Stille Wasser sind fies (eBook)
304 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60454-3 (ISBN)
Gisa Pauly hängte nach zwanzig Jahren den Lehrerberuf an den Nagel und veröffentlichte 1994 das Buch »Mir langt's - eine Lehrerin steigt aus«. Seitdem lebt sie als freie Schriftstellerin, Journalistin und Drehbuchautorin in Münster, ihre Ferien verbringt sie am liebsten auf Sylt oder in Italien. Ihre Sylt-Krimis um die resolute Mamma Carlotta erobern jedes Jahr aufs Neue die Bestsellerlisten. Gisa Pauly wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Satirepreis der Stadt Boppard und der Goldenen Kamera des SWR für das Drehbuch »Déjàvu«. Die Leser der Fernsehzeitschrift rtv wählten sie zur beliebtesten Autorin des Jahres 2018.
Gisa Pauly hängte nach zwanzig Jahren den Lehrerberuf an den Nagel und veröffentlichte 1994 das Buch »Mir langt's – eine Lehrerin steigt aus«. Seitdem lebt sie als freie Schriftstellerin, Journalistin und Drehbuchautorin in Münster, ihre Ferien verbringt sie am liebsten auf Sylt oder in Italien. Ihre Sylt-Krimis um die resolute Mamma Carlotta erobern jedes Jahr aufs Neue die Bestsellerlisten. Gisa Pauly wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Satirepreis der Stadt Boppard und der Goldenen Kamera des SWR für das Drehbuch »Déjàvu«. Die Leser der Fernsehzeitschrift rtv wählten sie zur beliebtesten Autorin des Jahres 2018.
»Natürlich, Mama! Wir werden dich sicherlich sehr vermissen, aber …«, setzte Eva Ellenhans an.
Doch sie wurde von der aufgeregten Stimme ihrer Mutter Annelore unterbrochen, die sich lang und breit darüber ausließ, was sie von Kindern hielt, die ihre arme Mutter allein ließen.
»Du bist doch nicht allein …«
Aber auch diesen Satz brachte sie nicht zu Ende. Ob Eva etwa der Ansicht sei, dass die Aufsicht über eine verwöhnte Enkelin, die nicht ohne Grund den Beinamen Xanthippe trug, mit der Gesellschaft vernünftiger Erwachsener zu vergleichen sei? Wenn sie Ricarda, wie die Enkelin eigentlich hieß, zu Gesicht bekommen wolle, könne sie frühestens gegen Mittag bei ihr vorbeischauen und hoffen, dass sie dann schon aus dem Bett sei, oder aber zu einer Zeit, in der sich eine Großmutter, wenn sie auch noch so rüstig war, zu Bett begab. Dann erst bräche Ricarda zu irgendeiner Party oder in einen Club auf, und die Stunden davor habe sie mit stundenlangem Duschen und exzessivem Schminken verbracht.
»Das weiß ich, Mama! Aber du hättest ja die Seniorenreise …«
»Seniorenreise?« Dieses Reizwort hatte einen ähnlichen Effekt auf Annelore Quenzer wie der Vorschlag, den ihr Schwiegersohn leichtfertig gemacht hatte. Kurzzeitpflege! Danach war stundenlang von drohendem Herzanfall, Enterbung und lebenslanger Kontaktsperre die Rede gewesen. Jetzt schnappte Evas Mutter am anderen Ende der Leitung wieder hörbar nach Luft. »Ich bin zweiundachtzig und keine hundert.«
Diesmal war es Eva, die ihre Mutter unterbrach. »Du hättest dich auch selbst um eine Reise kümmern können. Wozu hast du den Internetkurs in der Volkshochschule gemacht? Das Netz ist voll von interessanten Angeboten für Senioren.«
»Das sagst du mir, nachdem ich seit Jahren mit euch nach Schloss Oberwerries fahre? Für die Kinderbetreuung im Urlaub war ich jahrzehntelang gut genug, aber jetzt, wo die Kinder erwachsen sind …«
Eva wurde von einer sehr laut vorgebrachten und extrem deutlich artikulierten Frage abgelenkt: »Wo muss ich abbiegen? Links oder rechts?«
»Hast du gehört, Mama?« Eva warf ihrem Mann einen anerkennenden Blick zu, zeigte ihm den erhobenen Daumen und rief ebenso laut und vernehmlich ins Telefon: »Sorry, Mama! Ich muss Moritz helfen. Er weiß nicht weiter.«
Sie beendete das Telefonat, ehe ihre Mutter auf den Navigator hinweisen konnte, mit dem ihr Auto ausgestattet war, und steckte ihr Handy weg. »Puh! Mama ist immer noch stocksauer.«
Moritz blinkte links und entschloss sich zu einem so waghalsigen Überholmanöver, als wollte er in Wirklichkeit seiner Schwiegermutter zeigen, dass die Pferdestärken unter seiner Motorhaube mit der Kraft seiner Entschlossenheit zu vergleichen waren. »Ich finde, es ist unser gutes Recht, allein Urlaub zu machen. Seit unserer Hochzeitsreise das erste Mal!« Er tätschelte Evas linken Oberschenkel, was sie nicht besonders mochte, weil sie ihre Schenkel schon früh zur Problemzone erklärt hatte, die, wenn sie sich bequem auf den Beifahrersitz lümmelte, noch problematischer wurde. Sie warf einen neidischen Blick auf ihren Mann. Athletische Oberschenkel, flacher Bauch, trainierter Oberkörper, muskulöse Arme. Dass er täglich Sport machte, sah man ihm an. Und ihr sah man leider an, dass sie täglich am liebsten auf ihrem Bürostuhl und anschließend auf dem Sofa saß.
Mit einem Mal beschlich sie Sorge. Würde das gut gehen? Oder würde es zum ersten Mal ein Problem geben, weil sie nicht gern Sport trieb? Während ihrer bisherigen Urlaube hatte Moritz mit den drei Kindern die Kanu- und Paddeltouren unternommen, war mit ihnen vor dem Frühstück zwanzig Kilometer mit dem Rennrad gefahren oder durch die Lippe geschwommen. Würde er jetzt von ihr erwarten, dass sie Radfahrerhosen mit dem Sitzpolster anzog, das sich wie eine Inkontinenzeinlage anfühlte? Und würde sie mit ihm Ausflüge machen müssen, die Ähnlichkeit mit Survivaltraining hatten? In diesem Jahr würde sie sich nicht damit herausreden können, dass die Enkelkinder betreut werden mussten. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, dass sie immer versucht hatte, den Eindruck zu erwecken, sie opfere sich als Mutter und Großmutter bereitwillig auf. Womöglich hatte Moritz sich vorgenommen, nun endlich dafür zu sorgen, dass auch seine Frau zu dem kam, was ihr in seinen Augen zustand. Wie genau wusste er eigentlich, dass sie liebend gern den Radfahrern, Wanderern, Schwimmern und Kanuten nachwinkte und sich, sobald sie außer Sicht waren, einen guten Kaffee kochte, ein Stück Torte aus dem Kühlschrank nahm und den Kindern beim Spielen zusah?
Sie bogen von der A2 ab, und Eva wies wie jedes Jahr zu den hässlichen Schloten des Kraftwerks und sagte dabei wie jedes Jahr: »Schrecklich.« Und wie jedes Jahr nickte Moritz nur.
Aber bald schon ließen sie das Kraftwerk und seine wuchtigen Kühltürme hinter sich und hatten nur noch Augen für die behäbige westfälische Landschaft, die sie als Jugendliche langweilig genannt hatten, als nur das Ziel von Bedeutung gewesen war, das ebenso gut in der Antarktis wie in Westfalen liegen durfte. Hauptsache, dort gab es ein Bett, von dem die Eltern nichts wussten.
Ein Bett war es dann zwar nicht, aber immerhin eine Luftmatratze, die ihnen nicht weniger komfortabel erschien. Eva hatte damals schnell begriffen, dass sie Moritz, dem sie bis dahin nur von Weitem schöne Augen gemacht hatte, im Zeltlager von Schloss Oberwerries nahekommen konnte. Die beste Chance, wenn man sich in einen Sportler verguckt hatte! Dafür wurde sie Mitglied des Turnerbunds, obwohl sie jede Art von sportlicher Betätigung schon damals gehasst hatte, tat ihr Bestes, um sich vor Ballspielen, Kanu-Touren und Schwimmwettkämpfen in der Lippe zu drücken, und konzentrierte sich stattdessen darauf, den Sieg im Kampf um Moritz Ellenhans’ Gunst zu erringen. Dort gewann sie erheblich schneller und viel leichter als beim Speerwerfen auf der großen Spielwiese oder beim Tischtennisturnier in der Sporthalle.
Von der besagten Luftmatratze in einem Zelt auf der großen Wiese hinter Schloss Oberwerries hatten sie gelegentlich aufs Schloss geschaut und sich vorgestellt, irgendwann dort in einem Himmelbett zu übernachten. Und so war es ihnen folgerichtig erschienen, ihre Flitterwochen Jahre später genau dort zu verbringen. Sie hatten eben ihre Träume bis zum Tag ihrer Hochzeit nicht vergessen. Im folgenden Jahr war dann schon der kleine Ingo mit von der Partie gewesen, und wieder war ihre Wahl auf Schloss Oberwerries gefallen, als sie sich ausrechneten, ob sie sich einen Urlaub leisten konnten. Andere Familien fuhren an die Ost- oder Nordsee, flogen nach Italien oder Spanien, sahen sich als Pauschaltouristen die Welt an … die Familie Ellenhans blieb dabei, dass es auf Schloss Oberwerries am schönsten war.
Das wurde Eva mal wieder bewiesen, als sie von der Heessener Straße abfuhren und in die Allee einbogen, die zum Schloss führte. Wie romantisch es hier doch immer war! Der Lärm der Straße blieb hinter ihnen zurück, der Drängler von vorhin war im selben Moment vergessen, alle riskanten Überholmanöver waren nicht mehr wichtig. Die Ruhe, die immer über dem Schloss lag, war schon auf diesen Metern deutlich zu spüren. Die Ruhe, die aus einer Zeit zu stammen schien, in der es noch keine Motoren gab. Jedes Mal dachte Eva, dass sie sich nicht wundern würde, wenn ihnen eine Pferdedroschke entgegenkam, darin zwei Damen mit Reifröcken und weißen Spitzenschirmen, die sie gegen die Sonne schützen sollten.
»Es spricht nicht gerade für unsere Flexibilität«, murmelte Moritz, »dass wir es nicht geschafft haben, Nägel mit Köpfen zu machen. Endlich mal Urlaub ohne Familie! Aber was machen wir? Wir fahren trotzdem wieder nach Schloss Oberwerries.«
»Weil es hier schön ist«, antwortete Eva schlicht.
Moritz bestätigte es prompt. »Diesmal können wir zu einer Radtour aufbrechen, ohne erst klären zu müssen, wer Lust hat, mitzukommen, wer ungern allein zurückbleibt, ob derjenige dennoch dazu bereit ist, oder ob wir eigentlich zum Babysitten eingeteilt waren.«
Ich, korrigierte Eva insgeheim, immer war ich es, die zum Babysitten eingeteilt worden war. Aber sie schwieg, um nicht darüber reden zu müssen, wie gern sie sich an die Tische auf der Terrasse gesetzt und den Kindern beim Spielen im Schlosshof zugesehen hatte.
...Erscheint lt. Verlag | 31.8.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Familienbande • Familienkomödie • Familienroman • Hamm • Humor • humorvoller Krimi • Leiche im Keller • lustiges Buch • lustige Urlaubslektüre für Frauen • Mamma Carlotta • Schloss Oberwerries • Spiegel-Bestsellerautorin • Urlaubslektüre • Verwechslungsgeschichte • Verwechslungskomödie • Wasserschloss • Westfalen |
ISBN-10 | 3-492-60454-4 / 3492604544 |
ISBN-13 | 978-3-492-60454-3 / 9783492604543 |
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