Die Schwarze Farm -  Elias Witherow

Die Schwarze Farm (eBook)

Horror-Thriller
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
384 Seiten
Festa Verlag
978-3-98676-068-7 (ISBN)
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Nach dem Verlust ihres Kindes wird das Leben für Nick und Jess unerträglich. Das junge Paar setzt dem ein Ende - und stirbt in liebevoller Erleichterung. Doch der Tod ist nicht die sanfte Dunkelheit, die sie erwartet haben. Entsetzt sieht sich Nick in einer Hölle voller abscheulicher Albträume gefangen. Aber wo ist Jess? Voller Verzweiflung macht sich Nick auf die Suche. Aber nichts hat ihn auf die Schwarze Farm vorbereit, wo das mächtige Schwein mitsamt seiner Brut haust ... Ein brutaler Horror-Roman aus Amerikas literarischem Underground. Hart, clever und ungewöhnlich.

Elias Witherow lebt mit Frau und Sohn in New England. Er ist aktiver Bergsteiger und schaut gerne Hockey. Außerdem bemüht er sich ein guter Vater und Ehemann zu sein. Elias verbringt viel zu viel Zeit in seinem eigenen Kopf, um sich Geschichten auszudenken, die er dann zu finsteren, blutigen Romanen ausarbeitet.

1

Ich atmete tief aus und sah hinauf zum Nachthimmel. Sterne zwinkerten zu mir herab wie neugierige Kristalle, während sich mein Brustkorb schwerfällig hob und senkte. Was für ein wunderschöner Anblick. So hoffnungsvoll. Ein Bild des Glücks, das mich zu sich rief, Millionen Lichtjahre weit in die Ferne.

Eine warme Brise wuschelte mir durch das Haar, und ich schloss die Augen und atmete die sanfte Heiterkeit ein. Grillen zirpten um mich herum und erfüllten die Dunkelheit mit unsichtbarem Leben.

»Ich kann nicht mehr«, flüsterte ich dem Himmel zu und öffnete meine verquollenen Augen, um die kühle Sichel des Mondes zu betrachten. »Gott stehe mir bei, ich kann einfach nicht mehr.«

Ich stand im Vorgarten meines kleinen Hauses. Zum letzten Mal ließ ich die Umgebung auf mich wirken, die Landschaft war verhüllt von ungetrübter Dunkelheit. Ich konnte meine Freundin drinnen weinen hören. Ihr Kummer strömte durch die offene Tür zu mir nach draußen und legte sich wie ein schwerer Umhang um meine Schultern.

»Gott«, flüsterte ich und spürte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. »Wenn es dich irgendwo da draußen gibt … sag mir, dass ich es nicht tun soll. Bitte …« Meine Stimme versagte und ich wischte mir mit dem Handrücken über das Gesicht. Ich fühlte, wie die Last meines gesamten Daseins auf mich niedersank und mich unter sich zermalmte.

»So sollte das Leben nicht sein«, schluchzte ich, biss die Zähne zusammen und lauschte in die nächtliche Stille hinein.

»Wie konnte es nur so schlimm werden?«, fragte ich den Himmel und verspürte plötzlich den Drang zu beten: »Wenn du mich hörst … bitte … hilf mir …« Dabei war ich nicht mal gläubig, doch falls es irgendwo da draußen einen Gott gab … brauchte ich seine Hilfe.

Die kargen Hügel vor mir schwiegen. Ich lauschte dem Gras, wie es im Wind raschelte. Ich hatte geglaubt, dass mir die Abgeschiedenheit gefiel. Dass ich es genießen würde, weit weg von allen zu sein. Doch vielleicht wäre nicht alles so trostlos geworden, hätte ich mehr Menschen um mich gehabt.

Nun war es zu spät für solche Gedanken.

Zu spät, um sich noch den Kopf zu zerbrechen über all das Unglück, das mir widerfahren war, und all die falschen Entscheidungen, die ich während meiner 30 Jahre auf dieser Erde getroffen hatte.

Ich hörte, wie Jess drinnen schluchzte, und es brach mir das Herz. Ich hatte ihr das angetan. Meinetwegen waren wir hier raus in die Einöde gezogen. Sie hasste es auf dem Land, aber ich hatte darauf bestanden, dieses Haus zu nehmen. Sie liebte mich, ich war ihr Leben, ihr Ein und Alles. Natürlich war sie mitgegangen. Wir hatten eine Familie gründen wollen. Wir hatten zusammen alt werden wollen.

Ich verbarg mein Gesicht in den Händen und kämpfte gegen den Kummer an, der mich zu überwältigen drohte. Es war das Baby gewesen, das uns in diese Lage gebracht hatte. Unser ungeborener Sohn.

»Nicht einmal das war uns vergönnt«, zischte ich ins Nichts, meine Stimme nur ein ersticktes Krächzen.

Jess war wegen der Fehlgeburt am Boden zerstört gewesen, eine Flutwelle aus seelenzermalmender Trauer hatte sie mit brutalen Armen mit sich gerissen. Einen Monat lang hatte sie kein einziges Wort gesprochen, und als sie es endlich wieder tat, konnte man hören, dass etwas in ihr zerbrochen war. Etwas, das niemals heilen würde.

Ich ging mit dem Verlust auf meine Art um. Betrank mich, grübelte, versuchte dem Geschehenen irgendwie einen Sinn abzutrotzen. Wann immer mir alles zu viel wurde, schlich ich mich hinaus in die Nacht und wanderte über die weitläufigen Felder, die unser Haus umgaben, starrte in den Himmel, während die Tränen mein Gesicht herabströmten, und ich betrauerte, was aus meinem Leben geworden war.

Das war nun ein Jahr her. Die Leute sagen, Zeit heilt alle Wunden, aber das galt nicht für uns. Beharrlich hatte ich gewartet, dass es leichter wurde, darauf, dass das Leben wieder in seinen wundervollen Farben erstrahlte. Aber das tat es nicht. Jeder Tag hatte uns nur einen Schritt näher an den Punkt gebracht, an dem wir uns nun wiederfanden.

Drei Monate nach der Fehlgeburt starb mein Vater bei einem Autounfall, den ein Betrunkener verursacht hatte. Zwei Monate danach verlor ich meinen Job. Drei Monate später erhielten wir den Räumungsbescheid. Unser Leben zerfiel direkt vor unseren Augen, alles geriet mehr und mehr außer Kontrolle, bis ich glaubte, den Verstand zu verlieren.

Jess war in dieser Zeit zu einem Schatten ihrer selbst verblasst. Und ihr Job beim örtlichen Juwelier reichte nicht annähernd aus, um uns über Wasser zu halten. Unser Lebensstandard verschlechterte sich rasant, doch ich konnte einfach nirgendwo Arbeit finden.

Und dann, vor einem Monat, wurde bei Jess’ jüngerer Schwester Krebs im Endstadium festgestellt. Sie war gerade mal 24 Jahre alt. Und jeder Fortschritt, den Jess in der Zeit nach der Fehlgeburt gemacht haben mochte, verschwand auf einen Schlag. Ihr Teint war blass und kränklich, sie aß so gut wie nichts mehr, saß die meiste Zeit im Wohnzimmer und starrte auf den Fernseher.

Ich rieb mir mit beiden Händen das Gesicht und stieß einen langen, müden Seufzer aus. Es war einfach alles zu viel, jede Tragödie schmetterte wie ein weiterer Hammerschlag auf unser erbärmliches Leben nieder. Mein Verstand war in einem Zustand angespannter Unruhe stecken geblieben und gab zunehmend den Geist auf. Meine Tage ertranken in Sorge, meine Nächte in schlafloser Verzweiflung.

Ich war auf Grund gelaufen und versank immer tiefer und tiefer im Schlamm.

Ich war so erschöpft. Schon der Gedanke, auch nur einen weiteren Tag durchstehen zu müssen, erfüllte mich mit Schrecken. Ich konnte so nicht weitermachen.

All das ballte sich in meiner Brust zusammen und brodelte wie gurgelndes Gift hinauf in meinen schreienden Geist. Der Verlust unseres Sohnes, der Tod meines Vaters, der Krebs, die drohende Zwangsräumung, Jess’ Verfall …

»Es reicht«, flüsterte ich in den Wind und stellte fest, dass ich weinte. Ich wischte meine Wangen ab, drehte mich zum Haus um und ging wieder hinein.

Ich schloss die Haustür hinter mir und begab mich ins Wohnzimmer. Jess lag auf der Couch, ein blasses, in sich zusammengerolltes menschliches Knäuel mit ungewaschenem Haar. Als ihr Blick zu mir hochfuhr, weiteten sich ihre Augen. Eine Armee von Pillen bedeckte den Sofatisch vor ihr.

Mehr als genug, um uns beide mit Leichtigkeit zu töten.

Wortlos ging ich zu ihr, setzte mich neben sie und zog ihren kalten Körper in meine Arme. Sie schmiegte ihre Wange an meine Schulter, und schon fühlte ich meinen Arm feucht werden. Sanft strich ich ihr übers Haar und küsste ihren Scheitel.

»Bist du ganz sicher, dass du das willst?«, brach ich das Schweigen.

Ohne mich anzusehen, antwortete sie leise: »Ja, Nick. Ich kann das alles einfach nicht mehr. Nichts von alldem. Es ist zu viel. Ich leide …« Sie richtete sich auf und sah zu mir hoch, ihre Augen feucht von Tränen. »Ich leide in jedem einzelnen Moment.«

Meine Lippen bebten. Sie so zu sehen zerriss mir das Herz. »Ich auch«, erwiderte ich sanft.

»Es tut mir so leid«, schluchzte Jess, während sie mich weiter ansah. »Es tut mir so leid wegen unserem Sohn.«

Ich fasste sie an den Schultern und spürte, wie mir selbst die Tränen über das Gesicht liefen. »Hey, es gibt absolut nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest. Es war nicht deine Schuld. Alles, was in unserer Macht stand, haben wir getan. Ich liebe dich.«

Zitternd brach sie an meiner Brust zusammen. »Ich liebe dich auch.«

Für eine Weile saßen wir einfach so da und starrten auf den Tod vor uns. Unablässig wanderte mein Blick über die Pillen. Ich drehte Jess in meinen Armen um und spürte, wie sie seufzte.

»Du musst das nicht mit mir tun«, beharrte sie, ohne mich anzusehen. »Ich möchte, dass du glücklich bist. Dass dein Leben wieder besser wird.«

Ich streichelte ihren Arm. »Du bist mein Leben. Und du bist mein Tod. Ohne dich kann ich nicht überleben. Ich möchte …« Meine Stimme stockte. »Ich möchte nur noch in einen tiefen Schlaf sinken, genau hier, mit dir in meinen Armen und nie wieder aufwachen. Klingt das nicht schön?«

Jess nickte, glitt an mir hinunter und legte ihren Kopf in meinen Schoß. »Ja, das tut es.«

»Was, denkst du, werden unsere Familien sagen?«, fragte ich.

»Wen interessiert das …?«

Ich erwiderte nichts und ließ ihre Worte um uns herum verklingen. Sie hatte recht. Wen interessierte das? Niemand verstand die Hölle, die wir Tag für Tag durchlebten. Die Sorge, der Druck, die andauernde Panik. Es war einfach zu viel, ohne jede Hoffnung auf Besserung. Hoffnung … diese Regung hatte ich schon vor langer Zeit hinter mir gelassen.

Gedämpft drang der Gesang der Nachttiere zu uns herein und ich ließ ihr dunkles Lied in meinen Geist sickern. Was für eine friedvolle Melodie zum Sterben …

»Bist du bereit?«, fragte Jess plötzlich.

Die Frage strömte in mein Innerstes, erfüllte mich mit Wärme und erinnerte mich zugleich daran, eine Wahl zu haben. Ich leckte über meine trockenen Lippen und atmete aus. Es gab absolut nichts, wovor ich Angst haben musste. Sämtliche Monster lauerten auf dieser Seite des Daseins. Was uns hingegen erwartete, war ein seliges Nichts, der bewusstlose Zustand vollkommener Leere. Kein Leid mehr … keine Belastungen mehr … Alles würde davongeschwemmt wie Stöckchen in einem Fluss. Ich musste nur meine Augen...

Erscheint lt. Verlag 14.6.2023
Übersetzer Katrin Hoppe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-98676-068-7 / 3986760687
ISBN-13 978-3-98676-068-7 / 9783986760687
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