Heinrich Himmler (eBook)

Biographie

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
1040 Seiten
Pantheon Verlag
978-3-641-31539-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Heinrich Himmler - Peter Longerich
Systemvoraussetzungen
17,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Hitlers wichtigster Helfer
Über Heinrich Himmler (1900 -1945) existieren viele Klischees: Mal wird er als pedantischer Bürokrat, mal als verbissener Ideologe und versponnener Germanophiler dargestellt.Peter Longerich liefert eine Gesamtschau all jener Bereiche, in denen Himmler Verantwortung trug, und zeigt, in welch erstaunlichem Ausmaß dieser Mann die Strukturen und zerstörerische Dynamik der NS-Diktatur prägte. Mit dieser ersten fundierten Biographie des »Reichsführers SS« wird das Phänomen Himmler enträtselt.

Heinrich Himmler, Reichsführer SS, Chef der Deutschen Polizei, Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, schließlich Reichsinnenminister und Befehlshaber des Ersatzheeres, verfügte im NS-Staat über eine einzigartige Machtfülle und stand wie kaum ein Zweiter für Terror, Verfolgung und Vernichtung. Er war für die Repression im Innern ebenso verantwortlich wie für die Verbrechen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, für die Gräueltaten der SS an der Ostfront oder für die Entwurzelung und Umsiedlung von Millionen Menschen unter deutscher Herrschaft. Doch trotz ihrer zentralen Rolle für das Regime bleibt die Figur Himmler bis heute blass und über weite Strecken rätselhaft.
Der renommierte NS-Forscher Peter Longerich nimmt die Person Himmler in all ihren Funktionen und Facetten in den Blick. Er verschränkt auf einzigartige Weise private Lebensgeschichte, politische Biographie und Strukturgeschichte und eröffnet damit überraschende Einsichten in die Gesamtgeschichte der NS-Diktatur.

Peter Longerich, geboren 1955, lehrte als Professor für moderne Geschichte am Royal Holloway College der Universität London und war Gründer des dortigen Holocaust Research Centre. Von 2013 bis 2018 war er an der Universität der Bundeswehr in München tätig. Er war einer der beiden Sprecher des ersten unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestags und Mitautor der Konzeption des Münchner NS-Dokumentationszentrums. Seine Bücher über die »Politik der Vernichtung« (1998) und ihre Resonanz in der deutschen Bevölkerung, »Davon haben wir nichts gewusst!« (2006), sind Standardwerke. Seine Biographien über »Heinrich Himmler« (2008), »Joseph Goebbels« (2010) und »Hitler« (2015) fanden weltweit Beachtung. Zuletzt erschienen »Wannseekonferenz« (2016), »Antisemitismus. Eine deutsche Geschichte« (2021) sowie »Die Sportpalast-Rede 1943. Goebbels und der totale Krieg« (2021)

Kindheit und Jugend


1980, wenige Wochen vor seinem Tod, schloss der deutsche Schriftsteller Alfred Andersch eine autobiographische »Schulgeschichte« ab. Geschildert wird eine Griechischstunde am Münchner Wittelsbacher-Gymnasium, die 52 Jahre vor dem Erscheinen der Geschichte stattfand: Ihr Vorbild ist der letzte Griechischunterricht, den Andersch an dieser Anstalt im Jahr 1928 erlebte.

Das Drama beginnt, als der Direktor der Anstalt, der strenge, von allen gefürchtete »Rex«, zu einer überraschenden Visite in der Klasse erscheint. Zunächst kommt es zu einem Wortwechsel zwischen dem Rex und einem recht selbstbewussten Schüler adliger Herkunft, der schnell eskaliert und damit endet, dass der Direktor dem unbotmäßigen Schüler, der sich seiner Autorität nicht unterwerfen will, die Relegierung von der Schule ankündigt. Doch dies war erst das Vorspiel: Nun befiehlt der Rex den Helden der Geschichte, den Andersch Franz Kien genannt hat, an die Tafel und führt nicht nur geradezu genussvoll dessen miserable Griechischkenntnisse vor, sondern macht Kien-Andersch nach allen Regeln der Kunst – zynisch, hämisch, gemein – fertig. Auch er muss die Anstalt verlassen.

Der Rex, so erfährt man, hieß in Wirklichkeit Himmler, und Andersch gab der Geschichte den Titel »Der Vater eines Mörders«.

Anderschs »Schulgeschichte« ist ein möglicher Versuch, sich dem Phänomen Himmler anzunähern: Die Karriere des Massenmörders, so wird hier nahegelegt, ist das Ergebnis eines Vater-Sohn-Konflikts, in dessen Verlauf Heinrich Himmler zum rechtsradikalen Revolutionär wird, der sich gegen den überstrengen Vater auflehnt, sich mit ihm »tödlich verfeindet«. Musste nicht, so lautet Anderschs Frage, »aus einem solchen Vater mit ›Naturnotwendigkeit‹, das heißt nach sehr verständlichen psychologischen Regeln, nach den Gesetzen des Kampfes zwischen aufeinander folgenden Generationen und den paradoxen Folgen der Familien-Tradition, ein solcher Sohn hervorgehen?« Andersch räumte ein, dass er auf diese Frage keine definitive Antwort habe.

Die zahlreichen Leserbriefe, die nach dem Vorabdruck von Anderschs Novelle in der Süddeutschen Zeitung eben dort veröffentlicht wurden und von Lesern stammten, die Gebhard Himmler noch selbst erlebt hatten, zeichnen ein uneindeutiges Bild: Er wird als »einer der Typen, die nach oben katzbuckeln und nach unten treten«, beschrieben, aber auch als »sehr respektgebietende, energische Persönlichkeit von hohem geistigen Niveau«.1

Otto Gritschneder, ein bekannter Münchner Anwalt, der zahlreiche kritische Publikationen zur bayerischen Justiz im Nationalsozialismus verfasst hat, erinnerte sich an seinen ehemaligen Lehrer Gebhard Himmler »als gerechten Rex (und Gerechtigkeit ist ja für Schüler etwas sehr Wichtiges), der sich ehrlich mühte, unseren jungen Seelen den Anschluss an Kultur und Geschichte unserer Heimat und unseres Kontinents zu vermitteln«. Gritschneder hatte im Übrigen als Klassenkamerad neben Andersch gesessen; dieser sei, so seine Auskunft, einfach ein schlechter Schüler gewesen, und seine Schulkarriere am Wittelsbacher-Gymnasium sei auf ganz normale Weise beendet worden.2

Die Himmlers und ihr Sohn Heinrich


Gebhard Himmler, Heinrich Himmlers Vater, war der Sohn eines subalternen protestantischen Beamten, ein klassischer sozialer Aufsteiger. Sein 1809 geborener Vater Johann Himmler, der aus einer Familie von Bauern und Handwerkern aus Ansbach stammte und selbst gelernter Weber war, hatte sich in einer wechselvollen Karriere im königlich-bayerischen Militär- und Polizeidienst bis zum Brigadier (das entsprach dem Rang eines Polizeiwachtmeisters) hochgedient und war nach seiner Verabschiedung 1862 bis zu seinem Tod 1872 in der Bezirksverwaltung von Lindau tätig gewesen. Wenige Monate nach seiner Übersiedlung nach Lindau hatte Johann Himmler, nun 53-jährig, die 24 Jahre jüngere Agathe Rosina Kiene geheiratet, Katholikin und Tochter eines Uhrmachers aus Bregenz.3

1865 bekam das Paar einen Sohn, Gebhard. Als er sieben Jahre alt war, starb sein Vater. Die Mutter erzog ihn katholisch, und wohl vor allem ihrem Einfluss verdankte er jene Energie und Zielstrebigkeit, mit deren Hilfe es ihm gelang, aus seiner kleinbürgerlichen Herkunft den sozialen Aufstieg ins Bildungsbürgertum zu vollziehen. 1884 nahm er an der Münchner Universität ein Studium auf, in dem er sich vor allem mit Germanistik und den klassischen Sprachen beschäftigte und das er 1888 mit dem Staatsexamen beendete.4 Anschließend verbrachte er einige Zeit in St. Petersburg, wo seinerzeit eine relativ große deutsche Kolonie existierte, und war dort als Privaterzieher im Hause des Honorarkonsuls Freiherr von Lamezan tätig.5 Durch die Freundschaft Lamezans mit dem bayerischen Prinzregenten Luitpold ergaben sich Verbindungen zum bayerischen Hof. Gebhard Himmler kehrte nach Bayern zurück, wo er sich bemühte, als Gymnasiallehrer Fuß zu fassen. Zunächst unterrichtete er ab 1890 als befristet beschäftigter Lehrer an Münchner Gymnasien, genoss aber seit 1894 das seltene Privileg, von Prinz Arnulf von Wittelsbach, einem Bruder des Prinzregenten und späteren König Ludwig III. von Bayern, zum Privatlehrer von dessen Sohn Heinrich bestellt zu werden.6 Nachdem er diese Tätigkeit 1897 erfolgreich beendet hatte, erhielt Gebhard Himmler eine feste Stelle als Gymnasiallehrer am traditionsreichen Wilhelmsgymnasium in München.7

Seine neue Stellung erlaubte ihm endlich die Gründung einer Familie. 1897 heiratete er Anna Maria Heyder, die Tochter eines Münchner Kaufmanns. Sie war zum Zeitpunkt der Eheschließung mit 31 Jahren ein Jahr jünger als ihr Ehemann; auch sie hatte ihren Vater, der bei ihrer Geburt bereits 55 Jahre alt gewesen war, früh, im Alter von sechs Jahren, verloren.8 Sie soll ein nicht unbeträchtliches Vermögen in die Ehe eingebracht haben.9

Heinrich war nach dem im Juli 1898 geborenen Gebhard das zweite Kind dieser Ehe: Er kam am 7. Oktober 1900 zur Welt. Es war eine große Ehre für die Himmlers, dass sich Prinz Heinrich, damals sechzehn Jahre alt, auf Bitten Gebhard Himmlers bereit erklärte, die Patenschaft für das Kind zu übernehmen. Zwar stand der Prinz in der Erbfolge der Wittelsbacher an aussichtsloser neunter Stelle, doch über die Patenschaft war die Verbindung zum Hof gefestigt, eine für die Zukunft der aufstiegsorientierten Himmlers ein außerordentlich wichtiger Umstand.10 Der jüngste Nachwuchs der Himmlers erhielt natürlich den Namen des einflussreichen Paten; als zweiten Vornamen wählte man Luitpold, den Namen des Prinzregenten. Für den ältesten Sohn Gebhard hatte man im Übrigen als zweiten Vornamen Ludwig ausgewählt, den Namen des 1886 verstorbenen bayerischen Königs. 1905 bekam Heinrich noch einen kleinen Bruder, Ernst.

Sicher ist, dass die Himmlers erfolgreich darum bemüht waren, ein geordnetes, durch Regelmäßigkeit der Lebensführung, Fleiß und Religiosität geprägtes Leben zu führen, wie es für eine gut situierte Münchner Beamtenfamilie um die Jahrhundertwende typisch war. Während die Mutter sich ganz um den Haushalt und das Wohlergehen der Kinder kümmerte, ging Vater Himmler nicht nur in seinem Beruf als Gymnasiallehrer auf, sondern versuchte, die Früchte seiner pädagogischen Fähigkeiten außerdem so weit wie nur irgend möglich seinen Söhnen angedeihen zu lassen.11

Im Zentrum der Erziehung stand die Vermittlung eines gediegenen Bildungskanons, der insbesondere klassische Literatur, solide Geschichtskenntnisse und die Beherrschung der alten Sprachen umfasste. Das stark ausgeprägte Bemühen, die Söhne an gesellschaftliche Konventionen und Manieren zu gewöhnen, verrät vermutlich auch die Unsicherheit des aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Vaters. Erziehung zur Religiosität und die aktive Teilnahme am kirchlichen Leben waren selbstverständlich; dabei legte vor allem Anna Himmler auf die Hinführung zum Katholizismus so großen Wert, dass Vater Himmler sich veranlasst sah, vor Übertreibungen auf diesem Gebiet zu warnen.12

Die väterliche Autorität äußerte sich nicht in Unnahbarkeit oder despotischer Strenge, sondern in geduldiger Arbeit an den Söhnen; sie wurden einem System von Regeln und Verboten unterworfen, deren Einhaltung Vater Himmler genau, mitunter pedantisch überwachte. Die Strenge des Vaters war auf nachhaltige Wirkung angelegt und scheint sich durchaus mit Güte, Liebe und Zärtlichkeit vertragen zu haben.13 Einen erheblichen Teil seiner Freizeit verbrachte der Vater außerdem mit der Pflege seiner Briefmarkensammlung, und an dieses Hobby führte er auch die Söhne heran. Außerdem brachte er ihnen Stenografie bei; ein großer Teil der Familienkorrespondenz ist in Kurzschrift überliefert.14

Vater Himmler kontrollierte insbesondere die schulischen Erfolge seiner Kinder und hielt sie dazu an, die Ferienzeit zum Repetieren des Unterrichtsstoffs zu nutzen. Als sein ältester Sohn Gebhard durch verschiedene Krankheiten mehr als die Hälfte seines ersten Schuljahres verlor, verwandte der Vater große Mühe darauf, nicht nur den entgangenen Stoff aufzuholen, sondern den Sohn bis zum Ende des zweiten Schuljahres zum Klassenbesten zu machen.15 Beide Eltern achteten im Übrigen auf den »richtigen Umgang« ihrer Sprösslinge, vorzugsweise mit Kindern aus dem gehobenen Münchner Bürgertum.

Gebhard Himmlers Pedanterie, darauf hat seine Urenkelin aufmerksam gemacht, zeigte sich besonders krass im Jahr 1910, als er sich anschickte, zu einer Griechenlandreise – ohne die Familie – aufzubrechen. Gebhard traf umfassende Vorbereitungen für den Fall, dass er nicht lebend zurückkommen sollte. Für jedes Familienmitglied...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2023
Zusatzinfo mit Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Schlagworte 2023 • Antisemitismus • Biografie • Biographien • Deutschland • Drittes Reich • DrittesReich • eBooks • Geschichte • Himmler • Holocaust • Nationalsozialismus • Neuerscheinung • Okkultismus • Polizei • Shoah • SS • Terror • Verfolgung • Vernichtung
ISBN-10 3-641-31539-5 / 3641315395
ISBN-13 978-3-641-31539-9 / 9783641315399
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 8,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Mythos 'Stauffenberg-Attentat' - wie der 20. Juli 1944 …

von Ruth Hoffmann

eBook Download (2024)
Goldmann (Verlag)
17,99