Das hat er nicht von mir! (eBook)

Über die Herausforderung, Vater eines Sohnes zu werden
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
192 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01770-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das hat er nicht von mir! -  Francesco Giammarco
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So umwerfend komisch hat lange niemand über Vaterschaft geschrieben Als Francesco Giammarco erfährt, dass er einen Sohn bekommt, ist sein erster Gedanke: Das Ganze noch mal von vorne? Denn so toll war das Aufwachsen als Junge auch wieder nicht - eigentlich bestand es vor allem aus Fleischwunden, schlechten Noten, Liebeskummer, wenig Muskeln und viel billigem Alkohol. Während er seinen Sohn auf den ersten (sehr) wackeligen Schritten ins Leben begleitet, blickt der frisch gebackene Vater auf die eigene Kindheit und Jugend zurück und fragt sich: Sollte er seinen Sohn davor schützen, die gleichen Erfahrungen zu machen? Oder gehören manche Fehler einfach zum Aufwachsen dazu?

Francesco Giammarco, 1986 geboren, arbeitet für das Gesellschaftsressort der ZEIT.

Francesco Giammarco, 1986 geboren, arbeitet für das Gesellschaftsressort der ZEIT.

Einleitung: Bitte nicht noch mal das Ganze


Viele werdende Eltern sagen, dass es ihnen egal sei, ob sie ein Mädchen oder einen Jungen bekommen. Das hört sich vernünftig an. Schon weil der gegenteilige Satz total unmöglich klingt. «Ich wünsche mir ein Mädchen» oder «Ich hoffe, es wird auf jeden Fall ein Junge»: So reden nur Menschen – denkt man sich als gute Eltern –, die ihre eigenen Wünsche, Hoffnungen und Geschlechtervorstellungen in ihre armen ungeborenen Kinder hineinprojizieren. «Es ist übrigens eine Frage des Zufalls», möchte man ihnen sagen, «die Chancen stehen ganz gut, dass sich euer Wunsch nicht erfüllt.» Bei der Fortpflanzung ist ein gewisses Erwartungsmanagement generell angebracht. Man will ja keine Vorurteile gegen das eigene Kind entwickeln, bevor man es überhaupt kennt. Die müssen sich erst langsam im familiären Zusammenleben entwickeln.

Zu sagen, dass es einem egal sei, ob man ein Mädchen oder einen Jungen bekommt, ist also die vernünftigere, selbstbewusstere und zeitgemäßere Position. Sie lässt sich exakt so lange durchhalten, bis man tatsächlich das Geschlecht erfährt. Dann merkt man plötzlich, welche Präferenz man die ganze Zeit heimlich oder auch unterbewusst doch gehabt hat. Und weil man sich bisher überhaupt nicht mit der Frage des Geschlechts befasst hatte und das auch noch moralisch überlegen fand, trifft einen die Erkenntnis umso härter. Man wird übermannt von Gefühlen, die man nicht versteht, versucht sie zu verdrängen, was natürlich nicht funktioniert, und endet heulend neben einem Mülleimer vor einer Frauenarztpraxis im Hamburger Schanzenviertel, wo einen die vorbeigehenden Patientinnen entweder ignorieren oder mitfühlend angucken. Okay, der letzte Teil war vielleicht etwas spezifisch. Der ist wahrscheinlich nur mir passiert.

Der Tag hatte sehr schön begonnen, meine Frau, die in der zwanzigsten Woche schwanger war, und ich fuhren gemeinsam mit dem Rad zur Frauenarztpraxis. Es war das Frühjahr 2021, unsere Beziehung war in einem hervorragenden Zustand. Die Corona-Pandemie hatte uns, so wie viele kinderlose Paare, sehr gut behandelt. Während Eltern an geschlossenen Kitas und Homeschooling verzweifelten, genossen wir die Ruhe und die zusätzliche Zeit, welche Homeoffice und Lockdown mit sich brachten. Wir sparten uns die Fahrt ins Büro und machten schon früh am Morgen Sport. Wir sparten uns den Heimweg und kochten ausgiebig zu Abend. Wir lasen viel, richteten die Wohnung ein, fanden neue Hobbys, backten und bepflanzten den Balkon. Das Leben war schön. So schön, dass wir uns sehr darüber freuten, dass endlich mal was los war, als wir erfuhren, dass wir ein Kind erwarteten. Sicher, das Gemecker und Rumgeheule befreundeter Eltern zog einen ganz schön runter. Aber wir waren so entspannt und körperlich fit, wir waren uns sicher, das hinzubekommen. Außerdem, spekulierten wir, würden die Kitas bestimmt rechtzeitig wieder aufmachen.

Der Termin war ein besonderer. Nicht nur weil wir das Geschlecht des Kindes erfahren würden. Es war auch der erste Termin, zu dem ich mitkommen durfte, denn während der Pandemie war der Zugang zum Frauenarzt noch exklusiver geregelt als sonst. Partner waren nicht erwünscht. Alles, was ich bisher aus dieser Praxis mitbekommen hatte, waren verknitterte Ultraschallbilder, die meine Frau aus den Tiefen ihrer Handtasche zog. Entsprechend war ich sehr gespannt, und meine Erwartungen wurden sogar noch übertroffen: Die Praxis befand sich in einem schönen Altbauhaus. Durch die Praxistür trat man wie durch ein Portal in eine andere, sanftere Welt. Die Räume waren hell und schön, die Fenster groß, die Böden mit Parkett verlegt. Im Wartezimmer standen schicke Korbmöbel. Die Mitarbeiterinnen trugen normale Straßenkleidung und schauten freundlich hinter ihren großen FFP2-Masken hervor. Schwangere Frauen schoben sich in Zeitlupe durch die Gänge, als schwebten sie auf Wolken. Alles hier war weicher, wattiger als draußen, ein Ort, an dem man sich wohl- und sicher fühlen könnte. In meiner Erinnerung lief ein Band mit zartem Vogelzwitschern über ein in der Decke angebrachtes Lautsprechersystem, aber meine Frau besteht darauf, dass ich mich irre.

Im Behandlungszimmer wurden wir von der Ärztin mit einem nur aus Höflichkeit an uns beide gerichteten «Hallo, wie geht es Ihnen?» begrüßt. Sie begann sogleich, meine Frau nach ihrem Befinden zu fragen und die Antworten in ein kleines Büchlein einzutragen, in dem alle entscheidenden Informationen zu unserem ungeborenen Kind standen: Gewicht, Größe, aber eben noch nicht das Geschlecht. Ich saß daneben und schwieg, ein bisschen wie jemand, der mit einem gesetzlichen Betreuer aufs Amt geht, um etwas zu klären. Ich wusste, dass es mich anging, worüber gesprochen wurde, aber ich hatte nichts zu sagen. Ich konnte damit leben. Das Untersuchungsheft, in das die Ärztin schrieb, heißt in der Umgangssprache ja «Mutterpass», nicht «Vaterpass». Und auch wenn mein Beitrag zu dem Grund unserer Anwesenheit bei mindestens 50 Prozent lag, war mir bewusst, dass die Erwartungen an meine Rolle hier recht klar und knapp definiert waren: staunen, unterstützen, stolz sein. Ich war zu allem bereit, egal, was kommen würde.

Dann saß meine Frau schon auf dem Untersuchungsstuhl, und wir begannen, mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm des Ultraschallgeräts zu starren. Zwischen dem schwarz-weißen, irgendwie flüssig wirkenden Rauschen suchten wir nach etwas, das wie ein Genital aussah.

«Ah, da sieht man schon was», sagte die Ärztin. Ich sah nichts.

Sie drückte auf einen Knopf, und das Ultraschallgerät gab ein Klicken von sich, wie ein iPhone, das einen Screenshot macht. Ich kniff die Augen noch enger zusammen. Immer noch nichts.

«Ja, es ist eindeutig», sagte die Ärztin, «hier haben wir einen Schniebi.»

Das Dumme ist, dass wirklich existenzielle Informationen ein wenig Zeit brauchen, um im menschlichen Gehirn anzukommen. Während meine Frau sich wieder anzog, dachte ich nur: Schniebi, warum stört mich das? Hat es damit zu tun, dass ich aus Süddeutschland komme? Sagt man das wirklich dazu? Ist Schniedel besser? Schlimmer? Pimmelmann? Als die Ärztin zum Abschied wissen wollte, ob wir noch Fragen hätten, hätte ich – im Nachhinein betrachtet – einiges anbringen können. Zum Beispiel: Haben Sie auch Jungs? Wie erzieht man die? Wie geht’s denen? Und sind diese plötzlichen Gefühle existenzieller Angst und Hilflosigkeit eigentlich normal? Stattdessen dachte ich nur: Schniebi – muss ich das auch sagen, wenn das Kind in Hamburg geboren wird? Das traute ich mich aber nicht zu fragen.

Zurück im Empfangszimmer, legte eine Mitarbeiterin meiner Frau einen großen Stapel Papiere auf den Tresen und bat sie, ihn auszufüllen. Aber ohne mich. Mir sagte sie, jetzt gar nicht mehr so freundlich, dass ich doch bitte draußen warten solle. Es sei immer noch Pandemie und ich wisse ja, die Hygieneregeln. Mein Exklusivzugang war abgelaufen. Ich verabschiedete mich höflich, ging das Treppenhaus hinunter, trat auf die Straße, nahm die Maske ab, dachte «Schniebi» – und fing an zu heulen. Nicht nur scheinen existenzielle Informationen etwas zu brauchen, bevor sie im menschlichen Gehirn ankommen. Der Körper reagiert auch früher auf sie als der Verstand. So stand ich also mit roten Augen neben einem Müllcontainer vor einer Einfahrt zu einer Privatgarage und war nicht ganz sicher, was da über mich gekommen war. Dass die Frauen, die an mir vorbeigingen, mich wie gesagt entweder ignorierten oder mitfühlend ansahen, änderte nichts. Weder an den Tränen noch an dem Gefühl, ein wirklich gruseliges Bild abzugeben. Welcher Mann steht heulend auf der Straße vor einer gynäkologischen Praxis und flüstert traurig «Schniebi» vor sich hin?

 

Mir war immer klar, dass ich Kinder haben wollte. Ich habe nur nie darüber nachgedacht, wieso. Vielleicht war es für mich einfach normal. Meine Eltern hatten ja auch Kinder, irgendwie war das Grund genug. Andererseits wurde mir die Vorstellung, Nachwuchs zu zeugen, nicht gerade schmackhaft gemacht: «Ich habe mein Leben lang Kinder um mich gehabt. Ich will bitte noch keine Enkelkinder», sagte meine Mutter schon zu einer Zeit, als ich rein biologisch noch gar nicht in der Lage war, welche zu produzieren. Meine Mutter wuchs in der Nachkriegszeit mit insgesamt vier Geschwistern auf, das muss eine harte Sache gewesen sein. Eine Art Herr der Fliegen im Reihenhausformat. Später leitete sie ein Heim für vernachlässigte Kinder. Einige hatten ihre Eltern verloren, andere wurden vom Sozialamt aus ihren Familien entfernt. Aber das waren die harmlosen Fälle: Ein Junge dort wurde die ersten Jahre seines Lebens in einem Bretterverschlag gehalten (nein, bevor er in das Heim kam!). Er sprach nicht, sondern knurrte nur und hatte nie gelernt, auf zwei Beinen zu laufen. In meiner Vorstellung bereitete das meine Mutter eigentlich ganz gut darauf vor, mich und meine Geschwister großzuziehen. Warum sie die Grenze bei Enkelkindern zog, verstand ich nie.

Mein Vater war das genaue Gegenteil. Er bestand immer darauf, Enkelkinder zu bekommen, obwohl ihm schon die Vaterschaft nicht ganz leichtzufallen schien. Als er und meine Mutter entschieden, ein Kind (mich) zu bekommen, hörten beide mit dem Rauchen auf. Als es dann so weit war und meine Mutter schwanger wurde, fing er wieder an. Er sagte – behauptet sie –, er könne nicht beides: Vater werden und mit dem Rauchen aufhören. Ich sehe ihn praktisch vor mir, in Sakko und Krawatte, wie er auf ein verschwommenes Ultraschallbild...

Erscheint lt. Verlag 12.12.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte Aufwachsen • Baby • Coming-of-age • Eltern • Familie • Geburt • Geschenk Baby Papa • Geschenk für Väter • Geschenk Vater • geschenk werdender vater • Geschenk zum Vatertag • Humor • Junge • Jungsbuch • Kinder • lustige bücher für männer • Pubertät • Schule • Sohn • Vater • Vaterschaft • Vater werden • werdender Vater Geschenk
ISBN-10 3-644-01770-0 / 3644017700
ISBN-13 978-3-644-01770-2 / 9783644017702
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