Sommermord (eBook)
400 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01569-2 (ISBN)
Miriam Rademacher, Jahrgang 1973, wuchs auf einem kleinen Barockschloss im Emsland auf. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Osnabrück, wo sie an ihren Büchern arbeitet und Tanz unterrichtet. Sie hat zahlreiche Fantasy-Romane, Krimis und Kinderbücher in verschiedenen Verlagen veröffentlicht.
Miriam Rademacher, Jahrgang 1973, wuchs auf einem kleinen Barockschloss im Emsland auf. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Osnabrück, wo sie an ihren Büchern arbeitet und Tanz unterrichtet. Sie hat zahlreiche Fantasy-Romane, Krimis und Kinderbücher in verschiedenen Verlagen veröffentlicht.
Kapitel 1
1928, Berlin, Grunewald, Villa Breski
Ella Gössling gestand es sich nur ungern ein, aber überbackene Austern, Roastbeef und Ziegenkäse waren ganz offensichtlich keine Kombination, die ihr Magen zu schätzen wusste. So gelang es ihr schon seit einer Weile nicht mehr, die Party im Haus des Ehepaars Breski in vollen Zügen zu genießen, wie sie es sich eigentlich fest vorgenommen hatte.
Selten genug ließ ihr Ehemann Wilhelm sich dazu überreden, an einer Party teilzunehmen, meist sorgte er für ein rasches Verschwinden der Einladungen, indem er sie einfach ins Kaminfeuer warf, noch bevor Ella sie auch nur zu Gesicht bekommen hatte. Auf diese Weise war ihr sogar die Petersilienhochzeit ihrer Freundin Tutti durch die Lappen gegangen, und das hatte sie Wilhelm lange nicht verzeihen können.
Umso mehr hatte sich Ella auf diesen Abend bei den Breskis gefreut, die heute ihren Einzug in eine schmucke Villa in bester Lage mit Musik, Tanz und großem Buffet feierten. Ella kannte die Breskis zugegebenermaßen kaum. Paul Breski war ein Jugendfreund ihres Mannes, die beiden waren als Buben gemeinsam durch Spandau gestreift und hatten damals allerlei Unsinn getrieben, an den ihr Wilhelm, jetzt, wo er endlich die Praxis von dem alten Doktor Negrassus übernehmen würde, nicht mehr gern erinnert wurde. Seine Gattin, die sich Paul Breski erst vor etwa einem guten Jahr zugelegt hatte, war Ella ebenfalls fremd geblieben. Bei ihren wenigen Aufeinandertreffen hatten sich kaum Gemeinsamkeiten zwischen ihnen feststellen lassen. Evelyn Breski war eine oberflächliche Person, die kein anderes Gesprächsthema kannte als Frisuren und Mode. Doch die Breskis verstanden es zu feiern, was sicher auch an Pauls wunderbaren Kontakten zu guten Musikern lag. Dies war nicht überraschend, denn der Mann arbeitete immerhin im Vox-Haus am Potsdamer Platz, und seine Stimme war dank der steigenden Anzahl von Radiogeräten in Berlin inzwischen stadtbekannt.
«Bist du schon herumgeführt worden?», hörte sie unvermittelt Tuttis Stimme dicht neben ihrem Ohr rufen. Die Freundin drückte ihr unaufgefordert ein neues Champagnerglas in die Hand und spielte mit ihrer langen Perlenkette.
Wenn es um Äußerlichkeiten ging, war Tutti Ella stets ein Vorbild gewesen. Ihre Freundin trug meist die gewagtesten Kleider mit Trägern, die kaum mehr als Fäden zu bezeichnen waren, und Fransen am Saum, die bei jedem ihrer Tanzschritte lustig auf und ab flogen. Auch an diesem Abend steckte sie in einem blassrosa Traum, durchwirkt mit Silberfäden, und stahl allen anderen Damen, Evelyn Breski eingeschlossen, die Schau. Ellas eigenes, blondes Haar mochte recht kurz sein, ließ sich aber immer noch in weiche Locken legen, die ihr ein romantisches Aussehen verliehen. Aber Tuttis schwarzer Schopf war so kurz geschnitten, dass es ihr gerade noch gelang, eine einzelne Locke vor jedem Ohr zu formen, was sie sich bei Josephine Baker persönlich abgeschaut haben musste.
«Ich beneide diese Evelyn Breski bestimmt nicht um ihren dunkelroten Küchenboden. Jeder Krümel wird ihr von diesen extravaganten Fliesen entgegenleuchten. Aber hast du diese Badewanne im ersten Stock gesehen? Dafür würde ich morden.» Tutti zog an ihrer Zigarette, versuchte, lässig den Rauch aus dem Mundwinkel zu stoßen, bekam aber einen Hustenanfall.
«Warum hörst du nicht endlich damit auf?» Ella wedelte den blauen Dunst beiseite und rümpfte die Nase. «Jeder weiß, dass du den Geschmack von Zigaretten widerlich findest. Trotzdem mutest du dir und allen Menschen in deiner Umgebung diesen Geruch zu.»
«Es mag widerlich sein, steht mir aber ganz hervorragend.» Sie schwenkte kokett ihre brennende Zigarette und verstreute einen feinen Ascheregen auf dem Parkett. «Wo steckt eigentlich dein Mann? Will er nicht mit dir tanzen?»
«Solange nur Charleston und Foxtrott gespielt werden, ganz sicher nicht.» Ella seufzte. «Vielleicht, wenn irgendwann ein Walzer erklingt. Wilhelm ist in allen Dingen ein wenig altmodisch, wie du sehr wohl weißt.»
Tutti zog eine Braue hoch. «Bitte die Musiker doch einmal um den Sportpalastwalzer. Jetzt, wo Breskis Karriere so gewaltig an Fahrt aufnimmt und er immer öfter im Radio über die großen Veranstaltungen berichtet, etwa den Boxkampf in ein paar Tagen, darf ein Pfeifkonzert im Dreivierteltakt an diesem Abend doch nicht fehlen.»
Ella, die nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte, blieb ein Kommentar erspart, als Tutti angesichts der nun von Kellnern hereingetragenen Süßspeisen wie Glumstorte und Liegnitzer Bombe in laute Begeisterung ausbrach.
Ella, die Torte üblicherweise durchaus zu schätzen wusste, trieb der Gedanke an den mächtigen Quark im Gebäck heute den Schweiß auf die Stirn. Sie hatte sich am Buffet ganz eindeutig übernommen.
Mit einem Mal wurde ihr bewusst, wie laut es im großen Saal der Villa Breski gerade zuging und wie verraucht die Luft hier drinnen nicht nur dank Tuttis glühender Zigarettenspitze war.
«Ich brauche etwas frische Luft», murmelte sie, entschuldigte sich bei Tutti, die bereits über die Liegnitzer Bombe herfiel, und bahnte sich an den tanzenden Gästen vorbei einen Weg in Richtung Ausgang. Erleichtert stellte sie fest, dass die Haustür offen stand und draußen, im Garten der Villa, Fackeln brannten, die das Gelände zu dieser späten Stunde in festliches Licht tauchten. Trotzdem schien sich niemand bei den Rabatten aufzuhalten, als Ella zwischen zwei protzigen Säulen aus Sandstein hindurchtrat, auf den Gehwegplatten stehen blieb und tief die Luft des Juliabends in sich einsog. Gleich fühlte sie sich besser. Das Völlegefühl verflog, nur eine Minute später nippte sie an ihrem Champagner und überlegte, ob sie es wagen sollte, den Hausherrn zu einem Charleston auf die Tanzfläche zu bitten. Darauf zu warten, dass Wilhelm sich ihrer erbarmte, hatte wenig Aussicht auf Erfolg.
Da ließ ein Geräusch über ihr sie aufhorchen. Es klang, als sei ein Fenster oder eine Tür geöffnet worden, und da sich direkt über dem Eingang der Villa ein ausladender Balkon befand, der von den zwei Sandsteinsäulen hinter ihr gestützt wurde, war dies auch gut möglich. Vermutlich führte die stolze Evelyn Breski gerade weiteren Gästen die Vorzüge ihres neuen Heimes vor. Die Villa war tatsächlich ein Schmuckstück.
Während Tutti sich von der großen Badewanne beeindruckt gezeigt hatte, war es bei Ella besagter Balkon gewesen, der sie beim Spaziergang durch die oberen Räume hatte neidisch werden lassen. Halbrund, ausladend, mit einer hüfthohen, aus Sandstein gefertigten Brüstung war es ein romantischer und intimer Ort, auch gerade deshalb, weil er nur über das Schlafzimmer der Breskis zu erreichen war.
Ella sah nach oben und versuchte, sich vorzustellen, wie sie selbst dort oben stand, gleich neben einer der mit Fuchsien bepflanzten Blumenschalen auf der Balustrade. Sie seufzte und verdrängte den Wunschgedanken. Eine Villa im Grunewald, und sei es auch nur zur Miete, lag für sie und Wilhelm noch in weiter Ferne. Vorerst durfte sie zufrieden sein, eine hübsche Wohnung mit stuckverzierter Wohnzimmerdecke in Charlottenburg ihr Zuhause nennen zu dürfen. Und das war, wenn man die Wohnsituation in Berlin bedachte, gewiss nicht das Schlechteste. Die hastig hochgezogenen neuen Bauten der Stadtplaner hatten bei Weitem nicht ausgereicht, um dem ständigen Strom derer, die es in die Hauptstadt trieb, Unterkunft zu gewähren. Noch immer wussten viele Menschen, denen man täglich auf den Straßen begegnete, nicht, wo sie die Nacht verbringen sollten. Betten wurden sogar stundenweise vermietet.
Ellas Gedankengang wurde unterbrochen, als Wilhelm durch die offene Vordertür ins Freie trat, in der einen Hand eine Zigarre, in der anderen ein gut gefülltes Likörglas. Seine Miene hellte sich bei ihrem Anblick auf. Er schien ehrlich erfreut, sie hier draußen vorzufinden.
«Ist es nicht ein ekelhaft lauter Abend?» Er stellte sich neben sie und bot ihr seinen Likör an, den sie mit einem vielsagenden Blick auf ihr Champagnerglas dankend ablehnte. «Die Pianistin ist betrunken, die Zigarren sind erschöpft, und die Herren der Schöpfung streiten seit einer geschlagenen Stunde über politische Themen. Ich weiß schon, warum ich Partys wie diese üblicherweise meide.»
«Über was würdest du dich denn gern unterhalten?», wollte Ella wissen und registrierte beiläufig ein erneutes Geräusch über ihren Köpfen. Wer immer den Balkon vorhin betreten hatte, musste sich noch immer dort aufhalten. Zu sehen war bei ihrem ersten Blick hinauf allerdings niemand gewesen. So schaute sie jetzt ein weiteres Mal zur Balustrade hoch, konnte jedoch noch immer keine Person im Halbdunkel ausmachen. Allerdings überkam sie das unbestimmte Gefühl, etwas müsste sich dort oben in den letzten Minuten verändert haben. Oder spielten ihr das flackernde Licht der Fackeln und die daraus resultierenden Schatten einen Streich?
«Sport ist ein gutes Thema, würde ich behaupten», ließ sich Wilhelm vernehmen, klemmte sich die Zigarre zwischen die Lippen und richtete sich mit der freien Hand das noch verbliebene Haupthaar. «Mit Literatur kann man im Prinzip auch nichts falsch machen.»
«Literatur?», wiederholte Ella und lächelte. «Literatur wie die von Tucholsky beispielsweise?»
«Ich denke, es gibt bessere Beispiele, Liebes.» Ihr Mann hob die Augenbrauen. «Rheinsberg ginge ja noch an, aber seine Weltanschauung ist mir ein Gräuel. Wie wäre es, wenn wir beide uns in die eigenen vier Wände zurückziehen, und ich lese dir noch ein wenig aus den Werken deutscher Dichtkunst vor?»
Jetzt hob auch Ella die Brauen und deutete auf Wilhelms Armbanduhr. «Es ist noch nicht einmal elf durch. Würde es nicht unhöflich wirken, sich jetzt schon zu...
Erscheint lt. Verlag | 15.8.2023 |
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Reihe/Serie | Historischer-Berlin-Krimi | Historischer-Berlin-Krimi |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane | |
Schlagworte | 20er • Alex Beer • Anne Stern • Berliner Kriminalpolizei • Berlin Krimi • deutsche Kriminalromane • Fräulein Gold • Geschichte der Kriminalpolizei • historischer Krimi • Hutmacherkrankheit • Kindle unlimited • Krimi E-Book • Kriminalpolizei • Krimi Neuerscheinung • Krimi neuerscheinung 2023 • Miriam Rademacher • Polizistin • Prime Reading • René Anour • Serienmord • Spannung • Spiritismus • Spiritisten • weibliche Ermittler • Weimarer Republik • Zwanzigerjahre |
ISBN-10 | 3-644-01569-4 / 3644015694 |
ISBN-13 | 978-3-644-01569-2 / 9783644015692 |
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