Camille Pissarro oder Von der Kühnheit zu malen (eBook)

Die Biografie über den »Vater des Impressionismus« | Mit zahlreichen farbigen Abbildungen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
301 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77962-9 (ISBN)

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Camille Pissarro oder Von der Kühnheit zu malen -  Anka Muhlstein
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Seine Werke schmücken die großen Museen weltweit: der Maler Camille Pissarro (1830-1903) war einer der Begründer der seinerzeit revolutionären französischen Malschule, die sich gegen die Sehkonventionen der akademisch-realistischen Malerei wandte. Er war eng befreundet mit Monet und Renoir, Mary Cassatt und Berthe Morisot, Unterstützer von Cézanne, Gauguin und van Gogh und wurde als der Älteste der Gruppe von seinen Freunden liebevoll »Vater des Impressionismus« genannt. Und doch fühlte er sich zeitlebens auch als Außenseiter in der Künstlerszene. Auf einer Antilleninsel in eine jüdische Kaufmannsfamilie geboren, prädestinierte den jungen Mann nichts dazu, Maler zu werden.

Die Kunstkennerin und Historikerin Anka Muhlstein zeichnet ein facettenreiches, intimes Porträt dieses unabhängigen Geistes und großen Malers.

Pissarros berühmte Stadtbilder von Paris, seine Bilder der Landschaft um den Ort Pontoise bei Paris, wo er mit seiner Familie lebte, seine neuartigen Porträts von Frauen und Männern bei der Arbeit auf dem Feld: all das erscheint mit Kenntnis von Pissarros Lebensweg und unermüdlichem Kampf für die Anerkennung seiner Kunstauffassung in neuem Licht. Dabei stützt sich die Biografin unter anderem auf Pissarros umfangreiche, sehr persönliche Briefwechsel mit Malerkollegen und mit seinen Söhnen, die ebenfalls Maler wurden. So wurde der Vater des Impressionismus auch zum Patriarchen einer Künstlerfamilie.



Anka Muhlstein wurde in Paris geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Autor und Anwalt Louis Begley, lebt die Historikerin und Autorin seit 1974 in New York. 1996 wurde sie mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.

Saint Thomas – Paris: Hin- und Rückfahrt


Camille Pissarro wurde 1830 auf Saint Thomas geboren, einer der drei größten Jungferninseln im Archipel der Kleinen Antillen, einer winzigen, 20 Kilometer langen und vier Kilometer breiten Insel, die damals zu Dänemark gehörte.

Heute kann man sich schwer vorstellen, welche strategische und wirtschaftliche Bedeutung diese drei Inseln – Saint Thomas, das noch kleinere Saint John und Saint Croix, die größte Insel – in der Vergangenheit hatten. Da sie sich am Schnittpunkt mehrerer Schifffahrtswege befanden, boten sie den aus Europa oder Afrika kommenden Schiffen ein Tor nicht nur nach Mittelamerika, sondern auch nach Nord- und Südamerika. Charlotte Amalie, der Hauptort und Hafen von Saint Thomas, wurde so oft angelaufen, dass man behaupten konnte, er sei »der Ort, der zu allen anderen Orten führte«.1 Der kommerzielle Wert des Hafens war so groß, dass er im Lauf der Jahrhunderte die Begehrlichkeit der Franzosen, Engländer, Niederländer und Dänen weckte.

Als erste Europäer waren im Jahre 1493 die von Christoph Kolumbus angeführten Spanier auf diesen Inseln gelandet. Sie hatten sich nicht lange dort aufgehalten, weil sie enttäuscht waren, dass es dort keine Gold- oder Silbergruben gab. Dennoch überlebten die Inselbewohner dieses gewaltsame Eindringen und die Ausbreitung unbekannter Mikroben nicht. Die Inseln blieben entvölkert zurück und wurden lediglich von Piratenbanden aufgesucht: Diese machten Jagd auf spanische Galeonen, die mit Edelmetallen beladen nach Sevilla oder Cádiz zurückfuhren. Nach mehreren Versuchen, die am Widerstand von Spaniern, Engländern und Franzosen scheiterten, erhielt die Dänische Westindien-Kompanie vom dänischen König im Jahre 1672 das Recht, auf der damals menschenleeren Insel Saint Thomas eine Kolonie zu gründen. Schon kurz nach ihrer Gründung lockte diese Kolonie Engländer, Franzosen, Holländer und Juden herbei, die auf den Nachbarinseln gelebt hatten. Sie flohen vor den Nachwehen der europäischen Kriege, in denen die Republik der Vereinigten Niederlande gegen England und Frankreich kämpfte und die sich auch auf die Antillen auswirkten. Auf Saint Thomas stellten sie sich unter den Schutz des neutral gebliebenen Dänemark. Die Neuankömmlinge legten die ersten Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen an. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, Sklaven einzuführen. Bald wurde ein Sklavenmarkt eingerichtet, auf dem sich Siedler anderer Inseln versorgten. Im Jahre 1673 bestand die Bevölkerung von Saint Thomas aus 100 Weißen und 100 Schwarzen. Im Jahre 1715 zählte man 565 Weiße und 4187 Schwarze.2 Doch im nächsten Jahrhundert entwickelte sich die Wirtschaft von Saint Thomas weiter. Charlotte Amalie blühte auf, und der Dreieckshandel nahm ein solches Ausmaß an, dass die Einwohner es für lukrativer hielten, den Siedlern der Nachbarinsel Saint Croix, die Dänemark im Jahre 1733 von Frankreich gekauft hatte,3 den Zuckerrohranbau zu überlassen und sich nur noch mit dem Handel zu beschäftigen. Während der Napoleonischen Kriege bemächtigten sich die Engländer der Insel, doch 1815 schlossen sie ein Abkommen mit Dänemark, das die Insel im gleichen Jahr wieder besetzte und aus ihr einen Freihafen machte. Es siedelten sich viele englische, französische, italienische, spanische und deutsche Import-Export-Unternehmen an, und die Insel bekam eine kosmopolitischere Atmosphäre. Die Zusammensetzung der Bevölkerung veränderte sich. Das grausame Sklavereisystem hielt sich auf Saint Croix, wo 90% der Bevölkerung aus Sklaven bestand,4 doch auf Saint Thomas, wo die Zuckerbetriebe langsam verschwanden, ging es zurück. Allerdings gab es dort weiterhin eine beträchtliche Zahl von Haussklaven.

Rachel Manzano Pomié, Camille Pissarros Mutter, war 1795 auf Saint Thomas geboren. Man weiß wenig über ihre Familiengeschichte. Ihre Eltern oder ihre Großeltern waren sephardische Juden und hatten Frankreich verlassen, um sich am Ende des 18. Jahrhunderts zuerst auf Saint-Domingue (dem heutigen Haiti) und dann 1791 auf Saint Thomas niederzulassen. Frédéric Pissarro, Camilles Vater, war hingegen in Frankreich geboren, und sein Großvater, ein portugiesischer sephardischer Jude, in Bragança. Die Juden wurden in Portugal wie in Spanien seit dem 16.Jahrhundert verfolgt, und die ständige Bedrohung durch die Inquisition zwang sie, als Christen zu leben, obwohl sie unter strengster Geheimhaltung ihre alte Religion praktizierten. Diese Marranen, wie man sie abfällig nannte, flüchteten bei der ersten sich bietenden Gelegenheit aus Portugal. So konnten die Pissarros im Jahre 1769 nach Bordeaux gelangen. Diese Stadt lebte weitgehend vom Außenhandel, und seit der Herrschaft Heinrichs II. hatte sie portugiesische Juden aufgenommen und beschützt. Die Entrichtung einer Steuer gab Ihnen das Recht, ihre Religion offen zu praktizieren und jeden ihnen zusagenden Beruf auszuüben.

Die portugiesischen Juden bildeten im 18.Jahrhundert die am stärksten prosperierende jüdische Gemeinschaft des Königreichs. Sie hatten sich auf Gewerbetätigkeiten und vor allem die Verarbeitung der Kolonialwaren spezialisiert. Die Gradis, die wohlhabendste Familie der Nação, das heißt der sephardischen Gemeinde, monopolisierten den Zucker, die Da Costas die Schokolade, die von den Bayonner Juden nach Frankreich eingeführt wurde. Andere Möglichkeiten, zu Wohlstand zu gelangen, boten sich im Bankwesen, in der Reederei, bei Assekuranzen und vor allem beim Sklavenhandel und beim Frachtgeschäft mit den Kolonien in Amerika.5

Joseph Gabriel Pissarro etablierte sich in der Kaufmannschaft der Stadt und heiratete Anne-Félicité Petit, eine Jüdin aus Bordeaux. Als ihr Sohn Frédéric 1802 geboren wurde, war er ein Franzose mit allen Rechten und Pflichten, denn die Juden wurden 1791 emanzipiert. Die Familie kam gut voran, und wie viele jüdische Familien weitete sie ihre Geschäftsbeziehungen über den Atlantik hinweg aus.

So kam es, dass Isaac Petit, der Schwager Joseph Gabriels, auf die Antillen übersiedelte und sich auf Saint Thomas niederließ, wo er sich einer der bedeutendsten und vielfältigsten jüdischen Gemeinden der Neuen Welt anschloss. Die erste Synagoge der Insel wurde 1796 erbaut und 1804 durch einen Brand zerstört. Eine zweite Synagoge wurde 1812 errichtet, doch da sie bald zu klein wurde, ersetzte man sie durch eine dritte. Im Jahre 1823 verwüstete eine Feuersbrunst die Stadt, und wieder einmal mussten die Juden ihr Gotteshaus neu errichten. Das geschah im Jahre 1833. Diese Synagoge steht noch immer. Ihre ursprüngliche Ausstattung blieb erhalten, und man bewahrt weiterhin den Brauch, den Fußboden mit Sand zu bestreuen, zur Erinnerung daran, dass die Marranen bei ihren Gottesdiensten jedes Geräusch ersticken mussten. Die Synagoge ist nun eine der zwei ältesten in ganz Amerika.6

Die Juden von Saint Thomas bildeten indes keine homogene Gruppe. Ein aus Bordeaux und Bayonne stammendes sephardisches Element verband sich mit Einflüssen spanischer und portugiesischer Einwanderer; hinzu kamen ein größerer Anteil holländischer Juden aus Curaçao sowie ein kleinerer von Juden dänischer aschkenasischer Herkunft. Die Juden stellten damals ein Viertel der weißen Bevölkerung, und diese Bevölkerung setzte sich stets aus außerordentlich vielfältigen Gruppen zusammen. (Eine Volkszählung von 1688 gibt an, dass die Einwohner mit europäischen Wurzeln aus elf unterschiedlichen Ländern stammten.) Außer einem starken katholischen Bevölkerungsanteil gehörten dazu amerikanische und dänische Protestanten. Saint Thomas und seine rege Geschäftstätigkeit zog viele Bürger Venezuelas und Mittelamerikas an. Die offizielle Religion war wie in Dänemark die der lutherischen Kirche. Doch man muss berücksichtigen, dass die große Mehrheit der Einwohner aus Schwarzen bestand. Als die Plantagen verschwanden, gab dies manchen von ihnen die Möglichkeit, als Freie zu leben, weil man sie entweder freigelassen hatte oder, was meistens geschah, weil sie sich freigekauft hatten. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt als Handwerker, Krämer oder Schreiber. Im Jahre 1834 verlieh ein Dekret des Königs Friedrich VI. den freien Schwarzen die Staatsbürgerschaft, wozu alle Rechte und Privilegien der weißen Einwohner gehörten. Nötig war jedoch noch ein letzter Sklavenaufstand auf der Insel Saint Croix, damit die Sklaverei im Jahre 1847 endgültig abgeschafft wurde.

Nachdem...

Erscheint lt. Verlag 20.5.2024
Übersetzer Ulrich Kunzmann
Sprache deutsch
Original-Titel Camille Pissarro. The audacity of impressionism
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte aktuelles Buch • Ausstellung • Avantgarde • Berthe Morisot • Bildwelten des Impressionismus • Bücher Neuererscheinung • Camille Pissarro. L'audace de peindre deutsch • Claude Monet • Île-de-France • Impressionismus • Krimi Neuerscheinungen 2024 • Kunsthandel • Künstlerbiographie • Kunstmarkt • Mary Cassatt • Museum Barberini Potsdam • Neuererscheinung • neuer Krimi • neues Buch • Paris • Paris (Region) • Paul Cézanne • Paul Gauguin • Pierre-Auguste Renoir • Pointillismus • Retrospektive • Vincent van Gogh
ISBN-10 3-458-77962-0 / 3458779620
ISBN-13 978-3-458-77962-9 / 9783458779629
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