Ein Riesenherz im Friesennerz (eBook)
256 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3403-2 (ISBN)
Franzis Ehe ist ein zwanzig Jahre währender Irrtum. Als sie plötzlich von ihrem Mann verlassen wird, sitzt der Schock tief. In der ostfriesischen Provinz will sie sich erholen. Dort lernt sie Karl kennen, den durchtrainierten Sportlehrer, und Ocke, den gutsituierten Bürgermeister. Die beiden balgen sich um sie. Doch Franzi will keine Romantik, sondern Rache! Und sie schmiedet einen Plan, der es in sich hat ...
Das E-Book ist vormals unter dem Pseudonym Ida Hansen erschienen.
Helga Glaesener hat ursprünglich Mathematik und Informatik studiert, bevor sie sich entschloss, freie Autorin zu werden. Gleich ihr erster Roman »Die Safranhändlerin« wurde ein Besteller. Sie lebt heute in Oldenburg.
Im Verlag Rütten & Loening erscheint von ihr: »Die Wikingerin«, im Aufbau Taschenbuch liegt ihr Roman »Das Erbe der Päpstin« vor.
»Gehen wir gar nicht zur Schule?«, fragte Ole. Er starrte mir direkt ins Gesicht, als ich die Augen aufschlug und verwirrt nach meiner Decke tastete. »Heute ist Mittwoch«, fügte er hinzu. »Oder Donnerstag.« Er roch nach Zahnpasta, geputzten Schuhen und Tatendrang.
»Wie spät?«
»Acht dreißig.«
»Mist.« Ich drehte mich im Bett und ächzte, weil mein Kopf sich anfühlte, als wäre er in eine Häckselmaschine geraten. Der Wein! Was zur Hölle bewahrte Norbert in seinem Kellerregal auf? Absinth? Gepantschten Fusel?
»Bist du krank?«, wollte Ole wissen.
»Unpässlich.«
»Was ist das?«
»Krank für feine Leute.«
Es war eine Tortur, auf die Beine zu kommen, und ein heldenhaftes Unterfangen, Jeans und Shirt anzuziehen und die Bürste durch die Haare zu ziehen. Ole stand die ganze Zeit neben mir, den Schulranzen auf dem mageren Rücken, bereit loszusprinten, sobald ich das Signal gab. Als ich ihn so sah, fühlte ich in meinem Elend einen Funken Stolz. Natürlich, Herr Schimanski-Verschnitt, das kriegst du nicht mit, wie Ole Seewald sich abrackert, um pünktlich in deine bescheuerte Schule zu kommen und deine Ansprüche zu erfüllen.
»Soll ich dir erzählen, was Arnold mit der glibbrigen Banane aus der grünen Tonne gemacht hat, auf der die Maden drauf waren?«, fragte Ole, als wir durch die Felder wanderten.
»Heute lieber nicht.«
»Warum denn?«
»Ich muss nachdenken«, sagte ich, was lächerlich war, weil die Häckselmaschine in meinem Kopf jeden Gedanken, der zum Vorschein kam, gnadenlos zu Mistbeetdünger verarbeitete.
»Worüber?«
»Warum ich keine Bomben baue.«
»Das darf man nicht«, sagte Ole, nachdem er einen Moment überlegt hatte. Wir schienen vom selben braven Stern zu stammen.
Die erste Stunde war schon vorbei und die zweite auch fast, als wir die Schule erreichten. Oles Klassenzimmer lag zur Straße hin, und als wir über die Hecke durch das große Fenster lugten, sahen wir seine Lehrerin, die mit einem Lineal auf den Tisch klopfte.
»Das ist Frau Berber«, erklärte mir Ole. Wir konnten sie beide nicht leiden. Darüber brauchten wir gar kein Wort zu verlieren. Selbst als sie etwas an die Tafel schrieb, behielt sie die Klasse im Blick. Sie sah aus wie ein Frosch, bereit, sich mit der klebrigen Zunge jede Fliege ranzuschnalzen, die es wagt, mit dem Nachbarn zu wispern.
»Sie ist nett«, sagte Ole. »Wenn wir Geburtstag haben, kriegen wir immer einen Schokoladenkäfer von ihr.«
»Soso.«
In diesem Moment schrillte die Schulklingel. Der Häcksler in meinem Kopf steigerte sich auf höchste Tourenzahl. Schmerzgepeinigt sah ich zu, wie Ole sein Heft rauskramte und einen Stundenplan entfaltete. »Ich hab heute fünf Stunden«, sagte er.
»Schön.« Ich schaute resigniert zum Café.
An diesem Vormittag bestellte ich mir Mineralwasser, weil mein Magen Stärkeres nicht vertrug. Immer wenn an einer der drei Schulen die Klingel loslegte, wünschte ich mir zu sterben. »All in d’ Riege?«, fragte die Bedienung.
Ich hatte keine Ahnung, was sie wollte oder welche Sprache das war, und schüttelte so sparsam wie möglich den Kopf. Die Frau brachte mir ungefragt ein kleines Glas mit etwas Durchsichtigem, das so penetrant nach Alkohol roch, dass ich einen Würgreiz bekam. »Feuer bekämpft man mit Feuer«, sagte sie, dieses Mal auf Hochdeutsch. Na, wenn das so war. Ich kippte das Zeug runter, und danach ging es mir erstaunlicherweise wirklich etwas besser.
In der großen Pause zwischen der vierten und der fünften Stunde lief Kremer draußen an den Glasscheiben vorbei. Ich überlegte kurz, ob ich rausgehen und ihn von oben herab fragen sollte, ob ihn Ole und sein Turnbeutel nun zufrieden stellten. Aber ich ließ es sein. Nur nichts tun, was den Häcksler wieder in Betrieb setzen könnte. Meine Überlegungen waren allerdings überflüssig. Kremer hatte mich hinter der Scheibe entdeckt, öffnete die Tür und setzte sich wie selbstverständlich an meinen Tisch. Ich dachte an Ingmar, der – obwohl allem Spießigen abhold – in dieser Situation sicher liebenswürdig gefragt hätte, ob mir Gesellschaft angenehm sei oder so, aber Kremer ging das ab. Er musterte mich wie Oles Schulranzen und sagte: »Hm.«
»Find ich auch«, nuschelte ich.
»Sollten Sie nicht lieber da drüben sitzen?« Er nickte in Richtung Tresen.
»Warum?«
»Weil Sie’s schneller zum Klo haben, wenn Sie kotzen müssen.«
»Was?«
»Ich hab ’nen Blick dafür. Sie sehen aus wie meine Zehnte am Montagmorgen.« Er grinste. Vielleicht sollte die Grimasse Mitgefühl andeuten. Wenn ja, kam’s nicht rüber. Ich verfluchte das Gläschen, das mir die Bedienung aufgedrängt hatte und das mich in eine Duftwolke aus Alkoholdünsten hüllte, trank möglichst würdevoll einen Schluck von meinem Mineralwasser und grübelte über die vernichtende Bemerkung, die ich wegen Oles Turnbeute machen wollte. Aber ich kriegte sie nicht mehr zusammen. Also schwieg ich. Dort, wo nicht Ostfriesland war, hätte man meine Einsilbigkeit als Aufforderung verstanden, sich dünnezumachen. Hier war das offenbar anders. »Soll ich ein Aspirin besorgen?«, fragte Kremer aufdringlich.
»Ole hat jetzt sein’ Turnbeutel dabei, Schimanski!« Hatte ich Schimanski gesagt?
»Ist mir aufgefallen. Er könnte das Ganze noch toppen, wenn er sein Sportzeug darin transportiert.«
»Was?«
»Er turnt in seinen Straßenklamotten.«
»Quatsch. Sein Sportzeug is’ in Arnolds Turnbeutel. Also zieht er’s auch an.« Ich tat, als wäre das selbstverständlich, aber ganz sicher war ich mir nicht.
»Angesäuselt oder krank?«, fragte Schimanski.
»Ich bin nie krank.«
Er nickte, und mir ging auf, wie blöd meine Antwort gewesen war. »Femke, hast du was gegen Kopfschmerzen?«, fragte er die Kellnerin.
»Ole is klasse«, brachte ich mit schwerer Zunge hervor. »Er macht je… jeden Tag allein Schularbeiten. Und spült, wenn er auf’m Klo war. Kennse noch ’n Kind, das nach’m Klo spült? Wussten Sie, dass mindestens 102 % Erwachsene nich spülen, nach’m Klo? Kam mal auf RTL. Total seriös. Schtatischtisch unterlegt. Kein Schwein spült. Nur Ole. Pinkeln, spülen – geht ratzfatz, als hätt er ’ne Fortbildung gehabt. Aber da sagt keiner was drüber in der Scheißschule.«
Ich fummelte nach dem Taschentuch in meiner Hosentasche. Plötzlich war mir traurig zumute. Der Schnaps und mein Kater versenkten mich in einen See aus Trübsal. Was ging mich dieser Schimanski an? Warum redete ich überhaupt mit ihm? Ich hatte meine eigenen Sorgen. Und die hießen: Ingmar. Wir hatten einmal in den Ferien nachts in einem eiskalten See gebadet, und ein Fisch war gekommen und hatte an meinem Zeh genuckelt. Hört sich jetzt ekelig an, war aber total romantisch gewesen.
Femke brachte zwei Tabletten, und ich schluckte sie mit geschlossenen Augen. »Ole weiß, in welchem Tertiär der Sprin… dings …saurus gelebt hat.«
»Er ist ein prächtiger Junge«, gab Schimanski zu. »Wenn er es noch hinkriegt, sein Sportzeug aus Arnolds Sporttasche in seine eigene zu befördern, wird er Schüler des Jahres.«
»Sein Vater sortiert Küchengewürze nach Farbe und macht die Rillen in sei’m Autoreifen mit’m Zahnstocher sauber. Hat ihn aber auch nich auf’n grünen Zweig gebracht.«
Kremer lehnte sich zurück, und mir fiel ein, dass er mich für Oles Mutter hielt und es war wahrscheinlich unfein fand, wie ich über Norbert herzog.
»Bin die Tante«, klärte ich ihn stockend auf. »Nicht von mei’m Bruder – von Ole. Deshalb darf ich das sagen. Ole is … super, wenn man an die Gene denkt. Und außerdem bau ich vielleicht doch die Bombe.«
»Aber Sie sind nicht mit dem Auto hier, ja?« Kremer blickte auf seine Uhr. Auch zum Abschied fiel ihm keine geschliffene Bemerkung ein.
»Er muss mich für eine Idiotin halten. O Himmel, ich hab in meinem ganzen Leben noch nie so einen grundbescheuerten Kram zusammengeredet«, jammerte ich abends, als ich mit Geli wieder auf der Terrasse saß und ihr mein Gespräch mit Kremer beichtete. »Schimanski. Ich bin sicher, ich hab Schimanski zu ihm gesagt. Ich vertrag keinen Alkohol, weißt du? Da setzt was bei mir aus. Da schrumpft mein Gehirn auf die Größe von so ’nem Saurierwallnussdenkgerät. Vielleicht hatte er auf dem Nachhauseweg ja einen Unfall mit Teilamnesie. Ist es unethisch, sich das zu wünschen?«
»Wieso Schimanski?«, fragte Geli.
»Schau ihn dir an. Er sieht aus wie einer von den Affen, die vor Muskeln nicht laufen können. Wie der aus dem Film.«
»Der Schimanski aus dem Tatort ist aber ein ganz anderer Typ.«
»Keine Ahnung. Hab ich noch nie geguckt.« Ich griff nach der Weinflasche, aber Geli nahm sie mir ab und goss uns beiden Holunderbeerensaft in die Gläser. »Im Ernst? Ole turnt in Straßenklamotten?«, fragte sie, als sie wieder bequem saß.
»Die sehen doch genau so aus wie Sportzeug heutzutage. Er spart sich einfach nur das Umziehen. Das ist effektiv und gut für die Umwelt!«
»Ich sollte darüber Bescheid wissen«, seufzte Geli. »Früher hab ich jeden Morgen Oles Schultasche kontrolliert, aber im Moment krieg ich das nicht hin. Ich hab eine Frau kennen gelernt, Sylvia...
Erscheint lt. Verlag | 18.7.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Familie • Ostsee • Urlaub |
ISBN-10 | 3-8412-3403-8 / 3841234038 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3403-2 / 9783841234032 |
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