Ich bin noch da (eBook)

, (Autoren)

eBook Download: EPUB
2023
368 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-7062-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich bin noch da - Peter Adam, Joy Peters
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Lebensgeschichte eines Travestie und Lebenskünstlers

Autor, Schauspieler,Sänger, geboren in Wien lebt seit vielen Jahren in Berlin

ZWEI

Manches Mal, wenn er um zwei, drei Uhr morgens von seiner Sauftour nach Hause gekommen war, mussten wir Kinder aufstehen, für ihn Tee kochen und um ihn herum sitzen, ganz egal, ob wir den ganzen Tag gearbeitet haben oder zu Schule müssen. Er führte einen psychologischen Krieg gegen alle seine Kinder.

Auf eine ganz perfide Art und Weise wollte er uns einfach unsere Kindheit stehlen.

Meine ältere Schwester Marina hatte ein wenig mehr Glück gehabt, denn sie ist nicht bei uns aufgewachsen. Sie wurde gleich nach der Geburt zu meiner Großmutter gegeben, weil mein Vater der Meinung war, erst müsse ein Erbe ins Haus und da kommt ein Mädchen nicht in Frage. Also gewissermaßen dieselbe Denkart wie der Bauer aus dem Krankenhaus.

Natürlich waren das damals andere Zeiten und die Menschen hatten andere Ideale und Vorstellungen vom Leben und Kinder hatten vielleicht nicht denselben Stellenwert, den sie heute in der Familie genießen. Auch das Leben und die Stellung der Frau war zumindest in manchen Familien grenzwertig und wenn ich meine Mutter betrachte, die sieben Kinder geboren hat und von ihrem Mann fast ihr ganzes Leben lang erniedrigt und geschlagen wurde, man könnte sagen, er hat versucht ihr den Lebensmut zu rauben, dann grenzt es fast an ein Wunder, dass sie heute eine so lustige, lebensbejahende und fest im Leben stehende Frau ist.

Viele haben das nicht so geschafft und sind an diesen erdrückenden und grausamen Lebensumständen zerbrochen.

Meine Mutter hat nach dem Tod ihres Mannes ihr Leben ganz neu entdeckt und ich glaube behaupten zu können, dass ich auch einen guten Teil dazu beigetragen habe, dass sie diese Zeit vergessen konnte und neu gelernt hat, das Leben zu genießen und überhaupt zu begreifen, was es bedeutet zu leben.

Ich erinnere mich, dass ich in meiner Jugend und Kindheit viel Zeit damit verbracht habe, auf unseren Feldern Steine zu suchen und kleine Bäume zu pflanzen.

Meine Eltern waren Besitzer einer kleinen Baumschule. Eigentlich wäre es uns wirtschaftlich immer sehr gut gegangen, wenn mein Vater nicht einen Großteil der Einnahmen ins leider viel zu nahe gelegene Gasthaus getragen hätte, so dass man eigentlich sagen kann, dieses Wirtshaus gehört uns. Er hat es quasi über viele Jahre hinweg finanziert und am Leben gehalten. Aber egal.

Ich war sechs Jahre alt, als wir das erste Mal Besuch vom Jugendamt hatten.

Da ich mich immer schon, wenn meine Geschwister und ich nur von weiten des knatternde Moped meines Vater kommen hörten, in Panik versteckte, war ich leider auch Bettnässer geworden.

Ich hatte von anderen Kindern gehört, dass man sich eigentlich als Kind freuen sollte, wenn die Eltern nach Hause kommen, aber diese Erfahrung habe ich mit meinem Vater leider nicht gemacht.

Das Jugendamt bestimmte, dass drei meiner Geschwister und ich auf einen Erholungsaufenthalt geschickt werden sollten. Und tatsächlich wurden wir nach Mödling in ein unheimliches, altes, fast wie ein Schloss anmutendes, so genanntes Erholungsheim gebracht.

Das alte Gebäude machte mir schon von außen durch seine düstere Erscheinung Angst, ich fand es ganz schrecklich.

Es gab zwar einen großen Garten, was ich sehr schön fand, aber die Schlafsäle, mit, glaube ich, mindestens zwanzig Betten, waren zur Erholung eigentlich nicht so gut geeignet. Ursprünglich sollten wir für zwei Monate dort einziehen, damit wir ein bisschen Abstand von unserer häuslichen Situation gewinnen können und sich vielleicht auch mein Bettnässen in den Griff bekommen lässt.

Fakt war allerdings, dass ich mich nicht eine einzige Sekunde in diesem Frankensteinschloss wohl fühlte und ich meine Mama sehr vermisste.

Diese enge Verbindung zu meiner Mutter zieht sich bis zum heutigen Tage durch mein Leben, ich bin immer ein echtes Mama-Kind gewesen und gebe es offen zu, dass ich auch heute jeden Tag mit meiner Mama telefoniere und wir unsere innige Verbindung nie verloren haben.

Nach diesen zwei Monaten hatte das Jugendamt allerdings beschlossen, dass meine Geschwister und ich nicht mehr in die Familie zurückkehren werden. Meine Mutter durfte uns bei unserem Erholungsaufenthalt auch nur einmal besuchen. Ich hab an diesem Tag sehr geweint, da ich fest der Meinung war, sie würde mich gleich wieder mitnehmen.

Das war ein schlimmes Erlebnis für mich. Eigentlich kann ich das bis heute nicht verstehen, denn meine Mutter hatte sich ihren Kindern gegenüber nie etwas zu Schulden kommen lassen. Und eigentlich wäre es logischer gewesen, meinen Vater aus der Familie zu entfernen, als meiner Mutter die Kinder wegzunehmen. Die einzige Schuld, die meine Mutter trägt, ist, dass sie von sich aus zu schwach war, um sich gegen diesen gewalttätigen Mann zu wehren und leider konnte sie in dieser Zeit damals auch auf keine Unterstützung durch die Gesellschaft rechnen.

Meine Mutter ist wirklich mehrmals beim Jugendamt gewesen und hat um ihre Kinder gekämpft, leider waren ihre Bemühungen vergeblich. Wenn ich es heute betrachte, gab es dann fast eine komische Wendung in der ganzen Angelegenheit. Das Jugendamt kam nämlich auf die grandiose Idee, dass, wenn die Nachbarin, Frau Zehethofer, die im Haus gegenüber wohnte, eine Erklärung unterschreibt, dass wir in Zukunft bei ihr leben, dann dürften wir wieder in den kleinen Ort zurückkehren.

Eine Behördenentscheidung, die schon leichte Züge eines Schildbürgerstreichs in sich trägt.

Aber gesagt getan, so ist es dann auch passiert. Ich bin Frau Zehethofer bis heute sehr dankbar, dass sie diesen Geniestreich des Jugendamtes unterstützt hat und wir wieder nach Hause konnten.

Also offiziell fast nach Hause.

Natürlich haben wir niemals bei der Nachbarin gewohnt und sind direkt in unser Elternhaus zurückgekehrt.

So froh ich darüber auch war, wieder bei meiner Mutter sein zu können, kann ich diese Entscheidung des Jugendamtes natürlich bis heute nicht nachvollziehen, denn sie haben uns dadurch quasi unserem Vater wieder ausgeliefert. Ich bin allerdings auch überzeugt davon, dass selbst wenn wir ins gegenüberliegende Nachbarhaus gezogen wären, hätte mein Vater Mittel und Wege gefunden, um uns das Leben schwer zu machen. Also war es eigentlich völlig egal.

Und wenn wir heute über Kindeswohl sprechen, dann wäre natürlich die richtige Entscheidung gewesen, uns komplett aus dieser Familie herauszunehmen.

Zweifellos ist dieser doch fast elend lange sechs Monate dauernde Erholungsaufenthalt nicht spurlos an mir vorbeigegangen, denn ich habe in diesem halben Jahr eine ganze Menge Schulisches verpasst

Und als ich wieder in die erste Klasse zu meiner Lieblingslehrerin Frau Schober zurückkehrte, konnten die anderen Kinder das ABC bereits vollständig, während ich nur drei Buchstaben beherrschte. Es war eigentlich ganz klar, dass ich diese Klasse in Form einer Ehrenrunde noch einmal wiederholen durfte.

Und obwohl ich eigentlich überhaupt nicht dumm war, habe ich dieses Spiel in der dritten Klasse noch einmal wiederholt. Vielleicht war ich auch ein bisschen faul, aber dort wo andere Kinder möglicherweise Unterstützung im Elternhaus erfahren haben, war ich immer auf mich selbst gestellt und da war das Lernen nicht so wichtig.

Rechnen konnte ich übrigens immer hervorragend und wenn die ganze Schule nur aus Mathematik bestanden hätte, dann wäre es für mich überhaupt kein Problem gewesen, direkt bis zur Matura (Abitur) durchzuziehen. Aber leider gibt es ja auch noch jede Menge andere Fächer und die haben mir schon sehr zu schaffen gemacht. Deutsch kann ich bis heute nicht und meine Lehrerin war immer ganz traurig, weil sie mir öfter eine Fünf geben musste, da ich so irrsinnig viele Rechtschreibfehler hatte, obwohl der Aufsatz stilistisch und fantasiereich geschrieben war.

Aber manchmal hat sie mir dann doch einen Einser gegeben und großzügig über meine mangelnde Rechtschreibung hinweg gesehen.

Es ist, glaube ich, unnötig zu erwähnen, dass mein Vater niemals mit mir Hausaufgaben gemacht hat. Ich glaube, es wäre ihm auch gar nicht möglich gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen, da ich mich wirklich nicht erinnern kann, ihn jemals richtig nüchtern gesehen zu haben

Meiner Mama mache ich natürlich auch keine Vorwürfe, denn wie sich jeder denken kann, ist eine Frau, die unter einer derartigen Anspannung lebt und dabei so ganz nebenbei noch sieben Kinder groß ziehen muss, vielleicht doch nicht so ganz in der Lage, sich um jeden so individuell zu kümmern, wie es vielleicht nötig gewesen wäre.

Ich muss jetzt noch einmal laut sagen, ich habe ihn niemals nüchtern erlebt.

Und kann mich auch nicht daran erinnern, dass es jemals einen persönlichen, geschweige denn einen persönlichen emotionalen Moment zwischen uns gegeben hätte. Es gab auch keine Geburtstagsgeschenke und ich bin sicher, nicht einmal ein „Alles Gute“.

Wie es war, als ich noch ganz klein war, daran kann ich mich natürlich nicht erinnern, aber später dann war immer eine Mauer zwischen uns.

Umgekehrt verhielt es sich natürlich ganz anders, wenn wir ihm nicht gratuliert haben, konnten wir die Ohrfeigen schon riechen. Später in...

Erscheint lt. Verlag 9.5.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Biografie • Kunst der Verwandlung • Lebensgeschichte • Showbusiness • Travestie
ISBN-10 3-7578-7062-X / 375787062X
ISBN-13 978-3-7578-7062-1 / 9783757870621
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