Sie raubten mir die Unschuld (eBook)

In der Hölle eines Waisenhauses
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2023 | 1. Aufl. 2023
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7517-5502-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sie raubten mir die Unschuld - Madeleine Vibert, Toni Maguire
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Das Waisenhaus sollte ein Zufluchtsort sein. Doch es war die Hölle ...

Als Madeleine fünf Jahre alt ist, kommt sie in das Waisenhaus Haut de la Garenne. Hier geschieht jahrelang Unvorstellbares unter dem Mantel des Schweigens: Madeleine und viele andere Kinder sind regelmäßigen Misshandlungen und sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Schlimmer noch: Die Kinder werden an Männer verkauft, um deren perverse Wünsche zu erfüllen. Doch Madeleine kann der Hölle des Waisenhauses entfliehen ...

Die Autorin Toni Maguire hat in dem erschütternden Bericht 'Kein Wort zu Mami' die Geschichte ihrer eigenen Missbrauchserfahrungen verarbeitet. Das Buch wurde ein internationaler Bestseller. Seitdem widmet sie sich der Aufgabe, als Schriftstellerin anderen Missbrauchsopfern eine Stimme zu geben. Sie lebt heute in Norwich in Großbritannien.





<p>In ihren Memoires "Kein Wort zu Mami' und "Was hast du getan, Papa?' erzählt Toni Maguire ihre eigene erschütternde Geschichte als kleines Mädchen, dessen Kindheit vom eigenen Vater zerstört wurde. Heute arbeitet Toni als Autorin mit anderen Missbrauchsopfern zusammen, die ihre Geschichten ebenfalls zu Papier bringen wollen.<br><br></p>

1


An einem warmen, sonnigen Morgen kam meine Mutter gemeinsam mit sieben weiteren Frauen auf Jersey an. Der Himmel war hellblau, die Sonne stand schon hoch am Himmel und schien auf die felsige kleine Insel, wo das graue Steinschloss steht. Das Meer funkelte wie ein Teppich aus Edelsteinen. Die leichte Seekrankheit verging, meine Mutter war sehr aufgeregt. Alles war fast zu strahlend, zu lebendig, um wahr zu sein. Aber so unglaublich schön!

Eine der anderen Frauen griff nach ihrem Arm. »Schau nur, Maureen, da drüben! Kannst du das sehen? Das ist Frankreich.« Alle drehten sich um und beschirmten ihre Augen gegen die helle Sonne. Aufgeregtes Gemurmel lag in der Luft.

»Wir könnten an unserem freien Tag nach Paris fahren!«, sagte meine Mutter, die keine Ahnung hatte, wie weit Paris von der Küste der Normandie entfernt war.

In diesem Moment legte das Schiff mit einem kleinen Rucker an, die Rampe wurde heruntergelassen. Die Frauen gingen mit ihren Koffern von Bord und betraten zum ersten Mal die Insel.

Suchend schauten sie sich nach den Leuten auf, die sie abholen sollten. Sie wussten, für Unterkunft war gesorgt, und ihre Sachen würden dorthin gebracht. Sie könnten ein heißes Bad nehmen und würden sich dann treffen, um die Stadt zu erkunden.

Für sie war es nicht nur ein Neuanfang, sondern eine Befreiung. Zum ersten Mal in ihrem Leben waren sie frei, denn Irland ging mit seinen Töchtern sehr streng um. Hochprozentiger Alkohol war verboten, und nur leichtfertige Frauen hätten sich in die Männerdomäne, den Pub gewagt. Selbst bei Tanzveranstaltungen durften die Mädchen – wenn sie überhaupt die Erlaubnis bekamen, hinzugehen – nur Limonade trinken. Und an diesen Abenden blieb immer mindestens ein Elternteil auf, um darauf zu achten, dass die Tochter ohne Umweg nach Hause kam und nicht womöglich nach Alkohol roch. Jetzt fielen all diese Beschränkungen. Keine festen Uhrzeiten, wann sie zu Hause sein mussten, keine Eltern, die die Uhr im Blick hatten. Ein unglaubliches Gefühl. So hat es mir meine Mutter erzählt.

Sie standen noch da und plauderten, als zwei Männer auf sie zukamen. Der eine war in den Dreißigern, untersetzt, mit einem geröteten, wettergegerbten Gesicht und fettigem dunklem Haar. Meine Mutter achtete kaum auf ihn, sondern konzentrierte sich auf den zweiten Mann. Er war um Einiges größer und hatte glattes hellbraunes Haar, das selbst einem Dreißigjährigen noch ein jungenhaftes Aussehen verleiht. Und wenn er lächelte, sah man seine weißen Zähne. Die Natur hatte ihm ebenmäßige Gesichtszüge, ein Grübchen im Kinn und warme braune Augen geschenkt. Und die Sonne war ebenfalls großzügig mit ihm umgegangen. Er war – im Gegensatz zu seinem rotgesichtigen Freund – richtig braun. Jahre später sagte meine Mutter mir, er sei einfach der schönste Mann gewesen, den sie je gesehen hatte.

»Ihr seid die aus Irland?«, fragte er, und als sie begeistert nickten, lächelte er wieder. »Ihr könnt mich Jim nennen«, sagte er, deutete auf seinen schweigsameren Freund und stellte ihn als Ben vor. Nach den Namen der Frauen fragten sie nicht.

»Also, Mädchen, wir sollen euch in euer Quartier bringen. Ich denke, ihr wollt schnell dorthin, also folgt uns einfach.« Und mit großen Schritten ging er zu einem offenen Lastwagen mit Holzbänken an den Seiten der Ladefläche. »Springt rauf«, sagte er ihnen, dann stieg er zu dem anderen Mann ins Fahrerhaus. Ben ließ den Motor an, immer noch, ohne einen Ton zu sagen. Die letzte Etappe ihrer Reise hatte begonnen.

Ich kenne das Jersey dieser Zeit nur aus den Erzählungen meiner Mutter, aber dieser Tag steht mir so deutlich vor Augen, als wäre ich selbst da gewesen. Der Hafen sah damals noch ganz anders aus. Ich kenne ihn heute, mit seinen schnittigen Yachten, wo tagsüber Männer in sauberen weißen Jeans und T-Shirts mit Tauen und Ketten hantieren. Auch die Stadt St. Helier muss sich sehr verändert haben. Heute gibt es dort jede Menge Straßencafés, hell erleuchtete Restaurants, Designerläden und beeindruckende Hotels. Als meine Mutter dort ankam, sah das noch anders aus.

Ich stelle mir das blaue Meer vor, den Himmel, der sich darin spiegelt, und die Gruppe Mädchen in ihren von der Reise zerknautschten Kleidern. Die Haare wehen im Sommerwind, die Gesichter leuchten erwartungsvoll. Und mittendrin meine Mutter mit ihrem kehligen Lachen und den funkelnden Augen. Sie strahlte am meisten.

Die Mädchen warfen ihre Koffer auf die Ladefläche und kletterten kichernd und scherzend hinauf. Auf der Fahrt atmeten sie Dieselabgase und salzige Seeluft ein, und statt der großen, hellen Häuser mit den kurz geschnittenen Rasenflächen, Tennisplätzen und Swimmingpools, die heute dort stehen, sahen sie grüne Wiesen mit Kühen auf der einen Seite und weite goldene Strände auf der anderen.

Der Lastwagen fuhr über enge Landstraßen, und am Ende einer dieser Straßen tauchte ein großer Bauernhof auf.

»Wir sind fast da«, sagte der Fahrer.

»Wo?«, murmelte Marie. »Wir werden doch wohl nicht alle in diesem Haus arbeiten.« Sie wandte sich zu meiner Mutter um. »Was haben sie dir denn erzählt, Maureen? Die Leute, die dir die Arbeit vermittelt haben.«

»Sie haben gesagt, ich würde am Anfang auf einem Bauernhof arbeiten, und wenn meine Reisekosten bezahlt sind, dann könnte ich mir auch eine andere Arbeit suchen. Sobald ich ein bisschen was gespart habe, um eine Wohnung zu mieten.«

Der Fahrer lachte. »Mein Gott, was für Geschichten die erzählen«, sagte er über seine Schulter hinweg.

Meine Mutter beschloss, nicht auf ihn zu achten. Mehr Sorge machte ihr die Frage, wo sie eigentlich waren. »Wir wollten uns noch ein bisschen in der Stadt umsehen, wenn wir eingezogen sind«, sagte sie. »Wie weit ist das denn?«

»Auf Jersey kann man alles zu Fuß erledigen«, sagte Jim. »Die Insel ist ja nur ein paar Meilen lang.«

»Außerdem seid ihr in Irland es doch gewöhnt, zu laufen, oder?«, fügte sein Freund hinzu. »Und erst mal wollt ihr doch sicher euer neues Zuhause sehen.«

Irgendwie war der Ton, mit dem die Männer sprachen, meiner Mutter unheimlich. Untereinander benutzten sie eine Sprache, die sie nicht verstand, aber sie spürte an ihrem Gelächter und den Blicken, die sie über die Schulter warfen, dass sie sich über die Frauen lustig machten. Auch die anderen Mädchen schienen das zu merken und schwiegen.

Aber als Jim sich umdrehte und sie anlächelte, war ihnen schon wieder etwas wohler. Er zwinkerte ihnen zu. »Lasst den Kopf nicht hängen, Mädchen, nicht an eurem ersten Tag hier auf der Insel. Wir wollten euch nur ein bisschen ärgern. Seid wieder fröhlich, dann lasse ich mich am Wochenende vielleicht überreden, euch in die Stadt zu fahren und euch St. Helier zu zeigen.«

Sie bedankten sich lautstark, und ein paar Minuten später kam der Wagen vor einer Reihe langgezogener Hütten zum Stehen. »So, die Damen, hier ist euer neues Zuhause«, sagte Bob, ohne die Miene zu verziehen, und stieg aus.

Meine Mutter bemerkte das böse Funkeln in seinen Augen, als er ihre Gesichter sah.

Die Hütten waren aus Beton und hatten verrostete Wellblechdächer. Solche Häuser hatte meine Mutter noch nie gesehen. In Irland wurden in solchen Schuppen die Hühner gehalten.

»Ach, so schlecht ist das gar nicht, Mädchen«, sagte Jim, der bemerkte, wie verstört sie waren. »Kommt rein, seht es euch an. Man kann es sich darin ganz gemütlich machen. Lebensmittel sind auch da, ihr könnt euch also was zu essen machen und euch ein bisschen ausruhen. Aber denkt dran, hier wird früh aufgestanden.«

»Wie früh?«, fragte Marie.

»Pünktlich um halb sieben.« Ohne auf ihr lautes Stöhnen zu achten, stieg Jim wieder in den Wagen und brauste davon.

Von innen sahen die Hütten entgegen seinen Worten genauso schlimm aus wie von außen. Durch die Tür betrat man einen düsteren Raum, der in einem schmutzigen Beigeton gestrichen war. Er war spärlich möbliert mit einem dunklen Holztisch, vier Stühlen und einem durchgesessenen Zweiersofa. Unter dem einzigen Fenster, vor dem eine dünne Blümchengardine hing, befanden sich ein Kocher und ein Abfluss. Zwei Schlafzimmer gingen von dem Hauptraum ab, aber sie waren so klein, dass zwischen den schmalen Einzelbetten kaum Platz blieb.

Am nächsten Morgen wurde ihnen klar, wofür sie die Armut Irlands hinter sich gelassen hatten. Sie waren als Landarbeiterinnen angeheuert worden, nicht als Hausangestellte. Je nach Jahreszeit sollten sie Kartoffeln setzen oder ernten, sie scheuern oder verpacken. Im Winter, wenn die Leitungen einfroren und der Frost unter ihren Füßen krachte, zogen sie alles an, was sie finden konnten, wenn sie in den ungeheizten Scheunen arbeiteten. Mit steifen Fingern vor Kälte packten sie die Kartoffeln in Holzkisten, damit sie fürs Setzen bereit waren, wenn der Frühling kam.

»Und dafür waren wir aus Irland weggegangen«, seufzte meine Mutter, als sie mir davon erzählte. »Wir waren so leichtgläubig! Wir hatten wirklich gedacht, wir...

Erscheint lt. Verlag 1.12.2023
Reihe/Serie Erschütternde Erfahrungsberichte von Bestsellerautorin Toni Maguire
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Autobiografie • Gewalt gegen Kinder • Kinderheim • Kindesmissbrauch • Missbrauch im Kinderheim • Sexualisierte Gewalt • sexuelle Gewalt gegen Kinder
ISBN-10 3-7517-5502-0 / 3751755020
ISBN-13 978-3-7517-5502-3 / 9783751755023
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