Der absolute Feind (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
416 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491861-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der absolute Feind -  Ernst-Wilhelm Händler
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In Ernst-Wilhelm Händlers »Der absolute Feind« erhält ein Schriftsteller einen ungewöhnlichen Auftrag: Er soll über den erfolgsgewöhnten Berliner Galeristen Georg Voigtländer schreiben und herausfinden, warum dieser nach fünfjährigem Aufenthalt in einer kalifornischen Psychiatrie Galerist geworden ist. Auf Einladung Voigtländers besucht der Schriftsteller die Kunstmesse Art Basel in Hongkong und die Armory Show in New York, wo die Galerie jeweils vertreten ist, und die Biennale in Venedig. Er lernt die ungewöhnliche Familie Voigtländers kennen und setzt sich in Italien auf die Spur des Malers Schelchshorn, der für die Galerie offenbar von großer nichtkommerzieller Wichtigkeit ist, aber jetzt von einer Mega-Galerie umworben wird. Der Schriftsteller unternimmt alles, um sich in den Galeristen einzufühlen. Doch Georg Voigtländer wird nicht weniger rätselhaft. Macht er sein Leben zum Kunstwerk? »Die Gegenwartskunst als Ganzes lässt sich nur über das Ökonomische betrachten« Ernst-Wilhelm Händler

Ernst-Wilhelm Händler, 1953 geboren, lebt in Regensburg und München. Er ist Autor der Romane »Das Geld spricht«, »München«, »Der Überlebende«, »Welt aus Glas«, »Die Frau des Schriftstellers«, »Wenn wir sterben«, »Sturm«, »Fall« und »Kongress« sowie des Erzählungsbandes »Stadt mit Häusern«. Mit »Versuch über den Roman als Erkenntnisinstrument« und »Die Produktion von Gesellschaft« hat Ernst-Wilhelm Händler eigene Kulturtheorien vorgelegt. Darüber hinaus schreibt er Essays über ökonomische, gesellschaftliche und künstlerische Themen. Für seine von der Kritik hochgelobten Romane erhielt er den Erik-Reger-Preis, den Preis der SWR-Bestenliste, den Kulturpreis der Stadt Regensburg und den Hans-Erich-Nossack-Preis.

Ernst-Wilhelm Händler, 1953 geboren, lebt in Regensburg und München. Er ist Autor der Romane »Das Geld spricht«, »München«, »Der Überlebende«, »Welt aus Glas«, »Die Frau des Schriftstellers«, »Wenn wir sterben«, »Sturm«, »Fall« und »Kongress« sowie des Erzählungsbandes »Stadt mit Häusern«. Mit »Versuch über den Roman als Erkenntnisinstrument« und »Die Produktion von Gesellschaft« hat Ernst-Wilhelm Händler eigene Kulturtheorien vorgelegt. Darüber hinaus schreibt er Essays über ökonomische, gesellschaftliche und künstlerische Themen. Für seine von der Kritik hochgelobten Romane erhielt er den Erik-Reger-Preis, den Preis der SWR-Bestenliste, den Kulturpreis der Stadt Regensburg und den Hans-Erich-Nossack-Preis.

Ein Roman, der, sehr kunstvoll, etwas ausprobiert.

Händler garantiert Romankunst auf höchstem Niveau.

In Händlers Roman sind es die Sphären der Kunst und Literatur, die einen epischen Kampf austragen

Er zeigt vor, was nur Sprache kann, was eben Literatur unvergleichbar und unentbehrlich macht.

Kommen die Bilder an die linke Wand und die Skulptur vor die rechte Wand oder anders herum, fragte Carla. Solange man nicht weiß, wie man den Arm mit den Screens für das Video aufstellt, kann man ständig wieder von vorn anfangen, sagte Amrei. Carla ging in die Knie, um die krakeligen Beschriftungen der großen Kisten zu entziffern, die auf dem Gang bereitgestellt waren. Wie viele Screens sind es, fragte Amrei. Die Bilder und die Skulptur waren in Berlin, das Video in London, sagte Carla. Ihr langer schwarzer Mantel verteilte sich am Boden um sie. Acht Kisten stammen aus London. Entweder sind es vier Bildschirme, und der Arm ist aus vier Teilen zusammengesetzt, oder es sind acht Bildschirme, und die Teile des Armes und die Befestigungsseile sind bei den Bildschirmen dabei. Carla richtete sich auf und zog die Over-the-knee boots hoch.

In der Gangkreuzung stritten sich zwei chinesische Aufbauhelfer lautstark, es musste darum gehen, welche Richtung sie mit der Kiste auf ihrem Hubwagen einschlagen sollten. Amrei blickte sie mit ihrem aufmerksamen, ebenso verstörten wie entschlossenen Kindergesicht an, sie verstummten schlagartig.

Welche ist die maximale Höhe, die die Messeleitung erlaubt, fragte Amrei. Carla blickte nach oben. Die schwarz bemalte Hallendecke schien unendlich weit weg. Zwei Modulsysteme vermittelten zwischen der Unendlichkeit und den Nutzflächen. Ein quadratisch unterteiltes Rastersystem aus massiven Schienen, die Zwischenräume durch schmalere Schienen stabilisiert, ein daran befestigtes System von Käfigkonstruktionen für die verschiedenen Typen von Strahlern. Carla nahm die große dunkle Sonnenbrille ab, um ungeschützt ins Licht zu blicken. Sie schien über den Trennwänden ein verschwommenes feindliches Wesen zu fixieren. In einem Ton ruhiger, kalter Gereiztheit sagte sie, an den Käfigen für die Strahler darf man nichts weiter befestigen. Amrei hatte sich an den Scheitelpunkt der Eckkoje begeben. Wenn der Arm mit den Screens von rechts kommt, müssen die Fotos auf diese Seite und die Skulptur auf die andere. Wenn der Arm anders herum aufgestellt ist, umgekehrt. Man müsste wissen, wie die Besucherströme laufen, sagte Carla, aus welcher Richtung, auf welchem Gang mehr Leute kommen. Sie sollten auf die Fotos blicken. Zuerst blicken die Leute auf die Screens, sagte Amrei. Es ist egal, wo die Fotos hängen oder die Skulptur steht. Georg muss das entscheiden … Amrei scharrte mit dem rechten Fuß, um zu prüfen, wie glatt der graue Boden war, es gab ein sandiges Geräusch. In London war der Arm in den Boden geschraubt, das ist hier auf keinen Fall erlaubt. Ich hoffe, dass Gewichte dabei sind, damit der Arm sicher steht. Das wird kontrolliert. Sonst müssen wir den Arm gleich wieder abbauen.

Carla setzte die Sonnenbrille nicht mehr auf. Sie trug eine schulterlange weiße Perücke, die Haare über der Stirn auf Höhe der Augenbrauen abgeschnitten. Ihre Augen waren tiefschwarz konturiert, sie hatte Make-up, aber keinen Lippenstift aufgetragen. Die rechte Backe war leicht angeschwollen, unter dem Auge zeichnete sich ein dunkler Streifen ab. War das ein in Abheilung begriffenes blaues Auge? Auch die Lippen waren leicht geschwollen. Carla tat so, als ob sie sich eine Zigarette anzünden würde, aber sie hatte die Zigarette nur im Mund, sie hielt das Feuerzeug vor die Zigarette, ohne es zu betätigen. Sie setzte sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an eine der Kisten und zog die Beine an. Ein Gabelstapler mit einer riesigen Kiste bremste scharf, weil der Fahrer den Galeriemitarbeiter, der aus der gegenüberliegenden Eckkoje auf den Gang getreten war, erst sehr spät gesehen hatte. Eine kleine Staubwolke zog an Carla vorbei. Es sah aus, als hätte sie die Zigarette tatsächlich angezündet, als hätte sie eine brennende Zigarette in der Hand.

Amrei hockte sich im Schneidersitz auf den Boden. Keine Faser ihres Körpers hatte auf die laute Bremsung und den Beinahe-Unfall reagiert. Du hältst es nicht mehr aus, fragte sie. Die gegenüber wissen auch nicht, wie sie ihre Bilder aufhängen sollen, sagte Carla. Sie hängen schon zum x-ten Mal um. Weißt du, was man macht, wenn man etwas nicht mehr aushält, sagte Amrei. Man ändert etwas. Das schwarz-weiße Muster an der Wand mit den monochromen Bildern, sagte Carla, das sind übrigens Menschen. Ich habe es nicht gleich gesehen. Das X-Muster ergibt sich, weil jeweils eine Reihe auf dem Kopf steht, die Arme und die Beine gehen ineinander über. Ändere etwas, sagte Amrei, zieh zu mir. Die Art, wie Amrei reglos unverwandt in eine ganz andere Richtung blickte, hatte etwas Maßloses, Anstößiges, Unschickliches.

Carla checkte ihre E-Mails. Die Fragen für den Katalog sind: How do you envision the relationship between the arts and politics in our globalized world, und: Which book influences / has influenced you and your activity most and why, las Carla vor. Iwan wird sagen, das wichtigste Buch für ihn ist Gras im Kopf. Er hat seine erste Ausstellung mit sechzehn veranstaltet, die Bedingung war, dass er ein Künstlerbuch dazu macht. Das war der Titel. An den Namen des Künstlers erinnert sich niemand. Amrei sagte, Gagosian hat die Fragen beim letzten Mal nicht beantwortet. Carla sagte, Gagosian beantwortet die Fragen nie. Amrei sagte, jedenfalls hat er angegeben, er habe dreihundertfünfzehn Mitarbeiter … Zwirner hat einhundertsechzig.

Ich hatte gedacht: In dem Augenblick, in dem Georg Voigtländer den Stand betrat, würde das Ganze still stehen – nicht nur Amrei und Carla, auch alles, was um den Stand herum war. Oder: Georg Voigtländer würde auf den Schauplatz stürmen, und alles würde zerbrechen, zersplittern, alles würde sich auflösen, verschluckt, aufgesogen werden von seiner Präsenz. Ich würde denken: nur nicht zerfallen, nur nicht mich auflösen. Aber kein Gestaltwechsel, sondern geschäftige Gleichgültigkeit. Lediglich die Stimmen von Carla und Amrei wellten sich.

Georg Voigtländer betrat den Stand, ohne zu grüßen. Amrei, Carla und Georg Voigtländer hatten sich wohl am Morgen im Hotel getroffen. Er fragte nach den aktuellen Ausgaben von Artforum, frieze, Monopol und Spike, er wollte die geschalteten Anzeigen kontrollieren.

Mit einem Air von Blasiertheit verfolgte Amrei, wie Carla die Zeitschriften aus dem kleinen Container holte, der alle für die Messe notwendigen Unterlagen enthielt. Doch dann erblickte sie etwas oder jemanden auf dem Gang. Amrei öffnete die Augen weit, sprang auf, ohne sich abzustützen, und rannte davon, die Arme vor sich gestreckt, als müsste sie auf der Flucht jemanden wegstoßen.

Normalerweise erzählen einem die Leute im Flugzeug von ihren Hunden, sagte Georg Voigtländer, während er in Artforum blätterte. Mein Nachbar hatte ein Terrarium mit schrecklichen Pfeilgiftfröschen. Ein Brasilianer, die Frösche gibt es nur in Südamerika. Angeblich reicht das Gift eines einzigen Frosches, um zwanzigtausend Mäuse zu töten. Indigene Jäger bestreichen die Pfeile ihrer Blasrohre mit dem Gift. Der Frosch produziert sein Gift nicht selbst, er verarbeitet Giftstoffe aus seiner Umgebung. Wenn er in Gefangenschaft ungiftige Nahrung erhält, ist der schreckliche Pfeilgiftfrosch nicht mehr schrecklich. Georg Voigtländer zeigte Carla eine Seite aus Artforum. Ich finde, der gelbe Hintergrund unserer Anzeige ist zu giftig. Die Frösche des Brasilianers sahen auch so aus. Wer hat die Probeabzüge gesehen? Carla antwortete: John. Batrachotoxin wirkt auf Proteine, die in der Zellwand als Schleuse für Natriumionen dienen, sagte Georg Voigtländer. Beim schrecklichen Pfeilgiftfrosch ist in diesen Proteinen ein bestimmter Aminosäurebaustein anders, deswegen ist das Batrachotoxin für ihn selbst ohne Wirkung. Warum ist die Anzeige nicht weiter vorne?

Ich habe gerade Maureen getroffen, von Pace, ich habe einen Haufen Dinge erfahren. Vor allem, dass Schelchshorn zu ihnen wechseln will. Aus dem Gleißen der Strahler über Carla und Georg Voigtländer war Carlas Bruder aufgetaucht. Das hat sie dir so gesagt?, fragte Carla. Sie hat es mir nicht so gesagt, sagte John. Sie hat gesagt, es werde eine Veränderung geben, über die wir nicht begeistert sein würden. Als sie mit den Einzelheiten weitermachen wollte, musste sie ans Handy. Ich habe nicht gewartet, sondern mich verabschiedet. Wie kommst du auf Schelchshorn?, fragte Carla. Ich habe ihn um neue Arbeiten für Miami gebeten, und er hat Ausflüchte benutzt. Er weiß nicht, ob er das schafft. Das hat er noch nie gemacht. Wenn wir etwas für eine Messe von ihm brauchten, hat er immer sofort zugesagt. Warum lächelst du?, fragte Carla. Ist das ein Grund für dich zu lächeln? Warum ich lächle?, wiederholte er. Weil mir das alles gleichgültig ist. Es bereitet mir sogar fast Vergnügen. Das ist nicht wahr, sagte Carla. Es ist wahr, sagte John. Das Gesicht von Carla wurde spitz und verzerrt, wie ein Gemälde, das man in einem Spiegel betrachten muss, um die wahren Dimensionen wiederherzustellen und zu erkennen, was dargestellt ist. John wurde durchsichtig.

 

 

Soll ich so – mit der Erzählung – mit dem Roman – mit dem Essay beginnen?

 

 

Oder so: Georg Voigtländer ist 66. Er ist alleiniger Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der Galerie Georg Voigtländer GmbH. Die Galerieräume befinden sich in Berlin-Mitte in der Oranienburger Straße. Siebzehn Personen sind fest angestellt, darunter Georg Voigtländers Sohn John, seine Tochter Carla und Amrei. Wie bei allen Galerien gibt es keine Angaben über die Höhe des Umsatzes. Man müsste in den Online-Pflichtbilanzen nachsehen. Aber man weiß nicht, ob alle Verkäufe über die GmbH laufen. Die...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2023
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anspruchsvolle Literatur • Armory Show • Art Basel • Biennale Venedig • Ein Buch von S. Fischer • Galerie • Galerist • Gegenwartskunst • Kunst • Kunstbetrieb • Kunstgalerie • Literaturbetrieb
ISBN-10 3-10-491861-9 / 3104918619
ISBN-13 978-3-10-491861-7 / 9783104918617
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