Wilhelmine (eBook)

Was ich euch noch sagen wollte
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2023 | 1. Auflage
280 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-00984-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wilhelmine -  Wolfgang Berg
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Wilhelmine ist Enkeltochter eines einst sehr betuchten Mannes des Spreewaldortes Burg und Tochter des vermögenden jüdischen Kaufmanns Gustav Achtel aus Berlin. Dennoch gestalten sich ihre Lebensumstände infolge plötzlichen Leids der Großeltern und Trennung der Eltern äußerst ärmlich. Den Lebensunterhalt bestreitet Wilhelmine nach ihrem Schulabschluss als Dienst- und Küchenmädchen, so auch auf dem Rittergut Briesen im Schloss des Barons von Wackerbarth. Dort lernt sie die Mamsell Käthe Scholz kennen, die ihr den Weg zur großen Liebe mit Paul ebnet. Mit ihm gemeinsam steht ihr ein entbehrungsreicher, steiniger Weg durch Krieg und Elend bevor. Ohne Reichtum, dennoch glücklich, verbringt Wilhelmine ihren Lebensabend in Burg. Wilhelmine - eine Zeitreise von der Kaiserzeit des späteren 19. bis hin ins 21. Jahrhundert.

Wolfgang Berg wurde 1944 in Burg im Spreewald geboren und verbrachte dort seine Kindheit und Jugend. Nach einer kaufmännischen Ausbildung war er in verschiedenen Verwaltungsbereichen tätig. Mittlerweile im Ruhestand, widmet er sich seiner Leidenschaft für Musik und das Schreiben. Im Vordergrund steht regionale Literatur mit Themen von allgemeinem Interesse, etwa die Familiensaga 'Wilhelmine' oder der regionale Kriminalroman 'Wildnis - eine Mär?'.

Wolfgang Berg, Jahrgang 1944, ist gelernter Kaufmann. Er wuchs in Burg/Spreewald auf. Die Ehe führte ihn nach Drachhausen, einem Dorf nahe der Lieberoser Heide. Hier lebt er in Familie auf einem Bauernhof. Neben seiner Liebe zur Musik, insbesondere dem Saxofonspiel, widmet er sich jetzt als Rentner dem Schreiben von Büchern. Regionalliteratur mit Themen von Allgemeininteresse haben den Vorrang, so die Familiensaga "Wilhelmine" oder der Regionalkrimi "Wildnis - eine Mär?".

2

Wie ein kleines Hündchen lief ich neben meiner Mama her, in der Hand eine Semmel, an der ich kaute. Wir hatten sie als Proviant mitgenommen; nicht zum Sattwerden, denn schließlich sollte bei den Paten noch ein guter Appetit vorhanden sein. Ich hatte mich meinem Schicksal ergeben.

Beim Laufen betrachtete ich Mutters wendischen Rock mit den bunten, gestickten Blumen drauf. Dann zog ich meine Schürze beiseite und bewunderte die Blumen auf meinem Rock. Auf einmal fand ich diese Kleidung gar nicht so schlecht. Mich plagte ein schlechtes Gewissen. Mama hatte sich bestimmt große Mühe beim Nähen meiner Tracht gegeben, da hatte sie meine Undankbarkeit nicht verdient. Unsere Blicke begegneten sich einen Moment. Jetzt hatte ich meine Mama wieder ganz lieb und als könnte sie Gedanken lesen, nahm sie mich in die Arme und drückte mich.

Hand in Hand führten wir unseren Weg ohne ein Wort fort. Ich ertappte mich schon lange dabei, Gefallen an unserer Reise zu finden, hatte meine Störrigkeit längst abgelegt und war offensichtlich mit meiner Mutter auf einer Wellenlänge. Schließlich wollte ich ja Geschenke bekommen. Meine Tracht fand ich nun sogar lustig. Ich sah fast wie Mama aus, nur eben viel kleiner.

Meine Mutter war eine zierliche Frau mit einem gutmütigen und fröhlichen Gesichtsausdruck. Obwohl sie in ihrem Leben nicht gerade vom Glück begünstigt war, hatte sie oft ein Lächeln auf den Lippen. Schon damals waren feine Nuancen in ihrem Gesicht zu erkennen, die ich nicht zu deuten vermochte. Ihr langes, schwarzes Haar trug sie akkurat gescheitelt und am Hinterkopf zu einem Knoten gebunden. Sie trug stets ein schwarzes Samtband über dem Kopf, möglicherweise zur Zierde, vielleicht auch für den Halt der Frisur. An besonderen Anlässen, wie an diesem Ostertag, trug Mama jedoch eine große, weit ausladende Haube, die ihre Frisur verdeckte. Lediglich der Mittelscheitel guckte an der Oberstirn noch heraus. Ich kannte meine Mutter ausschließlich in ihrer Tracht. Andere Kleidungsstücke hatte sie nicht. Ich konnte sie mir auch gar nicht anders vorstellen als in ihrer Tracht.

Schritt für Schritt näherten wir uns unserem ersten Ziel. Die Vögel zwitscherten und in der Ferne hörte man das fröhliche Lachen von Kindern. Vielleicht hatten sie schon ihre Osternester gefunden und freuten sich deshalb. Ich fühlte mich wie in einer verzauberten anderen Welt. Die Sonnenstrahlen drangen durch die Kronen der knorrigen Kopfweiden, die unseren Weg rechts und links flankierten. Mal waren sie grell und dann wieder verdeckt von den Zweigen.

Blumen, die eben noch vom Regen der Nacht fast erdrückt wurden, reckten nun befreit ihre Köpfe gen Himmel. Sie wiegten sich im Wind und nahmen dabei die Morgensonne gierig entgegen, um sich vom Nass der Nacht zu entledigen. Störche schnappten auf den feuchten Wiesen nach Fröschen.

Oft überquerten wir Fließe und Gräben, die sich wie Krakenarme durch die Landschaft zogen. Bänke waren es, über die wir dann gingen. So nennen die Spreewälder ihre nach oben gewölbten Brücken, die manchmal nur aus einzelnen Bohlen bestehen. Einem Kahnfährmann begegneten wir, der seinen Kahn voller Gäste unter solch einer Bank problemlos durch die Spree stakte. Seinem Gegenverkehr wich er gekonnt aus. Diese Gesellschaften genossen offensichtlich genau wie wir die Spreewaldlandschaft, dieses Geschenk der Natur.

Burg-Kauper nannte sich das Dorf, in dem wir uns jetzt befanden. Hier sah es anders als in Burg-Dorf aus. Kleine Wiesen- und Feldflächen waren in diesem Landstrich von Gräben oder Fließen umgeben, an deren Ufern meist Erlen wuchsen. Heuschober - um eine Stange gestapeltes Heu - gaben der Landschaft eine ganz besondere Note. Manchmal ragten diese Heugebilde noch aus den Resten des Winterhochwassers heraus.

Foto-Werkstätte Erhard Steffen Burg Spreewald

Als unser Weg unter hohen, Schatten spendenden Erlen an einem Fließ vorbeiführte, stoppte Mama ihren Schritt. Sie zog ihr Taschentuch hervor, denn sie hatte Tränen in den Augen. Die plötzliche Traurigkeit meiner Mutter machte mich fassungslos. Ich konnte mir nicht erklären, warum sie so plötzlich weinen musste.

Wir standen vor einem großen Haus. Es stach von den hier vereinzelt stehenden kleinen Spreewaldhäusern, die unserem Zuhause ähnelten, erheblich ab. Es hatte kein Strohdach, wie alle anderen Häuser weit und breit, sondern ein rotes Ziegeldach. Große Fenster mit bunten Butzenscheiben zierten die vorgebaute Veranda. Durch die geschmackvoll verzierte Eingangstür aus Eichenholz würde ich gerne gehen.

Ratlos stand ich neben meiner Mutter und fragte ganz traurig:

„Mama, warum weinst du denn?“

Mutter streichelte mein Haar und sagte:

„Das war mal mein Elternhaus, hier bin ich geboren worden.“

Das konnte ich nicht verstehen und fragte sofort:

„Und warum wohnen wir nicht mehr hier?“

„Als ich noch ganz klein war, hat mir meine Mama einmal erzählt, dass wir alle von hier wegziehen müssen.“

„Warum?“

„Nun, das ist eine lange Geschichte. Mein Papa und meine Mama waren sehr reich und haben dann plötzlich alles verloren. Deshalb mussten wir von hier weg und deshalb sind wir auch jetzt so arm. Später, wenn du größer bist, werde ich dir alles erklären. Jetzt bist du noch zu klein dafür.“

„Mama, ich möchte auch einmal reich sein“, sagte ich zu meiner Mutter. Da wurde plötzlich unser Gespräch von zwei wütenden Hunden unterbrochen, die mit gefletschten Zähnen über uns herfielen. Glücklicherweise hatte meine Mutter alles im Griff und konnte schnell in die große Tasche ihres wendischen Rockes greifen, in der sie extra für solche Zwischenfälle rohe Knochen aus der Fleischerei ihres Bruders deponiert hatte. Die Hunde stürzten sich jetzt auf die Knochen und wir konnten unversehrt unseren Weg fortsetzen. Vor lauter Aufregung hatte ich jedoch ganz vergessen, dass ich eigentlich vorhatte, reich zu werden.

Mein Magen fing an zu knurren.

„Mama, sind wir bald bei Tante Günther?“, fragte ich.

„Wir sind gleich da“, sagte Mama. „Sieh nur dort hinten das große Haus, dort wohnt Tante Günther.“ Ich sah ein auf einem Feldsteinsockel errichtetes Haus, auch mit roten Ziegeln eingedeckt.

„Aber so schön wie dein Elternhaus ist es lange nicht.“, sagte ich.

„Jetzt sei endlich still!“, mahnte Mama. „Siehst du denn nicht, dass Tante Günther uns an ihrer Haustür schon erwartet?“

Meine Schritte wurden immer schneller, bald rannte ich und dann begrüßte ich Tante Günther mit „Dobry źeń“.

„Na Minka, kommst du nach rote Eier?“, fragte sie in wendischer Sprache. Ich konnte sie verstehen, aber antworten wollte ich nicht. Wendisch konnte ich sowieso nicht so gut sprechen, deshalb beließ ich es meist beim Grüßen in dieser Sprache. Außerdem zweifelte ich an der Ernsthaftigkeit der Frage mit den „roten Eiern“. Ich sah die Tante ungläubig an. Bunte Ostereier und andere Geschenke hatte ich mir eigentlich als Geschenk vorgestellt und wusste nicht, dass dieser Osterbrauch des Patenbesuchs „wir gehen nach rote Eier“ genannt wurde.

Inzwischen war meine Mama angekommen. Auch wenn ich mich auf Tante Günther gefreut hatte, so war ich jetzt froh, dass ich nicht mehr ihre vielen wendischen Fragen beantworten musste. Über meine Antworten lachte sie und ich dachte, sie lacht mich aus, weil ich nicht so gut wendisch sprechen konnte. Jetzt hatte sie sich mit Mama viel zu erzählen, und ich konnte die Geschenke gar nicht erwarten. Tante Günther muss das bemerkt haben, denn sie unterbrach Mama in ihrem Gespräch und sagte mir zugewandt: „Ja raz pó cerwjene jaja pójdu, Minka njamóžo je wěcej docakaś. (Ich werde mal die roten Eier holen, Minka kann es doch nicht mehr erwarten.)

Ich war glücklich, denn neben drei verschiedenfarbigen Eiern bekam ich dann auch noch eine Ostersemmel in Form eines flachen Spreewaldkahnes mit zwei Pfefferkuchen obendrauf - einer mit Abziehbild, der andere ohne.

Das krönende Geschenk war aber eine Tasse mit meinem Namen in goldener Schrift versehen. „Maš teke dobry tykańc? (Hast du auch guten Kuchen?)“, fragte ich, nachdem ich meine Geschenke empfangen hatte. Ich hatte diese Frage zuvor gründlich durchdacht, Tante Günther sollte meine schlechte Aussprache nicht mitbekommen.

„Se wě, až mam teke dobry tykańc!“ (Natürlich habe ich auch guten Kuchen!), sagte die freundliche Frau lachend. Sie hatte sicher das Knurren meines Magens gehört.

„Getta“, sprach die Tante meine Mutter an, „ich hole mal schnell den Kuchen aus dem Keller, die Minka verhungert uns sonst noch.“ Sie ging eine mit Klinkern gemauerte Treppe hinab und kam mit einem Teller voller Kuchen...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2023
Verlagsort Ahrensburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Armut • Bräuche • historische Begebenheiten • Kaiserzeit • Krieg • Spreewald • Trachten • Traditionen • Weimare Zeit
ISBN-10 3-384-00984-3 / 3384009843
ISBN-13 978-3-384-00984-5 / 9783384009845
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