Aufs Land (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
320 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-30410-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Aufs Land - Sadie Jones
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»Das ist die Geschichte, wie wir nach Frith gekommen sind. Und wir gehen hier nie, nie wieder weg.«
Amy und Lan haben die beste Kindheit überhaupt. Sie leben auf einem kleinen Bauernhof im Westen Englands. Ihre Eltern sind gute Freunde, die aus der Stadt nach Frith gekommen sind, um das einfache, bessere Leben zu leben. Sie mähen ihr eigenes Heu, schlachten ihre eigenen Truthähne. Amy und Lan lieben ihre Freiheiten und die Tiere, um die sie sich kümmern, einschließlich eines Kalbs namens Gabriella Weihnacht. Doch schon bald bringen die Erwachsenen die Harmonie der Gemeinschaft durcheinander. Es sind nicht nur kleine alltägliche Streitigkeiten im ländlichen Paradies. Vor allem Lans Mutter und Amys Vater sollten von ihren Kindern wissen, nicht mit dem Feuer zu spielen.

»Aufs Land« ist ein Liebesbrief an die sorglose Kindheit und ein köstlicher Seitenhieb auf das Ideal des einfachen Lebens.

Sadie Jones, 1967 in London geboren, arbeitete als Drehbuchautorin, unter anderem für die BBC. 2005 verfilmte John Irvin ihr Drehbuch »The Fine Art of Love« mit Jacqueline Bisset in der Hauptrolle. Ihr preisgekröntes Romandebüt »Der Außenseiter« (2008) wurde in Großbritannien auf Anhieb ein Nr.-1-Bestseller und war auch in Deutschland ein großer Presse- und Publikumserfolg. Zuletzt erschien von ihr der Roman »Jahre wie diese«.

1


Halloween

Lan


Ich und Amy sind beide sieben.

Der Bach hier unten ist so eiskalt, dass uns die Füße wehtun. Ich halte das nicht aus, aber Amy stört es nicht, deswegen stehe ich am Ufer oder sitze in einem Baum, während sie durchs Wasser watet und über Sachen redet, die sie nicht leiden kann oder die ganz okay sind.

Die Hauptsachen sind, wir wollen das Halloweenfeuer anzünden, und wir haben Hunger.

Amy kommt aus dem Wasser und versucht, die nassen Füße wieder in die Gummistiefel zu stecken, aber das klappt nicht. »Dämliche Scheißdinger«, flucht sie und läuft einfach mit halb angezogenen Stiefeln neben mir her heim. Die leeren Stiefelfüße sind zur Seite abgeknickt, was aussieht, als hätte sie sich die Beine gebrochen. An Socken denkt sie fast nie.

Es geht lange den Hügel rauf. Ich laufe rückwärts, damit ich langsam genug für sie bin. Hinter ihr wippt der Wald auf und ab. Vögel fliegen von den Ästen auf und machen hohle Geräusche. Wir erreichen das Ende des Felds und den Weg, klettern über das Gattertor und überqueren den Hof. Amy erzählt die ganze Zeit weiter, während sie auf den Gummistiefelschäften dahinschlappt.

Drinnen ist es gleich viel wärmer und riecht nach Kürbissuppe und Würstchen. Amy kickt die doofen Stiefel weg, und wir werfen unseren Kram hinter der Tür auf den Boden. Der Küchentisch ist voll von Walkers Ready Salted Chips und Brötchen wegen der Party, außerdem von großen Töpfen mit kaltem Wasser und Karotten drin. Jim kniet vor dem Rayburn und versucht, ihn wieder in Gang zu bringen, und unsere Mamas stehen mit verschränkten Armen hinter ihm und gucken. Wir fragen, ob wir das Halloweenfeuer anzünden dürfen, und Jim antwortet: »Schauen wir mal«, aber er hört gar nicht zu, weil wenn der Rayburn ausgeht, wird es im gesamten Bauernhaus mit jeder Sekunde kälter. »Zieh dir Socken an, Amy«, sagt Harriet, und Amy stöhnt bloß: »Mamaaa«, weil sie keine Socken dahat und bestimmt nicht hochläuft, um welche zu holen. Harriet fällt so was wie nackte Füße auf. Meine Mama hat uns wahrscheinlich noch gar nicht bemerkt. Jim sagt: »Da bist du ja, Lan, gibst du mir mal das WD-40?« Seine Stimme ist voll, aber nicht dröhnend und laut wie die von Amys Papa. Jim hat eindeutig die schönste Erwachsenenstimme, und er lässt mich immer helfen. Ich reiche ihm Schmieröl und Schraubenschlüssel, und er bedankt sich, als wäre ich auch ein Erwachsener.

Harriet schimpft über den Rayburn, und Mama meckert Jim an. Der erklärt, dass es letztes Mal bloß der Docht war, also keine richtige Reparatur, aber Mama meckert trotzdem, weil sie verheiratet sind. »Mir ist langweilig«, brummt Amy, und ich sage: »Hauen wir ab.« Ich schnappe mir ein paar Chips vom Tisch, Amy nimmt eine Handvoll Karotten, und wir gehen wieder raus. Die nassen Karotten tropfen auf den Steinboden. Amy sucht sich ein anderes Paar Stiefel aus dem Haufen, mit aufgestickten Blumen und Fleecefutter, viel zu groß. Die hat wohl irgendwer nach dem Spielen oder so hier vergessen.

Der Hof draußen ist Schlammsuppe. Der Himmel spiegelt sich darin wie in einem See. Wenn der Boden sich in eine riesige Pfütze verwandelt, können wir Kinder auf dem Popo drüberflitschen, bis alles voller Furchen ist, aber ich und Amy habens eilig, weil wir das Halloweenfeuer höher bauen wollen. Es steht am Ende des Hofs und ist gigantisch. Lattenkisten und Gestrüpp und ein paar alte schwarze Bretter ragen raus, und mit der Plane obendrüber sieht es aus wie ein Vulkan. »Wir brauchen auf jeden Fall mehr Holz«, meint Amy, »los, komm.« Wir laufen zum Holzverschlag, wo die Scheite lagern.

Scheite sind eigentlich kein Halloweenfeuerholz, aber wir können welche reinschmuggeln.

Auf der einen Seite vom Verschlag liegen die fertigen Scheite und auf der anderen die, die noch nicht gehackt sind. In der Mitte steht die Schubkarre, und Äxte und Sägen hängen an Haken. Wenn wir den Holzstapel hochklettern, rutschen die Scheite, und wir schreien: »Baaaum fällt!«, und schrappen den ganzen Weg nach unten über Dreck und Käfer. Ein paar von den Scheiten haben richtig scharfe Kanten. Ich und Amy kriegen fast jeden Tag Splitter. Aber wir können eine Nadel mit einem Streichholz sterilisieren. Dann halten wir sie ganz flach, so wie Jim es uns gezeigt hat, und schieben den Splitter hoch. Wir stecken sie nicht gerade in die Haut und bohren ein Loch, weil das »tut scheiße weh«, wie Amy sagt. Bei den Kleinen machen wir auch die Splitter raus. Die heulen immer.

Wir verputzen die Chips und die Karotten und schlecken uns die salzigen Finger ab, dann klettere ich auf einen Eimer und hole eine Axt runter. Nur die kleine, die die Mamas benutzen, aber der Stiel ist nicht leicht zu fassen, weil er so glänzt, und das Blatt ist echt schwer, deswegen brauche ich beide Hände.

Ich umklammere den Stiel und schwinge die Axt um den Kopf rum, während Amy zum Halloweenfeuer rüberschaut.

Bis heute Abend dauert es noch ewig. Uns ist sooo langweilig.

Ich will eine richtige 8 hinkriegen, keine Baby-8, das sind nur zwei Nullen übereinander. Ich schwinge die Axt hoch, um den Kopf rum, runter zum Boden und wieder hoch. Es soll pfeifen, wie bei einem Seil, aber die Axt bewegt sich nicht schnell genug. Meine Schulter tut weh, und ich kriege die Drehung nur in eine Richtung gut hin, andersrum ist sie zwar schnell, aber ruckelig, und ich verliere das Gleichgewicht, weil die Axt so schwer ist. Sie zieht mich mit. Ich wirble im Kreis und lasse sie fast los, aber nur fast.

Mir ist ganz schwindelig.

Plötzlich steht Amy vor mir, genau in meiner Schwingbahn, und mein Körper weiß nicht, was er tun soll, deswegen saust die Axt zu Boden, blitzeschnell, mitten auf ihren Fuß, in ihren Stiefel rein und durch, mit einem Ratsch und einem Flupp.

Amy jault auf, wie unsere Hündin Christabel, als sie vom Lada angefahren worden ist. Sie starrt runter auf die Axt, genau wie ich. Der Griff ragt in die Luft, und das Blatt ist durch ihren Fuß in die Erde gefahren.

Meine Beine knicken weg, und ich lande auf dem Po. Amy japst nach Luft und speit Chips und Karotten auf ihre Füße und überallhin.

Aber sie schreit nicht. Und da ist auch kein Blut. Ich habe sie nicht zerhackt. Die Klinge hat ihre Zehen nicht mal berührt, nur die komplette Stiefelspitze abgeschnitten, bis auf ein paar faserige Fäden, an denen sie noch hängt.

Amy fällt auf die Knie und fängt an zu weinen, wobei ihr noch mehr Stücke und Krümel aus dem Mund purzeln. Die abgeschnittene Schuhspitze liegt da und starrt mich an. Wir beäugen die Axt, als könnte sie uns jederzeit angreifen. Dann fassen wir zusammen mit Wabbelfingern nach dem Stiel und ziehen sie raus. Meine Hände fühlen sich an, als würden sie verbrennen, und Amy macht wieder dieses Geräusch, als hätte sie wirklich alle Zehen verloren. In meinem Kopf sehe ich Blut. Amy auch, deswegen gucken wir noch mal nach.

Da ist definitiv kein Blut. Nur Amys weiße Zehen, wie in einer Sandale.

Wir legen die Axt weit genug weg, damit wir in Sicherheit sind, selbst wenn sie sich von allein bewegt, was gut passieren könnte, dann liegen wir auf der Seite und schnaufen, als wären wir gerannt. Amys Augen sind aufgerissen, und im Blau spiegeln sich kleine Fenster. Ich würde am liebsten ins Bett kriechen. Meine Brust ist ganz zittrig, und Amy lutscht am Daumen, was sie eigentlich gar nicht so oft macht.

Irgendwann rappeln wir uns wieder auf, nehmen die geklauten Stiefel und die abgeschnittene Spitze, huschen aus dem Verschlag, als gerade keiner guckt, und verstecken sie tief im Halloweenfeuer. Amy wäscht sich an der Tränke den Mund aus. Auf dem Weg zurück über den Hof quillt der Schlamm zwischen ihren blassblauen Zehen durch.

Mittlerweile sieht man in der Pfütze nicht mehr den Himmel, sie ist einfach nur dunkel.

»Erwachsene behaupten immer, dass alles gefährlich ist«, verkündet Amy. »Aber das stimmt nicht.« Sie hat recht.

»Nö.«

»Wir sind vorsichtig«, fügt sie hinzu.

Erwachsene sagen Sachen wie:

»Pass auf!«

»Achtung, das ist scharf.«

»Du brichst dir noch den Hals.«

»Verbrenn dir nicht die Finger.«

Aber wir sind schon mitten auf rostige Nägel getreten und haben nicht mal Wundstarrkrampf gekriegt. Und wir haben die Herdplatte angefasst. Das machen wir natürlich nicht noch mal, wir sind ja nicht blöd. Gefährliche Sachen sind gar nicht gefährlich, wenn man so klug ist wie wir und so cool wie wir.

Amy


Bei mir ist niemand, weil alle noch bei Lan in der Küche sind, also haben wir das ganze Haus für uns, und es gibt warmes Wasser, weil alles vom AGA geheizt wird, und der ist noch kein einziges Mal kaputtgegangen. Ich und Lan lassen die Badewanne randvoll laufen. Das Wasser ist heiß, aber manchmal kriegen wir einen kalten Tropfen von der Decke ab, wegen der Kondensation. Unsere Haut wird knallrot. In den Seifenrillen klebt Dreck, und auf dem Wasser schwimmen Schauminseln wie Eisschollen, die wir antippen, nur ganz sanft, damit sie nicht zerplatzen. Wegen der winzigen Eisbären drauf, die wir uns ausmalen.

Von unten dröhnen Erwachsenenstimmen zu uns hoch, Türen gehen auf und zu, und Martin Hodge kommt von der Arbeit. Wir springen aus der Wanne, wickeln uns in riesige, steife Handtücher und laufen auf die Seilbrücke über dem Großraum. Wegen dem heißen Bad ist uns nicht...

Erscheint lt. Verlag 26.6.2024
Übersetzer Katrin Segerer
Sprache deutsch
Original-Titel Amy and Lan
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • amy and lan • Anne Tyler • Aufwachsen • Bauernhof • Coming of Age • eBooks • Englisch • Erwachsenwerden • Ian McEwan • Idylle • John Irving • Kalb • Kindheit • Landleben • Mädchen • Naivität • Neuerscheinung • Nostalgie • Roman • Romane • Stadtflucht • Tiere • Unsere kleine Farm
ISBN-10 3-641-30410-5 / 3641304105
ISBN-13 978-3-641-30410-2 / 9783641304102
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