Söhne der Freiheit (eBook)

Eine deutsche Einwandererfamilie und die Gründung der Vereinigten Staaten

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2023 | 1. Auflage
320 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12145-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Söhne der Freiheit -  Johannes Ehrmann
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1776 - deutsche Migranten machen Revolution in Amerika Die deutschen Founding Fathers: Johannes Ehrmann erzählt zum ersten Mal Amerikas Revolution und den Unabhängigkeitskrieg als deutsche Familiengeschichte. Mit großer Erzählkunst verwebt er das Leben der Mühlenbergs mit den bahnbrechenden Ereignissen ihrer Zeit. Packend schildert er Schicksal und Wirken dieser deutscher Migranten, die Amerika in ein neues Jahrhundert steuerten, und bietet dabei eine neue Sicht auf den alten Mythos USA. Als Amerika am 4. Juli 1776 in Philadelphia seine Unabhängigkeit von England erklärt, machen sich zwei deutsche Einwanderer nur wenige Straßen weiter an deren erste und wichtigste Übersetzung. Die amerikanische Revolution spricht Deutsch - weil die deutschen Migranten so zahlreich sind, dass der Kampf gegen England ohne sie schlicht nicht zu gewinnen ist. Die Deutschen, eigentlich Bürger zweiter Klasse, kämpfen für Amerikas Freiheit, stellen Regimenter auf, sie gehen in die Armee und die Politik und entscheiden bald Präsidentschaftswahlen. Zwei Brüder an vorderster Front, die Pastorensöhne Peter und Friedrich Mühlenberg, die mit den Prinzipien ihres Vaters brechen, um amerikanische Geschichte zu schreiben. Das ist die packende Story der »First German Family« Amerikas, die große Zeitenwende erzählt aus der Perspektive deutscher Underdogs.

Johannes Ehrmann, geb. 1983, ist ZEIT-Redakteur und Autor mehrerer Sachbücher. Studium der Amerikanistik und Geschichte in Berlin und Philadelphia mit Master-Abschluss an der University of Pennsylvania (USA). Seine journalistischen Texte sind mehrfach ausgezeichnet worden. Johannes Ehrmann lebt in Berlin.

Johannes Ehrmann, geb. 1983, ist ZEIT-Redakteur und Autor mehrerer Sachbücher. Studium der Amerikanistik und Geschichte in Berlin und Philadelphia mit Master-Abschluss an der University of Pennsylvania (USA). Seine journalistischen Texte sind mehrfach ausgezeichnet worden. Johannes Ehrmann lebt in Berlin.

PROLOG


DUNKELHÄUTIGE DEUTSCHE

Wer den Leuten erzählt, dass er ein Buch über die deutschen Gründer der Vereinigten Staaten schreibt, bekommt fast immer die gleiche Reaktion: Ah, interessant. Wäre das Deutsche nicht mal um ein Haar offizielle Landessprache geworden? Stimmt das eigentlich? Über 42 Millionen US-Bürgerinnen und -Bürger beriefen sich beim Community Survey des Zensusbüros im Jahr 2021 auf eine deutsche Herkunft, das sind 12,7 Prozent der Bevölkerung. Zur Zeit der Amerikanischen Revolution 1776 war der Anteil der deutschen Migranten in den dreizehn Kolonien nur unwesentlich geringer, er wird auf zehn Prozent geschätzt. Was heute also die spanischsprachigen Lateinamerikaner sind, die Latinos oder Hispanics, waren damals die Deutschen: die größte nicht-englischsprachige Gruppe einer englisch dominierten Gesellschaft.

Eine rasant wachsende Minderheit, insbesondere in Pennsylvania, wo sie im 18. Jahrhundert wohl mehr als ein Drittel der Bevölkerung ausmachte. Außerhalb Philadelphias, »in diesem waldreichen Pennsylvanien«, hatten sich bereits 1683, kurz nach Gründung der Kolonie, 13 Familien von Religionsflüchtlingen aus Krefeld angesiedelt und ein erstes deutsches Städtlein in Amerika gegründet: Germantown.

Sie waren Quäker und Mennoniten, eingeladen vom ebenfalls religiös unterdrückten Engländer William Penn. Ihnen folgten alle möglichen Glaubensgruppen: Lutheraner, Herrnhuter, Tunker, auch die heutige Touristenattraktion, die Amische, eine radikale Gruppe von Anabaptisten. Bald aber, spätestens mit der großen deutschen Migrationswelle der 1740er und 1750er Jahre, kamen bereits vorwiegend, wie man heute sagen würde, Wirtschaftsflüchtlinge. Menschen auf der Suche nach einer neuen Chance, einem besseren Leben. Im feudal organisierten Deutschland, damals ein Flickenteppich Hunderter unterschiedlicher Fürstentümer und Grafschaften, gab es gerade für die einfachen Leute viele Gründe, unzufrieden zu sein. Dazu gehörten Frondienste ebenso wie Perspektivlosigkeit durch das Erbteilrecht, verpflichtender Militärdienst, Willkür und Drangsalierung durch die Herrschenden sowie teils sehr hohe Steuern und Abgaben. Auch in Nordamerika mochte das Leben »beschwerdt« sein, wie ein 1711 ausgewanderter Deutscher nach Hause schrieb, doch war die Steuerlast in Pennsylvania im Vergleich so gering, »daß mancher mehr im zapfhauß verdrinkt auf einmahl, denn des Jahres Tax ist«.

Nicht nur Pennsylvania, auch andere Kolonien wie Maine, Massachusetts oder North Carolina warben deutsche Siedler an. Die allermeisten Deutschen aber kamen in Philadelphia an – zunächst fast ausschließlich aus dem südwestdeutschen Raum, aus dem Rheinland, der Pfalz, Rheinhessen und Württemberg stammend, später auch aus anderen Regionen wie Hamburg oder dem Hannoverschen. Meist waren sie zwischen 20 und 40 Jahre alt, etwas häufiger Männer als Frauen, oft Kleinbauern und Handwerker aller Art, die in Amerika in allen möglichen Gewerken Arbeit fanden – als Weber, Schumacher, Schmiede, Fleischer, Bäcker, Fassbinder, Drucker oder Schiffbauer. Sehr oft auch als Farmer, freie Bauern, sobald ein eigenes Stück Land außerhalb Philadelphias für sie erschwinglich wurde.

Bis zum Ausbruch der Revolution waren etwa 110 000 Deutsche und deutschsprachige Schweizer in den englischen Kolonien angekommen, zusammen mit ihren Nachkommen machten sie im Jahr 1776 etwa eine Viertelmillion Menschen aus. Das blieb nicht ohne Folgen in der Kolonialgesellschaft. Der stetige Zustrom an Fremden hatte schon bald nach dem Tod William Penns im Jahr 1718 für Argwohn gesorgt – und für konkrete, steuernde Maßnahmen. Man ließ die deutschen Neuankömmlinge noch auf den Schiffen in Listen eintragen und sie als Erstes einen Treueeid auf den englischen König schwören. Durch strategische Ziehung der Wahlbezirke marginalisierte man sie politisch.

Die Deutschen, das waren die Anderen, Bürger zweiter Klasse, von den Englischstämmigen misstrauisch beäugt. Man hielt sie für ignorante Trampel, belächelte ihren legendären Geiz und ihre seltsamen Manieren. Mussten sie denn auch so viel Bier trinken und Kraut und Schweinefleisch in sich hineinstopfen? Mussten sie so laut und so sichtbar sein, dass sie gleich ganze Stadtviertel übernahmen? Wenn das so weiter ging, würden sie Pennsylvania, von Engländern gegründet, noch »germanisieren statt dass wir sie anglisieren«, wie Benjamin Franklin bereits 1751 unkte. »Sie haben eine deutsche Zeitung und eine halbdeutsche«, bemerkte Franklin zwei Jahre später, »Werbeanzeigen … werden nun auf Deutsch und Englisch gedruckt; die Schilder in unseren Straßen tragen Inschriften in beiden Sprachen und mancherorts nur Deutsch.« Das Deutsche als Landessprache? Für den einflussreichen Drucker, Politiker und späteren Gründervater Franklin war das, zumindest für eine Weile, ein realistisches Szenario.

Die xenophobe Hysterie um die deutsche »Otherness« nahm teils groteske Züge an, als Franklin ihnen in einem 1755 veröffentlichten Aufsatz sogar das Weißsein absprach. Die Deutschen hätten – wie die meisten Kontinentaleuropäer – »generell eine Hautfarbe, die wir dunkelhäutig (swarthy) nennen«, erklärte Franklin. Die einzige Ausnahme bildeten die Sachsen, die mit den von ihnen abstammenden Engländern oder Angelsachsen »den Hauptteil Weißer Menschen auf der Erde« ausmachten.

Auch diese Ressentiments durch die angloamerikanische Elite müssen wir mitdenken, wenn wir die rasche Assimilation der Deutschen sehen, die oftmals gleich als Erstes ihre Nachnamen verenglischten, ihre Umlaute strichen und deutsche durch englische Laute ersetzten: Aus Huber wurde so etwa Hoover, aus Gräf wurde Graff, aus dem deutschen Müller der englische Miller.

Trotz allem aber versprach das Leben gerade im vergleichsweise diversen und demokratischen Pennsylvania, »the best poor man’s country«, wie es hieß, ein deutlich besseres zu sein als in der alten Heimat. Wenn man denn erst einmal da war. Die Überfahrt von Europa konnte lebensgefährlich sein, nicht selten brach an Bord der Atlantiksegler das »Schiffsfieber« aus, meist Ruhr, Typhus oder Pocken, übertragen durch verdorbenes Trinkwasser, Ungeziefer oder die Atemluft unter Deck. Mitunter war das Wasser in den modrigen Holzfässern schon bald nach Ablegen »sehr schwarz, dick und voller Würmer«, wie ein Deutscher mit Grausen berichtete. Wenn die Passage etwa wegen schlechter Winde zu lange dauerte, gingen Vorräte und das Trinkwasser aus. Ein Schreckensbeispiel war die Fahrt der »Good Intent«, die im Herbst 1751 nicht in Philadelphia anlanden konnte, weil der Delaware River bereits zugefroren war. Als nach Monaten der Irrfahrt im Juni 1752 endlich der Bestimmungshafen erreicht war, hatten von 200 Passagieren nur 19 überlebt. »Only a few left«, notierte man lapidar in der Passagierliste.

Als der lutherische Pastor Heinrich Melchior Mühlenberg Ende November 1742 mit einem der letzten Schiffe der Saison in Philadelphia ankommt, ist er mit 31 Jahren im typischen Auswandereralter. Drei Lutheranergemeinden in Pennsylvania, mehr schlecht als recht organisiert, haben in Deutschland dringend um einen ordentlichen Geistlichen nachgesucht. Mühlenberg, noch ledig und kinderlos, jedoch bereits mit Gemeindeerfahrung, ist nun von seinen Vorgesetzten entsandt worden.

Mühlenberg und die deutsch-amerikanische Familie, die er in den folgenden 45 Jahren gründen wird, das sind die Hauptfiguren dieser Geschichte. Ein Mensch der alten Welt, der zum Zeitzeugen der Zeitenwende wird. Ein Deutscher mit Zuwanderungsgeschichte, der zunächst vor den gleichen Aufgaben steht wie alle Migranten – der sich auf eine ihm völlig fremde Kultur und Sprache einstellen muss, der in den unfertigen Provinzen aus dem Nichts einen Geltungsbereich aufzubauen sucht, sich einen Namen machen will. Eine automatische Autorität als Geistlicher wie im Deutschland seiner Zeit ist Mühlenberg in Nordamerika nicht. Es gilt hier der Sinnspruch: »Pennsylvania ist ein Himmel für Farmer, ein Paradies für Handwerker und eine Hölle für Offizielle und Prediger.« Die Organisation ist laxer. Das Klima, die Gesellschaftsstruktur, die langen Wege, alles scheint hier anders als in Kontinentaleuropa zu sein. Selbst die Zeitrechnung ist zunächst noch eine andere, Englands Domäne lebt noch nach »altem Stil« im Julianischen Kalender,...

Erscheint lt. Verlag 16.9.2023
Zusatzinfo genaue Anzahl steht noch nichg fest
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 18.Jahrhundert • Amerika • Amerikanische Geschichte • Amerikanische Revolution • Amerikanische Verfassung • Benjamin Franklin • Biografie • Bostoner Tea Party • Delaware • Deutsche Auswanderer • Familie Mühlenberg • George Washington • Geschichte USA • Migration • Migrationserfahrung • Migrationsgeschichte • Neue Bücher Herbst 2023 • Philadelphia • Sachbuch Geschichte • Sachbuch Neuerscheinung • Unabhängigkeitserklärung • Unabhängigkeitskrieg • USA • Verfassungsväter • Yorktown
ISBN-10 3-608-12145-5 / 3608121455
ISBN-13 978-3-608-12145-2 / 9783608121452
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