Hass gelernt - Liebe erfahren -  Yassir Eric

Hass gelernt - Liebe erfahren (eBook)

Vom Islamisten zum Brückenbauer

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
224 Seiten
adeo (Verlag)
978-3-86334-874-8 (ISBN)
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Von Kindesbeinen an wurde er darauf getrimmt, Ungläubige zu verachten und für Allah zu kämpfen. Stark zu sein, sich dem Clan gegenüber solidarisch zu zeigen und die Nachfolge seines Vaters anzutreten, der einer der führenden Politiker des Landes war. In einer solchen Welt ist kein Platz für Zweifel, Fragen oder gar schwache Momente. Umso bemerkenswerter ist die Geschichte von Yassir Eric. Aufgewachsen im Nordsudan, findet er beim Versuch, seinen zum Christentum konvertierten Onkel wieder auf den rechten Pfad des Islam zu lenken, selbst zum Glauben an Jesus. Yassir Eric muss fliehen, wird in seiner Heimat für tot erklärt. In Deutschland macht er einen Neuanfang. Hier lernt er Werte wie Freiheit und Gleichberechtigung schätzen, die er früher verachtete. Sein Credo: Es braucht einen längst überfälligen kritischen Dialog der Kulturen und Religionen. 'Wir müssen Konflikte offen benennen und lösen, nur so ist ein friedliches Miteinander möglich.'

Als militanter Islamist verachtete Yassir Eric Christen und Juden. Heute ist der gebürtige Nordsudanese evangelischer Theologe und ruft zu einem respektvollen Umgang mit Muslimen auf. Da er nach seiner Konversion von seiner Familie enterbt wurde, weiß er, wie wichtig Toleranz und Religionsfreiheit sind. Deshalb reist er regelmäßig in den Nahen Osten, um sich für Menschenrechte und die Glaubensfreiheit von Minderheiten einzusetzen. Dr. Yassir Eric ist Leiter des Europäischen Instituts für Integration, Migration und Islamthemen (EIMI) und bietet auf Arabisch und Deutsch Seminare zur kulturellen und interreligiösen Verständigung an.

Als militanter Islamist verachtete Yassir Eric Christen und Juden. Heute ist der gebürtige Nordsudanese evangelischer Theologe und ruft zu einem respektvollen Umgang mit Muslimen auf. Da er nach seiner Konversion von seiner Familie enterbt wurde, weiß er, wie wichtig Toleranz und Religionsfreiheit sind. Deshalb reist er regelmäßig in den Nahen Osten, um sich für Menschenrechte und die Glaubensfreiheit von Minderheiten einzusetzen. Dr. Yassir Eric ist Leiter des Europäischen Instituts für Integration, Migration und Islamthemen (EIMI) und bietet auf Arabisch und Deutsch Seminare zur kulturellen und interreligiösen Verständigung an.

KAPITEL 2

Khartum – Eine Stadt voller Verwandter

Nach den Jahren in der Koranschule war ich überglücklich, wieder in unserem Viertel zu wohnen. Obwohl es zu Khartum gehörte und nur etwas außerhalb vom Stadtzentrum direkt am Blauen Nil lag, war es ein kleines Dorf für sich. Ich liebte den Markt, der täglich frisches Obst und Gemüse anbot, die kleinen Läden in den Straßen, und freute mich, wieder draußen auf der Straße bei meinen Onkeln und Cousins zu sein. In den vergangenen zwei Jahren hatte sich so viel verändert – ich mich auch. Ich war disziplinierter geworden und hatte die Gebetszeiten so verinnerlicht, dass ich bereits vor dem Ruf der Muezzine um vier Uhr morgens aufwachte und im Gebetsraum der Moschee unseres Viertels saß und wartete, bis auch mein Vater zum Morgengebet kam.

Mit allen etwa 2300 Menschen, die in unserem Viertel lebten, war ich verwandt. Alle gehörten zu unserem riesigen Clan. Oft übernachtete ich nicht zu Hause, sondern bei einer Tante oder einem Onkel. Das war für meine Eltern in Ordnung, sie wussten, egal wo ich mich aufhielt war ich gut aufgehoben. Jeder fühlte sich für mich verantwortlich und erzog mich mit.

Unsere Familie hielt zusammen. Fremde dagegen hatten es schwer: Meist blieben sie nicht lange. Sie wurden systematisch von uns ausgegrenzt und so lange terrorisiert, bis sie ihr Haus verkauften und das Viertel wieder verließen. Familie ist alles, Fremde sind nichts – das musste auch meine Mutter erfahren. Sie stammt aus einem anderen Clan und litt sehr darunter, dass ihr immer wieder das Gefühl vermittelt wurde, nicht dazuzugehören.

Mein Vater lernte meine Mutter durch einen Studienfreund kennen. Sie war dessen Schwester, eine kleine, zierliche Frau, die immer strahlte und fröhlich zu sein schien. Er fand sie sympathisch und wollte die Beziehung zu seinem Freund stärken. Deshalb ging er zu meinem Großvater und bat ihn um Erlaubnis, sie zur Frau zu nehmen. Mein Großvater machte eine Ausnahme und ließ zu, dass sein Sohn eine Frau außerhalb der Verwandtschaft heiratete. Schon damals wussten mein Vater und er, dass die Familie mütterlicherseits der Mahdi-Bewegung im Sudan angehörte und dass sie Sufis, also islamische Mystiker, waren und nicht wie unser Clan einen Schriftislam lebten. Mein Großvater missbilligte dies von Anfang an. Und als mein Vater begann, seinen Glauben immer strenger zu leben, störte auch ihn diese Tatsache zunehmend.

Ich erinnere mich daran, dass wir Kinder unsere Verwandtschaft mütterlicherseits wenige Male in ihrem Dorf Rufa’a besuchten, das etwa 130 Kilometer südöstlich von Khartum am Blauen Nil liegt. Zum ersten Mal in meinem Leben erlebte ich dort, dass Frauen sangen – und das, obwohl dies im Islam verboten ist, wie ich in der Koranschule gelernt hatte. Stundenlang saß meine Mutter mit ihrer Verwandtschaft abends auf dem Hof und sang immer dieselben zwei Worte: Allah hay (Gott ist lebendig). Dabei wiegten sie ihren Oberkörper tausende Male vor und zurück. Mit diesem meditativen Gesang suchten meine Mutter und ihre Familie die Nähe Gottes.

Die Lieder faszinierten mich, erschreckten mich gleichzeitig aber auch sehr. Diese Menschen können keine Muslime sein, wenn sie so etwas tun, dachte ich mir. Außerdem hatten sie die salahin, die Heiligen, zum Vorbild. Ihre Weisheiten und Beispiele waren für sie maßgeblich, mehr als das Leben Muhammads.

Für meinen Vater waren nicht die Heiligen das Vorbild, sondern er versuchte Mohammad und den salaf in allen Dingen nachzufolgen. Seit ich mich erinnern kann, fastete er jeden Mittwoch. Und nach dem Nachtgebet am Donnerstag rezitierte er zusammen mit meinem Großvater den Koran bis zum Morgengebet am Freitag. Zwischendurch beteten sie 13 Gebetseinheiten (rak’a). Diese Mühen nahm er auf sich, weil er wollte, dass Allah ihn annimmt, und weil er seine Nähe suchte.

Als ich meinem Vater eines Tages von den Gesängen bei der Familie meiner Mutter erzählte, wurde er sehr zornig und verbot uns Kindern, die Verwandtschaft nochmals zu besuchen. Auch meine Mutter sah ihre Eltern und Geschwister ab da nur noch selten. Doch egal ob meditative Lieder oder Fasten und Koranrezitieren: Obwohl meine Eltern eine sehr unterschiedliche Frömmigkeit lebten, waren beide darum bemüht, Gott nahezukommen und ihm zu gefallen.

Meine Mutter hatte es in unserer konservativen Familie nicht leicht. Sie wusste, dass alle in unserem Clan auf sie und ihre Verwandtschaft herabschauten, weil sie sie nicht für rechtgläubig hielten. Deshalb unterwarf sie sich der Familie ihres Mannes und versuchte, sich in allem anzupassen. Als Fremde wollte sie so wenig wie möglich auffallen. Sie war aus ihrer Familie entwurzelt und sehnte sich danach, zu unserer Familie zu gehören.

Schon als mein Vater sie kennenlernte, trug sie selbstverständlich ein hijab, ein Kopftuch. Doch als ich elf Jahre alt war und mein Vater immer strenggläubiger wurde, verlangte er von ihr, in der Öffentlichkeit einen Gesichtsschleier zu tragen. Das tat sie auch, um ihm zu gefallen. Sie durfte das Haus nicht mehr alleine und nur mit Erlaubnis meines Vaters verlassen; entweder war ich mit ihr unterwegs oder eine andere männliche Begleitung aus der Familie. Dafür fand mein Vater religiöse Begründungen, aber auch sein Prestige spielte eine große Rolle. Er wollte nicht, dass andere sagten: „Schau, seine Frau verlässt unbeschützt das Haus, so als ob sie keine Familie hätte.“ Auch bei meinen drei Schwestern wurde darauf geachtet, dass sie sich ehrenhaft verhielten: Schon im Alter von sieben Jahren begannen sie auf Wunsch meines Vaters den hijab zu tragen.

Wie bei streng konservativen Muslimen üblich, gab es auch bei uns eine strikte Geschlechtertrennung: Wenn Gäste uns besuchten, trennten sich die Familien schon vor unserer Haustür. Wir hatten zwei verschiedene Haustüren, eine für Frauen, eine für Männer. Selbst die Wohnzimmer und Toiletten waren in verschiedenen Haustrakten, sodass die fremden Männer unsere Frauen nicht sahen und die fremden Frauen keinem einzigen Mann aus unserer Familie begegneten. Wenn der männliche Gast nach Hause gehen wollte, schickte er ein Kind in den Frauenbereich, um seiner Frau Bescheid zu geben, und erst auf der Straße kam die besuchende Familie wieder zusammen.

Selbst in unserer Familie gab es keinen natürlichen Umgang zwischen den Geschlechtern. Ich hatte nur wenig mit meinen Schwestern zu tun, weil ich von Anfang an anders behandelt wurde als sie: Meine Schwestern lernten von unserer Mutter, einen Haushalt zu führen und bereiteten sich auf ihre spätere Aufgabe als Ehefrau und Mutter vor. Ich hingegen wurde auf meine zukünftige Rolle als Führer unseres Clans vorbereitet, eine Position, die ich mir nicht selbst ausgesucht hatte. Mein Vater wollte Nachfolger seines Vaters werden und ich sollte darauf folgen. In meiner Erziehung spiegelte sich seine Erziehung wider: „Richtige Männer spielen nicht“, sagte mein Vater zu mir und nahm mich zu Sitzungen, Beratungen und in die Kaserne mit. Also spielte ich eben nicht Fußball, sondern mit Kalaschnikows, die ich schon mit zehn Jahren in kürzester Zeit auseinander- und wieder zusammenbauen konnte.

Auch unser Schulsystem war geschlechtergetrennt: Meine Schwestern besuchten eine andere Schule als ich. War mein Vater nicht zu Hause, übernahm ich schon als Kind seine Rolle als Familienoberhaupt und meine Mutter und Schwestern verhielten sich dementsprechend. Schon früh wurde mir beigebracht, dass Frauen nichts zu sagen und „Mängel in Vernunft und Glauben“ haben, wie ein hadith aus der Buchari-Sammlung besagt.5 Ich kannte damals keine Frau, die ihr eigenes Geld verdiente. Alleine, außerhalb der Familie, wohnen nur die unmoralisch lebenden Frauen, sagte man mir. Diese Männergesellschaft prägte mich.

Mein Großvater und mein Vater hatten aus ihrem „Fehler“ mit meiner Mutter gelernt. Sie entschieden, dass wir Kinder keine Fremden heiraten sollten, sondern innerhalb der Familie. Dies hatte auch den Vorteil, dass das Vermögen und alle Geheimnisse der Familie im Clan blieben. Somit war sichergestellt, dass die Kinder, die aus der Ehe hervorgingen, keinen Onkel oder Großvater aus einer schlechten Familie bekämen.

Schon im Kindesalter wurden meinen Schwestern Cousins aus unserer Familie versprochen, die sie später dann auch heirateten. Arrangierte Ehen sind in unserer Kultur üblich. Ich kannte es nicht anders. Auch ich wusste, seit ich mich erinnern kann, dass ich später meine Cousine Iman heiraten sollte. Seitdem investierte mein Onkel in mich als seinen zukünftigen Schwiegersohn und erzog mich mit. Er wollte schließlich später einen guten Mann für seine Tochter. Andersherum war es ähnlich: Mein Vater beteiligte sich an den Schulgebühren für seine zukünftige Schwiegertochter und meine Mutter hatte ein Auge auf die Cousine, damit sie ein ehrenhaftes Mädchen wurde. Jeder wusste, dass wir beide einmal heiraten werden, und auch für mich war damit das Thema Partnersuche erledigt.

Man kann diese patriarchalen Strukturen kritisieren und sich aus gutem Grund gegen arrangierte Ehen aussprechen. Sie sorgen vor allem dann für große Probleme, wenn die eigene Wahl auf einen anderen Partner fällt als die der Eltern. Damals kannte ich es aber nicht anders und wurde nicht dazu erzogen, Entscheidungen selbst zu treffen. Für mich war es keine willkürliche Angelegenheit, dass meine Familie mich meiner Cousine versprochen hatte, denn ich hatte Vertrauen in meinen Vater und Großvater und zweifelte nicht daran, dass sie das Beste für mich wollten. Ich wusste, sie würden im Ernstfall...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2023
Verlagsort Asslar
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Bekehrung • Flucht • Glaube • Intoleranz • Jesus Christus • Konvertierung • Muslim
ISBN-10 3-86334-874-5 / 3863348745
ISBN-13 978-3-86334-874-8 / 9783863348748
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