RAUCH (eBook)
400 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-30033-3 (ISBN)
Eine fünfköpfige Freundesgruppe, die sich aus Studienzeiten kennt, trifft auf einer der Westmännerinseln vor der Südküste Islands zusammen. Sie sind gekommen, um an der Beerdigung einer ehemaligen Freundin teilzunehmen. Im Haus der Verstorbenen machen sie einen grausamen Fund, der auf ein düsteres Ereignis aus der gemeinsamen Vergangenheit hinweist. Was war damals bei der Studentenparty, die außer Kontrolle geriet, wirklich passiert? Und wer war daran schuld? Innerhalb kürzester Zeit schleichen sich Verdächtigungen und Misstrauen in die Gruppe ein. Bis es am Ende nicht mehr um die Wahrheit, sondern nur noch darum geht, die eigene Haut zu retten. Und die Insel schnellstmöglich zu verlassen, bevor das mysteriöse winterliche Feuer entdeckt wird, das die Freunde in Brand gesetzt haben, um Spuren zu verwischen ...
Ein bildmächtiger, perspektivreicher Thriller mit Gänsehaut-Effekt. Erneut gelingt es Yrsa Sigurdardóttir, die eisige isländische Atmosphäre grandios in Szene zu setzen und ihre Leser*innen bis zur letzten Seite in Bann zu halten.
Yrsa Sigurdardóttir, geboren 1963, ist eine vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin, deren Spannungsromane in über 30 Ländern erscheinen. Sie zählt zu den »besten Thrillerautoren der Welt« (Times). Sigurdardóttir lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Reykjavík. Sie debütierte 2005 mit »Das letzte Ritual«, einer Folge von Kriminalromanen um die Rechtsanwältin Dóra Gudmundsdóttir und begeisterte ebenso mit ihrer Serie um die Psychologin Freyja und Kommissar Huldar von der Kripo Reykjavík. Ihr Thriller »Schnee« verkaufte sich über 60.000 Mal und war monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Zuletzt erschien von ihr der Thriller »Nacht«.
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Paperback (Nr. 31/2024) — Platz 20
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1. Kapitel — Tag 1 — Donnerstag
Auf der Überfahrt hatte es nicht viel zu sehen gegeben, nur das aufgewühlte Meer. Trotzdem war Trausti an Deck gegangen, nicht um die schäumenden Wellen zu betrachten, sondern weil die Fähre so sehr schlingerte, dass er frische Luft schnappen musste. Er hielt sich an der Reling fest, schloss die Augen und ließ den Schnee auf sein Gesicht prasseln, unaufhörlich und gnadenlos. Sie fuhren gegen den Wind, und die harmlosen Schneeflocken fühlten sich an wie Hagelkörner. Doch merkwürdigerweise taten ihm diese natürlichen Nadelstiche gut. Trausti fühlte sich besser, ihm war nicht mehr übel, und die Kopfschmerzen, die ihm das Denken unmöglich gemacht hatten, ließen nach. Drinnen war die Luft stickig, und es stank nach Erbrochenem, weil einige Fahrgäste den Seegang nicht vertrugen. Er würde bis zum Anlegen der Fähre hier draußen bleiben.
Trausti schirmte die Augen mit der Hand ab, dann öffnete er sie wieder. Durch den Sturm hindurch sah er die undeutlichen Umrisse des Ufers, direkt vor ihnen. Sie mussten gleich am Ziel sein. Er drehte sich um und spähte durch die große Fensterfront in den Aufenthaltsraum, in den Sesseln dort saßen seine Freunde. Er überlegte, sie zu sich zu holen, ließ es aber bleiben. Vorhin hatte keiner mit ihm an Deck gehen wollen. Trotz seiner Beteuerungen, dass es ihnen guttun würde, wollten sie nicht aufstehen, weil sie befürchteten, ihre Sitzplätze zu verlieren. Die Fähre war rappelvoll, so voll, dass sie nur noch vier Fahrkarten bekommen hatten. Trausti hatte sich auf der Rückbank unter den Anoraks versteckt, als sie an Bord gefahren waren. Anschließend hatte er sich einfach unter die Fahrgäste gemischt. Zum Glück. Wie wäre es ihm bei dem starken Seegang wohl auf dem Fahrzeugdeck ergangen?
Als er wieder nach vorne schaute, waren die Felswände an der Hafeneinfahrt schon keine undeutlichen Schatten mehr. Die Fähre näherte sich ihnen schnell und fuhr kurz darauf an den Klippen von Ystiklettur und der Meereshöhle Klettshellir vorbei. Trausti meinte, das Meeresgehege der ehemaligen Show-Wale in der Bucht Klettsvík zu erkennen, aber die beiden Belugas tauchten nicht auf, um die Ankunft der Fähre zu verfolgen. Vielleicht waren sie gar nicht dort oder hatten genug von dem Schiffsverkehr vor ihrer Haustür. Aber es gab noch vieles andere zu sehen: den Hausberg Heimaklettur auf der rechten und das neue Lavafeld auf der linken Seite.
Die Aussicht auf das Wochenende war perfekt, und er bereute nichts. Noch nicht einmal die heftige Überfahrt von Þorlákshöfn. Ursprünglich hätte die Fähre am Landeyjar-Hafen ablegen sollen, von wo es nur ein Katzensprung zu den Westmännerinseln war, doch Ari, der die Fahrkarten besorgt hatte, hatte am Morgen eine SMS bekommen, in der ihm mitgeteilt wurde, dass der Fahrplan wegen der schwierigen Wetterbedingungen geändert werden müsse. Es war ihnen herzlich egal, die Autofahrt war so kürzer, und die Überfahrt mit der Fähre dauerte länger, doch zeitlich kam es fast auf dasselbe raus, und sie konnten die Reise nicht verschieben. Nicht bei einem solchen Anlass.
Die Änderung des Abfahrthafens war nicht das einzige Hindernis gewesen. Fast hätten sie die Reise ganz abblasen müssen, weil es auf den Westmännerinseln keine Übernachtungsmöglichkeit mehr gegeben hatte. Es war Januar, und sie hätten nie gedacht, dass zu dieser Jahreszeit genauso viele Gäste dort waren wie im Sommer. Doch genau so war es. Die Regierung hatte einen Kongress zu den Zukunftsperspektiven der Fischindustrie einberufen und sich dafür entschieden, sie auf der Hauptinsel Heimaey abzuhalten. Die Teilnehmer kamen aus ganz Island, deshalb waren die Hotelzimmer, Pensionen und Ferienhäuser genauso begehrt wie die Fahrkarten für die Fähre Herjólfur. Normalerweise kam das nur anlässlich des beliebten Volksfests Þjóðhátíð im Sommer vor. Die Geschlechterverteilung auf der dicht besetzten Fähre war jetzt allerdings eine völlig andere, und die Stimmung ebenfalls. Wohin man auch schaute, überall nur ernst dreinblickende Männer, die offenbar schon jetzt davon ausgingen, dass ihre Vorstellungen von der Zukunft niemals mit denen der Regierung in Einklang zu bringen wären.
Glücklicherweise hatte Ari über seine Kontakte eine Übernachtungsmöglichkeit für die Clique organisieren können. Und zwar eine richtig schicke. Anstatt in Einzelzimmern im Hotel, würden sie alle zusammen in einem frisch renovierten Haus mit reichlich Platz auf dem Kap Stórhöfði schlafen. Dort gab es eine Küche, zwei Wohnzimmer und für jeden ein Schlafzimmer mit eigenem Bad. Fast perfekt. Genau genommen gab es vier Schlafzimmer, und sie waren zu fünft. Aber Leifur, einer der drei Männer, hatte kein Problem damit, auf dem Sofa im Wohnzimmer zu schlafen, und damit war die Sache geritzt. Trausti war erleichtert gewesen, als Leifur angeboten hatte, das Sofa zu nehmen, denn es kamen nur sie beide dafür in Frage. Die Frauen waren außen vor, aus Gründen, über die nicht gesprochen wurde, und Ari hatte das Haus organisiert und deshalb automatisch Anspruch auf ein Zimmer. Da die Vermieter nicht wissen durften, dass einer von ihnen auf dem Sofa schlafen würde, hatte Trausti damit gerechnet, in den sauren Apfel beißen zu müssen. Er war viel ordentlicher als Leifur und würde nichts schmutzig machen. Aber Leifur war ihm zuvorgekommen.
Trausti blickte Richtung Süden und hoffte, schon vom Hafen aus einen Blick auf das Haus erhaschen zu können, doch es war nicht zu sehen. Er freute sich wahnsinnig, schließlich übernachtete er nicht jeden Tag in einem Haus, das zu einem Leuchtturm gehörte. Es handelte sich um das Haus, das der Leuchtturmwärter von Stórhöfði bewohnt hatte, bevor er in Rente gegangen war. Seitdem waren der Leuchtturm und die Wetteraufzeichnungen automatisiert. Investoren hatten das Haus langfristig gemietet und aufwändig renoviert. Ari kannte einen von ihnen über seinen Job bei einer großen Bank, und der hatte Mitleid gehabt, als er von ihrem Übernachtungsproblem erfahren hatte. Sie konnten Ari wirklich dankbar sein, dass er das Haus organisiert hatte, besonders weil noch niemand vor ihnen in diesem frisch renovierten Luxusschuppen übernachtet hatte. Sie waren die ersten Gäste, denn das Haus sollte erst offiziell eingeweiht werden, wenn die schlimmsten Winterstürme überstanden waren. Wahrscheinlich wollten die Investoren nicht riskieren, vom Kap aufs Meer hinausgeweht zu werden.
Der zweite große Vorteil war, dass sie das Haus umsonst bekamen. Trausti machte in den USA gerade seine Facharztausbildung in Rheumatologie, und obwohl er bereits die meiste Zeit im Krankenhaus mitarbeitete, war das Gehalt unterirdisch. Sein Stundenlohn war wahrscheinlich nicht viel höher als bei einem Schülerjob am Drive-in einer Fastfoodkette. Deshalb hatte er am Monatsende kaum etwas übrig, und das Flugticket nach Island war sauteuer gewesen, weil er es kurzfristig hatte kaufen müssen. Ein Hotelzimmer für drei Nächte hätte seiner Geldbörse noch mehr zugesetzt, deshalb freute er sich, dass die einzige Bedingung lautete, sich anständig zu benehmen und das Haus sauber und unversehrt zu hinterlassen. Die Vermieter hatten wohl auch deswegen keine Bedenken gehabt, weil sie den Grund ihrer Reise kannten. Wer zu einer Beerdigung ging, benahm sich meistens korrekt.
Als die Fähre sich an den Kai herantastete, schaute Trausti wieder durch das Fenster. Seine Freunde standen auf, und Sigga winkte ihn herein. Er lächelte ihr zu, winkte zurück, ließ die Reling los und machte sich auf den Weg. Er hoffte, dass sein Lächeln nicht zu fröhlich gewirkt hatte, denn bei diesem traurigen Anlass wollte er nicht, dass man ihm ansah, wie sehr er sich auf das Wochenende freute. Hoffentlich waren die anderen auch der Meinung, dass das Leben weiterging und sie sich nach der morgigen Beerdigung eine schöne Zeit machen sollten. Aber er konnte ja schlecht fragen: Unternehmen wir was Cooles, wenn Gugga unter der Erde ist? Zumal sich gute Stimmung nicht planen ließ. Wenn er Glück hatte, würde die gute Laune sich von ganz alleine einstellen.
Trausti folgte den anderen zum Fahrzeugdeck, und sie stiegen in die Autos. Er hätte sich gewünscht, dass sie nur mit einem Auto angereist wären, sodass sie alle zusammen fahren könnten, aber sie hatten zu viel Gepäck. Also waren sie mit zwei Autos unterwegs, und immerhin musste so niemand hinten in der Mitte sitzen. Womöglich wäre ihm dann der schmale Mittelsitz zugefallen. Nein, so war es besser. Trausti bekam die Rückbank in Aris schickem E-Auto, und Sigga saß vorne. Ragga fuhr in Leifurs Kombi mit. Die Autos standen nebeneinander, und er nickte Ragga zu, als sich ihre Blicke trafen. Sie lächelte kurz und drehte sich dann um, während er nicht aufhören konnte, ihr Profil zu betrachten.
»Was ist das denn? Hat man nie Ruhe vor diesem Werbescheiß?« Ari zeigte genervt auf einen Zettel, der unter dem Scheibenwischer steckte.
Trausti konnte sich nicht vorstellen, dass es hier wirklich um eine Werbeaktion ging, denn an keinem anderen Auto war ein solcher Zettel befestigt. »Ist das ein Knöllchen?«
Ari regte sich nur noch mehr auf. »Ein Knöllchen? Warum? Weil ich die Parkuhr auf der Fähre nicht bezahlt habe? Weil ich zu schnell an Bord gefahren bin?«
»Vielleicht haben sie mitgekriegt, dass ich ein blinder Passagier bin.« Trausti hoffte, dass dem nicht so war, sonst würden die anderen womöglich erwarten, dass er die Strafe bezahlte, und die war bestimmt höher als der Fahrpreis. Am Flughafen hatte er exakt die Summe am Automaten gezogen, die er auf der Reise ausgeben konnte, ohne sein Budget zu überziehen. Ein Strafzettel würde diesen Plan zunichtemachen.
»Verdammte...
Erscheint lt. Verlag | 12.6.2024 |
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Übersetzer | Tina Flecken, Anika Wolff |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | GÆTTU ÞINNA HANDA |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2024 • eBooks • Insel • Island • Island-Krimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Nacht • Neuerscheinung • Psychothriller • Schnee • spiegel-bestseller Autorin • Thriller • Winter |
ISBN-10 | 3-641-30033-9 / 3641300339 |
ISBN-13 | 978-3-641-30033-3 / 9783641300333 |
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