Das Geheimnis von Dikholmen -  Michaela Abresch

Das Geheimnis von Dikholmen (eBook)

Roman. Familiengeheimnisse in Schweden
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
463 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-4780-6 (ISBN)
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Lillemor, Inga und Eira, drei Frauen verschiedener Generationen, finden Zuflucht auf der schwedischen Schäreninsel Dikholmen: Für die völlig verzweifelte Eira, die schweren Herzens ihr bisheriges Leben hinter sich lässt, wird die Insel im Jahr 1960 zum selbstgewählten Exil. Die aus wohlhabendem Hause stammende siebzehnjährige Inga bringt dort 1968 ihr uneheliches Kind zur Welt. Und Lillemor, die Dikholmen seit ihrer Kindheit kennt, kehrt in der Gegenwart dorthin zurück, hoffnungsvoll auf der Suche nach der Frau, die sie war, bevor ein Unglück ihr alles genommen hat.
Als sie einander im Hier und Jetzt begegnen, ahnen sie nichts von dem Band, das das Leben bereits zwischen ihnen geknüpft hat ...

Auf drei Zeitebenen erzählt: ein eindrücklicher Roman voller Gefühl und Dramatik im wunderschönen Schweden



Michaela Abresch wurde 1965 im Westerwald geboren. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Sie arbeitet in der pflegerischen Beratung und als Dozentin für Palliative Care. Das Schreiben ist für sie das Eintauchen in eine andere Welt. Ihr Leitsatz »Jedes Jahr an einen Ort zu reisen, an dem ich noch nie war« führte sie vor einiger Zeit in die schwedischen Schären und inspirierte sie zu DAS GEHEIMNIS VON DIKHOLMEN.

Michaela Abresch wurde 1965 im Westerwald geboren. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Sie arbeitet in der pflegerischen Beratung und als Dozentin für Palliative Care. Das Schreiben ist für sie das Eintauchen in eine andere Welt. Ihr Leitsatz »Jedes Jahr an einen Ort zu reisen, an dem ich noch nie war« führte sie vor einiger Zeit in die schwedischen Schären und inspirierte sie zu DAS GEHEIMNIS VON DIKHOLMEN.

LILLEMOR


Granzbach, 2019

Ich hab noch nie solche Schuhe besessen.«

Mit einer Mischung aus Skepsis und Unentschlossenheit sah Lillemor Kirschbaum von oben auf ihre Füße hinunter. Sie wirkten wenig grazil in den robusten Wanderschuhen, die die junge Verkäuferin ihr wortreich ans Herz gelegt hatte. Tessa, stand aufgedruckt auf ihrem kiwigrünen Shirt, unter dem Namen des Outdoorhandels, in dem sie sich befanden. Tessa war höchstens Mitte zwanzig, ein winziger Stein glitzerte in ihrem linken Nasenflügel, und sie schien sich auszukennen mit dem, was hier angeboten wurde.

Noch nie hatte Lillemor in einem Outdoorsportgeschäft eingekauft. Wie ein Fremdkörper fühlte sie sich zwischen Softshelljacken, Funktionsunterwäsche, Daunenschlafsäcken, Wanderstöcken und einer Vielzahl von Schuhen, Rucksäcken und weiterem Zubehör für die unterschiedlichsten Aktivitäten im Freien. Wasserdicht seien sie, hatte Tessa erklärt, nachdem Lillemor sich auf einen der Hocker gesetzt hatte und in die Schuhe geschlüpft war. Hinter ihr prangte eine Fototapete, die einen einsamen Wanderer auf dem Grat eines eindrucksvollen Bergmassivs zeigte. Seine Schuhe ähnelten denen, die sie gerade anprobierte. Mit routinierten Handgriffen hatte Tessa die Schnürsenkel durch die Ösen und Haken gezogen, sie im oberen Bereich auf eine Weise eingefädelt, die sich Lillemor beim besten Willen nicht erschloss, und anschließend eine Schleife gebunden. Wie ein Kindergartenkind war sie sich vorgekommen. Tessas Ausführungen waren wie Motten um sie herumgeschwirrt, ohne dass sie ihnen recht hatte folgen können. Der Fersenschutz, ein besonders flexibler Schaft, die X-Lacing-Schnürung. Nicht zu vergessen, die griffige Apptrail-Sohle für perfektes Abrollverhalten.

Sie verstand nicht viel von dem, was Tessa von sich gab. Sie war noch nie gewandert. Hatte keine Ahnung, welche Voraussetzungen ein guter Wanderschuh mitbringen musste. Mit einem Auge schielte sie auf das Preisschild am Karton.

»Sie werden es nicht bereuen«, sagte Tessa, der ihr zweifelnder Blick allem Anschein nach nicht entgangen war.

Stand da wirklich eine dreistellige Zahl, die mit einer Zwei begann? Um Himmels willen! Sie wollte doch nicht wirklich über zweihundert Euro für Schuhe ausgeben, die sie maximal acht Tage tragen, anschließend in einem Karton verstauen und im Keller deponieren würde?

»Nicht gerade ein Schnäppchen …«, hörte Lillemor sich murmeln.

Sie bückte sich, drehte den Karton so, dass sie den Preis sehen konnte. Zweihundertneunzehn Euro. Grundgütiger! Sie seufzte. Überschlug im Kopf, mit welcher Summe die beiden Sport-T-Shirts, die Wanderhose und die Regenjacke bereits zu Buche schlugen. Zum Glück hatte Mone einen Rucksack organisiert, den ihre Schwägerin vor Jahren angeschafft, aber nur selten benutzt hatte, ein riesiges Teil, das Lillemor sich ausleihen durfte und damit mindestens einen Hunderter sparte.

»Wir können da sicher am Preis noch was machen«, sagte Tessa. Sie lächelte. Ihr Nasenpiercing funkelte. »Ich spreche mit dem Chef, Sekunde.« Schon war sie zwischen den Regalen verschwunden.

Lillemor ging ein paar Schritte. Die Schuhe waren bequem. Zwar sahen sie klobig aus, und das Gehen fühlte sich fremd an, aber sie hatte guten Halt darin. Sie umrundete den Ständer mit den bunten Radtrikots. Versuchte, sich vorzustellen, wie es sein würde. Über Stock und Stein zu wandern. Viele Kilometer. Mutterseelenallein. Mit dem geliehenen Rucksack auf dem Rücken und diesen robusten Wanderschuhen an den Füßen. Jedes Mal, wenn sie intensiv darüber nachdachte, stellte sich ein merkwürdiges Gefühl ein. Auch jetzt wieder. Es war keine richtige Angst, eher eine Vorstufe davon, ein leicht mulmiges Gefühl. In ihrem ganzen Leben hatte sie so etwas noch nie gemacht. Tag für Tag stundenlang unterwegs sein. Auf Wegen, die sie nicht kannte. Und das bei ihrem miserablen Orientierungssinn.

»Der Chef lässt Ihnen auf den gesamten Einkauf fünf Prozent nach«, hörte sie Tessas Stimme hinter sich.

Lillemor drehte sich um. »Okay, ich hoffe, die Schuhe sind es wert.«

»Hundertprozentig!« Tessa strahlte. Ob sie eine kleine Provision erhielt? »Brauchen Sie sonst noch etwas? Stöcke?«

Lillemor schüttelte den Kopf. Wanderstöcke waren doch etwas für Leute in gesetztem Alter, oder nicht? Ob Tessa sie älter schätzte? Lillemor sank auf den Hocker und begann, die Schuhe aufzuschnüren. Vielleicht sah sie tatsächlich älter aus als Ende vierzig. Sie benutzte außer einer getönten Tagescreme kein Make-up, trug ihr blondes Haar seit Jahren halblang, in der Mitte gescheitelt und im Nacken zusammengebunden. Eine praktische Lösung, vor allem bei der Arbeit. Sie ging so gut wie nie aus, und in der Werkstatt war sie meistens allein. Wozu sollte sie morgens ihre Wimpern tuschen oder mit geschminkten Lippen das Haus verlassen? Für die paar Kunden, die in ihren Laden kamen?

Sie reichte Tessa die Schuhe und schlüpfte in ihre Sneaker. »Wo soll’s denn hingehen?«, hatte Tessa anfangs wissen wollen, und Lillemor hatte nicht begriffen, dass die Frage nicht der Neugier der jungen Verkäuferin oder ihrem Auftrag zu pflichtbewusstem Small Talk geschuldet war, sondern dazu diente, die Anforderungen abzuchecken, die an die Wanderschuhe gestellt werden mussten. »Ach, nichts Spektakuläres, einfach in die Umgebung«, hatte sie geantwortet.

Es hatte belanglos geklungen, und sie hatte sich geärgert, dass ihre Antwort ihr Vorhaben kleiner gemacht hatte, als es war. Als es sich innen anfühlte. Denn obwohl ihre ausgewählte Strecke gewiss dem Vergleich mit anspruchsvollen Bergtouren oder diesem Weg in Spanien, von dem sie gelesen hatte und der am Grab irgendeines Heiligen endete, nicht standhielt, war sie das Größte, was sie sich je in dieser Richtung vorgenommen hatte. Und dennoch verspürte sie von Zeit zu Zeit ein gewisses Zaudern. Es saß ihr im Ohr wie ein Kobold, der ihr zuflüsterte, dass ihr Plan nicht in Stein gemeißelt war. Sie könnte ihn jederzeit ändern. Zu Hause bleiben. In der Komfortzone. Die Idee ihrer Therapeutin verwerfen. Weiter im Kreis laufen. Niemand zwang sie.

Tessa zog mit dem Schuhkarton unterm Arm in Richtung Kasse. Lillemor folgte ihr. Ihr Blick fiel auf die Läuferin, die die gesamte Wand hinter dem Kassenbereich einnahm. Ihr Körper war sonnengebräunt, athletisch, makellos. Sie trug eng anliegende Shorts und ein bauchfreies Top, und sie lief mit königlicher Haltung auf einem kerzengeraden Weg in den Sonnenuntergang hinein, übergossen von orangefarbenem Licht, rechts und links von ihr nichts als die Weite einer roten Wüste.

Lillemor kramte in ihrer Schultertasche nach dem Portemonnaie und versuchte, ihr Entsetzen über den Preis ihrer Einkäufe hinter einer Fassade aus Gleichmut zu verbergen.

»Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß auf der Reise!«

Tessa reichte ihr das Wechselgeld und schob die Tüte über den Tresen.

Viel Spaß auf der Reise …

Lillemors Lippen verzogen sich zu einem gequälten Lächeln. Darin war sie gut. Kein Wunder, übte sie doch seit mehr als sieben Jahren. Der Schmerz hinter ihrer aufgesetzten Gemütsruhe und die leere Stelle in ihrem Herzen gingen Tessa nichts an. Niemanden gingen sie etwas an.

Mit einem Kopfnicken und beladen mit ihren Errungenschaften verließ sie den Laden. Da vernahm sie wieder das Flüstern des Kobolds. Sie könnte sich immer noch anders entscheiden. Und die Schuhe ungetragen zurückbringen.

»Die sehen aus, als wolltest du mit ihnen die Alpen überqueren«, sagte Mone mit einem Augenzwinkern. Sie hielt den rechten von Lillemors neuen Wanderschuhen in der Hand, Anja den linken.

Lillemor rang sich ein Lächeln ab. »Glaubt es oder nicht, aber es fühlt sich fast so an.«

Sie saßen beieinander an dem kleinen Tisch in ihrer Küche, wo sie in den vergangenen Jahren ungezählte Stunden zusammen verbracht hatten und wo so viele Tränen geflossen waren, dass Lillemor manchmal geglaubt hatte, die Küche irgendwann wegen Überflutung nicht mehr betreten zu können. Mone hatte eine Flasche Wein mitgebracht, Lillemor schenkte ihnen ein. Sie hatte ihren Freundinnen ausführlich vom nachmittäglichen Schuhkauf berichtet, ihre neuen Exemplare aus dem Karton geholt und anschließend probeweise den geliehenen Rucksack geschultert, den Mone ihr mitgebracht hatte. Ein unscheinbares Modell, steingrau mit roten Abnähern und allerlei Fächern und Reißverschlüssen.

»Du willst das wirklich ganz allein machen, ja?« Anja reichte ihr den linken Schuh zurück und suchte ihren Blick.

Lillemor kannte Anja lange genug, um den feinen Unterton zu bemerken, der nichts anderes als ehrliche Sorge signalisierte. Anja war der vorsichtigste Mensch, den sie kannte. Etwas riskieren, ein Wagnis eingehen, dessen Ausgang sie nicht einschätzen konnte, käme ihr nie in den Sinn. Sie waren alle drei im gleichen Alter, hatten sich viele Jahre zuvor durch ihre Kinder im Kindergarten kennengelernt, und was als Zufallsbekanntschaft begonnen hatte, war zu einer echten Freundschaft geworden, trotz ihrer Unterschiedlichkeit. Dass Anja mit ihrem Hang zu übertriebenem Sicherheitsdenken diejenige war, die ihren Plänen von der Wanderschaft von Beginn an skeptisch begegnet war, hatte daher weder Mone noch Lillemor erstaunt.

»Ach, Anja …« Mone verdrehte ihre Augen. »Du und deine Bedenken. Lil hat sich entschieden, und wir werden sie unterstützen, wie wir es versprochen haben!« Sie hob ihr Glas, lächelte ihnen aufmunternd zu, und so stießen sie auf Lillemors Pläne an.

»Ich bin eben nicht sicher, ob...

Erscheint lt. Verlag 28.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Atmosphäre • buch für frauen • Familiengeheimnis • Familiengeheimnis-Romane • Familienroman • Familiensaga • Geheimnis • Generationengeschichte • Kind • Landschaft • Liebe • Pilgern • Saga • Schärengarten • Schäreninsel • Schicksal • Schmöker • Schwanger • Schweden • Stimmungsvoll • Verlust • Wandern
ISBN-10 3-7517-4780-X / 375174780X
ISBN-13 978-3-7517-4780-6 / 9783751747806
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