Also schwieg Zarathustra -  Ingo Karwath

Also schwieg Zarathustra (eBook)

18 Kurzgeschichten

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
209 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7565-6603-7 (ISBN)
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Hier werden in 18 Kurzgeschichten ungewöhnliche, aber nicht gänzlich ausgeschlossene Lebenssituationen völlig unterschiedlicher Charaktere mit teils völlig überraschenden Ausgang erzählt. Die Protagonisten stehen vor ungeahnten Herausforderungen, für die erlernte Muster nicht ausreichen, sie zu meistern. Sie müssen sich der Sache stellen, ob sie wollen oder nicht, weil davon vielleicht das Überleben abhängt. Für die Lösung der Probleme müssen sie nicht nur über ihren alten Schatten springen, sondern ihn auch zurücklassen.

Ingo Karwath, Autodidakt, Nationalität deutsch, geboren 11.09.1960 in Leipzig, seit 1987 in Köln

Ingo Karwath, Autodidakt, Nationalität deutsch, geboren 11.09.1960 in Leipzig, seit 1987 in Köln

„Ach, was denn zum Beispiel?“

„Das Chaos zu organisieren!“

Spöttisch fragte die junge Frau nach: „Interessant, und was sollte wie und wo organisiert werden am Chaos?“

„Nicht die globale Welt zu retten…“

„Sondern?“

„Kleine autonome Überlebenskreisläufe zu bilden.“

Alle drei sahen mich an, als sei ich einer der befürchteten Außerirdischen, bedankten sich knapp und rasten weiter zum nächsten Opfer ihrer Neugierde.

Noch am selben Abend lief das Kurzinterview mit mir in den Abendnachrichten. Ich sah es in einem der Schaufenster, das noch nicht zerschlagen und geplündert war. Die neue Informationskultur fand über wenige öffentlich zugängliche Fernsehgeräte statt. Verwendet wurden allerdings nur in den Autos gefundene mobile Modelle, die aufgrund ihrer niedrigen Spannungsebene mit den kleinen Solaranlagen der Parkautomaten betrieben werden konnten. Zeitungen gab es seit Wochen keine mehr. Trotz der Rechtlosigkeit wagte niemand, die TV Geräte in den Schaufenstern zu stehlen oder zu zerstören. Information war kostbar geworden, und oft bildeten sich vor den Schaufenstern die wildesten Versammlungs- und Diskussionsrunden.

Dann ging alles sehr schnell. Erstaunlicherweise sendeten noch einige kleine lokale Radiostationen und Fernsehsender, die es mit Hilfe von Windrädern und Fotovoltaik-Anlagen auf den Dächern geschafft hatten, alternative Energien zu gewinnen. Sie suchten nach mir und baten, ich solle mich melden. Dazu lief immer wieder mein kurzes Statement. Ich hörte den Appell, hatte aber keine Lust, meine Meinung noch einmal in einem Studio zu wiederholen. Schließlich erkannte mich einer auf der Straße, obwohl ich ihn beschwor, dass es eine Verwechslung sei. Doch schon liefen die Leute zusammen und schoben mich in Richtung des nächsten Senders. Die nervöse Meute zu reizen, wäre nicht klug gewesen, und so ließ ich es geschehen. Sie griffen nach jedem möglichen Guru.

Ich hoffte, unbemerkt in den Fluren des Senders entfliehen zu können. Aber dort wurde ich bereits erwartet. Ein älterer Herr im feinen Zwirn, der nervös seine Hände knetete, nahm mich im Empfang. Der große, hagere Mann stellte sich als Regionalpolitiker vor, doch ich kannte ihn nicht.

„Schön, dass Sie da sind.“ Er reichte mir kurz die Hand und wies knapp zum Fahrstuhl, „Kommen Sie!“

Oben, in einem riesigen Büro über der City, erwarteten uns mehrere Honoratioren der Stadt, die der Politiker als Mitglieder seines Krisenstabes vorstellte. Zum Zeitpunkt, als der Autotod eintrat, waren fast alle Amtsträger in der Sommerpause und nun in den Urlaubsdomizilen dieser Welt verstreut. Er allein hatte die heimischen Gefilde vorgezogen, drum stand er hier und nicht die anderen. Im Moment redeten alle durcheinander, stritten und machten unsinnige Vorschläge.

„Verstehen Sie nun, weswegen ich Sie rufen ließ?“

Ich verstand es nicht: „Nein.“

„Sie haben ein öffentliches Statement abgegeben…“

„Und?“ Ich verstand noch immer nicht.

„…dabei etwas ganz Entscheidendes gesagt.“

Ich überlegte, aber es fiel mir nicht ein.

Die kleinen, wieselflinken Augen des Politikers blitzten. „Sie wollten das Chaos organisieren.“

„Soll ich das gesagt haben?“ erwiderte ich wirklich erstaunt.

„So oder so ähnlich, ist ja auch gleich.“ Wieder knetete er seine schlanken Finger, sah kurz nach draußen auf die stumme Blechlawine entlang der Hauptstraße und fuhr dann fort: „Was meinten sie mit kleinen Kreisläufen? Wir versuchen das seit Tagen, scheitern aber schon an den profansten Dingen.“

Ich lachte gespielt auf. „Ganz einfach. Anstatt das Soll reanimieren zu wollen, müssen sie das Ist organisieren.“

Nahezu sezierend durchbohrten mich seine zusammengekniffenen Augen. Dann hob er den Arm, damit die anderen endlich schwiegen. Die Gespräche brachen abrupt ab.

Ich beeilte mich, weniger wissenschaftlich fortzufahren: „Alle Welt versucht, die gekappten Fäden zu flicken. Das aber klappt nicht ohne Transportmittel.“

„Wissen wir bereits…“

„Anstatt des toten großen Kreislaufes müssen winzige autonome Kreisläufe geschaffen werden. Alle vor Ort machen nur das, was sie können.“

„Wozu?“

„Um zu überleben!“

„Wie?“

„Wasser besorgen, Brot backen, Obst und Gemüse anbauen, die notwendigen Dinge zu den Menschen transportieren...“

„Sonst nichts?“

„Doch. Alles Überflüssige weglassen.“

„Alles Überflüssige?“

„Ja, alles was das Überleben behindert: Luxus, Geld, Schnickschnack.“

Die Umstehenden stierten mich entgeistert an.

„Rufen Sie die Leute auf, sich hier zu melden, denn jeder kann dazu beitragen. Der eine ist Bauer, der nächste Wasserbauingenieur, der dritte Schmied, Arzt oder sonst was. Wieder andere beherrschen dieses oder jenes. Organisieren Sie das Überleben, anstatt so lange darüber zu diskutieren, bis alle tot sind.“

„Er hat recht“, bestätigte der Politiker nach einer Pause, „es ist unsere einzige Chance.“

Ich wollte gehen, doch mein Mentor hielt mich zurück. „Haben Sie Familie?“

„Nein…“, ich zögerte, „ich bin Junggeselle.“

„Hätten Sie nicht Lust, die autonomen Kreisläufe, die Sie so eindrucksvoll beschrieben haben, selber zu organisieren?“

Wir bildeten eine provisorische Stadtregierung und ordneten an, dass sich alle brauchbaren Leute umgehend im Krisenstab zu melden hatten. Erst nach und nach bekamen wir Ordnung ins System. Es war nicht einfach, den wütenden oder hilflos lethargischen Menschen zu erklären, dass ihr eigenes Überleben von ihrer Fähigkeit zu gemeinsamen Anstrengungen abhing. Zuerst ernteten wir die vernachlässigten Felder ab; es war Herbst und die Zeit günstig. Gleichzeitig fingen wir an, Regenwasser in Zisternen aufzufangen, Bäche umzuleiten, Flüsse und Seen anzuzapfen. Die Älteren zeigten den Kindern die Früchte des Waldes, jeder wurde angehalten, Samen für das nächste Frühjahr und Holz für den bevorstehenden Winter zu sammeln. Da die Brennstoffe ausgingen, ordneten wir an, dass in jeder Wohnung nur ein Raum beheizt werden durfte. Um das Problem effektiv zu lösen, mussten die Bewohner auf engsten Raum zusammenzuziehen.

Der Nachrichtenstrom floss nur noch eingeschränkt. Das Internet war mit den Computern ausgefallen, dazu sämtliche Handynetze. Was blieb, waren die guten alten Festnetztelefone, die wir nach dem Vorbild der lokalen Sender mit Sonnenenergie speisten. Überhaupt sah ich mit Erstaunen, welch Erfindungsreichtum und Entdeckergeist die Menschen entwickelten, um die allgegenwärtigen Hürden zu überwinden. Im Kleinen funktionierte das, ansonsten nicht. Große Sendeanstalten mit überregionalen Programmen und riesigen Antennenanlagen hatten infolge des Strommangels längst abgeschaltet. Die Alternativen aus Wind und Sonne halfen ihnen nicht weiter. So wurde die gute alte Erfindung des Alexander Graham Bell zunächst unsere einzige Außenweltverbindung.

Aufgrund der Stadtgröße und unserer Vorreiterrolle liefen nahezu alle Informationen bei uns zusammen. Unser Prinzip der autonomen Kreisläufe geriet zuerst zum Prinzip des ganzen Landes, schließlich zu dem der ganzen westlichen Hemisphäre. Weltweite Konflikte und Zwistigkeiten spielten keine Rolle mehr, da alle Gründe dafür keine Bedeutung mehr besaßen. Und Kriege auszutragen, war ohnehin niemand mehr in der Lage.

Aber dennoch brach keine friedliche Zeit an. Der unbedingte Wille zum Überleben bescherte uns ständig neue lokale Auseinandersetzungen zwischen denen, die vermeintlich besser dran waren, und denen, die angeblich zu kurz kamen. Schon bald fochten benachbarte Ortschaften blutige Kämpfe um irgendwelche Wiesen, Bäche, Felder und Wälder aus. Und die marodierenden Banden der ersten Tage, die sich inzwischen ihre eigene Ordnung geschaffen hatten und plündernd durch die Lande zogen, machten die Lage nicht einfacher. Die Verluste in der vormals automatisierten Welt stiegen weiter dramatisch an.

 

So vergingen die ersten Jahre, und der Wissenschaft gelang es nicht, das Phänomen, das die Autos zum Stillstand gezwungen hatte, zu ergründen. Während der Glaube der Menschen an sich selbst wuchs, verloren die Heilslehren und Religionen, die auch keine befriedigenden Antworten geben konnten, zunehmend an Einfluss. Mit der Zeit bildete jede Region nach unserem Vorbild eine autonome Regierung, stellte Polizeitruppen auf, erließ Gesetze und erzwang die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung notfalls mit Gewalt. Infolge des Nachrichtenaustausches gelang es, Vorwarnsysteme einzurichten, die Mordbanden zu isolieren und schließlich gänzlich auszurotten. Die Kommunen verpflichteten sich, die Kämpfe gegeneinander einzustellen und Handelsketten aufzubauen, um Produkte auszutauschen, anstatt sie sich gegenseitig mit Gewalt fortzunehmen. Das Leben stabilisierte sich, die Menschen wurden widerstandsfähiger. Neben der körperlichen Arbeit an der frischen Luft half insbesondere die Renaissance von Naturheilverfahren und alten Heilpraktiken, die Sterberate erfolgreich zu drücken. Allergien und stressbedingte Krankheiten verschwanden nahezu. Ein Problem blieben die akuten Erkrankungen, denn es gab kaum Operationsmöglichkeiten und Medikamente. Schwere Fälle endeten fast immer tödlich.

Mit der Zeit entstanden zwischen den Städten und Regionen regelmäßige Verbindungen aus Pferde-, Esel oder Kamelkarawanen, die in allererster Linie mit Waren des täglichen Bedarfs handelten. Das stabilisierte die Lage noch weiter, und die Führer der autonomen Gebiete kamen überein, eine für alle verbindliche Gesetzsammlung auf der Basis einer gemeinsamen...

Erscheint lt. Verlag 25.10.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Kurzgeschichten
ISBN-10 3-7565-6603-X / 375656603X
ISBN-13 978-3-7565-6603-7 / 9783756566037
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