Das Land, das ich dir zeigen will (eBook)

Roman

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-30226-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Land, das ich dir zeigen will -  Sara Klatt
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Eine junge Frau auf den Spuren ihres Großvaters - eine Suche nach dem, was Verbundenheit wirklich bedeutet
»Das Israel meines Großvaters von 1948 ist ein anderes, als das meines Vaters von 1961. Es ist wieder ein anderes, als das Israel meiner Kindheit oder das meiner Jugend und es ist ein anderes Israel, als das von heute.«

Israel - das Land, das sie als Kind oft besuchte, da ein Teil ihrer Familie hier vor Jahrzehnten Zuflucht fand. Es ist das Land der Menschen, die S. durch Erzählungen ihres Großvaters kennenlernte, und gleichzeitig der Menschen, denen sie heute beim Trampen zwischen Tel Aviv und Jerusalem begegnet. Früher, da gab es den Untergrundkämpfer Jitzchak, der Tomaten in der Wu?ste u?berleben lassen konnte. Es gab Eva und Zwi Goldberg, die ihre Sehnsucht nach der alten Heimat mit deutschen Rosen zu besänftigen versuchten. Heute ist da Mohammad, der in einem Techno-Club auflegt und nicht über seine jüdische Exfreundin hinwegkommt. Es gibt den Siedler Rafi und den Beduinen Abdallah, die wie Zwillingsbrüder aussehen, aber keine sind. Und es gibt den Cafébesitzer Lior, der davon träumt, mit seiner Tochter einen Roadtrip in einem himmelblauen VW-Bus zu machen. Und während S. immer mehr über das Leben dieser Menschen lernt, eröffnet sich ihr Stück für Stück die eigene Geschichte, die ihres Vaters, ihres Großvaters - und ihr eigener Platz in diesem Land.

Sara Klatt zeigt uns ein Land, so vielschichtig wie seine Bewohner, und nimmt uns mit auf eine außergewöhnliche Reise durch das heutige und das vergangene Israel. Ein Land voller Lebendigkeit. Aber auch ein Land zwischen Traum und Trauma.

»Ein famoser Erstling. Klar, ehrlich, spannend. Wir wollen noch mehr von Sara Klatt lesen.« Rafael Seligmann

»Dieses Buch macht einen fertig! Sara Klatt entfaltet ihre Geschichte erst sanft, dann durchdringend, und verwebt Vergangenheit und Gegenwart zu einem bildgewaltigen und sprachlich herausragenden Roman. Große Leseempfehlung!« Joana Osman


Sara Klatt, 1990 geboren, ist in Hamburg aufgewachsen. Sie ist Enkelin eines nach Israel ausgewanderten Berliner Juden, ihr Vater flüchtete 1944 aus Königsberg. Im Alter von 21 zog sie erstmals für ein Jahr nach Tel Aviv und kehrte später immer wieder für längere Aufenthalte und zahlreiche fotografische Projekte zurück. In Hannover studierte sie Fotojournalismus & Dokumentarfotografie, in Potsdam und Haifa Jüdische Studien. Sie fotografierte in Jerusalem für eine israelische Presseagentur und betreute zuletzt ein Netzwerk für deutschsprachige Shoah-Überlebende aus Tel Aviv. Sara Klatt lebt in Berlin. »Das Land, das ich dir zeigen will« ist ihr erster Roman.

Kapitel 1 –
Straßenkämpfe


»Nach ihrem Unfall wird S. für den Rest ihres Lebens körperbehindert bleiben. Unabhängig von ihrer schweren Verletzung macht S. auch sonst einen eher kränklichen Eindruck. Sie ist sehr blass, dünn und ganz sicher nicht besonders widerstandsfähig.

S. lebt mit zahlreichen anderen Familienmitgliedern auf etwa 20 qm. Zwei Zimmer, Küche, Bad, Korridor.

Alle Personen über fünfzehn rauchen, auch die Schwangeren.

In der drangvollen Enge stehen drei Farbfernseher, davon ist mindestens einer ständig in Betrieb. Weiterhin befinden sich in der Wohnung etwa zehn Radiorekorder und Kassettengeräte. Müll jeglicher Art landet im Treppenhaus. Kinder laufen bereits im April barfuß durch derart verschmutzte Treppenhäuser. Die menschliche Atmosphäre in der Wohnung ist eigentlich nicht unangenehm, auf jeden Fall aber gastfreundlich. Stets wurde mir eine Tasse Tee und frisch gebackenes Brot angeboten.«

Vaters Bericht aus dem Romalager, 1987

Es regnet auf meinen ausgestreckten Arm.

Ich stehe auf einem israelischen Autobahnzubringer am Jerusalemer Stadtausgang und versuche, ein Auto anzuhalten.

Ich habe es selbst so gewollt.

Der Regen ist nicht sehr stark, aber beständig, und je mehr von ihm auf mich herabfällt, desto schwerer und langsamer werden meine Gedanken.

Wenn ich den Arm noch etwas höher halte, sieht es aus wie ein Hitlergruß. Da muss ich aufpassen.

Der Wind reißt an mir, doch mein Haar ist nass und klamm, sodass er nichts damit ausrichten kann. Er lässt dennoch nicht davon ab, und ich lege meinen schwarzen Schal darüber, ich will ihm nicht schutzlos ausgeliefert sein.

Mit nassen Haaren kann ich nicht nachdenken.

Wie ein Hijab bedeckt der Schal Kopf und Hals, er gibt meinen Gedanken eine schützende Hülle.

Neben mir ist eine Tankstelle, in der noch Tankwarte arbeiten. In ihren blauen Anzügen sind sie damit beschäftigt, Reifendruck zu prüfen, Autos zu betanken und Windschutzscheiben zu putzen.

Auf eine Art sind sie wie ich. Antiquiert stehen sie herum, wie aus der Zeit gefallen, und eigentlich schert sich niemand wirklich darum, ob sie da sind oder nicht.

Sie arbeiten stumm und beschweren sich nie. Ich kenne sie und sie kennen mich, und sie nicken mir jedes Mal zu, sobald ich an der Straße Position beziehe.

Ich habe schon oft hier gestanden.

Ich bin per Anhalter auf dem Weg nach Tel Aviv, bisher habe ich kein Glück.

Aber ich habe Zeit, um nachzudenken. Es gibt gerade nichts weiter zu tun.

Die Gedanken drehen sich im Kreis, der Hijab-Regenschal lässt sie nicht mehr aus meinem Kopf.

Ob der Koran Frauen verbieten würde, per Anhalter zu fahren?

Wie die Leute wohl auf eine Hijab tragende Muslima an der Straße reagieren würden?

Orthodoxe Juden trampen, auch orthodoxe Jüdinnen.

Ich bin nichts von alledem. Ich habe niemand, der mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe.

Niemand, der sich darum schert, dass ich hier stehe.

Tramper, und Leute, die Tramper mitnehmen, sind ohnehin selten geworden.

Ein cremefarbenes Auto mit einer Beule in der Seite hält an, etwa fünfzehn Meter von mir entfernt. Im Laufschritt nähere ich mich dem bremsenden Wagen.

Als er zum Stehen gekommen ist, versucht der Fahrer mit ausgestrecktem Arm, das Fenster auf meiner Seite zu öffnen. Es gelingt ihm nicht. Kurzerhand öffne ich die Beifahrertür und will meinen Kopf ins Innere des Wagens stecken. Sofort fällt mir ein riesiger Pappkarton vor die Füße, einen darauf liegenden schweren Ordner kann ich gerade noch auffangen.

Der Fahrer grinst mich entschuldigend an.

Er ist um die vierzig, hat dunkles Haar und trägt ein Polohemd. Aus dem Lautsprecher dröhnt Zohar Argov und am Rückspiegel hängt ein Lufterfrischer in Form einer Israelflagge.

»Sorry, hier ist Balagan, totales Chaos«, sagt er, während er auf den Rücksitz deutet. Weitere Kartons stapeln sich dort bis zur Wagendecke.

Mir ist unklar, wie ich in diesem Auto Platz finden soll.

»Ich muss nach Tel Aviv«, sage ich auf Hebräisch. »Fährst du dorthin?«

»Nein, Motek.« Er lacht kurz auf. »Viel zu weit. Es ist doch schon Abend, da fährt niemand mehr von Jerusalem nach Tel Aviv.«

»Wohin fährst du denn?«

»Mevaseret Zion. Willst du mit?«

Ich schüttle den Kopf.

»Bist du sicher?«, fragt er mit geheuchelt besorgter Stimme. »Es regnet.«

Das ist offensichtlich, denke ich.

»Ich bin aus Deutschland, ich bin an Regen gewöhnt.«

Ich versuche, ein Lächeln auf mein nasses Gesicht zu zaubern. Dann wünsche ich guten Abend und gute Fahrt und schließe die Autotür.

»Berlin?«, höre ich noch, bevor sie ins Schloss fällt. Ich schüttle den Kopf, drehe mich um und gehe die fünfzehn Meter zurück zu meinem ursprünglichen Platz. Dann richte ich meinen Arm wieder in Richtung Straße.

Im Nahen Osten streckt man beim Trampen den Daumen nicht nach oben wie in Europa. Man zeigt mit dem Zeigefinger auf die Straße. Mein Vater brachte mir das bei.

Er brachte mir auch bei, wie man »Baumwolle« oder »Sonnenhut« auf Hebräisch sagt. Wenn heute einer neben mir steht und »Baumwolle« oder »Sonnenhut« sagt, dann denke ich daran, wie mein Vater es sagte.

In unseren gemeinsamen Sommern in Israel lernte ich auch das Wort hitchhiking kennen.

»Ein wichtiges Wort«, sagte er. »Musst du dir merken.«

Wenn ich an das Israel meiner Kindheit denke, ist da dieses Wort, zusammen mit meinem Vater auf der Straße. Zu Hause in Hamburg blieb in mir nach jeder Rückkehr aus Israel das unbestimmte Gefühl von Heimweh. Dann träumte ich mich zurück in das Land, das nach Sonne roch und in dem mein Vater vierzig Jahre zuvor in fremde Autos gestiegen war.

»Wenn du die Menschen kennenlernen willst, dann musst du zu so vielen Fremden wie möglich ins Auto steigen«, sagte er. »Wenn du Israel verstehen willst, dann musst du das so machen.«

Er war nicht verrückt, mein Vater.

Ein Vater, der seine Tochter liebt und der sich um sie sorgt, der sagt ihr nicht so was, sagten andere Väter.

Mein Vater sagte es so. Und er liebte mich, jeden einzelnen Tag. Dreiundzwanzig Jahre lang.

Man kommt immer irgendwann irgendwo an, sagte er.

Wenn man die Zeit hat zu warten.

Ich habe Zeit zu warten.

Ich versuche mir einzureden, dass ich notfalls die ganze Nacht hier stehen und warten kann, bis mich jemand mitnimmt. Dass ich mich in meinem eigenen Körper ausruhen kann, von der langen Schicht in der Bar, von der durchtanzten Nacht im Club, von dem vielen Herumgelaufe an Shabbat, wenn in Jerusalem keine Busse fahren. Dass ich kein Bett zum Ruhen brauche und dass ich meinen Geist schlafen legen kann, wo auch immer ich gerade bin, während mein Körper wach bleibt. Der Geist ist müde, aber ich brauche nur meinen Körper und meine Augen, um aufrecht zu bleiben, um die fahrenden Autos zu verfolgen, die Lichter zu taxieren und zu reagieren, wenn eines vor mir zum Stehen kommt.

Ich brauche kein Heim, kein Bett, nicht all diesen Luxus-Tand, von dem die gewöhnlichen Großstadtmenschen denken, dass sie ihn brauchen, weil sie daran gewöhnt sind. Ich will meinen Geist überall schlafen legen können, auch auf der Autobahn.

Er fehlt mir, mein Vater.

Jetzt bin ich eine Fahrende, wie er. Ich bin frei. So frei, wie man nur sein kann.

»He!«, höre ich jemanden direkt hinter mir brüllen und bekomme einen Schreck.

Das cremefarbene Auto mit der Beule ist wieder da. Vielleicht war es auch nie fort, der Fahrer des Autos stört meine Gedanken. Offensichtlich war er nicht weitergefahren, sondern hatte die fünfzehn Meter zurückgesetzt, um abrupt vor mir anzuhalten.

»Ich hab’s mir überlegt«, brüllt er durch die geschlossene Autotür. »Ich fahre vielleicht doch noch ein bisschen weiter.«

»Ein bisschen hilft mir nicht, ich muss nach Tel Aviv«, rufe ich zurück und mache eine abwinkende Geste. Wieder versucht er, das Fenster zu öffnen, und wieder misslingt es. Er stößt einen lauten Fluch aus und deutet mir an, die Tür zu öffnen.

Unwillig öffne ich sie zum zweiten Mal, kicke mit dem Knie den Karton zurück auf den Beifahrersitz und fange routiniert den Ordner auf. »Kol hakavod«, sagt er und nickt anerkennend. »Nicht schlecht. Du bist also Deutsche?«, fragt er zusammenhangslos. »Weshalb sprichst du Iwrith? Ich dachte erst, du bist von hier.«

Ich lege den Ordner zurück auf den Pappkarton und schließe die Autotür bis auf einen Spalt, um die Auftürmung zu stabilisieren.

»Lange Geschichte«, sage ich und fasse die lange Geschichte zusammen. »Ich habe jetzt keine Zeit zum Quatschen, ich will hier trampen.«

Er blinzelt zweimal.

»Aber es regnet.«

Wahrscheinlich saß er die letzte halbe Stunde in seinem trockenen Auto und hielt nach irgendwas Ausschau, das er mitnehmen könnte. Jetzt geht er mir auf die Nerven.

»Du kannst hier nicht trampen, es ist viel zu spät«, bekräftigt er.

Ich schaue auf die Uhr. Es ist achtzehn Uhr dreißig.

»Es ist achtzehn Uhr dreißig«, sage ich. »Das klappt schon noch.« Von Jerusalem nach Tel Aviv ist es etwa eine Dreiviertelstunde Fahrt.

»Ausgeschlossen«, insistiert er überzeugt und schüttelt eindringlich den Kopf. »Außerdem ist Trampen in Israel gefährlich. Wegen der Araber«, fügt er...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • 2. Weltkrieg • eBooks • Familiengeschichte • Hebräisch • Identität • Israel • Judentum • Jüdisch • Neuerscheinung • NS-Vergangenheit • Roman • Romane • Trampen • Vergangenheitsbewältigung • Weltkrieg
ISBN-10 3-641-30226-9 / 3641302269
ISBN-13 978-3-641-30226-9 / 9783641302269
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