Die Akte Tengelmann und das mysteriöse Verschwinden des Milliardärs Karl-Erivan Haub (eBook)

Spiegel-Bestseller
Welche Rolle der russische Geheimdienst spielt und warum deutsche Behörden nicht ermitteln
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
336 Seiten
FinanzBuch Verlag
978-3-98609-356-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Akte Tengelmann und das mysteriöse Verschwinden des Milliardärs Karl-Erivan Haub -  Liv von Boetticher
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Die Geschichte liest sich wie ein Hollywood-Thriller, ist aber wahr: Am 7. April 2018 verschwindet der deutsch-amerikanische Milliardär Karl-Erivan Haub im Gletschergebiet am Matterhorn. Der bestens trainierte Extremsportler hinterlässt keine einzige Spur, keinen Hilferuf, kein Zeichen eines Überlebenskampfes. Im Oktober 2018 wird die Suche nach ihm offiziell eingestellt, seine Leiche wird nie gefunden. Ein Bruder Haubs lässt den Unternehmer für tot erklären, was seine Macht in einem Firmenimperium sichert, zu dem unter anderem OBI, KiK und Teile von Zalando gehören. Die Investigativjournalistin Liv von Boetticher hat den Fall jahrelang recherchiert. Obwohl ihr jede Menge Steine in den Weg gelegt wurden, erhielt sie Zugang zu streng vertraulichen Akten privater Ermittler. Sie lassen den Schluss zu: Der Verschwundene könnte noch leben - und zwar in Russland. Viel spricht dafür, dass der frühere Chef des Tengelmann-Imperiums seit Jahren in äußerst dubiose Geschäfte in Russland verstrickt und vermutlich deswegen auf das Radar der amerikanischen Bundespolizei FBI und der CIA geraten war. Eine spannende Lektüre aus der Welt von Reichen, die sich mit den falschen Leuten eingelassen haben.

Liv von Boetticher arbeitet seit vielen Jahren als Investigativjournalistin. Nach ihrem Studium in München arbeitete sie ab 2012 bei Sky Deutschland, ehe sie 2015 zur Mediengruppe RTL ging. Von 2018 an war sie Ostdeutschland-Korrespondentin in Leipzig. Seit Ende 2020 gehört sie der Primetime-Redaktion von RTL an. Von ihr sind die Dokumentationen »Tengelmann Das mysteriöse Verschwinden eines Milliardärs« (2021) und »60 Tage Frauenhass: Eine Reporterin bei den Taliban« (2022). Als eine der ersten deutschen Journalisten war Liv von Boetticher nach dem Corona-Ausbrauch in Italien vor Ort. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Liv von Boetticher arbeitet seit vielen Jahren als Investigativjournalistin. Nach ihrem Studium in München arbeitete sie ab 2012 bei Sky Deutschland, ehe sie 2015 zur Mediengruppe RTL ging. Von 2018 an war sie Ostdeutschland-Korrespondentin in Leipzig. Seit Ende 2020 gehört sie der Primetime-Redaktion von RTL an. Von ihr sind die Dokumentationen »Tengelmann Das mysteriöse Verschwinden eines Milliardärs« (2021) und »60 Tage Frauenhass: Eine Reporterin bei den Taliban« (2022). Als eine der ersten deutschen Journalisten war Liv von Boetticher nach dem Corona-Ausbrauch in Italien vor Ort. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Kapitel 1


Wer sind die Haubs?


Die Familie und das Unternehmen

Der Name Haub sagt vielen Menschen, so wie auch mir zu Beginn der Recherche, vermutlich erst mal wenig. Und doch kaufen die meisten von uns regelmäßig in einem ihrer Geschäfte ein. Die Haubs sind eine der reichsten und einflussreichsten Familien des Landes, denn sie sind die Herrscher über die Tengelmann-Unternehmensgruppe. Zu diesem Großkonzern gehören mehr als 70 Beteiligungen, darunter die Baumarktkette OBI, der Textilhändler KiK und der Onlineshop für Baby- und Kinderartikel Babymarkt1 sowie bis zu ihrem Verkauf auch die Billigkette TEDi,2 die Supermärkte Netto,3 Tengelmann,4 Kaiser’s5 und PLUS6 7. Außerdem hält das Unternehmen Beteiligungen im E-Commerce, zum Beispiel an Zalando8 und Westwing,9 sowie an Uber, Klarna und Delivery Hero,10 um nur einige zu nennen.

Die Haubs mischen also in so ziemlich jedem Bereich des Einzelhandels mit, sowohl stationär als auch online. Kaum eine Unternehmerfamilie genoss über die vergangenen Jahrzehnte hinweg so großes Ansehen und Anerkennung.11 Gleichzeitig betont kaum ein anderer Akteur der deutschen Wirtschaft seine Tradition als Familienunternehmen und die damit verbundenen Werte so gern und so oft wie die Haubs. Die Familiengeschichte füllt seitenweise die Tengelmann-Geschäftsberichte.12 Die Öffentlichkeit soll die Haubs in der Tradition der ehrbaren Kaufleute aus dem Ruhrgebiet wahrnehmen. Und bis zum mysteriösen Verschwinden von Karl-Erivan Haub am 7. April 2018 gelang das auch einigermaßen gut. Doch hinter der Fassade taten sich offenbar bereits seit vielen Jahren Abgründe auf.

In der Familie, so berichtet es mir die renommierte Wirtschaftsjournalistin Ursula Schwarzer vom Manager Magazin, sei es »nie besonders liebevoll zugegangen«.13 Schwarzer hat die Familie mehr als 20 Jahre lang begleitet und mehrfach persönlich getroffen. Der Druck auf die Söhne Karl-Erivan, Georg und Christian sei enorm. Es entwickelte sich offenbar ein echter Bruderstreit um die beste Position innerhalb der Familie und die Gunst der Eltern. Der älteste Sohn, Karl-Erivan, sei der Lieblingssohn von Mutter Helga Haub.14

Der mittlere Sohn, Georg, sei aufgrund häufiger gesundheitlicher Probleme laut Schwarzer das Lieblingskind des Vaters,15 der sich offenbar in ihm wiedererkennt und ihn »verhätschelt«.16 Christian, der jüngste Bruder, sagt von sich selbst, dass er eigentlich »nie so richtig gemocht wurde«.17 Die Brüder halten weder zusammen noch ziehen sie an »einem Strang«.18 Außerdem sollen die Eltern mit ihren drei Söhnen hadern, die Schwiegertöchter kommen obendrein offenbar nicht miteinander aus.19 Diese Einschätzung wird im Verlauf der Recherche so auch von den internen Tengelmann-Ermittlern bestätigt20 und Christian Haub, der aktuelle geschäftsführende Gesellschafter, hat sich dazu mittlerweile mehrfach öffentlich geäußert.21

Bei den Haubs, so beschreibt es mir die Journalistin Schwarzer im Interview weiter, sei »immer alles eine Fassade«.22 23 Auf den ersten Blick scheine die Familie nahbar, da sie sehr freundlich auftrete und auch immer versucht habe, auf jede ihrer Fragen eine Antwort zu geben. Auf rein menschlicher Ebene jedoch käme man nicht an sie heran.24

Nicht die Leistung zählt, sondern der Name

Nicht nur in der Familie, auch in der Firma ist die Rangfolge klar geregelt: Karl-Erivan war als Erstgeborener quasi von Geburt an als Nachfolger bestimmt. Er ist so zusagen der Kronprinz und soll als Firmenlenker auf seinen Vater folgen. Der mittlere Sohn, Georg, ist geschäftlich »nicht voll einsatzfähig«25 und spielt daher immer eine Sonderrolle. Der jüngste Sohn, Christian, fühlt sich offenbar von der Familie unterdrückt und nicht ernst genommen.26 Neid und Missgunst untereinander scheinen die Brüder zu zerfressen.27 Doch von all diesen familiären Zerwürfnissen bekommt die Öffentlichkeit lange nichts mit. Die Haubs, so scheint es, sind eine Vorzeigefamilie der deutschen Nachkriegszeit: ehrbare Kaufleute, die durch harte Arbeit ein riesiges Imperium aufgebaut haben.

Natürlich: Hier und da ist das Unternehmen in die Bredouille geraten.28 Ob und wie dramatisch die finanziellen Schwierigkeiten des Konzerns jedoch sind, kann von außen kaum jemand abschätzen. Liegt in dieser Konstellation eine mögliche Ursache für das, was die Familie später heimsuchen wird? Für die unfassbare Geschichte, die Sie auf den folgenden Seiten lesen werden?

Haben die zwischenmenschlichen Zerwürfnisse, gepaart mit einer teils existenziellen Schieflage des Unternehmens, das Tor zu einer – sagen wir mal – anderen Geschäftswelt geöffnet? Ein Tor, das sich nicht mehr schließen lässt? Wie ist es zu erklären, dass einzelne Mitglieder dieser deutschen Vorzeigefamilie offenbar sehenden Auges mit Akteuren aus dem Spektrum der russischen Organisierten Kriminalität und Geldwäsche in Kontakt gekommen sind? Wie lassen sich die mutmaßlichen russischen Geheimdienstverbindungen des bis in die höchsten Ebenen der deutschen und amerikanischen Politik und Wirtschaft vernetzten Karl-Erivan Haub erklären?

In was ist die Familie Haub hineingeraten? Wer hat sie möglicherweise beeinflusst und von wem haben sie sich möglicherweise abhängig gemacht?

Dazu betrachten wir die Unternehmensgeschichte und die Familiengeschichte näher.

Vom Kolonialwarenladen zum Weltkonzern

Die Geschichte des milliardenschweren Großkonzerns Tengelmann beginnt ganz bescheiden im Jahr 1867 mit der Gründung eines kleinen Kolonialwarenladens durch Wilhelm Schmitz-Scholl in Mülheim an der Ruhr. Gehandelt werden unter anderem Kaffee und Tee, zur damaligen Zeit eine Sensation. Der kleine Laden wächst schnell, unter der Führung der zweiten Generation, den Söhnen des Gründers, Wilhelm junior und Karl Schmitz-Scholl, werden kleine Verkaufsstände eröffnet. Ihr Prokurist Emil Tengelmann ist Namensgeber für das darauf aufbauende Unternehmen, das 1893 gegründete »Hamburger Kaffee-Import-Geschäft Emil Tengelmann«. Ein riesiger Erfolg, eine Filiale nach der anderen wird eröffnet. Bis zum Ersten Weltkrieg sind es rund 560 in ganz Deutschland. Sogar eine Schokoladenfabrik kommt hinzu. Im Jahr 1933 übernimmt die dritte Generation die Leitung der Geschäfte: die Kinder von Karl Schmitz-Scholl, seine Tochter Elisabeth Haub und sein Sohn Karl Erivan Schmitz-Scholl junior. Sie sind die Großmutter und der Großonkel des verschollenen Karl-Erivan Haub.

In dieser Zeit beginnt aber auch ein dunkles Kapitel der Tengelmann-Geschichte, denn die Firma und ihre Eigentümer pflegen enge Kontakte zu Nazis in hohen Positionen und profitieren wirtschaftlich enorm: Unter anderem produziert das Unternehmen in dieser Zeit Spezialnahrung für die Wehrmacht.29

Karl Erivan Schmitz-Scholls Ehe bleibt kinderlos und nach seinem Tod wird sein Neffe Erivan Karl Haub, der Sohn von Elisabeth Haub, in vierter Generation der neue Chef des Familienunternehmens. Unter seiner Regie wächst Tengelmann zu einem Weltkonzern.

Stammbaum der Familie Haub

Warum heißen alle Erivan?

Spätestens an dieser Stelle verliert man ein wenig den Überblick, denn alle handelnden Akteure heißen gleich. Selbst der Sohn des verschollenen Karl-Erivan Haub heißt ebenfalls Erivan. Hinter der Namensgebung verbirgt sich jedoch mehr als eine einfache Familientradition: In einem Interview äußerte sich der verschollene Karl-Erivan Haub einmal, diese Tradition deute auf die Herkunft des Familienstamms aus Armenien hin, dessen Hauptstadt Jerewan oder anders geschrieben Eriwan ist.30 Interessant ist diese Äußerung allemal, da im Verlauf der Recherche immer wieder geschäftliche und nachrichtendienstliche Bezüge zu Armenien aufgetaucht sind. Und: Mit der Namensgebung wird quasi schon bei der Geburt bestimmt, wer einmal die Verantwortung für das Familienunternehmen tragen soll.

Die Patriarchen: Erivan Karl und Helga Haub

Erivan Karl Haub, der Vater des verschollenen Karl-Erivan, führt die Unternehmensgruppe Tengelmann zusammen mit seiner Frau Helga von 1969 bis ins Jahr 2000. Er denkt groß und kauft Konkurrenten auf, zum Beispiel das Kaffeegeschäft Kaiser’s. Er gründet den Markendiscounter PLUS und übernimmt 1979 in den USA die Mehrheit an A&P, einem echten Schwergewicht der Branche.31 Als Lebensmittelhändler wird Tengelmann das größte Unternehmen in Deutschland und in Europa.32 Haub expandiert, gründet neue Filialen, kauft unablässig Firmen hinzu, so die Baumarktkette OBI und den Billighändler KiK.

Der Konzern besitzt Kaffeeröstereien und eine Süßwarenfabrik. Aber der europäische Markt reicht dem ehrgeizigen Kaufmann nicht mehr, er will auch im Osten wachsen. Das war in den 1970er- und 1980er-Jahren, einer Zeit, in der es...

Erscheint lt. Verlag 30.5.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte BND • CIA • FBI • fsb • Geheimdienst • Geldwäsche • investigativ • Macht • Politik • Putin • Russischer Geheimdienst • Russland • Skandal • Superreiche • True Crime • verschwundener Milliardär • Vertuschung • Wirtschaftskrimi • Wirtschaftsskandal
ISBN-10 3-98609-356-7 / 3986093567
ISBN-13 978-3-98609-356-3 / 9783986093563
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