Bevor du gehst -  Anne Barns

Bevor du gehst (eBook)

Roman | Von Bestsellerautorin Anne Barns | Ein bewegender Roman über die Liebe zwischen Mutter und Tochter

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
192 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0726-7 (ISBN)
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Lässt sich verlorene Zeit wieder aufholen?
Seit ihrer Kindheit schenkt Julia ihrer Mutter Christine Gutscheine - zum Geburtstag, zum Muttertag, zu Weihnachten, eben zu allen Gelegenheiten. Doch eingelöst hat sie nur einen Teil davon. Als Christine unerwartet ins Krankenhaus muss, wird Julia schmerzlich bewusst, wie wenig sie sich die letzten Jahre gekümmert hat - und dass die Zeit mit ihrer Mutter begrenzt ist. Um sie jeden Tag besuchen zu können, zieht Julia vorübergehend in das Haus ihrer Kindheit. Beim Aufräumen findet sie die Gutscheine und nimmt sich vor, alle zu erfüllen, wenn die Mutter nur wieder gesund wird. Nach einer überstandenen OP spricht Christine plötzlich ein paar Worte Friesisch, obwohl sie die Sprache nie gelernt hat. Gemeinsam reisen sie nach Amrum. Dort erkennen beide, was wirklich wichtig ist im Leben.



Anne Barns ist ein Pseudonym der Autorin Andrea Russo. Sie hat vor einigen Jahren ihren Beruf als Lehrerin aufgegeben, um sich ganz auf ihre Bücher konzentrieren zu können. Sie liebt Lesen, Kuchen und das Meer. Zum Schreiben zieht sie sich am liebsten auf eine Insel zurück, wenn möglich in die Nähe einer guten Bäckerei.

3.


Alexander goss Kaffee in die Thermosflasche, die wir uns für längere Autofahrten zugelegt hatten. Im Hintergrund spielte Klaviermusik, Comptine d’un autre été, leise Töne, die den lichtdurchfluteten Raum erfüllten, die offene Küche, die nahtlos in das Wohnzimmer überging. Inmitten dieses idyllischen Szenarios der vor sich hin summende Mann, der mit einem Lächeln das Eis zu schmelzen vermochte. Alles hätte perfekt sein können.

Noch hatte er mich nicht bemerkt. Ich stand in der Tür und betrachtete ihn. Wie er gewissenhaft den Deckel auf die Flasche schraubte und noch einmal überprüfte, ob sie dicht war. Wie er auf seine Armbanduhr blickte und sich dann plötzlich zur Tür drehte, mich sah.

Und dann sein erleichtertes Lächeln. »Du bist da. Gut.«

Es waren nur ein paar Schritte zu ihm.

Er nahm mich in die Arme und hielt mich fest. Die ungewohnte körperliche Nähe löste die Anspannung in mir. Sein Geruch (das Aftershave mit der frischen Note nach Citrus, das ich ihm geschenkt hatte) so vertraut und doch so fremd. Tränen schossen mir in die Augen, und ich konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken.

Er strich mir über den Rücken. »Ich habe noch mal im Krankenhaus angerufen und mich als Sohn ausgegeben. Ein Mitarbeiter hat mich auf die Station weiterverbunden. Deine Mutter liegt auf der Intensiv. Ihr Zustand ist ernst, aber im Moment stabil. Mehr hat mir die Krankenschwester, mit der ich gesprochen habe, nicht sagen können.«

Stabil. Der Zustand, in dem sich auch mein Vater ein paar Tage lang befunden hatte. Bevor er aus dem Krankenbett gefallen war, sich eine Rippe gebrochen, die Lungenentzündung bekommen hatte, den Infekt durch den gelegten Katheter und dann die Sepsis – kurz nachdem ich Alexander gesagt hatte, wie unglücklich ich sei. Aber auf einmal waren andere Dinge wichtiger gewesen als wir. Die Bestattung, die Trauer, das Sortieren von Dokumenten, Behördengänge.

Nun war es wieder so weit. Alexander wollte sich trennen, und doch wollte er es nicht. Ich wollte mich trennen, und doch tat ich es nicht. Denn plötzlich waren andere Dinge wichtiger als wir. Meine Mutter.

Ich löste mich von ihm.

Er holte ein kleines Handtuch aus dem Schrank, hielt es unter fließendes Wasser, wrang es aus und reichte es mir.

Die Kühle tat gut in meinem Gesicht. »Danke.« Ich hatte mich wieder etwas gefasst. »Du hast schon Kaffee gekocht.«

Er lächelte mich an. »Und Brote geschmiert. Wenn du gepackt hast, können wir los.«

»Wir?«

»Egal was war und wie wir uns am Ende entscheiden. Ich lass dich jetzt auf keinen Fall allein fahren. Im Büro habe ich schon angerufen. Johannes weiß Bescheid. Er kommt morgen ohne mich klar. Und wenn wir wissen, wie es deiner Mutter geht, können wir vor Ort überlegen, wie lang ich bleibe.«

»Danke.«

»Doch nicht dafür.« Ein ernster Blick, dann ein leichtes Lächeln. »In Krisen von außen waren wir doch immer füreinander da.« Er sah wieder auf seine Armbanduhr. »Halb zwei, wenn wir bald losfahren, umgehen wir den Berufsverkehr.«

»Eine Viertelstunde, länger brauche ich nicht.«

»Was ist mit Emmi?«

»Die rufe ich an, wenn ich weiß, was los ist.«

Ich stieg die Treppe hinauf in mein Arbeitszimmer, das mittlerweile auch zu meinem Schlafzimmer geworden war. Das Bett war eins vierzig breit, die Matratze bequem. Ursprünglich hatte ich es für Gäste vorgesehen, in dem Wunsch, den Aufenthalt bei uns so angenehm wie möglich zu gestalten, falls sie bei uns übernachten sollten. Aber das war selten der Fall. Meine Mutter hatte es in den neun Jahren, in denen wir hier wohnten, nur zweimal geschafft, uns zu besuchen. Alexanders Eltern und Geschwister hatten ihre Häuser alle in einem Umkreis von etwa fünfzehn Kilometern. Sie fuhren zurück, sobald die Geburtstage oder andere Feierlichkeiten vorüber waren, und wenn es feuchtfröhlich wurde, nahmen sie ein Taxi. Birthe, die Freundin, die ich hier gefunden hatte, war unsere Nachbarin. Sie kam und ging wieder. Nur meine Tochter schlief gelegentlich bei uns im Haus. Dann freute ich mich über das Knarren der alten Holzdielen im Dachgeschosszimmer, die laute Musik, Emilias Lachen und das Klappern von Schubladen und Schranktüren.

Ich setzte mich an den Schreibtisch und ging in Gedanken durch, was ich nach Kassel mitnehmen würde. Das Notebook, die Ladekabel, das Telefon, mein Kopfkissen …

Da ich die lästige Angewohnheit hatte, immer etwas zu vergessen, hatte Alexander irgendwann eine Packliste für mich verfasst, die ich bei Bedarf abhaken und ergänzen konnte. Er hatte eine Schwäche für Listen, während ich eine gewisse Abneigung gegen sie hegte. Insbesondere gegen die, die ich selbst verfasst hatte und die in der obersten Schublade meines Schreibtisches ruhte. Alexander hatte die Pro- und Kontra-Liste vorgeschlagen, in der festen Überzeugung, dass die positive Seite für unsere Ehe länger ausfallen würde. Und das war auch der Fall. Aber immer, wenn ich etwas hinzufügte, wurde mir bewusst, dass ein einziger negativer Punkt ein Vielfaches an Gewicht haben konnte.

Ich straffte meine Schultern und begann, meine Sachen zu packen. Das Notebook, die Ladekabel …

Als ich mit meiner Tasche nach unten kam, reichte Alexander mir meine Brille.

»Sie lag auf der Couch.«

»Und ich habe oben überall nach ihr gesucht.«

»Du brauchst mich.« Ein kurzes Aufblitzen in seinen Augen. »Wer sonst sollte deine Sachen finden?«

Fünf Minuten später saß ich neben meinem Mann im Wagen und schrieb eine Nachricht an Birthe. Ich teilte ihr mit, was passiert war, dass sie allein zum Yoga gehen müsse und dass ich mich bei ihr melden würde, sobald ich mehr Informationen hätte.

Sie wollte nicht warten und rief mich sofort an.

Mein Telefon war mit der Freisprechanlage verbunden. Alexander blickte kurz zu mir rüber, und als ich nickte, nahm er den Anruf entgegen.

»Bist du schon unterwegs? Wo bist du? Wie geht es dir? Morgen ist mein unterrichtsfreier Tag. Ich werde dich auf keinen Fall allein fahren lassen. Ich komme mit.«

Ihre helle, melodische Stimme mochte ich sehr. Birthe sprach nicht, sie sang. Insbesondere dann, wenn sie aufgeregt war.

»Das ist lieb von dir, danke. Aber wir sind bereits auf der Autobahn. Alexander begleitet mich, er fährt.«

»Hallo, Birthe.«

»Hi. Gut, dass du bei Julia bist.« Sie mochte Alexander. Grundsätzlich hatte sie nichts gegen ihn. Ihr missfiel nur, dass es mir nicht gut ging mit ihm. »Haltet mich bitte auf dem Laufenden, falls irgendetwas ist. Soll ich die Blumen gießen und nach der Post sehen?«

»Ich melde mich bei dir, sobald ich im Krankenhaus war. Dann besprechen wir alles.«

»Mach das. Ich sende dir viel Kraft. Und deiner Mutter auch.«

Sie meinte es, wie sie es sagte. Ich verabschiedete mich und lächelte bei der Vorstellung, wie Birthe gleich ein Räucherstäbchen anzünden und das Universum anfunken würde, um die Energie in meine Richtung und dann an meine Mutter weiterzuleiten. Im Gegensatz zu mir war meine Freundin sehr spirituell. Sie lebte von innen heraus, beschäftigte sich mit Sinn- und Wertfragen ihrer eigenen Existenz. Sie glaubte an das Prinzip von Ursache und Wirkung, dass alles einen Grund hatte und es keine Zufälle gab.

»Es ist schön, dass ihr beide euch gefunden habt«, sagte Alexander.

»Ja.« Das war es. Ich hatte Menschen an meiner Seite, auf die ich mich – wie Alexander treffend bemerkt hatte – in Krisen von außen verlassen konnte. Das bedeutete mir viel, Birthe bedeutete mir viel. Ich würde sie vermissen, wenn ich umziehen würde. Aber noch hatte ich keine endgültige Entscheidung getroffen. Ich steckte fest. Irgendwo zwischen Halten und Loslassen.

»Das Kissen liegt in der Mitte auf der Rücksitzbank.«

Alexanders vorausschauende Fürsorglichkeit hatte mir von Anfang an gefallen. Mit den Jahren war sie abhandengekommen, wie so vieles andere. Nun hatte er sie wiedergefunden, seit Monaten zeigte er sich von seiner besten Seite. Ich griff zwischen den Sitzen nach hinten.

In der Nacht hatte ich kaum geschlafen. Wie so oft in den letzten Monaten. Aber hatte ich früher die Zeit zum Schreiben genutzt, wälzte ich nun Gedanken und mich unruhig im Bett hin und her. Dafür schlief ich am Tag, manchmal zwei bis drei Stunden. Meistens nach dem Mittagessen, etwa um diese Zeit.

Hier im Auto gelang es mir nicht. Meinen Kopf gegen das Kissen gelehnt, dachte ich mit geschlossenen Augen über die vergangenen drei Jahre nach. Über den Tod meines Vaters, die Krise mit Alexander, einhergehend mit beruflichen Problemen. Und nun meine Mutter. Zugleich nagte das schlechte Gewissen an mir.

Wann hatte ich das letzte Mal mit ihr gesprochen, sie besucht?

Zum Geburtstag vor zwei Wochen hatte ich ihr einen Blumenstrauß geschickt und einen Gutschein für den Besuch eines Musicals ihrer Wahl, zu dem ich sie begleiten wollte. Sie hatte sich für König der Löwen entschieden.

Den Termin hatten wir noch nicht festgelegt. Wir wollten das in Ruhe überlegen, nach meiner Manuskriptabgabe. Aber ich fand keinen Zugang zu den Worten. Seit Wochen steckten sie in mir fest.

Ich hätte den Termin einfach bestimmen und die Karten kaufen sollen. Meine Mutter hatte immer Zeit, fast immer. Einmal im Jahr besuchte sie eine gute Freundin, die an die Ostsee gezogen war, zu ihrem Geburtstag. Bei ihr blieb sie in der Regel für eine Woche.

Mir schickte sie zum Geburtstag ein Päckchen. Mit...

Erscheint lt. Verlag 21.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alzheimer • Alzheimer Buch • alzheimer bücher • Auf den Spuren der Erinnerung • Bücher Demenz • bücher für frauen • Bücher Roman • Bücher zum nachdenken • Demenz • Demenz Buch • Demenz Bücher • Familienleben • Liebe • Mutterliebe • Muttertag • Mutter Tochter Beziehung • mutter tochter liebe • Mutter Tochter Verhältnis • Roman • roman alzheimer • Vergessen • Vor dem Tod
ISBN-10 3-7499-0726-9 / 3749907269
ISBN-13 978-3-7499-0726-7 / 9783749907267
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