Packerl (eBook)

Ein Familienroman, wie es ihn noch nie gab

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
368 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3024-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Packerl -  Anna Neata
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»Ein Familienroman, wie ich ihn noch nicht gelesen haben. [...] Anna Neata findet klare und eindrückliche Bilder für das oftmals beredete Schweigen innerhalb einer Familie.« Maria-Christina Piwowarski Elli, 1928 geboren, wird inmitten des Zweiten Weltkrieges Zeugin einer illegalen Abtreibung. Eine verstörende, prägende Erfahrung. Ebenso verliebt wie naiv, stürzt sie sich Anfang der Fünfzigerjahren in die Ehe mit Alexander, von der schon nach kurzer Zeit wenig mehr als die gemeinsame Tochter Alexandra übrigbleibt, denn: Das Glück is a Vogerl. Alexandra rettet sich in den bewegten Siebzigerjahren aus einer unglücklichen Beziehung, als sie sich gegen ein Kind entscheidet. Ihr zeitlebens bester Freund Hannes ist einer der wenigen, der ihr zur Seite steht und später zu ihrer vielleicht letzten Liebe wird.  Dabei ist Alexandras zweite Ehe mit Milan zumindest vordergründig glücklicher, Tochter Eva wird 1986 geboren. Hannes' Sohn Konrad und Eva werden sich, wie schon ihre Eltern, immer nah sein, auch als Eva Anfang der 2000er nach einem Schwangerschaftsabbruch in Depressionen versinkt. Eva ist die erste der drei, die versucht, etwas herauszufinden, von dem sie lieber nicht wissen wollte, was es sein könnte; die erste, die sich den biographischen Gemeinsamkeiten in ihrer Familie stellt. Anna Neata erzählt über einen Zeitraum von 80 Jahren von ungelebten Leben, vergeblichen Hoffnungen und der einzigartigen Solidarität unter Frauen und arrangiert so einen großen Familienroman, wie ihn erst das 21. Jahrhundert schreiben konnte.

Anna Neata, geboren 1987 in Oberndorf bei Salzburg. Studium der Film- und Theaterwissenschaften an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. 2020 Bachelor-Abschluss Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Im selben Jahr Master-Studium der Sprachkunst u.a. bei Thomas Köck, Olga Grjasnowa, Anna Kim und Ferdinand Schmalz. Schreibt Prosa und Theatertexte. 2020 Gewinnerin des Hans Gratzer Stipendiums/Schauspielhaus Wien mit dem Stück Oxytocin Baby. Eingeladen zum Prager Theaterfestival für deutsche Sprache und zum Heidelberger Stückemarkt. Dramatiker:innenstipen-dium des BKA 2022 für den Stückentwurf Walkthrough 89.

Anna Neata, geboren 1987 in Oberndorf bei Salzburg. Studium der Film- und Theaterwissenschaften an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. 2020 Bachelor-Abschluss Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Im selben Jahr Master-Studium der Sprachkunst u.a. bei Thomas Köck, Olga Grjasnowa, Anna Kim und Ferdinand Schmalz. Schreibt Prosa und Theatertexte. 2020 Gewinnerin des Hans Gratzer Stipendiums/Schauspielhaus Wien mit dem Stück Oxytocin Baby. Eingeladen zum Prager Theaterfestival für deutsche Sprache und zum Heidelberger Stückemarkt. Dramatiker:innenstipen-dium des BKA 2022 für den Stückentwurf Walkthrough 89.

Sonnenfinsternis 1999


Es ist der Tag der Sonnenfinsternis, und in der Siedlung im Salzburger Süden liegt ein wenig Weltuntergang in der Luft, Angst vor Erblindung, und überhaupt weiß niemand, auch Eva nicht, die in der Wiese unter den Brombeersträuchern liegt und eine schwere Kamera in die Höhe hält, wie die Computer den Sprung von neunzehnneunundneunzig zu den zwei Nullen bald schaffen sollen, und zwar ohne zu explodieren.

Eva, wo bist du, schallt eine Stimme durch den Garten, und Eva lässt die Stimme über sich hinwegziehen wie die Wolken am Himmel. Vor ein paar Tagen hatte die Oma, wie immer in den Sommerferien, mit der Eva ihre Zeitung geteilt. Die Eva hatte, wie immer, die letzte Seite aufgeschlagen und die kurzen Meldungen unter Kurioses aus aller Welt gesucht. Es war nur eine winzige Meldung gewesen, die sie nicht mehr losgelassen hatte, über einen Mann aus Idaho, der die Namen aller Menschen, die er jemals in seinem Leben getroffen hatte, in einem Notizbuch vermerkte. Und während die Oma neben ihr gesessen, in ihrem Kaffee gerührt und die Todesanzeigen ausgeschnitten und kommentiert hatte, als wäre es eine Arbeit, die es zu erledigen galt, hatte Eva beschlossen, ab jetzt jeden Menschen zu fotografieren, den sie in ihrem Leben treffen würde. Und da war es ein guter Zufall gewesen, dass heute die Sonnenfinsternis anstand, dass die ganze Familie zusammenkommen würde, um gemeinsam in den Himmel zu starren. Eva hatte auch ihren Eltern davon erzählt, und beide hatten unabhängig voneinander gesagt, das passt zu dir, nur sagte Milan diesen Satz lächelnd, während es ihrer Mutter ein paar Falten auf das Gesicht aufgezogen hatte.

Sie blickt durch den Sucher, durch die feinen, dornigen Äste des Brombeerstrauchs, dreht sich auf die Seite, lässt die Kamera kurz sinken, schüttelt ihren Arm aus und sieht den Jungen an, der neben ihr liegt. Seine Arme und Beine sind so lang geworden, dass sie fast ein eigener Körper zu sein scheinen, als hätte sein Fuß nichts mehr mit seinem Kopf zu tun, als gehörte seine Hand nicht mehr zu seinen Fingern. Nur seine Augen, von denen Eva sicher ist, dass sie immer noch blau sind, hat er geschlossen, die Lippen leicht lila vom Brombeeressen, und über seine Wange zieht sich eine Narbe, die Eva in Gedanken streichelt.

Stups, dreh deinen Kopf mal, ich will ein Foto machen.

Der Junge murmelt etwas und macht keine Anstalten, ihrer Bitte nachzukommen.

Komm, Konrad, sagt Eva und verwendet seinen richtigen Namen, wie immer, wenn es ihr wirklich ernst ist, und wie immer, wenn es ihr ernst ist, tut er, um was sie ihn bittet. Da ist es egal, dass er schon sechzehn und sie noch dreizehn ist, dass er, anders als Eva, ein Handy hat, über das er ununterbrochen seinen Kopf neigt, und dass sein Atem seit Neustem nach Rauch riecht und Eva sich sorgt, stundenlang in der Nacht wach liegt und betet, dass er bitte nicht die eine Zigarette erwischt, die Krebszigarette.

Dummi, so geht das nicht mit dem Krebs, das ist ja nicht wie Lottospielen, murmelt Stups und wendet ihr sein Gesicht zu, zieht einen Grashalm aus der Erde und steckt ihn sich zwischen die Zähne.

Können ja deinen Vater fragen, er muss es doch wissen als Arzt, sagt Eva und zoomt mit dem schweren Objektiv ganz nah zwischen seine Augen.

Stups antwortet, dass Ärzte doch selbst die allerschlimmsten sind, und murmelt dann noch etwas davon, dass der Hannes eh weiß, dass er raucht, was soll er auch dagegen sagen, und dass außerdem Sommerferien sind und man da niemanden irgendetwas fragen sollte, sondern einfach nichts machen, und Eva sagt, dass es ja wohl nicht schwer ist in dieser Stadt, in Salzburg, nichts zu machen, und Stups sagt, Blödsinn, nachher gehen wir fort, wirst sehen, und als er sie für einen Moment schief von unten ansieht, so wie er es manchmal tut, drückt sie auf den Auslöser. Wann willst du los, fragt Eva, und Stups sagt, nicht vor acht, obwohl er genau weiß, wann Eva wieder zu Hause sein muss. Aber wenn sie mit Stups unterwegs ist, dann können ihre Eltern nichts sagen, auch wenn der Milan erst gestern lachend mit Blick auf Eva die natürliche Alarmanlage des Hauses gelobt hatte, die alte Holztreppe, die jeden Schritt verriet, jedes Zuspätkommen hörbar machte. Er konnte ja nicht wissen, das Eva und Stups die Stufen an langen Abenden, wenn sie alleine waren, inspiziert hatten, mal einen Fuß hier- oder dorthin gesetzt hatten, bis sie das lautlose Überqueren sogar mit geschlossenen Augen schafften.

Eva, ruft es noch einmal, diesmal eine Männerstimme.

Wir kommen, ruft Eva zurück, rollt sich auf die Seite und springt auf.

Auch Stups löst sich aus dem Gras, zieht, als er endlich steht, seine weite Baggypants nach oben, öffnet seinen Gürtel und schließt ihn wieder. Gemeinsam gehen sie auf das mit dichtem wildem Wein bewachsene alte Haus zu, und Eva erinnert sich an eine Zeit, als sie immer gerannt sind, mit erhitzten Gesichtern, als sie Kinder waren und alles schneller gemacht haben, und trotzdem war alles langsamer vergangen, und ein Sommer war ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen.

Wie ist die Kamera? Der Milan, ihr Vater, steht auf der Terrasse, die Hände tief in den Taschen, und lächelt Eva an. Eva lächelt zurück, viel besser als mit der Polaroidkamera, die sie sich zwar aufbehalten wird, wo aber jeder Film an die zwanzig Mark kostet. Der Milan nickt, nickt auch noch, als die Mama herauskommt aus der Terrassentür und der Urseltante, die ganz gerade am Tisch sitzt, die Servietten reicht. Danke, Alexandra, sagt die Tante und nimmt der Mama die Servietten ab, um sie auf dem Tisch zu verteilen, nicht ohne den Stups darauf hinzuweisen, dass er eine Hose trägt, die viel zu groß ist, und dass man weiß, dass eine Hose zu groß ist, wenn sie einem fast in den Knöcheln hängt. Der Stups setzt sich schnell auf den grünen Gartenstuhl, und Eva kichert. Hast eine Freude, fragt die Mama Eva, und Eva nickt wieder, verkündet, ich werde euch alle fotografieren. Das klingt wie eine Drohung, die Alexandra verschwindet schnell wieder im Inneren des Hauses. Oh Gott, sagt auch die Tante und hält sich vorsorglich schon mal die Hand vor ihr Gesicht.

Mit dir fang ich an, sagt Eva und lässt sich neben ihr in den Stuhl sinken.

Sanft drückt Eva die Hand der Urseltante hinunter, die sich wie altes Papier anfühlt, ein Foto nur, Tante, sagt sie, und die Tante sieht sie mit zweifelnden Augen an. Sowieso hatte sie immer diesen Blick, wenn sie auf Eva traf. Sie war streng, strenger als die Oma, überhaupt unterschieden sie sich in allen Dingen so sehr, dass Eva manchmal nicht glauben konnte, dass sie Schwestern waren. Die Tante konnte kühl sein und trotzdem heiß lieben, sie war es, die zwar über Eva den Kopf schüttelte, aber dann doch für sie da war und ihre Hand hielt, so wie jetzt gerade, mit kalten, trockenen Fingern, die ungeduldig gegen Evas Handrücken klopfen.

Es dauert nicht lange, o. k., sagt Eva, lässt ihre Hand los und zoomt aus dem Bild heraus, während die Tante missmutig o. k., o. k. vor sich hin murmelt. O. k. gibt es nicht in ihrem Wortschatz. Eva zoomt noch ein Stück heraus, bis der pinke Oleanderstock den Kopf der Tante umsäumt, die frisch vom Friseur geföhnten und gefärbten braunen Haare, und in dem Moment, als das Gesicht der Tante etwas Weiches bekommt und sie gerade auf den Auslöser drücken will, dreht die Ursel empört den Kopf weg. Du rauchst auch schon, fragt sie den Stups und reckt ihr Kinn nach oben, als ob sie ihn so besser sehen könnte, und obwohl der Stups sogar im Sitzen um etliches größer ist als sie, zieht er seinen Kopf in sich hinein, wie eine Schildkröte. Geh, lass ihn halt, sagt Alexandra, die wieder auf der Terrasse erscheint und diesmal Besteck und ein großes Messer auf dem Tisch ablegt. Sind wir auch alle keine Vorbilder, sagt sie und schiebt Stups den Aschenbecher etwas näher hin.

Ihr vielleicht nicht, mit einem Schwung und die Hände voller Teller kommt die Oma auf die Terrasse, gell, Stups, sagt sie zu ihm und geht wieder hinein, nur um einen Moment später mit einem großen silbernen Tablett zurückzukommen, auf dem sich eine riesige Linzertorte befindet, mit Ribiselsaft, der dampfend rote Flecken auf dem weißen Spitzenpapier hinterlässt. Stups grinst Eva mit der Zigarette im Mund verstohlen an. Wir haben nie geraucht, gell, Ursel, sagt die Oma in ihrem unerbittlichen Singsang, mit dem sie auch die grausamsten Wahrheiten so klingen lassen kann, dass es schwer ist, ihr einen Vorwurf zu machen. Während Alexandra die Augen verdreht, denkt offenbar niemand daran, der Tante einen bittenden Blick zuzuwerfen, und so holt die Ursel beinahe unbemerkt tief Luft. Die Urseltante ist schon immer eine Verfechterin der Wahrheit gewesen, und wenn es außerdem etwas gibt, wo sie ihrer Schwester widersprechen kann, darf sie sich diese Chance nicht entgehen lassen, das weiß Eva genau. Sie war schon Zeugin stundenlanger Diskussionen geworden, bei der die eine behauptete, die Lieblingssendung würde samstags immer um 20.15 beginnen, während die andere darauf beharrte, nein, freitags um 21.50 Uhr, und nicht mal Evas Blick ins Fernsehprogramm mit abschließender Richtigstellung, dass beide unrecht hatten oder beide recht, je nachdem wie man es sehen wollte, weil zwar freitags, aber dafür um 20.15, hatte zur Versöhnung zwischen den Schwestern beitragen können. So ein Blödsinn, Elli, sicher hast...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abtreibung • Autorin aus Österreich • Buchempfehlung • Debüt • Deutsche Literatur • deutscher Roman • Emanzipation • Familie • Familienroman • Familiensaga • Gegenwartsliteratur • Generationenroman • Illegale Abtreibung • Österreich • Queer • Salzburg • Schweigen • Ungewollte Schwangerschaft • Wien
ISBN-10 3-8437-3024-5 / 3843730245
ISBN-13 978-3-8437-3024-2 / 9783843730242
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