operationen an überreifem Gemüse vorgenommen.

»Tristan?« Jimmy imitierte einen Eulenschrei zum Zeichen, dass die Luft rein war. An einem Tag wie diesem, an dem Pläne geschmiedet werden mussten, gab es keinen anderen Ort, an dem Tristan zu sein hatte. Doch auf Jimmys Lockruf kam keine Antwort.

Das Wohnhaus hatte zwar vorn eine Tür mit Klingel, doch die benutzte niemand. Sogar der Postbote ging hintenrum, tagsüber war die Terrassentür immer weit geöffnet. Auf dem Flur zur Küche standen gut dreißig Paar Schuhe sämtlicher Größen und Sorten aufgereiht – damit schreckten sie garantiert jeden Dieb ab.

Jimmys Blick fiel auf das braune Paar mit der grünen Naht rings um die Sohle, das Tristans Vater als Reinschlüpfschuhe trug und das Jimmys Vater gehört hatte. Seine Mutter hatte sämtliche Kleidung, die sein Vater zurückgelassen hatte, in den Container der Kleiderhilfe getan, und obwohl diese Säcke zu einem Sortierzentrum in Lier gebracht und von dort in der ganzen Gegend verteilt wurden, waren ein paar der Sachen von Jimmys Vater letztendlich doch hier gelandet. Jimmys Vater war immer achtsam mit seinen Schuhen gewesen, er war nie hineingeschlüpft, ohne die Schnürsenkel zu lösen. Jedes Mal, wenn Jimmy die Schuhe hier mit den heruntergetretenen Hacken sah, richtete er die Ränder wieder ordentlich auf.

Lavdi, die in der Küche stand, begrüßte Jimmy bei seinem Eintreten so leise, dass er nicht verstand, ob sie Niederländisch sprach oder Albanisch. Immer hatte sie etwas zu tun. Sie knetete Brot oder machte Käse oder legte letzte Hand an Gerichte, die Jimmy aus Höflichkeit probierte, wenn sie ihm angeboten wurden. Ihre Spezialität war Gulasch mit Fleisch und Kartoffeln oder pasulj, ein Bohnenpüree – Gerichte, die er lieber aussprechen als essen mochte.

Von allen Geschwistern kannte er Lavdi am wenigsten gut. Sie war selten bei seinem Unterricht dabei und beteiligte sich nie an den Sprachspielen, und das war schade, denn sie hatte schon Brüste, ziemlich große sogar. Sie bewegten sich in dem Rhythmus, in dem sie Brot knetete, die ersten Brüste in Jimmys Leben, die er interessiert betrachtete und auch gern mal anfassen würde, um herauszubekommen, ob die Jungs aus der Sechsten es ernst meinten, wenn sie behaupteten, eine Brust sei schwer zu unterscheiden von einem mit Backmehl gefüllten Ballon.

Auf dem Feuer standen die Reste des Mittagessens, eine Pfanne mit dunklem, fasrigem Fleisch unter einer erstarrten gelblichen Fettschicht.

»Hallo«, sagte Jimmy von der geöffneten Wohnzimmertür her. Die Jalousien waren zur Hälfte heruntergelassen, seine Pupillen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. So freigebig das ganze Dorf auch gewesen war, das Mobiliar war altmodisch und dunkel. Schwere Möbel, die dastanden, als würden sie einen gleich bestrafen.

Die Stimmung im Zimmer war düsterer und ernster als sonst. Am Tisch saßen neben Tristan, Jetmira und ihrem Vater auch zwei große Männer mit einem Becher Pulverkaffee vor sich. Es waren die beiden Albaner mit den großen Schnauzbärten, die öfter vorbeikamen und schon vor Jahren mit ihren jeweiligen Familien nach Antwerpen gezogen waren. Sie informierten die Ibrahimis über politische Entwicklungen, halfen beim Papierkram im Zusammenhang mit dem Asylantrag und brachten Neuigkeiten aus der Heimat. Der eine war sogar in die Schweiz gefahren, um Kontakt zu Tristans Tante aufzunehmen, die dorthin geflohen war.

Im Sessel am Fenster saß Tristans Mutter und stillte. An ihrer einen Brust hing Paola, an der anderen nuckelte Defrim, der ungefähr fünf sein musste. Sie hatte einen dicken Bauch und Brüste, die Jimmy, wie er jetzt schon wusste, nicht mitzählen würde, wenn ihn jemals auf dem Schulhof jemand fragen sollte, wie viele Brüste er schon in echt gesehen hatte. Sie reichten ihr bis zur Taille, und ihre Brustwarzen, die wie Deckel aussahen, hatten die gleiche fahlbraune Farbe wie das Kunstleder des Sessels.

Tristan winkte ihm. Jimmy nahm seinen Rucksack ab und setzte sich, das Ding auf dem Schoß, mit an den Tisch. Lavdi kam herbeigeeilt und stellte ein großes Glas vor ihn, das sie mit River Cola füllte. Das Gespräch am Tisch ging erst weiter, nachdem er einen Schluck genommen hatte.

Jimmy hasste es, wenn Besuch da war. Dann verlor Tristan sein Interesse an ihm, und ihm blieb nichts anderes übrig als zu warten, bis Tristan wieder Augen für ihn hatte. Auch heute verstand Jimmy kein Wort von dem, was gesagt wurde, aber er drehte trotzdem den Kopf in die Richtung desjenigen, der gerade sprach, als verfolge er einen Ball, der hin und her geworfen wurde, ohne dass jemand auch ihn mal anspielte. Tristan machte dann und wann eine Bemerkung in seiner Muttersprache, die von allen ignoriert wurde.

In der Mitte des Tisches lag der offizielle Ausweisungsbescheid. Er wurde mit nervösen, argwöhnischen Blicken betrachtet, als könnte er jeden Moment explodieren. Jimmy versuchte, den Text zu lesen. In der linken oberen Ecke stand »Königreich Belgien« und »Ausländerbehörde«.

Er saß gegenüber von Tristan und konnte es nicht lassen, ihn genau anzuschauen, die kleinen Schorfstellen an seinen Händen, die schneeweißen Zähne, die Sprossen auf seiner Haut, die fahl war wie auf einem unterbelichteten Foto, die ovalen Nasenlöcher, die ein wenig gebläht waren, die Härchen darin, an denen Bröckchen klebten, die braunen Augen unter den breiten Brauen. Er prägte sich sämtliche Einzelheiten ein, wie er es beim Gedächtnistraining in der Schule tat, wenn die Lehrerin ein Bild zeigte, das man aus dem Kopf so detailliert wie möglich nachzeichnen musste. Alles konnte man sich nie merken, es kam darauf an, sich auf die richtigen Einzelheiten zu konzentrieren.

Tristan bewegte sich anders als sonst. Das hatte Jimmy schon öfter gesehen: Wenn Tristan...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2024
Übersetzer Helga van Beuningen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 90er Jahre Nostalgie • Abenteuer für Jungs • Anspruchsvolle Literatur • aufwachsen auf dem Land • Buch über Kriegsflüchtling Erlebnisse • De eerlijke vinder • Ein Buch von S. Fischer • Erwachsenwerden • Flippos • freischwimmer • Freunde in Not • freundschaftsbuch schule • Freundschaftsgeschichte für Jungen • gegenwärtiger Coming-of-Age-Roman • Jungsroman • Kindliche Perspektive • König Albert • Kosovokrieg Flucht • Leila Slimani • Leipziger Buchmesse 2024 Gastland • Niderländische Literatur • Niederländische Literatur • Pokemon Karten • Sammelkarten • Sammelleidenschaft • Sammeln Karten • Schwimmenlernen • tschick
ISBN-10 3-10-491870-8 / 3104918708
ISBN-13 978-3-10-491870-9 / 9783104918709
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