Wie ein Stern in mondloser Nacht (eBook)

Die Geschichte einer heimlichen Heldin. Roman | Ein vergessenes Kapitel deutscher Vergangenheit ergreifend erzählt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
304 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46567-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wie ein Stern in mondloser Nacht -  Marie Sand
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Um ungewollten Babys das Leben zu retten, muss sie Freiheit und Ruf riskieren: Der neue Roman »Wie ein Stern in mondloser Nacht« von Marie Sand erzählt die ebenso anrührende wie erschütternde Geschichte der Hebamme Henni Bartholdy, die aus einer Not heraus die Babyklappe neu erfindet und von diesem Moment an auf sich allein gestellt bleibt. Immer größer wird die Schere zwischen Arm und Reich im Berlin der 50er-Jahre. Das sieht auch die Hebamme Henni Bartholdy mit wachsender Sorge. Wie kann es sein, dass im Deutschland des Wirtschaftswunders verzweifelte Mütter ihre ungewollten Babys aus Scham und schierer Not aussetzen oder gar töten? Als auch Hennis große Liebe, der Arzt Ed von Rothenburg, keine Antwort weiß, handelt sie. Kurzerhand stellt sie eine Apfelsinenkiste in den Hinterhof ihres Geburtsraumes auf. Bis tatsächlich das erste Findelkind in der Klappe liegt - und lebt! In ihrem Roman um die Babyklappe erzählt Marie Sand einfühlsam und zu Herzen gehend ein erschütterndes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, das so in keinem Geschichtsbuch steht. Damit setzt sie einer weiteren »stillen Heldin«, einer Hebamme, ein Denkmal. Entdecken Sie auch den Tatsachenroman »Ein Kind namens Hoffnung« über eine mutige Frau, die während des 2. Weltkriegs unter Einsatz ihres eigenen Lebens ein jüdisches Kind rettet. »Es ist ein Roman der Zeitgeschichte, eine gut erzählte Geschichte über eine heimliche Heldin, die als Frau Großartiges im Dritten Reich geleistet hat.« Niederbayern TV über »Ein Kind namens Hoffnung«

Marie Sand lebt in Berlin. Sie studierte Kunstgeschichte, arbeitete in Zeitungsverlagen und war 16 Jahre in einer politischen Institution im Medienbereich sowie im Referat für internationale Beziehungen tätig. Sie engagierte sich für die Verwirklichung der Menschenrechte in Südasien. Seit 2009 berät sie als Freiberuflerin Autoren zu den Bereichen Buchkonzept und Schreiben von Unternehmens- und Sachbüchern. Ihre Leidenschaft aber ist die Spurensuche nach außergewöhnlichen Heldinnen in der Literatur - und in der Zeitgeschichte.

Marie Sand lebt in Berlin. Sie studierte Kunstgeschichte, arbeitete in Zeitungsverlagen und war 16 Jahre in einer politischen Institution im Medienbereich sowie im Referat für internationale Beziehungen tätig. Sie engagierte sich für die Verwirklichung der Menschenrechte in Südasien. Seit 2009 berät sie als Freiberuflerin Autoren zu den Bereichen Buchkonzept und Schreiben von Unternehmens- und Sachbüchern. Ihre Leidenschaft aber ist die Spurensuche nach außergewöhnlichen Heldinnen in der Literatur – und in der Zeitgeschichte.

1


BERLIN, AUGUST 1947

Henni bewegte sich wendig zwischen den Schutthaufen hindurch, als wären sie Wegweiser in der bombardierten Stadt. Manchmal gelang es ihr, die einstigen Häuser an der Farbe der Steinbrocken zu erkennen, dann stellte sie sich vor, der Kurfürstendamm wäre noch immer die Prachtstraße voller Licht hinter blitzblanken Fenstern. Sie dachte an die Sonntagsspaziergänge mit dem Vater. »Einmal ums Karree und einen Schoppen bei Diener Tattersall. Ein Kneipenbesuch muss drin sein«, pflegte er zu sagen, bevor er Henni an die Hand nahm. »Und du, meine Kleine, darfst die Pferde dort streicheln.« Seine Hand war groß und schwielig, Henni erinnerte sich genau: An den Fingerspitzen blätterte die Haut ab vom Arbeiten mit Terpentin, als wäre seine Haut ein sich lösender Lack in rosa Pastell. Da war sie neun Jahre alt gewesen, hatte ihren Vater bewundert wie einen Helden, wenn er ihr erklärte, mit welch feinen Instrumenten er die Ornamente der Häuser bepinselte und wie er die großen Flächen mit einem Scheuerschwamm behandelte. Auf Gerüstbrettern schwang er sich am Mauerwerk hoch, und als sie ihn fragte, ob ihm nicht schwindelig werde, nah am Himmel, weit weg vom Boden, da antwortete er: »Einer muss es doch tun.« Dabei stand Freude in seinen Augen, er wedelte mit dem Arm in die Ferne wie ein Schöpfer dieser wunderbaren Straße.

Alles weg. Zerschossen. Verbrannt. Der Vater tot. Henni stellte den Putzeimer ab und fuhr sich mit dem Ärmel ihrer weißen Bluse über die Stirn. Seither war die Familie arm geworden. Doch das musste nicht so bleiben! Das konnte besser werden, wenn Hände, Beine mitmachten, wenn es im Kopf noch Hoffnung gab! Meinte auch die Mutter. »Sei fleißig, nicht vorlaut, aber lass dich nie unterbuttern. Achte auf adrette Kleidung und Manieren, dann klappt es auch mit der Zukunft.« Henni zog die heruntergerutschten Kniestrümpfe hoch, sie würde später das Gummi darin fester knoten. Jetzt aber wurde es Zeit fürs Putzen. »Heute ist Zahltag, immer ist Zahltag nach dem Putzen«, hatte die Mutter sie erinnert. »Lass dir also das Geld geben!«

Mit einem Seufzer drückte Henni die Augen fest zu, als könnte sie damit die Trauer um den Vater aussperren, und als sie sie wieder öffnete, tanzten tatsächlich kleine Lichter über dem Geröll. Nicht stecken bleiben im Schlamassel, sagte sie sich, dabei nahm sie den Eimer wieder auf und beschleunigte den Schritt, denn sie wusste, dass die Herrschaften keine Verspätung wünschten. Andernfalls wurde Frau von Rothenburg streng.

Henni musste die Sache flott hinter sich bringen, deshalb überholte sie die Menschen auf den Bürgersteigen. Manche lächelten ihr zu, und sie dachte, dass sich überall, sogar hinter dem größten Schutthaufen, ein kleines bisschen Fröhlichkeit versteckte. Jedenfalls fühlte sie etwas Ähnliches unter der Haut, ob es am Wetter lag oder an der Aussicht auf ein deftiges Essen am Abend, wusste sie nicht. Die gute Laune war in ihr! Fröhlich summte sie ein Sommerlied, dessen Text sie nicht kannte, stieg die fünf Stufen des vornehmen Hauses hinauf und klingelte neben dem in Gold geprägten Namen.

Während Henni wartete, ließ sie den Blick am Haus der von Rothenburgs entlangschweifen: Weder Abbrüche an den Ornamenten noch Risse im Gemäuer, kein Ruß beschmutzte die zartgelbe Farbe, kein einziges Bogenfenster war zersplittert. Zwischen den drei Stockwerken warfen Gesimse ein Schattenspiel auf die Fassade, ungerührt von den zerstörten Häusern rechts und links und gegenüber. Wie ein Schmuckstück für die Ewigkeit stand das von-rothenburgsche Haus hinter Linden und ragte stolz über die Bäume hinaus. Nur dem Giebel fehlte ein Stück Mauer, vermutlich herausgesprengt im Frühjahr 1945, als Bomben fielen, bis die Stadt lichterloh brannte. Die Mitte vom Dach. Eine kleine Verletzung, dachte Henni, nicht der Rede wert. Ehrfürchtig berührte sie den Feinputz der Fassade, den vielleicht ihr Vater verstrichen hatte. Auf eigentümliche Weise fühlte Henni sich dem Haus verbunden. Obwohl sie es nie zuvor betreten hatte, stieg ein vages Gefühl von Heimeligkeit in ihr auf.

Sie klingelte ein zweites Mal. Schon wollte sie sich auf die Treppenstufen setzen, die Wand ansehen und für den Vater beten, es möge ihm gut gehen oben bei Gott, da hörte sie ein dumpfes Summen. Sie trat in eine Empfangshalle ein, von Säulen unterteilt, die Wände verziert mit Freskenmalerei. Hier lässt es sich wohnen, befand sie und eilte die mit Sisalteppich belegten breiten Stufen hinauf. »Ein Haus im Haus«, hatte die Mutter geschwärmt, »so wertvolle Möbel und überall Kunst.« Deshalb zog Henni Schuhe und auch die rutschenden Strümpfe aus, als die obere Tür nach einem weiteren Summen aufsprang. Sie steckte den Kopf durch den Rahmen, grüßte in die Diele und trat ein, als sie keine Antwort erhielt. Niemand schien auf sie zu warten oder sich zu wundern, dass sie anstelle der Mutter gekommen war. Sie vernahm lediglich ein Knarren am Ende der Holztreppe, die in den ersten Stock führte, dann schloss sich eine der oberen Türen. Einen Moment zögerte sie. Was sollte sie tun? Einfach in den unteren Räumen loslegen und sich die Putzstunden auf einem Zettel notieren? Das fand Henni naheliegend, denn das obere Stockwerk, das hatte die Mutter erwähnt, war tabu. So suchte sie das Bad, um die Seifenlauge anzurühren, und fand sich in einem Raum wieder, der so groß war wie die gesamte Kellerwohnung, in der sie lebten. Die Sonne brach sich im Milchglas, das bis zum Boden reichte, und gab dem Raum eine geheimnisvolle Anmutung. In der Mitte eine Emaillewanne auf geschwungenen Eisenfüßen, derart wuchtig, dass eine ganze Familie auf einmal darin baden könnte, am Rand zwei Waschbecken, auf edlem Holz befestigt, und dazwischen mindestens fünf Meter Platz für einen Walzer. Die gesamte Wandfläche über den Becken war von einem gerahmten Spiegel bedeckt, daneben stand ein gemauertes Regal. Die stuckverzierte Decke war über und über mit kleinen runden Lampen versehen, wie Henni es zuvor nie gesehen hatte. Begeistert knipste sie das Licht an, und es war, als würde sich ein Sternenhimmel über ihr aufspannen. Sie pfiff durch die Zähne und dachte an ihr eigenes Bad: ein Verschlag hinter der Küche, abgetrennt durch einen Polyestervorhang, unverputzt die Wände und nur der alte Rasierspiegel des Vaters hing schräg am Nagel. Kein Neid, wer hat, der hat, sagte sie sich, zog den gepunkteten Kittel der Mutter über und band die Haare mit einem Einmachgummi im Nacken zusammen. Dann füllte sie Wasser in den Eimer, spritzte Seife hinein und schlich barfuß durch die Wohnung, um die gedehnte Stille nicht zu stören. Zwei Stunden, länger würde sie hier nicht bleiben. Sie hatte Wichtigeres zu tun, als für diese reiche Familie, die sie noch nicht einmal beim Eintritt begrüßte, auf Knien zu rutschen. Außerdem konnte man den Lohn verdoppeln, indem man die Arbeitszeit verkürzte. Nun spürte sie doch ein bisschen Wut im Bauch: auf die von Rothenburgs und auch auf die Mutter.

»Die von Rothenburgs sind ein Glücksfall für uns«, erklärte diese oft, »die bringen uns quasi das Essen auf den Tisch.« Henni sah das anders. Es tat ihr leid, dass die Mutter bei Fremden putzen musste. Das war nicht gut, denn sie alterte zu schnell, wegen der vielen Arbeit und auch, weil sie sich ständig um das Paulchen sorgte. Der kleine Bruder hustete nachts und klagte lange schon über Schmerzen hinter den Rippen. Oft überließ die Mutter ihm ihre Portion Abendessen, Haferschleim mit zerstoßenen Eierschalen. »Der braucht Calcium, denn der wächst«, sagte sie dann und schluckte ihren eigenen Hunger zu laut hinunter. Kein Wunder, dass die Mutter schwächelte, eine ausgemergelte Frau, früher einmal eine Augenweide mit rosigen Wangen und etwas Raffiniertem im Blick. Und heute war es geschehen. Da war die Mutter zusammengebrochen und hatte befohlen: »Henni, du gehst zu den von Rothenburgs. Sei leise, höflich, vor allem frag nach Geld.«

Wenn die wenigstens mit Zigaretten bezahlen würden, wo doch die Reichsmark kaum mehr einen Wert hat!, dachte Henni, während sie die Lauge über dem Parkett ausgoss. Dann könnte man zusätzlich zu den Rabattmarken was Anständiges auf dem Schwarzmarkt tauschen, Kalbsknochen für die Suppe oder einen Schnaps, damit die Mutter besser schliefe oder lustig würde. Mit dieser Vorstellung versuchte Henni, sich von der Arbeit abzulenken, damit die Stunden schneller vergingen. Sie hatte sich fest vorgenommen, später einmal anders zu leben. Sie würde auf sich achten. Als Lehrerin würde sie kleine Kinder unterrichten und ihnen zwischendurch Beruhigendes über das Leben erzählen. Auf Weltreise gehen, am Rand von Ozeanen stehen, sich über die weiten Wasser wundern. Derart in Gedanken vertieft, trocknete sie die Böden, bürstete Polster und wischte Staub, bis ihr der Schweiß zwischen den Schulterblättern hinunterrann. Ihr Gesicht fühlte sich glühend an wie nach einem Sonnenbrand. Mit dem Ärmel rieb sie sich über die Stirn, unter dem Haargummi juckte die Haut, hoffentlich keine Läuse von dem Paulchen.

Plötzlich ein Poltern.

Im ersten Stockwerk wurde eine Tür geöffnet und wieder zugeschlagen, kräftige Schritte auf Holzdielen. Henni näherte sich der Treppe.

»Du bist nicht mein Vorbild, Vater.« Eine junge Männerstimme; sie wirkte in einer unaufgeregten Art entschlossen.

»Du wirst tun, was ich dir sage. Punkt!«, dröhnte eine zweite, sehr tiefe Stimme.

Um zu hören, was da los war, trat sie auf die erste, die zweite, wagte sich vor bis zur dritten Stufe. »Solange du die Füße...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 50er Jahre • authentisch • authentische Geschichte • Babyklappe • Berlin • Besatzung • Besatzungskinder • Bestseller • Deutsche Geschichte • Frauenschicksal • Heimliche Liebe • Heldinnen • Historischer Roman • historischer Roman 20. Jahrhundert • Historischer Roman Berlin • Historischer Roman Reihe • historischer Roman Serie • inspirierender Roman • Intrige • Nachkriegsdeuschland • Nachkriegsgeneration • Neugeborene • Romanbiographie • Romane nach wahrer Geschichte • Romanhafte Biografien • Roman nach wahrer Begebenheit • Schicksalsroman • Soziale Ungerechtigkeit • Starke Frauen • stille Heldin • Tatsachenroman • Ungewollte Schwangerschaft • Untergrund • Verrat • wahre Liebe • weibliche Heldin • Zeitgeschichte Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-426-46567-1 / 3426465671
ISBN-13 978-3-426-46567-7 / 9783426465677
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