Besa - eine albanische Rettung -  Wolfgang Wagner

Besa - eine albanische Rettung (eBook)

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2023 | 1. Auflage
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99152-292-8 (ISBN)
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Albanien 1941-1944 unter faschistischer Besatzung. Die jüdisch-österreichische Familie Raab muss über Serbien in dieses Land mit seiner für sie völlig fremdartigen Kultur fliehen. Albanien, anfangs noch unter italienischer Besatzung, kennt keinen Antisemitismus, aber schon bald beginnen auch hier die deutsche Wehrmacht und die GESTAPO ihr grausames Werk. Doch die Albaner haben ein Gesetz, die Besa, die bedingungslose Gastfreundschaft. Auf abenteuerliche Weise erleben die Raabs, warum bis zum Ende des Krieges in Albanien kein Jude deportiert oder ermordet wurde. Wolfgang Wagner erzählt auf spannende und berührende Weise, mit Hilfe von zahlreichen Dokumenten, Briefen, Tagebüchern und wissenschaftlichen Arbeiten, die fiktive Geschichte der Familie Raab, stellvertretend für Hunderte Flüchtlinge, die mittels der Besa gerettet wurden. Es ist eine verblüffende und für die meisten ungekannte Wahrheit der Zeitgeschichte.

Wolfang Wagner, 1956 in Wien geboren. Neben seinem Beruf als Unfallchirurg schrieb und spielte er über zwanzig Lesungstheater über Karl Kraus, Saint-Exupéry, Tucholsky, Jean Paul, Bukowski, Ringelnatz, Hemingway, die Wiener Kaffeehausliteratur und viele andere. Er verfasste Theaterstücke, unter anderen 'Lebenswert', das erste deutschsprachige Stück über die Euthanasie im Dritten Reich. Daneben arbeitete er als Regisseur für Jugendmusicals und schrieb Drehbücher für Reisereportagen. 'Besa - eine albanische Rettung' ist seine erste Buchveröffentlichung.

Storfers Büro

1940, drei Jahre vorher…

„Sag mal, bist du völlig verrückt? Du bist ja nicht normal!“

Frau Erna saß erschüttert hinter ihrem großen Schreibtisch und stützte die Ellbogen auf die Platte, während sie sich nach vorne beugte. Dann sah sie ihr Gegenüber lange an.

Ihr Gegenüber war ein junger Mann von knapp zwanzig, der schüchtern auf einem hölzernen Bürosessel saß. Zu Hause hatten immer alle gemeint, er wäre schon ein besonders hübscher Bursche. Groß, gut gebaut, athletisch. Ein schmales Gesicht mit braunen Augen wie gute Erde und fast blonden Haaren, naturgewellt ohne Disziplin. Er sah Frau Erna mit einer Mischung aus Sorge, Hoffnung und Selbstbewusstsein an. Dann strich er sich die große Welle aus der Stirne; sie behinderte ihn einfach, er wollte nicht rotzig erscheinen.

„Erna, ich muss auf dieses Schiff! Ich habe gehört, dass es das letzte ist.“

Frau Erna nickte und gerade bevor sie zu weinen begann, öffnete sich die Tür zum Nebenraum des Büros und ein kleiner Mann in dunkelgrauem Anzug mit dem Gesicht eines Bankbeamten trat ein. Frau Erna deutete ein Aufstehen an, aber der Mann winkte ab. Dann wandte sie sich wieder an den jungen Mann.

„Warten Sie draußen. Wir werden uns später um Ihr Anliegen kümmern.“

Der junge Mann zögerte beim Aufstehen.

„Also gehen Sie! Ab, hinaus – Jude!“ Frau Erna stockte.

Der junge Mann erfasste die Situation, stand auf und verließ den Raum in leicht gebückter Haltung.

Im Vorraum setzte er sich auf eine der Holzbänke ohne Lehne. Es verging die Zeit und es war still. Der junge Mann bemerkte das Zittern seiner Knie und ein Schwitzen wie vor einer Prüfung. Ein sonniger September 1940. Er hatte seinen Rucksack zwischen die Beine gestellt und zupfte an den Riemen. Natürlich hatte er das Parteiabzeichen am Revers des Mannes erkannt. Natürlich kannte er diese Art, diese Haltung, diese jovial in die Sakkotasche gesteckte Hand. Geputzte, spiegelnde schwarze Halbschuhe trugen sie auch alle, also fast alle.

Nach einigen Minuten öffnete sich die Bürotür und Frau Erna rief ihn mit einem ungewöhnlich barschen Ton herein. Der junge Mann nahm wieder Platz und Frau Erna legte ihren Zeigefinger vor den Mund. Der junge Mann nickte. Und da platzte wieder der Mann in den Raum.

„Schließen Sie dann ab Erna, ich bin im Café.“

„Ist gut, Herr Kommissar. Schönen Abend.“

Der Mann nickte und verließ den Raum. Frau Erna deutete wiederum dem jungen Mann zu schweigen und wartete auf das Einschnappen der Tür im Stiegenhaus.

Jetzt lehnten sich beide erleichtert zurück.

„Kommissar Berger…“

„GESTAPO, ich weiß.“ sagte der junge Mann mit einem unsicheren Lächeln.

„Du! Du weißt gar nichts, Paul! Himmel Herrschaftsseiten! Weißt du, wo du hier bist? Weißt du, was du gerade von mir verlangst?“

„Ich bitte dich um eine Fahrkarte für das Schiff nach Belgrad.“, sagte Paul treuherzig. „Und ich bitte dich nicht nur; ich brauche sie dringend! Du bist doch meine älteste Verwandte, auch wenn wir nicht wirklich verwandt sind. Du kennst mich seit meiner Kindheit, Tante Erna.“

„Hör auf mit dem Tante Erna! Natürlich kennen sich deine Eltern und ich seit über zwanzig Jahren. Ich weiß noch, wie du 1923 zu ihnen gekommen bist. Ein kleines brabbelndes Bündel. Es war schrecklich. Deine Eltern waren so jung, als sie bei diesem Autounfall ums Leben kamen.“

„Und die Raabs haben mich adoptiert.“, murmelte Paul, der junge Mann.

„Deine jüdischen Stiefeltern! Was für großartige Menschen. Sie waren die besten Freunde deiner Eltern gewesen und es war für sie selbstverständlich, dass du nicht in ein Heim gebracht wirst. Sie betrachteten das als eiserne Freundespflicht. Wäre heute völlig undenkbar.“, flüsterte sie mit einem Blick ins Leere. Dann setzte sie sich gerade hin und wollte einen zornigen Monolog beginnen. Paul unterbrach sie.

„Und genau deshalb muss ich auf dieses Schiff. Ich muss zu ihnen. Wie du weißt, sind sie voriges Jahr nach Belgrad geflohen. Ich wollte noch die Schule beenden. Das habe ich nun getan und ich habe auch die Matura. Aber jetzt muss ich zu ihnen. Verstehst du?“

„Dann fahre mit der Bahn oder dem Bus oder geh von mir aus zu Fuß. Aber doch nicht mit dem letzten Judentransport auf der Donau!“

„Ich kann nur unter den Juden mitfahren.“ Paul sagte es sehr leise und doch mit einer verzweifelten Betonung. Er rieb verlegen seine Hände aneinander.

„Was heißt das?“ Erna beugte sich neugierig vor.

„Es ist da etwas passiert in Amstetten. Ich kann dir nicht mehr sagen. Du darfst es nicht wissen. Du sollst da nicht hineingezogen werden.“

„Ich bin schon drinnen.“, erwiderte Frau Erna trocken.

„Trotzdem musst du mir glauben, es geht nicht. Bitte vertrau´ mir – ich glaube, ich habe nichts wirklich Böses getan. Frage nicht weiter; ich kann und werde dir nichts sagen.“ Paul sah ihr direkt ins Gesicht und wartete. Frau Erna spürte die Ernsthaftigkeit und die Verzweiflung des jungen Mannes, und war nun doch wieder die Tante. Dann lehnte sie sich wieder zurück und zupfte an ihrer weißen Bluse.

„Aber Paul, schau, es geht nicht. Du bist kein Jude, du bist Arier von Geburt, du hast einen Ariernachweis.“

Paul wollte zuerst nach ihrer Hand auf der Schreibtischplatte greifen, zögerte aber dann und suchte in seiner Jackentasche. Er zog seinen Pass heraus und schob ihn langsam über den Tisch. Dann nickte er Frau Erna auffordernd zu.

Frau nahm den Ausweis und schlug ihn auf.

„Um Gottes Willen!“ sie ließ den Pass fallen und schlug die Hände vor das Gesicht.

„Nein! Nein! Du bist wahnsinnig! Wo hast du diesen Pass her?“ Paul hob beschwichtigend die Hände.

„Ich habe mir alles ganz genau überlegt.“, begann er mit etwas zittriger Stimme.

„Das ist mein Reisepass, den ich heuer im Mai nach meinem achtzehnten Geburtstag bekommen habe. Gleichzeitig habe ich auch meinen Einberufungsbefehl erhalten, aber den haben sie gestundet, weil ich in der Maturaarbeit war. Vor drei Tagen sollte ich mich wieder melden. Aber das ist nicht der Grund meiner Flucht. Ich kann nicht wie ein normaler Mensch, ein ´deutscher Mensch´ über die Grenze – das musst du mir einfach glauben und nicht mehr fragen. Da hab ich einfach aus ‚Raab ´ ‚den Namen ‚Rauber´ gemacht. Über dem zweiten A ein Häkchen und damit wird es zum U. Ein bisschen Verwischen hat geholfen. Dann hinten nach noch ein E und R. Das geht im Kurrent ganz gut. Paul Rauber. Dann habe ich das ´Israel´ dazugeschrieben, wie es halt jetzt so Gesetz ist und schließlich habe ich mit roter Tusche ein großes ´J´ vorne dazu gemalt. Genau drei Zentimeter groß. Also damit bin ich jetzt Jude und darf auf dem Schiff mitfahren.“

Paul suchte in den feuchten Augen von Frau Erna nach einer Zustimmung, einem Verstehen. Dann zuckte er mit den Schultern und hoffte mit einem angedeuteten Lächeln.

„Zum Glück bin ich als Kind an einer Phimose operiert worden; das musste ich Gott sei Dank nicht fälschen.“ Frau Erna verstummte einen Moment.

„Das ist nicht lustig, Paul! Wenn sie dich damit entdecken, wenn sie die Geschichte herausfinden, bist du in Dachau oder sonst wo oder tot!“

„Ich weiß, aber ich bin sicher, dass es funktioniert. Bitte, bitte hilf mir, Tante Erna.“

„Gut, also darf ich nicht fragen.“, sagte sie etwas beleidigt.

„Es ist besser für dich.“

„Hast du das deinen Eltern geschrieben?“

Paul schüttelte verneinend den Kopf.

„Ich weiß nicht, ob ich das kann.“, stammelte sie.

„Du musst. Ich habe keine andere Chance. Es kann dir nichts passieren. Ich bin jetzt nur einer von vielen Juden, der flüchtet und den man ohnehin nicht mehr in diesem Land haben möchte. Ein Abschaum. Behandle mich einfach so…so wie du alle anderen vielleicht behandeln musstest, die hier ihre Fahrkarten bekommen haben.“

„Das ist der letzte Storfer Transport. Ab 10. September werden die Ausflugsschiffe der DDSG (Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft) eingezogen und für die Aktion ´Heimholung der Volksdeutschen´ gebraucht.“

„Wird das irgendwer nachzählen? Wer kontrolliert das denn schon?“ „Täusche dich nicht, die sind ziemlich genau. Das ist alles viel komplizierter, als du dir vorstellen kannst. Kommerzialrat Storfer organisiert seit 1939 die Flucht der Juden über die Donau nach Palästina. Das geht einerseits in Zusammenarbeit mit der Mossad le Alija Bet, einer Art jüdischer Geheimdienst, und andererseits über die Auswanderungsabteilung Eichmanns. Storfer hat auch die...

Erscheint lt. Verlag 31.5.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-99152-292-6 / 3991522926
ISBN-13 978-3-99152-292-8 / 9783991522928
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