Endling (eBook)

Roman. »Ein Roman, von dem ich nicht wollte, dass er endet.« TARA WITTWER
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
334 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7517-4837-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Endling -  Jasmin Schreiber
Systemvoraussetzungen
22,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Artensterben. Abtreibungs- und Verhütungsverbote. Repressalien. Die Welt, in der sich die Frauen dieses Romans zurechtfinden müssen, ist eine andere im Jahr 2041. Zoe ist Biologin und forscht fern der Heimat an Käfern. Als ihre Mutter in Reha muss, kehrt sie nach Hause zurück, um sich um ihre Teenager-Schwester Hanna und ihre schrullige Tante Auguste zu kümmern, die seit Jahren das Haus nicht mehr verlässt. Doch dann verschwindet Augustes Freundin Sophie, und während sich die Ereignisse überschlagen, lauert in Schweden ein dunkler Wald auf sie.




<p><strong>Jasmin Schreiber</strong>, 1988 in Frankfurt/Main geboren, ist Biologin, Schriftstellerin und Wissenschaftsjournalistin. Wenn sie nicht gerade Expeditionen zu Farn und Gliederfüßern macht, schreibt sie sich auf die Bestsellerliste und erzählt Geschichten aus Wissenschaft und Natur im Podcast Bugtales.fm. Bei Eichborn erschienen die Romane <strong>MARIANENGRABEN</strong> und <strong>DER MAUERSEGLER</strong>. Auf Instagram findet man sie unter @lavievagabonde, ihre Natur-Kolumne gibt es per Mail auf schreibersnaturarium.de.</p>

Jasmin Schreiber, geboren 1988, ist Biologin und Schriftstellerin. Wenn sie nicht gerade Expeditionen zu Farn und Gliederfüßern macht, schreibt sie sich auf die Bestsellerliste und erzählt Geschichten aus Wissenschaft und Natur im Podcast Bugtales.fm. Bei Eichborn erschienen die Romane MARIANENGRABEN und DER MAUERSEGLER, außerdem das Sachbuch SCHREIBERS NATURARIUM. Auf Instagram findet man sie und ihre Naturausflüge unter @lavievagabonde, ihre Natur-Kolumne gibt es per Mail auf schreibersnaturarium.de. Jasmin Schreiber lebt mit ihrem Mann und einer Menge Hunde in Hamburg.

Macroglossum stellatarum
Taubenschwänzchen


irgendwann kracht das alles auf mich drauf. all die ausgestopften tiere, globen, mikroskope, auf nadeln aufgespießte insekten, die ganzen bücher über biologie, über naturgeschichte und spinnen, präparate in gläsern, kleine terrarien, forschungsnotizen und hefte, ferngläser, feldführer, konservierte pflanzenproben, die muschelsammlung, poster und diagramme und das hölzerne bettgestell, auf dem tante auguste liegt und die mit rudernden armen auch mit durch die decke bricht. das kracht alles auf mich drauf, und das war’s dann.

Eine Nachricht von meiner kleinen Schwester. Ich nahm einen Schluck von meinem kalten Tee, der schon seit heute früh neben meinem Notebook stand, und wartete. Drei Punkte tanzten im Chatfenster und zeigten an, dass sie noch tippte.

Das war nicht ihre erste Nachricht an mich an diesem Tag. Hanna und ich hielten konstant Chatkontakt, was wichtig war, da wir uns nicht häufig sehen konnten: Sie lebt mit Mama in Frankfurt, ich in München, und wegen der in letzter Zeit so häufig auftretenden Pandemien war Reisen nicht immer so einfach. Deshalb stand ich unter ziemlichem Nachrichtenbeschuss, was mir aber ganz recht war. Ich freue mich, wenn meine kleine Schwester mir schreibt.

kaboom, tot!, tauchte in unserem Chatfenster auf.

Du musst vorher noch dein erstes Buch fertig schreiben und siebenundzwanzig werden, erst dann darfst du sterben, antwortete ich ihr.

ein echtes künstlerinnenende? wäre cool, glaub
aber nicht, dass die decke noch so lange durchhält.

Du willst ja auch nicht bis siebenundzwanzig zu Hause wohnen.

und mama allein lassen?

Sie kommt klar.

sie kommt NICHT klar, aber woher willst du
das wissen, du warst lange nicht hier.

Ich komm bald wieder vorbei.

bald bald?

Ganz bald.

okay. bis später! ich schreibe an einer neuen geschichte, schicke sie dir bald. ciao ciao

Ich legte das Handy beiseite und schaute wieder auf den Bildschirm meines Computers. Ich schreibe gern. Für mich ist es ein schönes Hobby, aber Hanna ist jetzt sechzehn und schreibt schon so gut, da ist im Vergleich jeder Buchstabe, den ich zu Papier bringe, eine Beleidigung der Literatur. Sie nimmt an Wettbewerben teil, schreibt Geschichten online in einem Blog, schreibt, wo immer sie kann. Dass Hanna irgendwann Schriftstellerin wird oder Drehbücher schreibt, das ist ausgemachte Sache in unserer Familie. Sie muss etwas Kreatives machen, etwas Künstlerisches. Für mich wäre das nichts gewesen. Auch wenn ich Sprache liebe, mir fehlt einfach oft die Fantasie, wenn es darum geht, Dinge von Grund auf zu erfinden. Deshalb bin ich Wissenschaftlerin geworden, Biologin und, um genau zu sein: Entomologin. Also so eine komische Insektenfrau.

Eigentlich forsche ich an kleinen Käfern, für die sich kein Schwein interessiert. Na ja, außer mir und noch drei, vier anderen hier in Deutschland. Aber bei uns Insektenleuten ist es so, dass wir natürlich auch hier und da unsere Fühler ausstrecken und unseren Kolleginnen und Kollegen helfen. Und deswegen arbeitete ich gerade an einem Forschungsprojekt über Schmetterlinge.

Schmetterlinge? Hatte ich nie so richtig auf dem Schirm. Ja klar, eure bunten Flügel sind hübsch und so, wir haben’s kapiert! Als ich 2031 meinen Biologie-Bachelor in der Tasche hatte und mich für den Master eingeschrieben habe, da war ich der Meinung, Schmetterlinge wären wohl die größten Langweiler der Insektenwelt. Doch während mein Studium voranschritt, wurde mir klar, dass es gar keine langweiligen Insekten gibt und Schmetterlinge alles andere als öde sind. Überraschung: Nur acht Prozent aller Lepidoptera, also Schmetterlinge, sind tatsächlich als Schmetterlinge klassifiziert. Der Rest? Motten. Und die Bandbreite der Vielfalt in beiden Gruppen ist schlichtweg atemberaubend. Und ja, wie ich bereits erzählt habe: Ich bin die seltsame Insektenlady, und ich liebe es, über alles zu reden, was krabbelt und flattert.

Zum Beispiel könnte ich jetzt von der Vampirmotte schwärmen, Calyptra thalictri, auch bekannt als Wiesenrauten-Kapuzeneule, die sich von Blut ernährt (ja, richtig gelesen; es gibt tatsächlich blutsaugende Schmetterlinge, und ja, die kommen auch bei uns vor; gern geschehen), oder von den Glasflüglern, Sesiidae, die sich mit ihren transparenten Flügeln für Vögel praktisch unsichtbar machen können. Vielleicht nicht so spektakulär in Sachen Gruselfaktor oder Aussehen, aber dennoch, beeindruckend ist der Monarchfalter, Danaus plexippus. Dieser orange-schwarze Wanderfalter legt auf seinen Reisen durch Nord- und Südamerika Tausende von Kilometern zurück, und jedes Mal, wenn ich ein solches Geschöpf auf meinen Exkursionen in der freien Natur beobachtet habe, konnte ich es kaum glauben: So ein winziges Wesen, kaum mehr als ein paar Gramm schwer, bringt die Kraft auf, riesige Gebirge zu überwinden! Gebirge! Genau, so habe ich auch geschaut. Mich bringen drei Treppen schon aus der Puste, denn ich bin in etwa so fit und sportlich wie ein Ast.

Mich hauen diese Rekorde um. Die Vorstellung, zu was so kleine, oft unterschätzte Lebewesen in der Lage sind, macht mir Gänsehaut. In Europa haben wir auch Schmetterlinge, die solche großen Reisen unternehmen können, beispielsweise das Taubenschwänzchen, Macroglossum stellatarum. Jedes Jahr zog es zwischen Süd- und Nordeuropa hin und her, überquerte die Alpen, um in unseren Gärten vor einer Blüte wie schwerelos in der Luft zu stehen und dabei wie ein Kolibri auszusehen. Tatsächlich gibt es in Europa keine Kolibris, allerdings ist dieser Falter so groß und puschelig, dass er auf den ersten Blick wirklich wie ein kleiner, wunderhübscher Vogel mit einem aufgefächerten Schwanz aussieht.

Wieso ich mich gerade mit diesen kleinen Kerlchen befasste, ist jedoch ein weniger schönes Thema. Denn die Taubenschwänzchen waren verschwunden – ja, einfach so. Zack, weg. Und deshalb saß ich hier vor meinem Rechner und brütete gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über eben jenem Rätsel – 2041, zehn Jahre nach meiner Bachelorarbeit, sieben Jahre nach dem Beginn des großen Baumsterbens. What a time to be alive!

Ich öffnete ein paar Programme. Die Statistiksoftware, mit der ich arbeitete, ermöglichte es mir, tief in die über die Jahre gesammelten Daten einzutauchen und nach Mustern und Zusammenhängen zu suchen, die einen Hinweis auf das plötzliche Verschwinden der Taubenschwänzchen geben könnten, und seit Tagen zerbrach ich mir schon den Kopf über ein paar Werte, die ich von einer Kollegin bekommen hatte.

Ich stellte gerade fest, dass die letzten bekannten Sichtungen der Falter in den italienischen Alpen auf fünfzehnhundert Metern Höhe stattgefunden hatten, also in einem Gebiet, das besonders stark vom Klimawandel betroffen war. Der Temperaturanstieg selbst in diesen Höhen und der Rückgang der Niederschläge haben die Vegetation und die Ökosysteme dort drastisch verändert, kurz gesagt: Die Gegend war ziemlich abgerockt. Mir blutet das Herz, wenn ich an den Zustand unserer Gebirge – meiner Lieblingsorte! – denke. Es begann 2023 damit, dass immer mehr Berggipfel abbrachen; erst in Galtür und den Dolomiten, später auch an der Zugspitze, dem Matterhorn, niedrigeren Gipfeln des Himalayagebirges. Der Grund? Auftauender Permafrost.

Die Berge sind zu warm, so wie die gesamte Welt. Das ist der Grund, wieso viele Tiere und Pflanzen, die auf kühlere Temperaturen angewiesen sind, immer weiter nach oben steigen und uns hier unten abhandenkommen. Das ist aber schon die Variante, wenn es gut läuft. Denn wenn es schlecht läuft, sterben sie komplett aus.

2037 hatte eine Freundin und Kollegin von mir gemeinsam mit ihrem Team beobachtet, dass diese kleinen puscheligen Schmetterlinge in die Berge hineingeflogen waren – deutlich weniger als noch zehn Jahre zuvor, aber durchaus noch amtliche Schwärme. Also alles normal bis dahin. Doch das Problem war, dass sie nicht mehr aus den Bergen herauskamen. Es war, als hätten die Felsmassive den Trupp einfach verschluckt. Keine einzige Spur wurde gefunden, nicht einmal ein zerfetzter Flügel. Auch weiter oben hatte man nach ihnen gesucht: nichts.

Ich grübelte so viel über diesen Umstand nach, dass ich nachts sogar von Taubenschwänzchen träumte. Vielleicht war nur ein Teil in die Berge gezogen und dort aus unbekannten Gründen verschwunden? Und ein anderer Teil hatte eine Route eingeschlagen, die wir nicht mitbekommen haben? Vielleicht übers Meer. Vielleicht. So viele Vielleichts.

Ich begann nun, Mails zu schreiben. An andere Forschende aus den USA, an Naturschutzorganisationen, an Leute an meiner Uni, denn ich hatte Fragen, brauchte noch mehr Daten, irgendwelche Anhaltspunkte, um die ich mein Hirn wickeln konnte. Als ich damit fertig war, sah ich auf die Uhr. Kurz nach elf. Da steckte jemand den Kopf zu meiner einen Spalt geöffneten Tür herein.

»Hey, stör ich gerade?« Es war Hannes, ein älterer Kollege, der auch mein Doktorvater ist und stets in sehr liebenswerter Zerstreutheit durch das Institut läuft, immer etwas am Suchen, immer am Murmeln, die Nase gern in sein Tablet vertieft, weil man die Zeit, in der man herumläuft, ja auch dafür nutzen kann, ein Paper zu lesen. So ist zumindest seine Einstellung. Seine Leidenschaft gilt eigentlich den Heuschrecken, den Orthoptera, aber er hat mich...

Erscheint lt. Verlag 24.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Agoraphobie • Auguste • Biologie • Depression • Familie • Forschung • Humor • Italien • literarische Unterhaltung • Naturwissenschaft • Norwegen • Reise • Road Trip • Schnecken • Schweden • Tante • Wald • Witz
ISBN-10 3-7517-4837-7 / 3751748377
ISBN-13 978-3-7517-4837-7 / 9783751748377
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)
Größe: 12,7 MB

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99