Wenn Wiesen flüstern -  Shanice Dobler

Wenn Wiesen flüstern (eBook)

Märchen und Gedichte aus der Natur
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
112 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-4868-2 (ISBN)
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Eine kleine Auszeit in der Natur ist doch das Schönste. Die Vielfalt der Pflanzen am Wegesrand, die man mit wachem Auge zu entdecken vermag. Die Tiere, die man beobachtet und von ihnen gleichfalls neugierig betrachtet wird. Oder das Rauschen des Windes, wie er durch die Kronen der Bäume und über das hochgewachsene Gras der Wiese weht, und uns dabei Geschichten voller Wunder und Zauber erzählt. Ein Aufenthalt in der Natur kann uns so viel geben und deshalb möchte ich mit euch mein persönliches Wiesengeflüster teilen.

Shanice Dobler, 1992 in Hessen geboren, lebt mit ihrem Mann und den beiden Töchtern im niederbayerischen Rottal-Inn. Sie ist Bürokauffrau im Immobilienbereich, passionierte Wildpflanzenfreundin und hat 2019 eine Ausbildung in traditioneller und moderner Pflanzenheilkunde absolviert. Eines ihrer großen Anliegen ist es, das Wissen um die Pflanzen, die Natur und ihre Bräuche bereits an die Kleinsten weiterzugeben. Besonders das Schreiben von Geschichten und Märchen haben es ihr angetan.

Die Eiche und das Buschwindröschen


Einst stand eine alte Eiche zusammen mit Buchen, Fichten und anderen Eichen mitten in einem Wald. Sie war schon sehr alt und hat so manches Glück und Unglück miterlebt.

Kräftig ragte sie über viele Jahrhunderte empor und lockte, insbesondere im Herbst, Tier und Mensch zu sich. Die Tiere, vor allem die Wildschweine, labten sich an den fetten Eicheln, die der Baum im Herbst fallen ließ, und die Menschenkinder sammelten sie, um kleine Figuren daraus zu basteln. Doch so glücklich sie all die Zeit war, so trübsinniger und mürrischer wurde sie nun.

Die Menschen kamen immer regelmäßiger in ihren Wald, malten Kreuze mit roter Farbe auf einige der Bäume um die Eiche herum und fingen an, sie abzuholzen – einen nach dem anderen.

Ein kläglicher Schmerz traf die alte Eiche, als sie zusehen musste, wie ihre Freunde verschwanden und es zusehends lichter um sie herum wurde. So viel sie über die Jahrhunderte auch erlebt hatte, war doch nichts so schlimm wie der Verlust ihrer Waldfamilie.

Starr stand sie da, unfähig etwas zu unternehmen. Der Groll gegen die Menschen wuchs in ihr.

Im Frühjahr, als das Leben wieder erwachte und die Bäume ihre Blätter ausbildeten, fiel es der alten Eiche zunehmend schwerer, ihr Grün zu erschaffen. Es kostete ihr viel mehr Kraft als noch im Jahr zuvor. Die alte Eiche dachte, es sei der Kummer, der ihr die Lebenskraft raubte und wurde nur noch griesgrämiger den Menschen gegenüber.

Den ganzen Sommer hatte sie Müh und Not, ihr Laubwerk zu behalten. Unter ihrer Rinde juckte es kläglich.

Allmählich nahte der Herbst, der Juckreiz ließ nach und die alte Eiche ließ erleichtert ihr Laub fallen. Sie beobachtete die Tiere, die zu ihr kamen und nach den köstlichen Eicheln suchten – vergebens.

Die Eiche hatte nicht genügend Kraft, um ihre Früchte hervorzubringen. So verschwanden die Tiere mit knurrenden Mägen, ganz zum Bedauern des alten Baumes.

Auch die Menschenkinder kamen und suchten vergeblich nach dem schönen Bastelmaterial.

Als die Eiche das sah, wurde sie böse, so waren doch die Menschen für ihr Leid und ihren Kummer verantwortlich. Am liebsten hätte sie den kleinen Menschlein eine Wurzel gestellt und sie fortgejagt. Doch ein Baum bewegt sich nur langsam, zu langsam für ein Menschenleben.

Der Winter folgte auf den Herbst und gab der alten Eiche ein wenig Ruhe. So schlummerte sie bedeckt von Schnee und erträumte sich ein herrliches Erwachen im Frühjahr mit ihrer Waldfamilie.

Und das Frühjahr kam. Zaghaft erwachte sie aus ihrem tiefen Schlaf, bereit, ihre Zweige zu begrünen und ihre Baumfreunde zu begrüßen.

Doch schon bald darauf sah sie, dass ihre Waldfamilie gegangen war. Wieder kam der Kummer zurück, wenngleich ihr das Austreiben der Blätter ein wenig leichter fiel. Ihre Freunde waren fort und schuld daran waren die Menschen mit ihren roten Kreuzen und Äxten.

Plötzlich fiel ihr etwas an ihrem Stamm auf. Eines dieser roten Kreuze, die auch die anderen Bäume trugen, kurz bevor sie gefällt wurden.

Der Groll und die Verzweiflung weiteten sich in ihr aus und ihre Rinde begann laut zu knarzen. Da ertönte ein feines Stimmchen: »Was ist los mit dir, alte Eiche? Wer lässt deine Rinde vor Wut so ächzen?«

Aus ihrem Groll herausgerissen, blickte die Eiche hinab in Richtung der Stimme. Ganz genau musste sie hinsehen, denn zu ihr sprach kein Baum, sondern ein viel kleineres Pflänzchen. Ein Buschwindröschen sah besorgt zu ihr auf. Die alte Eiche antwortete traurig: »Die Menschen sind schuld! Sie haben die anderen Bäume abgeholzt. Nun steh ich hier allein. Mein Kummer ist so groß, dass ich kaum Kraft habe zu grünen. Und schon bald soll ich die nächste sein, die gefällt wird. Sieh nur das Zeichen.«

Das kleine Pflänzchen hatte Mitleid mit der alten Eiche, und es sprach in sanftem Ton weiter: »Liebe Eiche, dein Kummer muss unermesslich sein, doch gibt es bestimmt eine einfache Erklärung dafür. So wuchst du viele Jahrhunderte hier, genau wie deine Freunde, und nie hat euch ein Mensch auch nur einen Ast gekrümmt.«

Die Eiche war kurz davor, wieder vor Wut zu knarzen und zu ächzen, jedoch spürte sie, dass das Buschwindröschen mit seinen Worten recht hatte.

Nie hatte ein Mensch ihren Freunden und ihr Schaden zugefügt in all der Zeit – bis jetzt.

»Welche Erklärung würde das Abholzen unsereiner, der alten Weisen rechtfertigen?«, fragte die Eiche skeptisch.

Das Buschwindröschen überlegte eine Weile und meinte schließlich: »Vielleicht hat mit euch etwas nicht gestimmt?«

»Nicht gestimmt?!«, polterte die alte Eiche hervor. »Wir waren mächtige und fürsorgliche Bäume. So sahen wir immer zu, dass unsere Früchte heranreiften und den Tieren zur Nahrung dienten, wir Wohnort für Vögel und andere Tiere waren und sogar den Menschenkindern eine Freude bereiteten. Mit uns hat alles gestimmt!«

Das kleine Pflänzchen zuckte bei den Worten etwas zusammen, entgegnete jedoch mutig: »Das mag sein, doch wart ihr schon alt. Ihr habt alles gegeben, was ihr hattet, über Jahrhunderte hinweg. Wir kleinen Pflänzchen sowie die Tiere und Menschen geben ihr Leben lang auch alles, doch irgendwann ist unsere Zeit abgelaufen. Ist es bei euch denn nicht so?«

Die alte Eiche stockte, bevor sie zustimmte. »Wir Bäume werden in der Tat sehr alt. Viel älter als andere Pflanzen, Tiere und Menschen. Doch was gibt den Menschen das Recht, uns vor unserer Zeit einfach zu markieren und abzuholzen? Meine Freunde standen noch gut im Saft – gut, die Buchen hatten schon ein paar kleine Wehwehchen, auch die Fichten sahen nicht mehr ganz so frisch aus und die Eichen klagten über Juckreiz …«

Mit ihren letzten Worten wurde die Eiche selbst sehr nachdenklich. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihr aus und ihr wurde allmählich klar, dass doch etwas nicht stimmte. Ihre Kraftlosigkeit war wohl nicht allein auf den Kummer zurückzuführen, dafür musste es noch einen anderen Grund geben. Aber welchen?

Als konnte das Buschwindröschen die Gedanken der alten Eiche hören, stellte es im ruhigen Ton fest: »Eine Krankheit hat euch befallen …«

»Dann hätte man uns doch wieder gesund machen können«, klagte der Baum.

»Wahrscheinlich ging das nicht mehr«, entgegnete das Pflänzchen.

Gerade als die alte Eiche darauf etwas antworten wollte, gesellte sich der Wind zu ihnen. Sanft zog er durch das Geäst der Eiche. »Sie kommen«, wisperte er.

Der Baum wurde unruhig. Er wusste, was ihm nun blühte. Schon bald würde er wie all seine Freunde auf dem Waldboden liegen und sein Leben wäre vorbei. Angst stieg in ihm auf, doch das Buschwindröschen sprach dem Baum gut zu. Es versuchte, ihn zu beruhigen. »Liebe alte Eiche, so hab doch keine Angst«, sagte es. »Die Menschen kommen zwar, doch lassen sie dich gewiss noch stehen.«

»Und wenn nicht?!«, schoss es dem Pflänzchen entgegen.

»Dann … dann ist deine Zeit gekommen«, flüsterte das zarte Stimmchen.

»NEIN! Ich bin noch nicht so weit! Mir geht es gut, ich will noch nicht gehen!«

Da kamen die Menschen zu der Eiche. Nur ein Mann und ein kleines Mädchen.

Die Eiche belauschte misstrauisch das Gespräch der beiden.

»Papa?«, fragte das Mädchen. »Wo sind die vielen alten Bäume, die hier vor einiger Zeit noch standen?«

»Sie mussten gefällt werden, mein Kind«, antwortete er ihr. Schmerz lag in seiner Stimme.

»Warum mussten sie gefällt werden?«, fragte das Mädchen weiter.

Mit einem Seufzer beantwortete er ihr auch diese Frage: »Die Bäume waren sehr krank. Man konnte ihnen nicht mehr helfen. Viele waren von Käfern befallen, die unter ihrer Rinde großen Schaden anrichteten und sich auch auf die gesunden Bäume in der Umgebung ausgebreitet hätten. So entschieden wir uns, sie abzuholzen, damit die anderen gesund bleiben und wachsen können und der Wald nicht weiter kaputt geht.« Er ging zu der alten Eiche, nahm ein Stück der bereits losen Rinde ab und zeigte auf ein paar Löcher im Stamm. »Dieser Baum ist leider auch befallen, deshalb wurde er markiert und wir werden ihn am Wochenende fällen, damit die Larven im Holz keine Chance haben, sich zu Käfern zu entwickeln und sich nicht auf die anderen Bäume ausweiten.«

Das Mädchen hatte Tränen in den Augen und bedauerte sehr, dass auch die alte Eiche gefällt werden musste. Sie legte ihre Hand auf den Stamm des Baumes und flüsterte etwas, das die Eiche jedoch nicht verstand. Dann zog sie eine Figur aus Eicheln aus ihrer Jackentasche. Sie legte sie auf eine herausragende Wurzel und sagte nun etwas lauter: »Liebe Eiche, ich bedanke mich bei dir für deine Gaben und es tut mir sehr leid, dass du gehen musst.«

Diese Geste und die Worte des Mädchens berührte die alte Eiche tief, doch...

Erscheint lt. Verlag 8.5.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7578-4868-3 / 3757848683
ISBN-13 978-3-7578-4868-2 / 9783757848682
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