Am Ende des Seils (eBook)

Roman | Eine außergewöhnliche Frau und Bergsteigerin, die ihrer Zeit voraus ist
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2023 | 1. Auflage
382 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0610-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Am Ende des Seils -  Birgit Zimmermann
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Liebe und Tod an der Eigernordwand - und eine außergewöhnliche Frau, die ihrer Zeit voraus ist

Oberbayern, 1936: Die junge Lehrerin Hedi hat die Leidenschaft fürs Bergsteigen von ihrem verstorbenen Vater geerbt. Zusammen mit ihm und den beiden Brüdern Thomas und Anderl, den Söhnen eines guten Freundes ihres Vaters, hat Hedi bereits viele Gipfel und Wände der Alpen bezwungen.
Als sie eines Morgens in der Zeitung liest, dass eine natürlich ausschließlich männliche französische Seilschaft im Juli 1936 zum ersten Mal die Eigernordwand, die in Fachkreisen als das »letzte Problem der Alpen« bezeichnet wird, durchsteigen will, ist sie wie elektrisiert. Sie sieht die Chance, der Welt zu zeigen, dass eine Bergsteigerin nicht weniger kann als ihre männlichen Kollegen. Gemeinsam mit Anderl, Thomas und derem Bekannten Hias stellt sie sich der Herausforderung - doch nicht nur der Berg birgt viele Gefahren. Das politische Klima im Land ist angespannt, und als Hedi und Thomas sich endlich näherkommen, scheint ihr Glück nur von kurzer Dauer ...



Birgit Zimmermann lebt in der Eifel und hat bereits zahlreiche erfolgreiche Romane unter Pseudonymen veröffentlicht. Ihr Steckenpferd sind starke Frauenfiguren, die gegen die Konventionen ihrer Zeit ankämpfen und nebenbei die Liebe finden. Wenn Birgit Zimmermann nicht gerade Romane schreibt, ist sie draußen in der Natur unterwegs. Beim Wandern mit ihrer Schäferhündin in den Bergen und Strandspaziergängen am Meer lässt sie sich zu neuen Stoffen inspirieren.

Karfreitag, 10. April 1936


Von Schliersee her näherte sich eine schwarze Wolkenwand. Hedi beschleunigte ihr Tempo. Zug um Zug zog sie sich an der Felswand höher. Bis zum Gipfel war es nicht mehr weit. Die kleine Kapelle dort würde ihr vor dem Gewitter Schutz bieten. Doch nun wurde es binnen weniger Minuten so dunkel, als hätte jemand im Tal das Licht abgeschaltet. Und dann öffnete der Himmel seine Schleusen. Die Temperatur stürzte jäh ab. Hedi kletterte weiter, legte immer mehr Höhenmeter zurück, bis der Regen in Schneeflocken überging. Wind und Eiskristalle schnitten ihr ins Gesicht. Dort hinten – die Felsnase! Sie querte zu dem Unterschutz und kauerte sich darunter. Den Rucksack hielt sie wie einen Schild vor sich. Während Windböen und Schneeflocken über sie hinwegwehten, fragte sie sich wieder, warum sie sich das überhaupt antat. Warum saß sie jetzt nicht in der warmen Stube und las ein gutes Buch?

Im Nachhinein hätte sie nicht sagen können, wie lange sie den Naturgewalten ausgesetzt gewesen war. Irgendwann hörte das Gewitter so schlagartig auf, wie es begonnen hatte, und über dem Wendelstein zeigte sich wieder ein zartes Blau. Ein paar vorwitzige Sonnenstrahlen ließen den Schnee wie Diamantsplitter glitzern. Ihre Finger fühlten sich leblos an, ihre Zehen taub. Dennoch stieg sie weiter. Als sie schließlich unversehrt auf dem Gipfel stand, fiel ihr die Antwort auf ihre Frage wieder ein: Bergsteigen bedeutete für sie Freiheit, Freiheit und Verbundenheit mit der Natur. Über ihr das grenzenlose Firmament, vor ihr in der lichtblauen Weite die Chiemgauer Alpen, der Wilde Kaiser, das Karwendelgebirge – alle Berge wie ein einziges Meer aus weißen, zerklüfteten Gipfeln. Und unter ihr die Welt mit all ihren Problemen, die von hier oben klein und unbedeutend erschienen.

Übermütig streckte sie die Arme dem klaren Blau entgegen und stieß einen Jodler aus. Dann ließ sie sich am Fuß des verwitterten Holzkreuzes nieder. Voll inneren Friedens schloss sie die Lider. Die Sonnenwärme, diese Stille, das Gefühl, dem Schöpfer all dieser Schönheiten so nah zu sein!

In dieser Stimmung verweilte sie, bis die Kirchenglocken in Bayrischzell mahnend läuteten. Schließlich stand sie auf und zündete in der Gipfelkapelle zum ersten Todestag ihrer Eltern zwei Kerzen an.

Bevor sie sich an den Abstieg machte, warf sie noch einen Blick zurück. Unter dem Gipfelkreuz hatte Thomas sie zum ersten Mal geküsst. Wie lange war das her! Doch selbst heute noch spürte sie manchmal seine Lippen auf ihren.

Eineinhalb Stunden später radelte Hedi von der Talstation der Wendelstein-Bahn nach Hause. Wie frisch gewaschen lag Bayrischzell vor ihr. Die Schindeldächer der Bauernhäuser glänzten in der Mittagssonne. Von den Höfen drang ihr der vertraute Geruch von Milch und Dung in die Nase.

Sie radelte durch den Ort, in dem sonntägliche Ruhe herrschte, vorbei an den zwei Gasthäusern und der Kirche, die ihren spätgotischen Turm wie einen mahnenden Finger in den wolkenlosen Himmel streckte. Hinter Liesl Grubers kleinem Laden bog sie rechts ab in den Wiesenweg zum Hof ihrer Großeltern. Dort stiegen die beiden gerade vom Traktor, mit dem sie zur Kirche gefahren waren.

Auf dem faltigen Gesicht ihrer Großmutter breitete sich ein Strahlen aus. »Da bist du ja wieder, Kind. Wir haben uns schon Sorgen gemacht wegen des Gewitters.«

Hedi lachte. »Halb so schlimm.«

»Wie war deine Andacht auf dem Gipfel?«

»Schön, wie immer.«

Hedis Großvater, der zu Ehren des Feiertages sein altsilbernes Charivari an der Lederhose trug, zwinkerte seiner Enkelin wissend zu. »Wie hat deine Mutter oft gesagt: Auf den Bergen ist Freiheit. Der Hauch der Grüfte steigt nicht hinauf in die reinen Lüfte.«

Hedi lächelte versonnen. »Schiller. Die Braut von Messina. Das hat sie immer zu Vater gesagt, wenn er in die Berge ging.«

Der alte Landauer nickte. »Sie war eine gebildete Frau, deine Mutter. Genau wie du.«

»Aber Hedi hat auch sehr viel von ihrem Vater«, warf Hedis Großmutter mit zärtlichem Lächeln ein und bekreuzigte sich. »Unser Alois war auch lieber in der Natur als in der Kirche.«

Hedi wunderte sich oft, wie gut die beiden den Tod ihres einzigen Sohnes verkraftet hatten – wobei ihnen der feste Glaube an Gott geholfen haben mochte.

»Wann reisen die beiden Brüder aus Köln an?«, wechselte sie das Thema.

»Gegen sechzehn Uhr.« Johanna Landauer wedelte mit der schwarz behandschuhten Hand. »Bis dahin haben wir noch genug Zeit, die beiden Zimmer herzurichten.«

»Das habe ich schon heute Morgen gemacht, bevor ich losgegangen bin.«

Die Bäuerin tätschelte ihrer einzigen Enkelin die Wange. »Danke, du bist ein gutes Madl.« Dann rückte sie ihr schwarzes Hütchen über dem weißen Nackenknoten gerade und straffte sich. »In einer Stunde können wir essen.«

Nachdem Hedi sich frisch gemacht hatte, verweilte sie einige Minuten in innerer Einkehr vor dem Bild ihrer Eltern, das auf ihrer Frisierkommode stand. An diesem Tag vor einem Jahr waren sie auf ihrer allerersten Urlaubsfahrt mit ihrem ersten, nagelneuen Auto hinterm Brenner aus der Kurve geschleudert worden. Beide waren noch am Unfallort gestorben. Auch heute noch fühlte sich ihr Tod für sie unwirklich an. Wie vieles hätte es noch zu sagen gegeben! Energisch schüttelte sie den Kopf und ging hinunter in die Küche.

Während des Essens erfuhr Hedi all die Neuigkeiten, die auf dem Kirchplatz an diesem Morgen die Runde gemacht hatten. Als ihre Großeltern sich zum Mittagsschlaf hinlegten, setzte sie sich vors Haus in die Sonne. Im Tal herrschte Feiertagsstille, nur in den Obstbäumen zwitscherten ein paar Spatzen. Die Osterglocken und Hyazinthen in den Blumenkästen, der zartgrüne Schimmer auf den südseitigen Hängen – alles kündigte den nahenden Frühling an. In der Luft lag eine Leichtigkeit, ein belebendes Prickeln – so als würde bald etwas passieren, das ihr Leben in neue Bahnen lenken würde. Lächelnd schlug Hedi die Zeitschrift des Alpenvereins auf. Auf der vierten Seite blieb ihr Blick an einer Überschrift hängen:

DIE EIGERNORDWAND – DAS LETZTE PROBLEM DER ALPEN

Hedis Herzschlag beschleunigte sich. Sie begann zu lesen:

Auch in diesem Jahr will sich wieder eine Seilschaft der schwierigen Aufgabe stellen, als erste die Eigernordwand zu durchsteigen. Die bisher gescheiterten Versuche scheinen eine italienische Viererseilschaft nicht davon abzuhalten, im Juli einen Versuch zu wagen, die Wand zu bezwingen. Sollte ihr der Durchstieg tatsächlich gelingen, werden die Italiener bei den Olympischen Spielen im August in Berlin mit einer Goldmedaille rechnen können. Ein erfolgreicher Durchstieg wird von der Fachwelt jedoch noch stark angezweifelt …

Hedi ließ die Zeitung sinken. Die Eigernordwand … Es war der Traum ihres Vaters gewesen, dieses Problem der Alpen als Erster zu lösen – zusammen mit ihr sowie Thomas und Anderl Leitner, seiner eingeschworenen Viererseilschaft. »Dann zeigst du der Welt, dass auch eine Frau das schaffen kann!«, hatte er gesagt. Doch dazu war es nicht mehr gekommen.

Hedi schluckte. Und nun sollten andere ihnen zuvorkommen? Plötzlich floss ihr Blut schneller durch die Adern, ihre Gedanken überstürzten sich. Wenn es erst einmal einer Seilschaft gelingen würde, die Wand erfolgreich zu durchsteigen, wäre der Nimbus der Eigernordwand für immer gebrochen.

»Griaß di, Hedi!« Eine munter klingende Männerstimme riss Hedi aus ihren Überlegungen.

Sie zuckte zusammen, sah hoch und blinzelte verwirrt. Gerade noch hatte sie an ihn gedacht!

»Was starrst du mich denn so an?«, fragte Anderl Leitner verunsichert, während er sein Fahrrad an die Hauswand lehnte.

Seine störrischen Haare waren zerzaust, und seine geröteten Wangen verrieten, dass er die Strecke von Schliersee hierher in einem Höllentempo hinter sich gebracht hatte. Hedi lächelte. Ganz gleich, was Anderl tat, er tat es mit ungebremster Kraft.

In seiner Lederhose und dem Sonntagsjanker kam er breitbeinig auf sie zu. Niemand hätte beim Anblick seiner gedrungenen Gestalt vermutet, dass er flink und leicht wie ein Gamsbock im Hochgebirge klettern konnte.

»Ich habe gerade an dich gedacht«, antwortete sie, während sie auf der Holzbank zur Seite rückte.

»Wie komm ich denn zu dieser Ehre?«

Sie lachte. »Was machst du hier? Ich dachte, du wärst heute Nachmittag mit Lena zusammen.«

»Die ist mit ihren Eltern bei Verwandten, und ich bin auf dem Weg nach Kiefersfelden, einen Spezi besuchen. Da dachte ich, ich schau mal kurz bei euch vorbei.«

»Mit dem Fahrrad?«

»Mein Motorroller wollte mal wieder nicht anspringen.«

»Magst du ein Schnapsl?« Hedi zeigte auf die Kruke mit dem Obstler, die auf dem Fensterbrett stand.

Anderl grinste verwegen. »Da sag ich nicht Nein.«

Sie stand auf und holte zwei Stamperl. Als sie wieder vors Haus trat, nickte Anderl ihr anerkennend zu. »Fesch schaust aus in dem rosa Dirndl. Wenn ich nicht schon eine Freundin hätt …«

»Was dir alles so auffällt …« Lachend tat sie seine Worte ab und schenkte ein. »Mach die Komplimente lieber deiner Lena.«

Anderl verzog sein Gesicht mit der leicht aufwärts strebenden Nasenspitze und den vielen Sommersprossen. »Ich weiß, ich weiß … Die Komplimente sollte ich sowieso lieber Johannes überlassen. Der kann sich besser ausdrücken,...

Erscheint lt. Verlag 21.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • Alpen • Alpinismus • Bayern • Berge • Bergsteigen • Bergsteigerin • bücher für frauen • Eigernordwand • Große Liebe • Selbstverwirklichung • Starke Frauen • Traum
ISBN-10 3-7499-0610-6 / 3749906106
ISBN-13 978-3-7499-0610-9 / 9783749906109
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