Frag nach Jane -  HEATHER MARSHALL

Frag nach Jane (eBook)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
432 Seiten
Arche Literatur Verlag AG
978-3-03790-002-4 (ISBN)
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Drei Frauen und ihr Kampf für selbstbestimmte Mutterschaft - der Nr.-1-Bestseller aus Kanada Angela, Evelyn und Nancy haben als Frauen, Töchter und Mütter unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Angela ist 2017 nach langer Kinderwunschbehandlung endlich schwanger und umso ergriffener, als sie den Brief einer unbekannten Frau an ihre Tochter findet, der ein wichtiges Geständnis enthält und offenbar nie zugestellt wurde. Während sie nach der rechtmäßigen Empfängerin sucht, stößt Angela auf Evelyn, die im Toronto der 1970er Teil des illegalen Abtreibungsnetzwerks »Jane« war. Evelyn möchte als Ärztin anderen Frauen die Wahl ermöglichen, die sie selbst nie hatte: Sie wurde in einem Heim für unverheiratete Mütter gezwungen, ihr Kind zur Adoption freizugeben. Auch Nancy stößt 1981 in einer Zeit der Haltlosigkeit zu den Janes. Durch ihr Aufeinandertreffen finden die drei Frauen Beistand - und langersehnte Antworten.

Heather Marshall wurde in Kanada geboren und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Toronto. Sie studierte kanadische Geschichte und Politikwissenschaft und arbeitete in den Bereichen Politik und Kommunikation, bevor sie sich dem Geschichtenerzählen zuwandte. Frag nach Jane ist ihr erster Roman und wurde in Kanada zum Nr.-1-Bestseller.

Heather Marshall wurde in Kanada geboren und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Toronto. Sie studierte kanadische Geschichte und Politikwissenschaft und arbeitete in den Bereichen Politik und Kommunikation, bevor sie sich dem Geschichtenerzählen zuwandte. Frag nach Jane ist ihr erster Roman und wurde in Kanada zum Nr.-1-Bestseller.

Erster Teil


Kapitel 1 Angela


Toronto – Januar 2017

Angela Creighton hat es eilig.

Sie ist am Vorabend zu spät ins Bett gekommen und wacht an diesem Sonntagmorgen mit einer Migräne auf, die sie nun gar nicht gebrauchen kann. Um ihre Frau, die heute ausschlafen kann, nicht zu wecken, schleicht sie leise in die Küche, wo sie mit einem Glas fruchtfleischfusseligem Orangensaft eine Kopfschmerztablette runterspült, dann einen Bagel toastet und mit zu viel Knoblauchfrischkäse bestreicht. Ihr Frühstück zwischen die Zähne geklemmt wie ein Retriever seine Beute, setzt sie sich eine Mütze auf, schließt den Gürtel des karierten Mantels, zieht behutsam die Wohnungstür hinter sich zu und eilt durchs Treppenhaus nach unten.

Auf dem Gehweg angekommen läuft Angela kauend weiter zur Bushaltestelle, während sie mit der freien Hand ihre Sonnenbrille aus der Handtasche fischt. Normalerweise würde sie sich jetzt freuen, denn im Winter sind Sonnentage rar gesät. Aber das grelle Licht lässt sie die Augen zusammenkneifen, der Schädel dahinter pocht wie eine Schussverletzung.

Sie war am Vorabend bei ihrer Freundin Jenn zum allmonatlichen Treffen ihres gemeinsamen Lesezirkels, der, wie es viele Lesezirkel an sich haben, im Laufe der letzten Monate zu einem Weinzirkel mutiert ist. Jetzt trinken sie zu viel billigen Pinot Grigio, vertilgen mit einer Hingebung, die an eine Henkersmahlzeit erinnert, Hartwurstwürfelchen und Käse, und ab und zu unterhalten sie sich auch mal über Bücher, die sie gelesen haben.

Angela war in den letzten Monaten nicht an den Weingelagen beteiligt, aber gestern Abend hat sie die Zurückhaltung aufgegeben. Endlich wieder Alkohol trinken zu dürfen ist nach ihrer Fehlgeburt der einzige, jämmerliche Fetzen Silberstreif am Horizont, und sie hat sich quasi im Galopp darauf gestürzt. Sobald sich ihr Körper ausreichend erholt hat, werden Tina und sie einen neuen Versuch wagen und die nächste Runde Fruchtbarkeitsbehandlungen angehen. Bis es so weit ist, findet Angela, kann sie genauso gut dem Alkohol frönen. Es war bereits die zweite Fehlgeburt in einem Jahr, und irgendwie hat sie das Gefühl, das Risiko wird mit jedem Versuch einer künstlichen Befruchtung und jeder gescheiterten Schwangerschaft weiter steigen. Steter Alkoholzufluss lässt die Hürden ein wenig niedriger erscheinen – wenn auch nur flüchtig.

Der Bus zuckelt auf die Haltestelle zu, Angela steigt ein, wirft eine Münze in den Metallschlitz und findet neben der hinteren Tür einen freien Sitzplatz. Das Geschäft, das sie leitet – Thompson’s Antiques & Used Books –, liegt knapp zehn Häuserblocks Richtung Westen, und ein paar Haltestellen weiter stolpert sie schon wieder aus dem Bus auf den schneematschigen Bordstein.

Der Ladeneingang befindet sich im Grunde mitten auf dem Gehweg der quirligen College Street, und Angela quetscht sich, mit dem Schlüsselbund hantierend, in den Türrahmen, um den Fußgängern auszuweichen. Sie stemmt sich mit der Hüfte gegen die alte, windschiefe Holztür, fliegt quasi mit ebenjener ins Haus und macht sie eilig hinter sich zu.

Angela mag den Laden. Dieses Geschäft ist eine ganz besondere Mischung, Umschlagplatz für viele alte Bücher, die regelmäßig kommen und gehen, und Heimat einer kunterbunten Antiquitätensammlung, die eigentlich ausnahmslos ein Ladenhüterschicksal fristen. Es duftet nach Möbelpolitur, Kaffee und dem leicht modrigen und gleichzeitig unfassbar anziehenden Geruch alter Bücher. Der Laden ist eher klein, nicht größer als ein bescheidenes Apartment. Hinter der Kasse befindet sich ein enger Lagerraum mit einem Stapel verstaubter, vergessener Kartons und einer billigen Kaffeemaschine, die Angela in ihrer allerersten Woche mitgebracht hat.

Sie kann spüren, wie sich ihre Stimmung bei dem wohlvertrauten Geruch ein wenig hebt. Angela hat Bücher schon immer geliebt, und sie und Tina haben, was Einrichtung betrifft, einen höchst vielseitigen Geschmack, weshalb der Antiquitätenladen ihr sehr zupasskommt.

Angela schaltet das Licht an, tritt an den alten Schreibtisch, der als Verkaufstresen dient, und schiebt mit dem Fuß ihre Tasche darunter. Sie fährt die Computerkasse hoch – das mit Abstand fortschrittlichste Stück Technologie im ganzen Geschäft – und verzieht sich dann ins Lager, um eine Kanne gnadenlos starken Kaffee aufzusetzen. Während sie schwanger war, hatte sie ausschließlich koffeinfreien getrunken, der festen Überzeugung, mit doppelter Pulverdosis trotzdem einen Placeboeffekt erzielen zu können. Heute aber setzt sie mit einem bitteren Stich im Herzen eine Kanne ganz normalen Kaffee auf.

Sie gibt sich einen Ruck und beginnt mit dem angeschlagenen Kaffeebecher in der Hand ihr Tagwerk: Neuzugänge sortieren und Reserviertes bereitstellen. Sie wird nie begreifen, wie dieser Laden sich halten kann, vor allem angesichts der Immobilienpreise in der Stadt. Die kleine Wohnung über dem Geschäft ist vermietet und spült etwas Geld in die Kasse, denn das Haus gehört Angelas Tante Jo – die in alten Geldadel eingeheiratet hat und auf Einkünfte nicht wirklich angewiesen ist. Sie könnte den ganzen Klotz binnen Tagen für ein Vermögen verkaufen. Angela vermutet, dass ihre Tante den Laden nur deshalb behält, damit sie bei den wöchentlichen Maniküresitzungen mit ihren perfekt gepflegten Freundinnen etwas zu erzählen hat.

Ehe Angela bei Thompson’s anfing, war sie kreuz und quer im Einzelhandel rumgehopst, zuletzt unter der Fuchtel des kleinkarierten Geschäftsführers eines überteuerten Schuhgeschäfts. Auch wenn sie ihm nichts beweisen konnte, hat Angela den Verdacht, dass sie nur deshalb »aufgrund saisonbedingt rückläufiger Verkaufszahlen« gekündigt worden war, weil ihr Chef ein paar Wochen zu früh von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Er war Mitte fünfzig, stockkonservativ, homophob veranlagt und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Anhänger jener Schule, für die Mutterschutzurlaub einen Akt der Geschäftsschädigung darstellt. Angela hatte sich einer Kollegin anvertraut, nachdem ihr die Ausreden für ihre wegen der Übelkeit ständig notwendigen Besuche der Angestelltentoilette ausgegangen waren. Sie ist sich sicher, dass die Kollegin den Mund nicht halten konnte.

Als sie deshalb mit Mitte dreißig und nach diversen kostspieligen Fruchtbarkeitsbehandlungen plötzlich auf der Straße stand, zapfte sie auf der verzweifelten Suche nach einem Job – irgendeinem Job – sämtliche Kanäle an. Sie brauchte etwas, womit sie weiterhin ihren Teil zur Miete beisteuern und dabei helfen konnte, ein finanzielles Polster für ihre kleine Familie zu schaffen. Beim letzten Thanksgiving-Essen bot Tante Jo Angela dann mit einer eleganten Geste ihrer juwelenbesetzten Hand die Geschäftsführung ihres Ladens an, damit sie selbst »sich endlich zur Ruhe setzen« könne. Obwohl Angelas Erfahrung mit Antiquitäten bestenfalls überschaubar war, sah sie sich außerstande, das Angebot auszuschlagen. Außerdem wusste sie, dass Tante Jo ihre eigene Nichte im Falle einer Schwangerschaft kaum vor die Tür setzen würde. Drei Tage später überreichte Jo ihr die Schlüssel.

Sonntags ist Angela allein im Laden, aber sonntags ist es auch eher ruhig, vor allem in den Herbst- und Wintermonaten, wenn der Touristenstrom durch die Stadt sich zu gletschergleichem Fließen verlangsamt. Nachdem die Neuzugänge sortiert sind, macht Angela sich an die Durchsicht der nicht abgeholten Reservierungen. Dies gehört zu den frustrierendsten Aufgaben auf Angelas Liste. In acht von zehn Fällen haben sich übereifrige »Schnäppchenjäger und Antiquitätendetektivinnen« (meist selbst ernannt und frischgebacken), die zu einem Shopping-Trip in die Stadt gekommen sind, ein Möbelstück reservieren lassen. Sie schaudern vor Entzücken angesichts des potenziellen Schnäppchens und bitten um Reservierung, um später mit einem angemessen großen Fahrzeug zurückzukehren und die samstägliche Jagdtrophäe nach Hause zu schleppen. Und so gut wie jedes Mal gebrauchen die potenziellen Käuferinnen und Käufer dann am Telefon so lange irgendwelche Ausflüchte, bis Angela die Reservierung rückgängig macht und ihrem Gegenüber die Demütigung erspart, zugeben zu müssen, dass es sich um eine spontane Laune gehandelt hat. Dieser Vorgang hat zur Folge, dass Angela einen Großteil der Sonntagvormittage damit verbringt, pinkfarbene »Reserviert«-Schilder von Möbeln zu pflücken und die Stücke in ihren gemütlichen Ecken des Ladens wieder sich selbst zu überlassen, wo sie wie in die Jahre gekommene Waisenkinder geduldig des nächsten Beinahe-Käufer-Plagegeistes harren.

Ganz oben auf der Liste steht heute eine kleine Kommode mit drei Schubladen. Angela weiß genau, um welches Möbelstück es sich handelt, und begibt sich in den hintersten Winkel des Ladens. Sie tritt näher und greift nach dem Kärtchen mit dem »Reserviert«-Aufdruck, das in die oberste Schublade geklemmt ist. Als sie das Schild entfernen will, rutscht ihr die Schublade ein Stückchen entgegen. In dem Spalt sieht Angela etwas Weißes schimmern. Sie lässt auf der Suche nach einem sicheren Ort für ihren Kaffeebecher den Blick schweifen, zweckentfremdet das pinkfarbene Kärtchen als Untersetzer und stellt den Becher neben sich ins Bücherregal. Dann öffnet sie die Schublade.

Im selben Augenblick ertönt die Türglocke und verkündet die erste Kundschaft des Tages. Angela schließt die Schublade wieder und bahnt sich, vorsichtig um willkürlich aufgetürmte Bücherstapel navigierend, den Rückweg nach vorne.

»Hallo!«, ruft...

Erscheint lt. Verlag 13.7.2023
Übersetzer Sabine Längsfeld
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abtreibung • Adoption • Bestseller • Elternschaft • Feminismus • Frauenrechte • Kanada • Menschenrechte • Mutterliebe • Mutterschaft • Selbstbestimmung
ISBN-10 3-03790-002-4 / 3037900024
ISBN-13 978-3-03790-002-4 / 9783037900024
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