Tödlicher Aschermittwoch (eBook)
400 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3079-2 (ISBN)
Lorenz Stassen, geboren 1969, wuchs in Solingen auf und wurde zunächst Chemielaborant. Er wechselte ins Film- und Fernsehgeschäft und arbeitet seit 1997 als freischaffender Drehbuchautor und Schriftsteller. Lorenz Stassen lebt in Köln und ist Mitglied bei den »Roten Funken«.
Lorenz Stassen, geboren 1969, wuchs in Solingen auf und wurde zunächst Chemielaborant. Er wechselte ins Film- und Fernsehgeschäft und arbeitet seit 1997 als freischaffender Drehbuchautor und Schriftsteller. Lorenz Stassen lebt in Köln und ist Mitglied bei den »Roten Funken«.
Köln 1825
Die Wucht des Schlages dröhnte in seinem Kopf nach. Er schaute wieder nach vorne zu seinem Peiniger, der die rechte Hand schüttelte, weil sie offensichtlich schmerzte.
Noch mehr Blut tropfte aus Mund und Nase, trotzdem rang Arthur Schmoor sich ein Lächeln ab. Der Mann, der vor ihm stand, war ein Unbekannter, er hatte ihn noch nie zuvor gesehen und fand, dass er viel zu gut gekleidet war für einen Schläger, wie es sie damals gab.
Der Peiniger griff in die Tasche seines schwarzen Mantels mit Fellkragen und holte eine Münze hervor, hielt sie hoch. »Von wem hast du die?«
»Ist vom Himmel gefallen.«
Wieder traf ihn ein heftiger Faustschlag am Kinn, und sein Kopf schleuderte nach links. Er meinte, etwas in seinem Schädel knacken gehört zu haben.
Der Mann vor ihm wog die Münze in seiner Hand, dann ließ er sie wieder in seiner Rocktasche verschwinden.
»Wieso bist du zurückgekommen?«
Arthur keuchte. Die Schläge ins Gesicht setzten ihm mehr zu, als er sich eingestehen wollte. Lange würde er nicht mehr durchhalten, sein Puls raste, und ihm wurde übel. Sie hatten seine Arme hinter dem Rücken an den Stuhl gefesselt, so fest, dass sich die Finger der linken Hand allmählich taub anfühlten.
Arthur sah zu seinem Gegenüber auf. »War das etwa alles? Mehr hast du nicht drauf? Glaubst du, so kriegst du was von mir zu hören?«
Der Mann ballte die Faust erneut und schlug zu. Der erste Treffer erwischte Schmoor wieder am rechten Kinn und ließ den Kopf zur Seite schnellen, der zweite Schlag folgte, als er nach vorne sah, frontal auf die Nase, was das Blut spritzen ließ, als hätte die Faust in einen nassen Schwamm geboxt.
Angewidert trat der Peiniger einen Schritt zurück, zog ein weißes Tuch aus seiner Manteltasche, das sich rot färbte, als er seine Hand damit säuberte. Auch sein Mantel und der herausragende weiße Stehkragen des Hemdes hatten Blutspritzer abgekriegt.
Arthur spürte, dass sich ein weiterer Zahn aus dem Kiefer löste. Er spuckte ihn auf den Boden und rang sich ein Lächeln ab.
Das blutverschmierte Tuch von sich schmeißend, ballte der Mann erneut die Faust, überlegte es sich aber anders. Vielleicht wollte er nicht noch mehr Spritzer abkriegen, dachte Schmoor und grinste. Er drehte den Kopf, um hinter sich zu sehen. Dort stand noch einer, der nichts sagte. Es waren mehrere Männer, die ihn hierher verschleppt hatten. Den Fremden, der am Tor der Halle stand, kannte Arthur auch nicht. Sein Mantel war dunkelbraun.
Schmoor drehte den Kopf, schaute nach vorne zu seinem Peiniger. »Schaffe jemanden her, der etwas zu sagen hat. Du weißt, wen ich meine.«
Der Mann packte Arthur am Kiefer, dass es schmerzte. Er kam mit seinem Gesicht so nah, dass Arthur den feuchten Atem roch. »Nein, weiß ich nicht. Mit wem möchtest du reden?«
»Rabanus«, zischte Arthur.
Es trat ein Moment der Stille ein. Nur das Atmen seines Peinigers war zu hören.
»Woher hast du diesen Namen?«
Schmoor flüsterte. »Bring Rabanus her, dann sage ich euch alles.«
Der Mann ließ ihn los, rückte seinen Mantel zurecht, bevor er an Schmoor vorbei zu seinem Komplizen schritt. Die beiden entfernten sich in den dunklen Teil der Halle, so weit, dass Arthur sie nicht hören konnte.
Das war seine Chance. Er rutschte auf dem Stuhl hin und her, tat so, als ob er von Schmerzen geplagt sei. Die beiden Tölpel hatten etwas Wichtiges übersehen, oder sie hatten zu wenig Seil dabeigehabt. Auf jeden Fall nicht genug, um jemanden ordentlich zu fesseln, dem die rechte Hand fehlte. Arthur bewegte den Stumpf hin und her, spürte, wie der Arm an den Seilen entlangschürfte. Dann hatte er es geschafft, der Stumpf war frei. In dem Moment hörte er die Schritte der Männer, die näher kamen. Arthur legte den freien Arm wieder eng an den Körper an.
Der Eine bezog seine Position am Tor, während der Schläger sich breitbeinig vor Arthur stellte.
»Wir werden jemanden holen. Aber erst beantwortest du uns noch ein paar Fragen. Woher hast du die Münze?«
Arthur beugte sich nach vorne und würgte, als müsste er sich jeden Moment übergeben. Instinktiv wich der Mann einen Schritt zurück und vergrößerte den Abstand. Arthurs Oberkörper schnellte mit einem Ruck hoch, und er kam auf die Beine. Sein linker Arm war immer noch an den Stuhl gefesselt, den er jetzt auf dem Kopf seines Gegenübers zertrümmerte. Der Mann ging zu Boden, und Arthur trat mit voller Wucht gegen seinen Schädel.
Dann drehte Schmoor sich um zu dem Komplizen, der am Tor stand. Der junge Kerl war so schockiert, dass er nicht wusste, wie ihm geschah.
Es gab zwei Arten von Männern, das wusste Schmoor aus Erfahrung. Die, die im Moment der Bedrohung instinktiv reagierten, nicht darüber nachdachten, was richtig oder falsch sein könnte. Und die, die zur Salzsäule erstarrten, unfähig zu handeln.
Schmoor hielt die Überreste des zerbrochenen Stuhls in der Hand wie einen Knüppel. Ein zerborstener Knüppel, an dessen Ende die Holzfasern wie spitze Stacheln hervorstachen. Schmoor ging auf den Mann zu, der ihm jetzt den Rücken zudrehte und versuchte, den Riegel des Tors zu öffnen. Schmoor trat ihm mit dem Fuß ins Kreuz. Der Mann knallte krachend gegen das Tor, er drehte sich herum, hielt schützend die Hände vors Gesicht. Schmoor konnte es kaum glauben, mit was für einem Feigling er es zu tun hatte. Die Stoffhose seines Gegners verdunkelte sich an den Beinen.
Einen Moment dachte Schmoor darüber nach, ihn am Leben zu lassen. Durfte er einen Halbwüchsigen einfach so kaltmachen? Ja. Warum sollte er ihn verschonen? Schmoor rammte ihm die zerfaserte Spitze des Stuhlbeins in den Bauch. Der Junge starrte ihn entsetzt an. Ein markerschütternder Schrei hielt Schmoor nicht davon ab, den Pflock tiefer und noch tiefer in den Körper hineinzutreiben. Dann zog er das Stuhlbein mit einem Ruck heraus, und der Junge brach zusammen. Schmoor sah auf ihn herab, wie er zitternd auf dem staubigen Boden lag und mit den Händen seine herausquellenden Gedärme zurückhielt. Die Blutlache um ihn herum breitete sich schnell aus, das Geschrei ließ nach, er verlor zuerst an Kraft, dann das Bewusstsein.
Dann wurde es ganz still.
Arthur hörte hinter sich ein Stöhnen, drehte sich um. Sein Peiniger lag noch immer auf dem Boden, kam wieder zu Bewusstsein. Schmoor betrachtete den blutigen Holzpflock in seiner Hand, an dem noch ein paar Innereien hingen. Er klemmte das Holz unter seinen rechten Arm und zog mit aller Kraft seine linke Hand zwischen den Seilen hervor, ließ den zerfaserten Knüppel fallen.
Dann schritt Arthur zu seinem Peiniger, packte ihn an den Haaren, beförderte ihn auf die Beine, drückte ihn gegen einen Stützpfosten. Den rechten Stumpf presste Arthur gegen den Hals, schnitt dem Mann die Luft ab. Nicht ganz, er sollte noch atmen können und die letzten Sekunden seines erbärmlichen Daseins bei vollem Bewusstsein miterleben.
»Du hättest deinen Chef holen sollen. So, wie ich es dir gesagt habe.«
»Ich … hole ihn«, röchelte er.
Schmoor sah ihm in die Augen, wusste, was der Mann sich durch diese Lüge erhoffte, und schüttelte den Kopf. »Ich habe eine bessere Idee. Du sagst mir, wo ich ihn finde. Wo ist Rabanus? Sag es, und ich verschone dein Leben.«
Die Lippen des Mannes liefen bereits blau an, Arthur lockerte den Griff, damit er reden konnte.
»Du bist …« Er keuchte. »Du bist ein toter Mann.«
»Nein«, Schmoor lächelte. »Ich werde bald ein reicher Mann sein. Und dann räche ich mich. Ich werde keinen davonkommen lassen.« Er holte tief Luft, füllte seine Lungen, bevor er laut schrie: »Die Rache ist mein!«
Seine Stimme hallte von den Backsteinwänden wider.
»Rabanus …« Ihm versagte die Stimme. »Sein Gesicht wird das Letzte sein, das du auf dieser Welt sehen wirst. Bevor er dich umbringt.«
Arthur begriff, dass dieses Gespräch zu nichts führen würde. Er legte sanft die linke Hand auf das Gesicht des Mannes und drückte zu. Seine Finger, die sich immer noch etwas taub anfühlten, gruben sich tiefer und tiefer in die Augenhöhlen. Der Mann schrie, versuchte es zumindest, aber Schmoor drückte seinen Stumpf noch fester gegen die Kehle. Dann spürte er, wie die Augäpfel unter dem Druck nachgaben und zerplatzten. Erst der linke, dann der rechte.
Arthur genoss den Moment.
Dann trat er einen Schritt zurück, der Mann sackte wie ein nasser Sack auf den Boden, schrie aus Leibeskräften, hielt sich die Hände vors Gesicht, schrie noch lauter, während zwischen seinen Fingern ein wenig Blut und helle Flüssigkeit hervorquollen. Er robbte über den Boden, bis die Kraft nachließ und nur noch ein Wimmern zu hören war. Schmoor beugte sich zu dem Erblindeten, griff in dessen Manteltasche und nahm die Münze wieder an sich.
Arthurs rechte Hand, die nicht mehr da war, schmerzte und erinnerte ihn daran, weshalb er zurückgekommen war. Rache. Zwei Jahre lang hatte er an nichts anderes denken können. Er würde niemanden verschonen, nicht die alten, nicht die neuen Feinde. Arthur betrachtete seinen Stumpf. Derjenige,...
Erscheint lt. Verlag | 26.10.2023 |
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Reihe/Serie | Gustav Zabel ermittelt | Gustav Zabel ermittelt |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane | |
Schlagworte | 11.11. • Detektiv • Ermittler • Fünfte Jahreszeit • Gefahr • historisch • Karneval • Karnevalskrimi • Kölner Dom • Krimi • Kriminalistik • Mord • Preußen • Rosenmontag • Rosenmontagsumzug • Rote Funken • spannend • Zeitgeschichte |
ISBN-10 | 3-8437-3079-2 / 3843730792 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3079-2 / 9783843730792 |
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