Coco Chanel. Die Königin von Paris (eBook)

Roman | Vom Waisenkind zur Ikone des 20. Jahrhunderts
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2023 | 1. Auflage
269 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77656-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Coco Chanel. Die Königin von Paris -  Maxine Wildner
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Paris 1984: Vier Tage bis zur Präsentation der neuen Kollektion! Die Vorbereitungen im Hause Chanel laufen auf Hochtouren. Unter Anleitung von Madame Martine arbeiten die Schneiderinnen rund um die Uhr. Martine war bereits zu Lebzeiten Coco Chanels hier - und Zeugin von Cocos Inspiration, ihres Genies, auch ihrer Boshaftigkeit.

Als Halbwaise im Kloster aufgewachsen schlug sich Coco als Sängerin und als Bademeisterin durch, führte als Geliebte eines reichen Herrenreiters ein Leben des Müßiggangs, bis sie zu ihrer eigentlichen Berufung fand. Mit ihren Entwürfen revolutionierte sie die Modewelt - sie wird zur gefeierten Designerin und zur erfolgreichen Unternehmerin ...

Sie liebte viele Männer, doch ihr Apartment im Hotel Ritz bewohnte sie allein. Von einem deutschen Offizier ließ sie sich anwerben, für die Nazis zu spionieren, dafür wurde sie nach dem Krieg von den Franzosen geächtet und verurteilt. Mithilfe Winston Churchills wurde sie rehabilitiert - und ihr gelang ein großartiges Comeback in die Fashionwelt.

Und der Mythos lebt über ihren Tod hinaus - bis heute.



Maxine Wildner, geboren 1980 in Wien, studierte Germanistik und Film- und Medienwissenschaften. Sie war als Schauspielerin und Dramaturgin an verschiedenen Bühnen in Deutschland und Österreich tätig. Seit ihrer Jugend ist sie begeisterte Jane-Austen-Leserin.

1


Wo bleibt Karl?


Sechs Tage bevor die neue Haute-Couture-Kollektion von Chanel für das Defilee fertig sein musste, herrschte in den Werkstätten verzweifelte Betriebsamkeit. Die Stickerinnen hätten längst an dem Brautkleid weiterarbeiten sollen, aber die Klöppelfirma hatte die Borten nicht geliefert. Zu allem Überdruss hatte Monsieur Karl in letzter Minute eine seiner Visionen gehabt und das Hochzeitskleid noch einmal ändern lassen. Die neue Version sollte zwei ausladende Krinolinen haben. Die Konsequenz war, dass Madame Martine und ihre Damen bis zur Präsentation kaum zum Schlafen kommen würden. Das Brautkleid wurde zu einem Drachen, der die Arbeitszeit von Martine und ihrem Stab zu verschlingen drohte.

»Nimm ihre Maße«, seufzte sie.

»Warum?«, fragte Cécile, die Japanerin mit französischem Vater.

»Weil sie das Brautkleid präsentieren soll.« Als Cécile nicht gleich spurte, griff Martine selbst zum Maßband. »Dann mach ich es eben selbst. Schreib mit.«

Martine legte das Maßband um Oberweite, Taille und Hüfte des Models. »75 – 76 – 85.« Nun kamen die Brust- und die Rückenbreite dran. »Vorne 31, hinten 31. Die Beine 1 Meter 21. Um die Schultern 94, Abstand der Brüste 18.«

So ging das in atemberaubendem Tempo weiter, bis Céciles Liste gefüllt war. Währenddessen stand das Mannequin bewegungslos da. Wackelnde oder quatschende Models konnte Madame Martine nicht leiden. Da gab es schon mal einen Knuff ins Kreuz, damit der Rücken wieder gerade und der Mund geschlossen war.

»Wann machst du Pause?«, fragte Cécile.

»Um Mitternacht«, murmelte Martine zwischen zwei Maßangaben.

»Reichen dir zwei Stunden Schlaf?«

Martine nickte müde.

»Dann gehe ich um zwei Uhr früh in die Pause.«

Es waren die Tage der langen Nächte, Schichtbetrieb wie in einer Fabrik. Chanel war eine Fabrik.

Die Assistentin von Karl brachte den gewünschten Tüll für die Krinolinen. »Er will 2-Millimeter-Ösen, sagt er.«

»Je größer die Öse, desto leichter der Stoff.« Madame Martine begutachtete das Gewebe. »Bei Karl muss immer alles schweben

»Er fragt, ob ich ihm schon eins der Modelle bringen kann.«

»Bist du verrückt? Wegen der verdammten Krinolinen muss ich die Dinger noch einmal komplett in ihre Einzelteile zerlegen. Karl soll mich anrufen«, zischte sie. »Dann sage ich ihm mal etwas zu seiner Vision

Als hätte Monsieur Karl seine Ohren überall, läutete das Telefon. Cécile ging dran.

»Er ist es«, flüsterte sie. »Die Mädchen warten auf die Modelle, sagt er.«

»Die Mädchen können mich mal«, zischte Madame Martine, während Karls Assistentin sich lautlos aus dem Atelier verdrückte.

»Soll ich ihm das so sagen?«, fragte Cécile verzagt.

»Bist du verrückt?« Martine nahm den Hörer und hielt ihn zu. »Er ist der von Gott Gesandte«, sagte sie mit bösem Humor. »Er ist das Gefäß, in das der Allmächtige seine Inspirationen fallen lässt. Du kannst mit Gottes Gefäß nicht so sprechen.« Sie hob den Hörer ans Ohr.

»Karl? – Ja, ich weiß«, antwortete sie nach einer Pause. »Ich will es Ihnen aber nicht halbfertig raufschicken. – Das habe ich Ihnen um acht Uhr abends gesagt und um neun Uhr noch mal. Vielleicht kann ich Ihnen um Mitternacht etwas schicken. – Danke, Karl, danke für Ihre Geduld.« Madame Martine verdrehte die Augen und legte auf. »Warum kann er uns nicht fünf Minuten in Ruhe lassen?«

Sie legte den Tüllballen auf den Tisch. Mit den Spitzen der Schere markierte sie den ersten Schnitt. Dann rauschte die große Schere in einer kühnen Bewegung durch das feine Gewebe. Ein Streifen Tüll sank zu Boden.

Beim Entrollen des Ballens stieß Martine mit Cécile zusammen, die am Nebentisch arbeitete.

»Entschuldige«, sagte die Japanerin.

»Nicht deine Schuld. Uns fehlt es an Platz, Platz, Platz!«, schnaubte Martine. »Wir sollen riesige Gewänder auf winzigen Tischen schneidern.« Sie richtete sich auf. »Meine Kreuzschmerzen bringen mich um.«

Die Assistentin tauchte zum zweiten Mal auf. »Ich soll ihm ein Stück grünen Stoff bringen«, sagte sie vorsichtiger als vorhin.

»Dort in der Ecke. Da ist alles, was wir in Grün haben.«

Ratlos stand die Assistentin vor dem überwältigenden Angebot grüner Stoffballen. »Ich weiß nicht recht …«

»Kannst du denn gar nichts allein?«, zischte Martine. »Er will einem Mädchen ein Stück grünen Stoff umbaumeln. Also nimm dir irgendeins und lass uns arbeiten.« Ein Blick auf die Uhr. »Ach, du lieber … schon halb elf!«

»Das schaffen wir nie«, bemerkte Cécile.

»Das schaffen wir. Haben wir noch immer geschafft.«

Während die Assistentin, einen grünen Stoffballen unterm Arm, das Atelier verließ, trat Madame Martine, das Herz und die Seele der Firma Chanel, vor das großformatige Gemälde. Seit sie in diesem Atelier arbeitete, hing es dort, und das war eine verdammt lange Zeit. Martine hatte Madame Chanel noch gekannt. Nach ihrem Tod wäre die Firma fast bankrottgegangen. Damals schien es, als ließe sich die Marke Chanel nur mit Coco Canel verkaufen.

Langsam sank die Schere in Martines Hand herab. In Betrachtung des Bildes wurden ihre Züge weicher. Es war kein besonders gutes Gemälde, aber es fing die Frechheit ein, die von dieser Frau ausgegangen war. Das Porträt zeigte Coco mit einer ihrer frühen Hut-Kreationen. Ein ausladender weißer Strohhut mit breiter Krempe, an dessen Vorderseite sich eine geteilte schwarze Straußenfeder erhob. Coco saß in einem gestreiften Fauteuil, weiße Bluse, schwarzer Schal. Auf dem Tisch daneben hatte der Maler die Insignien ihres Berufs arrangiert: Schere, Stecknadel und Fingerhut.

»Ohne Sie gäbe es uns alle nicht«, flüsterte Martine. »Ihretwegen dürfen wir hier sein und diese wunderbare Arbeit tun. Ich danke Ihnen, Madame.«

* ‌* ‌*

»Zwei Tage kannst du noch bleiben«, sagte Étienne Balsan. »Dann ist Schluss, Coco, danach wird es zu voll im Haus.« Étienne trug einen Frack mit weißer Weste, weißer Schleife und den Orden der Fremdenlegion am blauen Band. Unten herum trug Étienne Balsan nichts. »Komm schon, worauf wartest du? Und nimm den dummen Hut ab.«

»Gefällt dir mein Hut nicht?« Coco stolzierte vor Étiennes Bett auf und ab.

»Wozu trägst du im Bett einen Hut?«

»Noch bin ich nicht in deinem Bett.«

»Aber meine Chancen stehen nicht schlecht, würde ich sagen.« Er haschte nach ihrer Hand, wollte sie zu sich ziehen, aber Coco entwischte ihm. »In fünfzehn Minuten kommen die Gäste. Also mach schon.«

»Nur, wenn ich den Hut aufbehalten kann.«

»Von mir aus.«

Im Jahr 1906 glichen die Damenhüte von Paris entweder einem Blumenbouquet oder einer Vogelmenagerie. Komplizierte Aufbauten waren nötig, um einen Pariser Damenhut, der den Namen verdiente, in die gewünschte Form zu bringen. Und dazu brauchte man viel Draht, Tüll, Federn, Seidenblumen und was sonst noch alles!

Auf Cocos Modell fand sich nichts davon. Es war ein weißer Strohhut mit schwarzer Krempe und einer einzelnen Straußenfeder, die sich wie ein Fahnenmast über ihrem Kopf erhob. Sie liebte diesen Hut und war stolz auf ihn, denn er war ihre Schöpfung. Keine Vögel, keine Blumen, sondern eine Kopfbedeckung, die ihrer Trägerin die Möglichkeit gab, darunter zu denken. Schon immer war Coco von denkenden Frauen fasziniert gewesen. Sie nahm sich die Nonnen zum Vorbild, die das Waisenhaus geleitet hatten. Wenn sie in den Klostergärten arbeiteten, schützten ihre Hüte vor der Sonne und weiter nichts. Wenn eine von ihren Blumen aufblickte, sah Coco, dass sie dachte.

Im Hause Étienne Balsans war sie einer Menge Frauen mit Blumen- und Vogelhüten begegnet. Ihre Gesichter brachten zum...

Erscheint lt. Verlag 17.7.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte aktuelles Buch • Brigitte Bardot • bücher neuerscheinungen • Chanel N°5 • Das kleine Schwarze • Emily in Paris • französischer Stil • Geschenk für Frauen • Geschenk für Freundin • Givenchy • Grace Kelly • Haute Couture • Hotel Ritz • Igor Strawinsky • insel taschenbuch 4983 • IT 4983 • IT4983 • Karl Lagerfeld • Marlene Dietrich • Mode-Ikone • Moderne Frau • Netflix • Neuerscheinungen • neues Buch • Parfum • Paris (City) • Romy Schneider • Selbstbewusste Frau • Stadt der Liebe • Vogue • Winston Churchill • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-458-77656-7 / 3458776567
ISBN-13 978-3-458-77656-7 / 9783458776567
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