Der verwunschene Fels (eBook)

und andere Erzählungen

(Autor)

Agnes Krup (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
324 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3372-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der verwunschene Fels -  Willa Cather
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Die unentdeckten Erzählungen einer der großen Stilistinnen der amerikanischen Literatur.

Mit trügerisch einfachen Worten und dem klaren Rhythmus ihrer Sätze leuchtet Willa Cather das Innenleben ihrer Figuren ebenso aus, wie sie deren Umfeld zum Leben erweckt: die leere Weite Nebraskas, die urbanen Räume New Yorks, die mythischen Felslandschaften des amerikanischen Südwestens oder einer schroffen Atlantikinsel. In »Der verwunschene Fels« blickt der Ich-Erzähler zurück auf eine Sommernacht mit seinen Schulfreunden auf einer Sandbank im Fluss: Sie erzählen einander von den Abenteuern, die sie bestehen wollen, und von ihren Träumen für die Zukunft, die doch von der Realität des Erwachsenseins eingeholt werden. Wie nebenbei scheinen bei Cather die großen Fragen unserer Existenz auf. Und sie führt uns bestechend klar vor Augen, wie Gesellschaft und Landschaft bestimmen, wer wir sind - bis wir uns von den Fesseln befreien.

»Cathers Erzählungen sind eine Liebeserklärung an die Orte, an denen sie lebte - und die Frauen, die sie liebte.« Agnes Krup.

»Literatur sollte aus dem erwachsen, was man um sich herum vorfindet.« Willa Cather.



Willa Cather wurde 1873 in Virginia geboren, später zog die Familie in das von weiten Ebenen geprägte Nebraska. Schon an der Universität in Lincoln betätigte sie sich als Journalistin, später arbeitete sie als Englischlehrerin in Pittsburgh und als Zeitschriftenredakteurin in New York. Ihr erster großer Romanerfolg, Pioniere!, erschien 1913. Cathers vielleicht bekanntestes Buch, 'Meine Ántonia', spielt ebenfalls in der Prärielandschaft ihrer Jugend. Als ihr Meisterwerk wird häufig 'Der Tod holt den Erzbischof' bezeichnet. Sie hat über sechzig Erzählungen verfasst, die ersten publizierte sie kaum zwanzigjährig in populären Wochen- und Monatszeitschriften. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1947 lebte sie fast vierzig Jahre lang mit der Redakteurin und Werbetexterin Edith Lewis zusammen.

Der verwunschene Fels


Wir waren vor Sonnenuntergang geschwommen, und während wir das Abendessen zubereiteten, glitzerten die schrägen Lichtstrahlen auf dem weißen Sand rings um uns her. Der durchsichtige rote Ball selbst versank hinter der braunen Weite der Maisfelder, als wir uns zum Essen setzten, und die warme Luftschicht, die über dem Wasser und unserer unberührten Sandbank gelegen hatte, kühlte ab und roch nach modrigen Scheinastern und Sonnenblumen, die an dem flacheren Ufer wuchsen. Der Fluss war braun und träge, wie jeder des halben Dutzends Flüsse, die Nebraskas Ackerland wässern. Ein Ufer wurde von einer unregelmäßigen Reihe kahler Lehmvorsprünge gebildet, auf denen ein paar Buscheichen mit dicken Stämmen und flachen, verkrümmten Kronen lichte Schatten über das lange Gras warfen. Das westliche Ufer war flach und eben, mit Maisfeldern, die sich bis zum Horizont erstreckten, und entlang der Uferkante gab es überall kleine sandige Buchten und Strände, in denen schlanke Schwarzpappeln und Weidentriebe schimmerten.

Im Frühjahr war das Wasser zu reißend, um eine Mühle zu betreiben, weshalb sich die viel beschäftigten Farmer nicht um den Fluss scherten, abgesehen davon, dass sie die alte rote Brücke instand hielten; und so waren die Jungen von Sandtown seine unstrittigen Herrscher. Im Herbst jagten wir Wachteln in den Stoppel- und Futterflächen, die sich meilenweit an dem flachen Ufer entlangzogen, und wenn die Schlittschuhsaison vorüber und das Eis des Winters geschmolzen war, sorgten die Hochwasser und Überschwemmungen des Frühjahrs regelmäßig für große Begeisterung. Das Flussbett verlief in jedem Jahr anders. Der angeschwollene Strom unterspülte manchmal einen Vorsprung am östlichen Ufer, oder er grub sich durch mehrere Morgen eines Maisfelds auf der westlichen Seite, wirbelte die Erde davon und spülte sie anderswo als schaumige Schlammbank wieder an. Wenn der Wasserstand dann in der Mitte des Sommers fiel, tauchten überall neue Sandbänke auf, die in der Augustsonne trockneten und bleichten. Manchmal erreichten sie eine solche Festigkeit, dass die Gewalt des nächsten Hochwassers sie nicht mehr fortzubringen vermochte; die kleinen Weidensprösslinge tauchten triumphierend aus dem gelben Schaum auf, schlugen im Frühjahr aus, schossen im Sommer empor, und mit ihrem Wurzelgeflecht hielten sie den feuchten Sand zusammen gegen die Anstürme des nächsten Aprils. Dazwischen zeigte sich hier und dort bald eine Schwarzpappel, in dem Luftzug zitternd, der sogar an jenen windstillen Tagen über der Wasseroberfläche erbebte, an denen der Staub wie Rauch über dem Karrenweg hing.

Auf einer solchen Insel, im dritten Sommer ihres gelbgrünen Bestehens, entzündeten wir unser Wachfeuer; nicht im Dickicht der tanzenden Weidenstämme, sondern auf der ebenen Fläche feinen Sandes, die in diesem Frühjahr hinzugekommen war; ein kleines neues Stück Welt, wunderhübsch gezeichnet vom Muster der Wellen und übersät von den winzigen Skeletten der Schildkröten und Fische, alle so ausgebleicht und getrocknet, als seien sie von Könnerhand präpariert. Wir hatten uns sehr bemüht, die Reinheit des Ortes nicht zu zerstören, obwohl wir an Sommerabenden häufig hinüberschwammen und uns zum Ausruhen auf den Sand legten.

Es war unser letztes Wachfeuer in diesem Jahr, und es gab Gründe, weshalb es mir besser im Gedächtnis blieb als die anderen. In der kommenden Woche würden die Jungs ihre angestammten Plätze in der höheren Schule von Sandtown wieder einnehmen, ich aber sollte auf die Hochebene hinauf, in meiner ersten Landschule unterrichten, bei den norwegischen Siedlern. Ich war schon jetzt krank vor Heimweh bei dem Gedanken, die Jungs zurückzulassen, mit denen ich seit meiner Kindheit gespielt hatte; bei dem Gedanken, den Fluss zu verlassen und auf die windige Ebene hinaufzuziehen, wo es nichts gab als Windmühlen und Maisfelder und endloses Weideland; wo die Landschaft nichts Mutwilliges und nichts Widerspenstiges hatte, keine neuen Inseln und nicht eine einzige mir fremde Vogelart – wie jene, die so oft den Wasserläufen folgten.

Andere Jungen kamen und gingen und nutzen den Fluss zum Fischen oder Schlittschuhlaufen, aber wir sechs hatten uns dem Geist des Stroms verschworen und waren vor allem des Flusses wegen Freunde. Da waren die beiden Hassler-Brüder, Fritz und Otto, die Söhne des kleinen deutschen Schneiders. Sie waren die Jüngsten unter uns; zerlumpte Jungs von zehn und zwölf Jahren, das Haar von der Sonne gebleicht, mit blassblauen Augen in den vom Wetter gezeichneten Gesichtern. Otto, der ältere, war in der Schule der beste in Mathematik und von rascher Auffassungsgabe, aber er schmiss die Schule in jedem Frühjahr, als ob der Fluss ohne ihn nicht vorankommen könne. Er und Fritz fingen die fetten gehörnten Katzenwelse und verkauften sie in der Stadt, und sie verbrachten so viel Zeit im Wasser, dass sie braun und sandig waren wie der Fluss selbst.

Da war Percy Pound, ein dicker, sommersprossiger Junge mit Pausbacken, der ein halbes Dutzend Heftchenromane abonniert hatte und dauernd nachsitzen musste, weil er unter seinem Pult Detektivgeschichten las. Da war Tip Smith, dem wegen seiner Sommersprossen und seiner roten Haare in allen unseren Spielen die Rolle des Kaspers zufiel, obwohl er den Gang eines schüchternen alten Männleins hatte und ein merkwürdig raues Lachen. Tip schuftete jeden Nachmittag im Geschäft seines Vaters, und morgens vor der Schule fegte er dort aus. Selbst in seiner Freizeit plagte er sich ab. Er sammelte unermüdlich Zigarettenkarten und Tabak-Blechmarken, und er verbrachte Stunden in seiner Bodenkammer, über eine quietschende kleine Laubsäge gebeugt. Sein kostbarster Besitz waren ein paar gläserne Tablettenröhrchen, die angeblich Weizenkörner aus dem Heiligen Land, Wasser aus dem Jordan und Erde vom Ölberg enthielten. Sein Vater hatte diese banalen Gegenstände einem missionierenden Baptisten abgekauft, der damit Handel trieb, und Tip schien aus ihrer entlegenen Herkunft tiefe Befriedigung zu gewinnen.

Der hoch aufgeschossene Junge war Arthur Adams. Er hatte hübsche nussbraune Augen, die für einen Jungen fast zu nachdenklich und teilnahmsvoll waren, und eine so wohlklingende Stimme, dass wir ihn alle liebend gern vorlesen hörten. Selbst wenn er in der Schule aufgefordert wurde, Gedichte vorzulesen, wäre niemand auf die Idee gekommen zu lachen. Allerdings war er nicht sehr oft in der Schule anzutreffen. Er war siebzehn und hätte den Abschluss im Vorjahr machen sollen, aber er war immer irgendwo mit seinem Gewehr unterwegs. Arthurs Mutter war tot, und sein Vater, stets mit fieberhaftem Eifer in irgendwelche Pyramidensysteme verwickelt, wollte ihn auf eine auswärtige Schule schicken, um ihn loszuwerden. Aber Arthur erbettelte sich immer ein weiteres Jahr Aufschub und versprach, sich auf den Hosenboden zu setzen. Ich erinnere ihn als einen großen, dunklen Jungen mit einem intelligenten Gesicht, der sich inmitten von uns Kleineren fläzte, öfter über uns lachte als mit uns, aber mit einem derart weichen, zufriedenen Lachen, dass wir uns fast geschmeichelt fühlten, es verursacht zu haben. Später sagten die Leute, Arthur sei schon als Junge auf Abwege geraten, und es stimmt, dass wir ihn oft mit den Söhnen des Glücksspielers sahen und mit dem Sohn der alten Spanischen Fanny, aber welch schlechten Einfluss diese Gesellschaft auch auf ihn hatte, er gab ihn nicht an uns weiter. Wir wären Arthur überallhin gefolgt, und ich muss sagen, dass er uns nie an üblere Orte geführt hat als in die von Rohrkolben bestandenen Sümpfe und die Stoppelfelder. Das also waren die Jungs, die in jener Sommernacht mit mir auf der Sandbank lagerten.

Nachdem wir gegessen hatten, durchkämmten wir das Weidendickicht nach Treibholz. Bis wir genug gesammelt hatten, war es vollends dunkel geworden, und der Geruch des Ufergrases wurde in der Abendkühle stechender. Wir warfen uns um das Feuer herum auf den Boden und unternahmen einen weiteren vergeblichen Versuch, Percy Pound den Kleinen Wagen zu zeigen. Wir hatte uns schon oft bemüht, aber er kam über den Großen nie hinaus.

»Siehst du die drei großen Sterne, gleich unter dem Griff, mit dem hellen in der Mitte?«, sagte Otto Hassler. »Das ist der Gürtel des Orions, und der helle ist die Schnalle.« Ich kroch hinter Ottos Schulter und folgte seinem ausgestreckten Arm bis zu dem Stern, der auf der Spitze seines Zeigefingers zu...

Erscheint lt. Verlag 14.11.2023
Reihe/Serie Die Andere Bibliothek
Übersetzer Agnes Krup
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Agnes Krup • Amerikanische Literatur • Erstübersetzung • Erzählungen • Feminismus • Feministisch • Queer • Queere Literatur • Schriftstellerin • Short Stories • Wiederentdeckung
ISBN-10 3-8412-3372-4 / 3841233724
ISBN-13 978-3-8412-3372-1 / 9783841233721
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