Alles schweigt (eBook)
384 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3016-7 (ISBN)
Jordan Harper wurde 1976 in Missouri geboren. Er war Musikjournalist, Filmkritiker und Fernsehautor. Als Drehbuchautor war er u.a. Lead Writer bei den Fernsehserien The Mentalist und Gotham. Er lebt in Los Angeles, wo er als Autor und Produzent arbeitet.
Jordan Harper wurde 1976 in Missouri geboren. Er war Musikjournalist, Filmkritiker und Fernsehautor. Als Drehbuchautor war er u.a. Lead Writer bei den Fernsehserien The Mentalist und Gotham. Er lebt in Los Angeles, wo er als Autor und Produzent arbeitet.
Kapitel 1
Mae
Hotel Chateau Marmont
Los Angeles brennt.
Irgendein Irrer fackelt Obdachlosenlager ab. Heute hat’s eine Zeltstadt in Los Feliz an der Interstate 5 erwischt. Das Feuer hat sich bis Griffith Park ausgebreitet. Durch den Rauch gab’s einen unglaublichen Sonnenuntergang. Die Partikel in der Luft schluckten das Licht, färbten es rot. Der Himmel wurde zur neonfarbenen Wunde.
Mae wartet vor dem geheimen Eingang zum Chateau Marmont. Sie sieht die Samstagabendtouristen über den Sunset Boulevard schlendern, die Augen rot vom Qualm. Sie husten und wechseln Blicke. Dass es auf dem Sunset Strip so nach Lagerfeuer stinkt, hätten sie nicht gedacht.
Mae bewegt sich über den Gehweg wie ein Boxer vor dem Kampf. Sie trägt einen geblümten Overall aus dem Secondhandladen, ihr Gesicht ist eingerahmt von einem Lulu-Bob. Sie wirkt scharfsinnig, belesen. Ihr Blick ist der eines Wolfs auf der Pirsch, sie versteckt ihn hinter einer klobigen, viel zu großen Brille.
Sie verlagert ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen, die Absätze sind nicht zum Laufen gedacht. Sie hatte sie für ein erstes Date angezogen, das sie aber abgesagt hat, als vor zwanzig Minuten Dans Nachricht kam. Kein großer Verlust – sie war mit einem Stand-up-Comedian verabredet gewesen, den sie auf Bumble kennengelernt hatte. Comedians missbrauchen Frauen beim Daten oft als Testpublikum oder Psychotherapeutinnen – oder halten sie für so hohl, dass sie sich die Mühe gar nicht machen.
Dan hatte geschrieben Hannah Chateau asap und die Nummer von Hannah Heards neuer Assistentin mitgeschickt. Dans Nachricht war wie immer kryptisch. Die Regel lautet: Lass möglichst viel unausgesprochen.
Das Chateau Marmont: die hippste Absteige der Welt. Ein Märchenschloss im Shabby-Chic am Fuß der Hollywood Hills. Eigentlich gelangt man links über eine schmale gewundene Straße zum Hotel. Der geheime Eingang auf dem Sunset Boulevard führt direkt in die Grotte mit den privaten Cottages. Die unbeschriftete Tür in der weißen Backsteinwand besteht aus grünem Stoff – könnte man locker aufschlitzen und die Reichen und Berühmten ausplündern. Macht aber keiner.
Chateau-Jobs sind meistens unschön. Und dramatisch. Aber ein Riesenspaß. Mit Hannah Heard wahrscheinlich alles gleichzeitig.
Die grüne Tür geht auf. Das Mädchen auf der anderen Seite ist Anfang zwanzig. Sie hat blaue Haare und trägt ein Alaska-Thunderfuck-T-Shirt als Kleid – vom Typ her ist sie Manic Pixie E-Girl mit weit aufgerissenen Augen, wie ein Kaninchen in der Falle. Mae denkt, lange wird die sich in der Branche nicht halten. Nicht weil sie Angst hat, sondern weil man’s ihr anmerkt.
Die Regel lautet: Lass niemals die Maske fallen.
»Ich bin Shira, Hannahs Assistentin.« Sie schluckt die eigene Stimme, noch bevor sie ihren Mund verlässt. Angesichts derart offenkundiger Schwäche zerkaut sich Mae die eigene Wange. »Bist du die Presseagentin?«
»So was Ähnliches. Bring mich zu ihr.«
In der Grotte wirkt alles gedämpft wie unter Xanax. Das Getöse vom Strip verhallt. Selbst der Brandgestank ist irgendwie verflogen. Es raschelt traumhaft, überall Bougainvillea, Bambus und Jugendstilglas. Auf beiden Seiten der Grotte befinden sich je sechs kleine Cottages. In der Mitte ein ummauerter Teich, unbeweglich und ruhig, voller Seerosen und vermooster Steine.
Eins aber stört den Traum: Der Beton-Buddha am Teich ist umgekippt und wurde beim Aufprall geköpft. Sein abgetrennter Schädel lächelt gen Himmel. Mae denkt, es muss gerade erst passiert sein. Im Chateau hat man Routine darin, Leichen zu verstecken.
Shira sieht, dass Mae den gestürzten Gott betrachtet.
Sie sagt: »Hannah hat einen langen Flug hinter sich.«
Das Mädchen versteht, Dinge zu sagen, ohne sie zu sagen. Vielleicht kann sie sich doch in der Branche halten.
Im Cottage riecht’s wie auf einer Müllhalde – der scharfe Ammoniakgestank, von was auch immer geraucht wurde, treibt Mae Tränen in die Augen. Sie wendet sich zu der Assistentin um, bevor diese die Tür hinter sich schließen kann.
»Lass offen.«
»Der Gestank …«
»Interessiert keinen.«
Das Wohnzimmer ist mehr als unaufgeräumt. Klamotten hängen aus Gucci-Koffern, eine Mischung aus Couture und Jogginghosen. Überall stehen Tabletts vom Zimmerservice und leere Flaschen. Pommes auf einem Teller, festgeklebt in angetrocknetem Ketchup. Zu Aschenbechern umfunktionierte Kombucha-Flaschen. Dom Pérignon und Cool Ranch Doritos auf einem Tablett. Daneben auf einem Tisch ein Tütchen mit etwas gelblich Weißem, wie Knochensplitter, außerdem eine häufig benutzte Glaspfeife. Mae schaut zu Boden – sie ist auf steinharte Hundekacke getreten. Muss Wochen gedauert haben, so viel Schaden anzurichten, aber die Assistentin meinte ja, Hannah sei gerade erst wieder eingeflogen. Hannah lässt die Rechnungen weiterlaufen, auch wenn sie gar nicht in der Stadt ist, dabei kosten die Cottages einen Tausender pro Nacht.
Zwei Männer und eine Frau fläzen sich wie Zierkissen auf dem Vintage-Sofa. Lifestyle und Face Filler haben sie optisch zu Drillingen gemacht. Mae kennt die Sorte: Sie sind die kleinen Fische, die den Haien den Dreck von der Haut fressen. Sie sehen Mae mit ihren ausdruckslosen Fischaugen an.
Mochi, wenn sie gepflegt wird, ein flauschiges weißes Hündchen, jetzt aber grau und verfilzt, kläfft in der Küche. Eine schrille Vorbotin der Ankunft der einzig wahren Hannah Heard.
Man kennt ihr Gesicht. Selbst mit Kapuze über dem Kopf und viel zu großer Sonnenbrille kennt man sie. Ihre Bekanntheit hängt wie Feuerqualm in der Luft. Auch wer nicht alle sechs Staffeln As If! oder ihre beschissenen Teeniefilme gesehen hat, kennt sie. Vielleicht erinnert man sich sogar noch, wie sie groß rausgekommen ist. Dass sie Witz hatte, ein Gespür für das richtige Timing und sehr viel Herz. Man hat sie in aufreizender Pose auf dem Titel von Vanity Fair gesehen, erschienen im selben Monat, in dem sie achtzehn wurde. In den letzten Jahren hörte man eher was von verpassten Rollen und Flops oder dem ganzen Boulevard-Blödsinn – alles, was Mae und Dan nicht abwürgen konnten –, ihre Seele erlag dabei wie in Zeitlupe einem frontalen Auffahrunfall.
Jetzt sind Rotweinflecken auf ihrem orangefarbenen Hoodie von Celine – schon wieder tausend Dollar im Arsch. Aber Mae beunruhigt eher die Sonnenbrille. Hannah trägt eine zu große Sonnenbrille in einem sowieso dunklen Raum. Maes Auftrag befindet sich unter der Brille.
Hannahs Stimme klingt abgehackt und kaputt: »Hey, Bitch. Siehst geil aus.«
Sie begrüßen sich mit Luftküsschen. Hannahs Schweiß duftet nach Lackverdünner. Ihr Körper dünstet Giftstoffe aus allen Poren aus. Die Umarmung wird heftig, Hannah lehnt sich auf Mae, bittet Mae flehentlich, ihr Gewicht abzunehmen. Mae hält sie, so fest sie kann.
»Hast du Narcan?«, fragt Mae Shira über Hannahs Schulter hinweg. Die Assistentin nickt. Hannah stößt sich aus der Umarmung ab.
»Fick dich. Ich fass kein Fentanyl mehr an. Seit Brad nicht mehr.«
In Maes Kopf existiert Brad Cherry nur als wunderschöne Leiche auf einer Doppelbettmatratze. Maes erster Toter. Mae hatte vergessen, dass Hannah als Teenager mit Brad As If! gedreht hatte, lange bevor es für beide bergab ging. Sie blinzelt sich den Anblick des toten Jungen aus den Gedanken.
»Das ist Mae«, sagt Hannah zu den Drillingen. »Sie ist ein Killer.«
»Hannah«, sagt Mae und trifft dabei genau den richtigen Ton – erfüllt von Fürsorge und Mitgefühl, gerade genug, um Hannah zu trösten, aber nicht so viel, dass sie die Herablassung spürt. Die Regel lautet: Bearbeite deinen Klienten. »Wieso nimmst du nicht die Sonnenbrille ab und erzählst mir, warum ich hier bin?«
Hannah nimmt die Brille ab. Ihr linkes Auge ist lila und angeschwollen wie eine aufgeplatzte Pflaume.
Mae verzieht keine Miene. Die Regel lautet: Behalt’s für dich. Sie dreht sich wieder zu Shira um.
»Wann wird sie abgeholt?«
»Um vier muss sie in die Maske.«
»Scheiße.«
Laut der Geschichte – der Geschichte, die sich Hannahs Team ausgedacht hat – hat Hannah ihr Leben in den vergangenen sechs Monaten umgekrempelt und wieder in den Griff bekommen. Ihre Presseleute haben Läuterungsinterviews mit freundlich gesinnten Partnern bei den großen Hochglanzzeitschriften arrangiert. Paparazzi bekamen Tipps, wann sie Hannah beim Kauf frisch gepresster Bio-Säfte und veganer Wraps ablichten können. Die Geschichte hatte funktioniert. Morgen beginnen für sie die Dreharbeiten zu einem Oscar-verdächtigen Indie-Drama. Nicht die Hauptrolle, aber eine gute. Wenn alles glattgeht, folgt der Geschichte zweiter Akt: Popsternchen zeigt, dass sie’s voll draufhat.
Mit dem Auge aber hat sie’s verkackt.
Die Filmleute flippen aus, wenn sie das sehen. Vielleicht können sie um sie herum filmen oder ihr Auge nachbearbeiten. CGI-Bearbeitungen sind bei den großen Stars inzwischen Standard – vertraglich...
Erscheint lt. Verlag | 31.8.2023 |
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Übersetzer | Conny Lösch |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Alles Licht • Amerika • Amerikanische Literatur • aufregend • Ausbeutung Kinder • Brutal • das wir nicht sehen • detective • Drogen • Edgar Award • Ellis • Ellroy • Filmstar • Frauen • Gewalt • Hoffnung • Hollywood • Kinderstars • Los Angeles • Me-Too • Missbrauch • Mord • Noir • Obdachlos • private Ermittler • Schauspieler • Sex • shards • Spannung • Trauma • Träume |
ISBN-10 | 3-8437-3016-4 / 3843730164 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3016-7 / 9783843730167 |
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