Lindy Girls (eBook)

Roman

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(Autor)

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2023 | 1. Auflage
352 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3374-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lindy Girls - Anne Stern
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Vier Frauen, die um ihre Freiheit kämpfen - und sie im Tanz finden.

Fasziniert vom neuen Swing aus Amerika gründet die Choreographin Wally eine Tanzgruppe. Ihre Tänzerinnen findet sie in den Straßen Berlins. Doch den »Lindy Girls« bleibt der Zugang zu den großen Tanzpalästen verwehrt, denn hier haben die Männer das Sagen. Dagegen begehrt auch Sekretärin Gila auf, die davon träumt, mehr zu schreiben als das, was ihr diktiert wird. Mit ihr stößt die Industriellentochter Thea zur Gruppe, und ihre Kontakte öffnen endlich Türen. Aber dann kommt den »Lindy Girls« die Liebe in die Quere ... 

Bestsellerautorin Anne Stern erzählt von vier Frauen im wilden Berlin der 1920er Jahre - atemlos, traumtänzerisch und romantisch.



Anne Stern, geboren 1982, ist Historikerin, promovierte Germanistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin. Ihre Romane um die Berliner Hebamme »Fräulein Gold« wurden zu SPIEGEL-Bestsellern. Ihr Roman »Drei Tage im August«, ebenfalls im Aufbau Taschenbuch erschienen, dreht sich um die bewegte Geschichte eines Berliner Pralinengeschäfts an drei Tagen des Jahres 1936. In »Lindy Girls« erzählt sie temporeich und mit ganz eigenem Sound von einer Frauentanzgruppe im Berlin der Goldenen Zwanziger.

Kapitel 1

Gila


Leise und beharrlich klirrt Glas an Glas, in zartem Reigen. Auf den Tischen und dem Regalbord hinter der spiegelnden Bar tanzen die Champagnerkelche, berühren einander immer wieder und klingeln sacht. Die Perlen, die in der goldenen Flüssigkeit schweben, steigen an die Oberfläche, als wollten sie auf keinen Fall verpassen, was gleich hier im Saal geschehen wird. Doch schon zerplatzen sie seufzend am Rand des Kristallglases unter dem künstlichen Sternenhimmel.

Der Klang der Trompeten jubelt über die Gäste in Abendgarderobe hinweg und scheucht alle auf. Sofort fahren die samtigen Klänge der Saxophone dazwischen, dann das Fanal der Posaunen. Der Bassist mit der Schiebermütze schmiegt seine Wange an den Hals des Instruments und greift in die Saiten des Kontrabasses. Ein anderer Musiker spielt einen Trommelwirbel, und die Gäste, die in Smokingjacken und Flapperkleidern aus Seide an den Tischchen ringsum sitzen, beginnen wie auf ein Zeichen in ihren roten Polstersesseln hin und her zu schwingen und mit den Fingern zu schnippen. Elektrisiert zittern die Federboas der Damen im Windstoß, der durch den Saal zu streichen scheint. Und der Rhythmus ergreift alles gleich einer gewaltigen Woge.

Da kommen die Girls herein. Acht Mädchen in silberdurchwirkten Trikots, mit schwingenden Fransen an den Hüften und Perlenstickerei auf den Oberteilen, die im Licht des Kronleuchters schimmern. In gerader Linie laufen sie leichtfüßig auf die Bühne, mit lachenden Gesichtern und biegsamen Körpern, und Beifall brandet auf, nimmt sie in Empfang. Die Trompeten jubeln, und die Tänzerinnen kreisen die Becken, schütteln Schultern und Hände, trommeln mit den Füßen auf die Bodenbretter. Sie gleichen einander fast vollkommen in ihren glitzernden Kostümen, mit den kinnlangen Frisuren, den langen Wimpern, und doch ist jede von ihnen einzigartig. Wie sie die Beine werfen! Ihre langen schlanken Glieder scheinen aus Gummi arabicum …

»Fräulein Neumann?«, höre ich eine Stimme hinter mir. Blitzschnell ziehe ich das halb beschriebene Blatt aus der Walze meiner Schreibmaschine und knülle es zusammen.

»Voller Rechtschreibfehler, Herr Meier«, sage ich achselzuckend zu meinem Chef und lächle honigsüß, »ich weiß nicht, wo mir heute der Kopf steht.«

»Sie träumen wohl wieder vom Wannsee, mein Fräulein«, sagt er nachsichtig (Gilachen nennt er mich nur, wenn niemand in der Nähe ist). Er zwinkert mir zu, weil er denkt, keiner sähe es. Dabei weiß ich genau, dass die Kollegen an den Tischen ringsum über die Papierberge und Schreibmaschinen verstohlen zu uns rüberschielen. Er wartet auf ein Zeichen von mir, dass ich mich an unseren Segeltörn vom vergangenen Sommer erinnere, aber ich lasse ihn nicht so leicht von der Angel.

»Man hört, dass im Herbst auf dem Grund des Sees ein Ungeheuer lebt«, sage ich, und jetzt ist ein bisschen Ängstlichkeit in meiner Stimme, genug, dass es ihn rührt. Dunkle Wagen fahren draußen auf der Friedrichstraße vorüber, und die blasse Novembersonne scheint auf die lackierten Karosserien und wirft helle Tupfen hinauf zu den Fenstern bis in den Redaktionsraum. Sie wandern wie müde Lichtzeichen über unsere Gesichter.

»Menschenskind«, sagt der gesprenkelte Chef zu mir. »Mein lieber Schwan! Sie haben eine blühende Phantasie!«

Was Herr Meier nicht ahnt, ist, dass ich vor lauter Einfällen sogar beinahe platze. Vor allem, seit ich Thea kenne und die Lindy Girls getroffen habe. Was ich eben schrieb, ehe er mich störte, und was ich leider zerknüllt habe, damit er es nicht sieht, könnte der Anfang eines Romans sein. Das ist doch etwas anderes als dieses ewige Es war einmal. Damit begannen früher die Märchen, die sie uns erzählten – unsere Mütter und Großmütter und die Nachbarinnen in den Küchen. Im Sommer unten im Hof, während die Zugehfrau auf die Teppiche eindrosch und wir Kinder uns zu ihren Füßen drängelten, um kein Wort zu verpassen. Es war einmal, und dann kamen die Geschichten von den Prinzessinnen und den verwunschenen Königssöhnen, den glänzenden Ballsälen, wo sich die geputzten Paare sittsam im Kreis drehten, und von dem Ritt auf dem weißen Schimmel des Helden heim zum Märchenschloss.

Aber für solche Geschichten interessiere ich mich nicht. Es ist doch furchtbar albern, dass es immer nur die Männer sind, die uns Mädchen retten sollen, obwohl das schon lange nicht mehr so ist. Wir chauffieren heute selbst den Wagen, wir gehen zum Boxtraining und hauen unseren Gegnern auf die Nase, wenn es sein muss. Und wir tanzen, wie es uns gefällt.

Vor ein paar Jahren hätte ich gelacht, wenn mir einer in der Redaktion gesagt hätte: Du, kleines Mädchen da an der Schreibmaschine, Gila Neumann – du wirst eines Tages anfangen, einen Roman zu schreiben. Auf dieser hübschen, glänzenden Torpedo, mit der du jetzt die Briefe tippst, die dir der Chef diktiert. Und die du nur sehr vorsichtig zu korrigieren wagst, um ihn nicht in seiner männlichen Eitelkeit zu kränken. Höchstens den falschen Komparativ glattstreichen wie ein Hemd beim Bügeln, so großzügig darf man schon sein. Übrigens auch, wenn der Chef einsam ist und in der Mittagspause ein wenig deine Hand halten möchte …

Das kleine Fräulein Neumann hat einen bemerkenswert schnellen Anschlag, finden sie. Den flinkesten von allen Sekretärinnen in der ganzen Zeitungsredaktion. Und manchmal reißen sie sich regelrecht um mich, damit ich ihre Schriftstücke schreibe und nicht etwa das nervöse Fräulein Stiefel. Oder, noch schlimmer, Fräulein Bentheim, die so langsam tippt, dass man dabei einschläft.

Na, ich bin immer schon schnell gewesen! Ich kann doch gar nicht anders. Wenn es sich nicht wie ein Wettrennen anfühlt, dann langweilt es mich sofort. Und Langeweile ist für eine junge Frau das Tödlichste, sagen die Leute. Dann verdorrt sie viel zu früh an ihrem Platz hinter der Maschine. Ihr Teint wird faltig und matt, und ihre Taille verliert die Biegsamkeit. Im schlimmsten Fall geschieht das, ehe sie jemanden zum Heiraten findet. Vorzugsweise einen der Chefs, was für unsereins besser scheint als ein Tombolagewinn auf dem Jahrmarkt.

Herr Meier ist schon verheiratet, jeden Tag um Punkt elf Uhr geht sein Telefonapparat, und dann säuselt er zehn Minuten lang an seinem Platz hinter der Glasscheibe mit Frau Meier und wird rot dabei. Ich vermeide so lange jeden Blick zu ihm, was geht mich seine Ehe an? Mein Teint ist frisch, und Säuseln ist nicht meine Art.

Dass ich einen Roman schreiben will, so wie die anderen Frauen, die das heute auch wagen, verrate ich vorerst niemandem. Dabei tun es ja alle. Vicki Baum bei Ullstein, Gabriele Tergit, oder sogar die Hessel von der Frankfurter Zeitung … Das Schreiben ist Tagesgeschäft in Berlin geworden, vor allem hier in der südlichen Friedrichstadt im Zeitungsviertel. Und ein Roman ist nichts Großes mehr wie früher, eigentlich gar keine Kunst. Eher zum Hinunterschlingen wie eine Käsestulle. So eine Stulle zu schmieren, das werde ich doch können? Auch der junge Chef, Herr Schneyder, schreibt, hörte ich. Übers Skifahren in Silvretta Montafon, können Sie das glauben? Angeblich hat er dort Hemingway getroffen. Es ist eigentlich zum Lachen. Und Herr Broszinski aus dem Feuilleton schreibt Kurzgeschichten, ach! – eigentlich alle Journalisten wollen Literaten sein. Natürlich nicht die Tippfräuleins wie ich, die in der Redaktion nur fürs Formelle da sind und nicht so fürs Künstlerische. Aber das lässt sich ja ändern, schließlich sind wir in Berlin, und es ist das Jahr 1928. Was soll da nicht möglich sein?

Ich habe außerdem einen Vorteil gegenüber all den kleinen Herren, die hier zwischen den Druckfahnen der Mittagsausgabe und kaltem Kaffee sitzen und auf Inspiration warten. Ich habe eine Idee! Und ohne Idee keine Geschichte, das weiß jeder. Wenn die Leute einen Roman über Alpenpisten und Schussabfahrten und sonnenglitzernden Schnee lesen wollen, dann doch sicher auch über diese Mädels? Es ist noch nicht lange her, dass ich Thea aufgelesen und bei mir aufgenommen habe, und sie hat mir die rothaarige Alice und all die anderen vorgestellt. Sogar Wally Kaluza, ihre Tanzlehrerin, habe ich getroffen ...

Erscheint lt. Verlag 14.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1920 • Alena Schröder • Anne Stern • Berlin • Berlin-Mitte • Carmen Korn • Charleston • Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie • Emanzipation • Familiensaga • Fräulein Gold • Friedrichstadtpalast • Geschenk für die beste Freundin • Hebammenreihe • Historischer Liebesroman • Historischer Roman • Hulda • Karlsplatzreihe • Liebe • Miriam Georg • Musik • Nachtleben • Roman für Frauen • spiegel bestseller • Starke Frauen • Susanne Abel • Swing • Tanz • Zwanziger • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-8412-3374-0 / 3841233740
ISBN-13 978-3-8412-3374-5 / 9783841233745
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