Sherlock Holmes - Neue Fälle 44: Der Henkerkeller (eBook)

Und andere blutige Fälle

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
152 Seiten
BLITZ-Verlag
978-3-7579-5356-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sherlock Holmes - Neue Fälle 44: Der Henkerkeller -  Nils Noir
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Ein junger Mann wird hingerichtet. Der Henker des Verurteilten nimmt sich kurz darauf das Leben. Offenbar hat er selbst Schuld auf sich geladen. Sherlock Holmes allerdings vermutet etwas anderes. Vier höchst ungewöhnliche Fälle des Meisterdetektivs.

Nils Noir, geboren 1974 in einer kleinen Hafenstadt an der Weser, ist Autor und Musiker. Er lebt in Berlin.

Das kalte Herz der Dorothy Double D.


1

Es war bitterkalt. Die Themse sah von oben aus wie ein toter Aal in Gelee, der sich erstarrt durch London schlängelte. Bis in die Stadt hinein war sie zugefroren. Während auf den Häuserdächern die Schornsteine qualmten, wirbelten weiße Flocken durch die Luft. Der Schnee lag knöchelhoch. Ein Bild, das aus einem Dickens-Roman zu sein schien. Doch war dieser Winter, der die größte und wohlhabendste Stadt der Welt fest im Griff hatte, alles andere als idyllisch. Krankheiten und Armut herrschten auf den Straßen. Es wurde geraubt, geplündert und gestohlen. Hinzu kamen massenhaft Tötungsdelikte, von denen die wenigsten aufgeklärt wurden. Meist waren die Getöteten Obdachlose ohne registrierte Identität, die zu Zehntausenden auf den Straßen lebten und Opfer ihresgleichen wurden, die sie töteten. Im besten Falle junge Frauen und Männer mit rotem Schopf, wegen ihres Skalps. Ein Perückenmacher gab bis zu fünf Pfund für gesunde lange rote Haare. Wenn der oder die Tote dann sogar noch ein gutes Gebiss hatte, konnte man bei einem Zahnarzt noch mal genau so viel für einen Satz Zähne bekommen.

Ein durchaus lukratives Geschäft, wenn man nur verzweifelt genug und hungrig war. Aber es gab auch Morde außerhalb des East End, deren Motiv vielleicht nicht aus einem Überlebenskampf heraus entstand, die aber nicht weniger grauenvoll waren. Von einer ganzen Serie solcher Gräueltaten möchte ich Ihnen nun in dieser Geschichte erzählen, die sich weit weg von den Slums im East End zugetragen hatte. Sie beginnt auf einer nächtlichen Straße in Chelsea. Genauer gesagt in der spärlich beleuchteten Kings Road, durch die ein Mann mit einem aufgeklappten Mantelkragen stapfte. Ein Mann, der seinen Hut tief ins Gesicht gezogenen trug und einen nach vorn gebeugten Gang hatte, den er mit einem Stock stützte. Das Knirschen seiner Schritte im Schnee war alles, was man hören konnte, als er vorbei am Chelsea Hospital bis rauf zur Sloane Street und von dort weiter in Richtung Hyde Park lief. Niemand sonst schien in dieser Gegend, bei dieser Kälte und zudem um diese Zeit noch auf den Straßen zu sein. Er bewegte sich mutterseelenallein und zügig zwischen den Stadtteilen Chelsea, Belgravia und Knightsbridge. Dabei schienen ihm die Temperaturen nichts auszumachen. Er zeigte keine Anzeichen von körperlichen Verkrampfungen. Allerdings konnte man eine gewisse Anspannung in seinem Gesicht erkennen. Das war das einzig Merkwürdige an diesem Herrn mittleren Alters, der mitten in der Nacht allein durch die finsteren Straßen ging, als hätte er irgendetwas Wichtiges zu erledigen. Völlig in Gedanken versunken, blickte er auf die schneebedeckten Wege, die ihn schließlich an sein Ziel führten.

Es war ein Haus in der Kensington, Ecke Brompton Road. Die Ziegel waren brüchig, die Fassade heruntergekommen. Aber einen gewissen Charme konnte man dem Gebäude nicht absprechen. Der untere Teil war ähnlich einem Ladengeschäft. Große Fenster waren ins Mauerwerk eingelassen und gaben den Blick frei in das schwach beleuchtete Innere. Dort befand sich das Atelier eines Malers. Bilder standen überall herum, lehnten oder hingen an den Wänden. Auf einer Staffelei mitten im Raum konnte man das Porträt einer Frau bewundern. Sie war schön, hatte schulterlanges brünettes Haar und eine üppige Oberweite. Über dem Atelier waren zwei weitere Fenster. Hinter einer der Scheiben flackerte das Licht einer Öllampe. Sie warf ihren Schein hinter sich an die Wand. Schatten, die sich bewegten, waren zu erkennen. Es waren die Schatten zweier sich liebender Künstler. Der Maler und seine Muse, die schöne Brünette von dem Bild auf der Staffelei in dem Atelier. Sie war Schauspielerin in einem kleinen unbedeutenden Theater an der Paddington Station, auf der anderen Seite des Parks, im West End. Wie jeden Samstagabend nach der Probe kam sie her und verbrachte meist die ganze Nacht hier.

Der Mann, der auf der Straße im Schnee vor dem Haus stand, wusste das so genau, weil er nicht zum ersten Mal hier war. Er hatte sich schon häufiger auf den Weg hierher gemacht, um zu beobachten, was hier vor sich ging. Ein halbes Dutzend Male schon, und jedes Mal stellte er sich in die sichere Dunkelheit der gegenüberliegenden Gasse, um von dort unerkannt zum Fenster raufzuschauen. Es gab Nächte, in denen er hier stand, ohne etwas zu sehen zu bekommen. Stunden stand er sich die Beine in den Bauch, bis die Brünette irgendwann am frühen Morgen ihren Geliebten verließ. Erst dann machte auch er sich wieder auf und fuhr mit einer Droschke nach Hause. Er bekam aber auch schon mehr geboten und sah, wie die Silhouetten der beiden hinter dem Vorhang standen und sich küssten oder der Maler seiner Muse zärtlich die Brüste streichelte. Das waren so Momente, in denen Mortimer, so hieß der Mann unten vor dem Haus auf der Straße, ein seltsames Gefühl spürte. Es war eine Mischung aus Schmerz und unsagbarem Zorn. Auch jetzt spürte er ihn wieder. Doch diesmal war er stärker. Es war kein Zorn mehr, sondern Hass. Er stieg in ihm auf, als er sie lachen hörte. Beide lachten gemeinsam, voller Freude und Glückseligkeit. Während Mortimer dies hörte, entschied er sich, heute nicht nach Hause zu fahren, wenn die Muse den Maler verließ und gegangen war. Diesmal würde er bleiben und dem Ganzen ein Ende setzen. Schließlich war dieses Flittchen da oben in dem Zimmer seine Frau.

2

Leland Longlove wurde am 4. Januar 1866 in Dublin, Irland, geboren. Er war der Sohn von dem Bildhauer Lawrence Longlove, der sich bei einem Sturz von einer seiner Skulpturen am 26. Juni 1874 das Genick brach. Für Leland ein Schock, von dem er sich als Kind schwer erholte, war sein Vater doch stets ein großes Vorbild für ihn gewesen. Er hatte ihm vorgelebt, wie schön es doch war, ein Künstler zu sein, und Leland schließlich dazu gebracht, seinem Vater nachzueifern. Schon früh fing Leland an, Bilder zu malen und davon zu träumen, eines Tages von der Malerei leben zu können. Diesen Traum verfolgte er unablässig und ging schließlich nach London, wo er an der South Kensington School of Art sowie an der Royal Academy studierte. Seine stimmungsvollen, mit Öl gemalten Straßenszenen von Londons Nachtleben waren dem Realismus zuzuordnen. Ebenso wie seine Akt-Porträts, auf denen meist Frauen mit großer Oberweite die Leinwände zierten.

Anerkennung gab es für Lelands Werke allerdings bisher wenig. Er war wahrscheinlich einer dieser Künstler, die erst sterben mussten, um zu leben. Am besten auf eine ganz grausame Weise. Vielleicht, indem er Suizid beging oder umgebracht wurde? Wie auch immer, bald würden wir es wissen, ob Lelands Tod ihn berühmt werden ließ, unmittelbar nach dieser Nacht, in der er sich mit Dorothy Double D vergnügte, als ob es kein Morgen gäbe und sie alle möglichen Stellungen des altindischen Kamasutra durchgingen, ohne die geringsten Anzeichen von Erschöpfung zu zeigen. Selbst wenn sie mal kurz in den Kissen ruhten, dann nur, um sich eine weitere stimulierende Spritze Kokain in den Arm zu drücken. So trieben sie es bis in die frühen Morgenstunden, bevor sie sich voneinander lösten und Dorothy ihn verließ, um wieder nach Hause zu ihrem Ehemann zu gehen.

Leland begleitete seine Spielgefährtin noch zur Tür und fing gleich darauf an, weiter an ihrem Porträt zu arbeiten, als er auf einen kleinen rundlichen Mann aufmerksam wurde, der an seinem Ausstellungsfenster stehen blieb und seine Bilder betrachtete. Nach seiner Kleidung her zu urteilen, war dieser Herr von gehobener Klasse, also jemand, der Geld besaß, dachte Leland und winkte dem Mann hinter der Scheibe freundlich zu. Dieser erwiderte den Gruß und signalisierte Leland, dass er sich für ein Bild interessieren würde. Dabei zeigte er auf ein Gemälde und rieb seinen Daumen am Zeigefinger. Leland verstand sofort, was der Mann meinte. Er wollte den Preis des Bildes erfahren und es sicherlich kaufen. Leland wartete keine Sekunde, sondern öffnete prompt dem adretten Herrn mit dem hervorragenden Kunstverständnis.

»Treten Sie ein, verehrter Herr«, sagte er an den Besucher gewandt und machte dabei eine ausladende Geste ins Innere seines Ateliers. Der Mann erhob dankbar seinen Bowler und folgte der Einladung des Künstlers, der nicht im Geringsten ahnte, dass er kurz davor stand, das Zeitliche zu segnen.

»Good morning, Mister Longlove. Ich muss gestehen, ich fühle mich geehrt«, erwiderte der Mann, als er eintrat und begann, sich im Atelier umzuschauen. Nach einem kurzen Rundgang, bei dem er jedes einzelne Bild genau in Augenschein genommen hatte, sagte er: »Ihre Bilder sind eins wie das andere von phantastischer Farbe. Sie wirken ausnahmslos echt, beinahe, als ob sie lebten.« Dabei blickte er auf das Porträt der Frau, das auf Leinwand gemalt auf einer Staffelei mitten im Raum stand.

»Wie wäre es mit einem Brandy?«, fragte Leland überaus euphorisiert. Anscheinend rechnete er mit einem Verkauf seiner Bilder. Dazu kam, dass er noch gar nicht geschlafen hatte und von seiner leidenschaftlichen Nacht mit Dorothy und dem vielen Kokain völlig high war.

»Um diese Zeit?« Der Mann kicherte vergnügt und hielt sich dabei vornehm die Hand vor den Mund. Leland stimmte in das Lachen des Herrn ein, dessen Miene sich plötzlich ganz unerwartet verfinsterte. Er funkelte Leland bösartig an und fauchte: »Du elender kleiner Gossenpinsler. Deine grausamen Machwerke sind nicht weniger schäbig wie dein überhebliches Getue.«

»Bitte?« Leland war verwirrt. Er glaubte erst, sich verhört zu haben. Vielleicht, so dachte er, war dies ein Spuk seines benebelten Gehirns. Doch als er die lange Klinge sah, die der Mann aus dem Knauf seines Gehstocks zog, wurde ihm bewusst, dass er es mit einem Größenwahnsinnigen zu tun bekommen hatte. Leland wandte sich zur Tür, um raus auf...

Erscheint lt. Verlag 30.4.2024
Reihe/Serie Sherlock Holmes - Neue Fälle
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Detektiv • Ermittler • Großbritannien • Henker • Hinrichtung • Krimi • London • Spannung • Thriller • Unschuld
ISBN-10 3-7579-5356-8 / 3757953568
ISBN-13 978-3-7579-5356-0 / 9783757953560
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