Tausend und ein Morgen (eBook)
528 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490600-3 (ISBN)
Ilija Trojanow, geboren 1965 in Sofia, floh mit seiner Familie 1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie politisches Asyl erhielt. 1972 zog die Familie weiter nach Kenia. Unterbrochen von einem vierjährigen Deutschlandaufenthalt lebte Ilija Trojanow bis 1984 in Nairobi. Danach folgte ein Aufenthalt in Paris. Von 1984 bis 1989 studierte Trojanow Rechtswissenschaften und Ethnologie in München. Dort gründete er den Kyrill & Method Verlag und den Marino Verlag. 1998 zog Trojanow nach Mumbai, 2003 nach Kapstadt, heute lebt er, wenn er nicht reist, in Wien. Seine bekannten Romane wie z.B. ?Der Weltensammler? und ?Macht und Widerstand? sowie seine Reisereportagen wie ?An den inneren Ufern Indiens? sind gefeierte Bestseller und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen bei S. Fischer der literarisch-politische Essay ?Nach der Flucht? und die Romane ?Doppelte Spur? und ?Tausend und ein Morgen?.
Ilija Trojanow, geboren 1965 in Sofia, floh mit seiner Familie 1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie politisches Asyl erhielt. 1972 zog die Familie weiter nach Kenia. Unterbrochen von einem vierjährigen Deutschlandaufenthalt lebte Ilija Trojanow bis 1984 in Nairobi. Danach folgte ein Aufenthalt in Paris. Von 1984 bis 1989 studierte Trojanow Rechtswissenschaften und Ethnologie in München. Dort gründete er den Kyrill & Method Verlag und den Marino Verlag. 1998 zog Trojanow nach Mumbai, 2003 nach Kapstadt, heute lebt er, wenn er nicht reist, in Wien. Seine bekannten Romane wie z.B. ›Der Weltensammler‹ und ›Macht und Widerstand‹ sowie seine Reisereportagen wie ›An den inneren Ufern Indiens‹ sind gefeierte Bestseller und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen bei S. Fischer der literarisch-politische Essay ›Nach der Flucht‹ und die Romane ›Doppelte Spur‹ und ›Tausend und ein Morgen‹.
[...] großartiger Zukunftsroman [...].
[...] weil Trojanow schöne und berührende Assoziationen über den Sinn des Lebens wie Perlen einer Kette aneinanderreiht.
[...] einerseits ein Märchen, worauf ja auch sein Titel anspielt, andererseits eine Aufklärungsschrift, die mit der morgenhellen Benennung genauso angedeutet wird.
[...] auf höchst anregende Weise [...].
Eine wahrhaft außergewöhnliche literarische Reise.
Eine Feier des Erzählens
Das Bestechende an Trojanows Roman ist die präzise elaborierte Kunstsprache.
[...] ein furioses Gedankenspiel.
Ein Roman voller rebellischer und bilderreicher Erzähllust.
[...] Form und Inhalt [...] in kunstvoller, staunenswerter Übereinstimmung.
Ilija Trojanow hat [..] eine ganz besonders schöne Zeitmaschine konstruiert.
Es ist ein vielschichtiges Fest der Fantasie und des Fabulierens.
Ilija Trojanows neuer Roman [...] ist ein vielschichtiger, philosophischer Zukunfts- und Abenteuerroman. Ein fulminantes Gedankenspiel!
Ein wirklich großes Buch
Das Idol des Wahns
Asanas der Ankunft
Stehend, in der Hocke, liegend. Im Ausfallschritt. Auf Knien. Auf den Fußspitzen, auf den Ballen. Fersenhockend. Die Hände auf dem Boden. In einer offenen Tür, umgerannt von hastenden Menschen. Im seichten Wasser fast ertrunken. Das Rätsel der Ankunft werden wir auch noch lösen, prahlen die Jüngeren. Rätsel sind Geschenke, wendet der Weltweise ein, die wir nicht immer auspacken sollten.
In Rückenlage. Die Arme zur Seite gestreckt, die Beine leicht abgespreizt. Der Blick ins Dunkle. Atmen, durch die Lotusblume der Geduld. Horchen, ob in der Nähe jemand … Sie bleibt liegen, sie würde nicht schneller ankommen, wenn sie aufspränge.
Unter Cya liegen die sterblichen Überreste eines Goldschmieds.
Wann wird GOG lernen, erwünschte von unerwünschter Information zu unterscheiden?
Sie richtet sich auf. Unweit von ihr Umrisse einer Brüstung. Metallen und kühl. Sie beugt sich vor. Die nackte Glühbirne am Eingang des Gebäudes liegt weit unter ihr, fünfzig Meter tief. Das ist unerwartet. Vor ihr Lichter, verstreut über eine nächtliche Stadt, manche flackernd, manche hell leuchtend, auf halber Höhe verschwindend, in der Schwarztinte des Meeres, vermutlich.
Sind wir am falschen Ort?
GOG: Richtiger Ort, falsche Zeit. Ein Jahr zu spät. Schlamperei!
GOG eignet sich solch abwegige Wörter an, um sie an Cya zurückzuspielen. Allein stehende Begriffe, bald eingebettet in Sätze und Redewendungen: Was für eine Schlamperei. Und bei nächster Gelegenheit: Was für eine zum Himmel stinkende Schlamperei. Womit keineswegs geklärt ist, ob GOG das Konzept der »Schlamperei« versteht.
Woher die Gewissheit?
Kartenvergleich. Dieser Turm ist auf der Karte mit dem Zeitstempel des vergangenen Jahres nicht aufgeführt. Somit wurde er erst vor kurzem errichtet.
Fehler beim »Wann« verändern das »Wo« und umgekehrt. Cya erkundet das Gebäude. Stock um Stock. Stufen hinauf, einige von ihnen brüchig, Treppen hinab, durch Korridore, schultereng, zu beiden Seiten kopfhoch Gemäuer. Dies sollte ein Friedhof sein. Ein sicherer Ort, um sich unauffällig einer fremden Metropole zu nähern. Ihre Fingerkuppen gleiten über den Stein zu ihrer Rechten. Eingemeißelte Daten: geboren ––––, gestorben ––––. Gräber. Nicht ebenerdig, sondern turmhoch. Übereinandergestapelte Gräber.
Wie Container.
Das ist pietätlos.
Präzisiere »pietätlos«?
Ein Datum wiederholt sich, von Inschrift zu Inschrift, von Grab zu Grab, ein zweites und ein drittes. Keine weiteren. Tage des Sterbens zwischen Freitag und Sonntag. Nach drei Tagen war der Tod ausgelaugt. Am Montag begannen sie, einen Leichenturm zu errichten.
Wieso brauchte es einen Turm?
Ökonomisch zwingend notwendig. Nicht einmal die Lebenden können sich hier Land leisten.
Sie muss dringend aus diesem Turm hinaus. Hinab. Durch klebrige Schichten, Partikel fremder Biografien, die GOG aus dem Archiv saugt und in Cyas verwirrte Gedanken einspeist. Abgebrochene Leben. Möge der Ort, zu dem sie gehen … gebrochene Leben. Möge der Ort, zu dem sie gehen, ein besserer Ort … Sie rennt hinaus, über einen Kieselweg, spärlich beleuchtet, in Richtung Haupttor. Etwas zirpt, widersprüchlich. Sie versteckt sich in der Nähe des breiten Tores hinter einem Stapel Ziegeln. Sie zittert. Der Turm der Toten eine Silhouette vor ihr. Es dämmert. Wie vorgesehen. Sobald der Nachtwächter das Eingangstor aufschließt, wird sie hinausschlüpfen und die Stadt zu erkunden beginnen.
So der Plan, den sie vor kurzem dem Kreis vorgestellt hat, alle versammelt um eine Tonschüssel auf dem Boden, darin eine Auswahl an Gegenständen, jedem Atem gemäß. Cya stand ins Schweigen auf, ergriff einen Stein, glatt geschliffen von der Strömung eines fernen Flusses. Hockte sich wieder hin. Streichelte eine Weile die Oberfläche. Legte den Stein auf ihren Schoß und sprach. Über den Wahn. Ein einmaliges Ereignis. Ein Inferno in einer Stadt am Meer. Entzündet an jenem Tag, als die aufgestaute Rage nicht abfließen konnte. Einer Stadt entlang sieben Buchten. Tagelang in Flammen. Danach zweifelte jeder an dem Guten im Glauben.
Die Beschäftigung mit dem Wahn ist ein Wagnis, unerträglich, dass Menschen sich gegenseitig so etwas angetan haben. Die Toten hielten die Augen offen, die Überlebenden schnitten sich am Montag die Zunge ab. Und errichteten Türme. Auf anderen Dächern brannte verschwendetes Leben. Tagelang sei kein einziges Wort gewechselt worden, laut eines Zeugen, eines gewissen Sebastian da Costa, ein Unbekannter, ein verwehter Fußabdruck. Sie habe seine Aufzeichnungen in der Bibliothek gefunden, erklärt Cya den versammelten Chronautin. Nicht wirklich gefunden, sie seien ihr eher zugefallen (GOG: Schicksal). Dieser Mann habe die Stadt bald darauf verlassen und seine letzten Jahre in einer Kommune (GOG: einem Aschram) verbracht, am Ufer eines heiligen Flusses, eines ausgetrockneten heiligen Flusses.
»So etwas lässt sich eher als Gefängnis beschreiben«, bemerkte Domru.
»Dem einen Hort, dem anderen Haft.« Der Weltweise entfaltete seine Stirn.
»Wie blickt dieser Sebastian da Costa auf den Wahn?«
»Nüchtern und nachdenklich. Er beschreibt die Ereignisse. Den unmittelbaren Auslöser. Er war mittendrin.«
»Als Verschwörer?«
»Als Polizeikommissar.«
»Verdächtig. Die Polizei hat eine zwielichtige Rolle gespielt.«
»Er war ein Einzelgänger. Er stand auf keiner der vielen verfeindeten Seiten. Er hat getan, was er konnte, aber es ist ihm nicht gelungen, die Funken auszutreten. Er hat Fehler gemacht, jedoch nicht aus Böswilligkeit. Wenn wir ihm zur Seite stünden –«
»Glaubst du seinen Aufzeichnungen?«
»Er hat sie allein für sich selbst niedergeschrieben. Bestimmt hat er sich über dieses und jenes getäuscht, aber welchen Grund hätte er gehabt, sich selbst grundsätzlich zu belügen?«
»Wieso hat das vor dir niemand gesehen?«
»Weil es in der Handschriftensammlung war.«
»Eigenhändig geschrieben?«
»Mit Tinte sogar.«
»Wie umfangreich?«
»Einige hundert Seiten. Teilweise geht er sehr ins Detail. Es sind dramatische Protokolle und zugleich intime Vergewisserungen. Mal reflektiert er über das Wesen der Wahrheit, mal verziert er die Seiten mit Sanskrit-Zeilen. Tänzerische Buchstaben. Mühsam zu entziffern.«
»Was hast du in der Handschriftensammlung gesucht?«
»Was es nirgendwo sonst gibt.«
Das Haupttor quietscht in ihre Gedanken hinein. Ein Uniformierter tritt näher, unter der Mütze ein Schnurrbart, unter dem Bauch ein Gürtel, den er aufschnallt, während er in ihre Richtung schreitet. Direkt auf ihr Versteck zu. Gleich wird er sie entdecken. Er ist mit seinem Gürtel beschäftigt. Mit den Nachwehen einer ungemütlichen Nacht. Sie riecht ihn so deutlich, sie könnte seinen Lebenswandel beschreiben. Er macht sich an seiner Hose zu schaffen, neben ihr, ganz nahe. Er summt etwas. In dem Augenblick, in dem ihr der Geruch von Urin in die Nase steigt, identifiziert GOG die Melodie, das Lied stammt aus einem Blockbuster, der neulich … Ihre angespannten Gedanken überschreien GOG. Neben ihr plätschert es in Schüben, der Mann ein Ausbund an Erleichterung. Zusammengekauert in einer enger werdenden Nische, achtet sie auf jedes Geräusch. Finger an Knöpfen, Hände am Hosenbund, hochgezogener Rotz, das Summen eine fröhliche Oktave höher. Der Mann wendet sich ab und entfernt sich bedächtigen Schrittes, im zaghaften Licht eine Kontur Mensch. Endlich kann sie ausatmen, durch Mund, Poren, Augen, in die ein Lichtstrahl sticht.
»Hast gedacht, ich seh dich nicht?«
Grelle Lähmung.
»Was suchst du hier?«
Überrumpelte Stille.
»Wer bist du?«
Der Mann tritt vorsichtig näher. Sie zeigt ihm ihre leeren Handflächen.
»Ich habe mich verlaufen.«
»Eine Firengi, was denn, hier?«
Der Nachtwächter richtet seine Taschenlampe auf den Boden. Seine Fragen satteln ihre Erklärungen. Eine Frau, eine Fremde, sein Englisch holpernd, wie gelangt die auf den ummauerten Friedhof? Was hat die hier verloren?
»Verzeihung, ich muss eingeschlafen sein.«
»Inmitten der Gräber?«
»Es ist so heiß bei Ihnen.«
»Ja, die Hitze.«
»Bin ich nicht gewohnt.«
»Wir Einheimische auch nicht.«
»Verzeihung, ich werde Sie nicht länger belästigen.«
»Ich sollte diesen Vorfall melden.«
»Wozu denn?«
»Eine Firengi auf einem muslimischen Friedhof …«
»Mein Reiseführer behauptet –«
»… das ist verdächtig.«
»Mein Reiseführer behauptet, dieser Turm …«
»Der Turm des Todes?«
»… sei einmalig.«
»Einmalig verflucht!« (Sagt der Wächter auf Marathi, GOG übersetzt.)
»Sie sind mutig.«
»Wieso mutig?«
»Hier zu arbeiten. Haben Sie keine Angst?«
»Nur Einbeinige und Einäugige fürchten sich nicht.«
»Wie...
Erscheint lt. Verlag | 30.8.2023 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Anspruchsvolle Literatur • Ein Buch von S. Fischer • Indien • Karibik • Modernes Epos • Mumbai • Olympische Spiele • Piraten • Religionen • Rettung • Russische Revoluion • Russsische Revolution • Sarajewo • Utopie • Utopischer Roman • Zeitreise • Zukunft |
ISBN-10 | 3-10-490600-9 / 3104906009 |
ISBN-13 | 978-3-10-490600-3 / 9783104906003 |
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